Arbeiter:innenmacht

Metall- und Elektroindustrie: Standortsicherung statt Tarifkampf??

Frederik Haber, Infomail 1094, 10. März 2020

Der IG Metall-Vorstand hatte die Gewerkschaft überfahren. Am 24. Januar schlug er ohne Diskussion in der Organisation dem Arbeitgeberverband vor, auf eine Forderung zur Tariferhöhung zu verzichten und statt dessen „Verhandlungen über ein Zukunftspaket“ zu führen. Ziel sei es, „dass die Arbeitgeber gemeinsam mit der IG Metall die Zukunft der Beschäftigten sichern, indem sie auf Personalabbau, Ausgliederungen, Standortschließungen und Verlagerungen verzichten und sich stattdessen in Zukunftstarifverträgen verpflichten, durch Investitionen und Qualifizierung Beschäftigung, Standorte und Zukunftsperspektiven zu sichern und entwickeln.“ Das ganze nennt er „Moratorium“.

Dem Unternehmerverband wurde eine Frist bis zu 3. Februar gestellt und bis dahin hatte dieser zugestimmt. Seitdem ist ein Monat vergangen. Sicher ist, dass sich die UnternehmerInnen nicht an ein „Moratorium“ halten, also an einen gegenseitigen Verzicht darauf, Fakten zu schaffen. Airbus und Daimler haben schon angekündigt, weitere tausende Arbeitsplätze zu vernichten. Die Planungen gehen auf jeden Fall weiter und die Unternehmerpresse schreibt schon ausführlich, wie schädlich Beschäftigungsgarantien seien.

Die Tarifkommissionen der IG Metall in den verschiedenen Regionen haben dem Plan der Führung am 20. Februar zugestimmt. Das war zu erwarten und zwar aus mehreren Gründen:

  • Mit dem Angebot des Vorstandes und der Zustimmung der Gegenseite waren Fakten geschaffen.
  • Es waren keine vier Wochen Zeit dafür, um über das Vorhaben des Vorstandes zu diskutieren. Es wurden zwar formal „Funktionärskonferenzen“ oder Mitgliederversammlungen anberaumt. Aber um zu verstehen, was dieses bisher unbekannte Vorgehen bedeutet, war das für viele nicht ausreichend Zeit.
  • In den Tarifkommissionen sitzen viele Hauptamtliche und die Mitglieder der Tarifkommissionen werden ohne Diskussion gewählt, vom jeweiligen Ortsvorstand vorgeschlagen und von den Delegierten nur abgesegnet. Demokratie verkommt so zur bürokratischen Formalität.
  • Die Diskussionskultur in der IG Metall ist in den letzten Jahren völlig auf den Hund gekommen. Debatten werden kaum noch geführt und sind bei vielen Konferenzen auch nicht wirklich vorgesehen. Das Interesse an der Basis für die Debatten ist in dem Maß zurückgegangen wie die Macht des Apparates weiter gewachsen ist, gerade bei der Aufstellung von Tarifforderungen wird das deutlich.
  • Die Arbeitsplätze sind tatsächlich bedroht durch insbesondere in der Automobilindustrie. Die Entpolitisierung durch den Apparat führt so auch dazu, dass seine Strategie vielen KollegInnen alternativlos erscheint.

Der Angriff des Kapitals

Die IG Metall geht davon aus, dass in den nächsten Jahren 50.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen und weitere 180.000 durch Digitalisierung und e-Mobilität gefährdet sind.

Andere Quellen sagen, dass schon im Jahr 2019 über 50.000 Arbeitsplätze gestrichen worden sind. Die Nationale Plattform Mobilität (NPM), ein großes BeraterInnengremium der Bundesregierung, rechnet vor, dass 410.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten, rund die Hälfte der Branche.

Was in den einzelnen Betrieben geplant wird, bestätigt solche Befürchtungen: Das Problem ist nicht nur, dass für e-Autos weniger Arbeitskräfte gebraucht werden als für Verbrenner, sondern dass die Unternehmen neue Produktion nicht in Deutschland ansiedeln und zusätzlich die Verbrenner-Technologie ins Ausland verlagern. Schuld ist ihr verschärfte Konkurrenz, die sich in einem globalen Preiskampf manifestiert. Zusätzlich und gerade deshalb werden natürlich die neuesten Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt, weil sie einen kurzfristigen Kostenvorsprung versprechen.

Für alle vom Kapital und seiner Konkurrenz verursachten Probleme – verfehlte Produkte, Klimakatastrophe, Handelskriege und digitale Modernisierung – sollen also die Beschäftigten zahlen.

Gemeinsam mit den UnternehmerInnen?

Es ist also durchaus richtig in dieser Tarifrunde das Problem der Arbeitsplätze auf- und anzugreifen. Es ist richtig nicht das übliche Ritual durchzuziehen, das die IG Metall eine „normale Tarifbewegung“ nennt.

Der Zielsetzung der IG Metallführung „dass die Arbeitgeber gemeinsam mit der IG Metall die Zukunft der Beschäftigten sichern“ sollen, ist aber schon im Ansatz falsch. Das Kapital, sein auf Ausbeutung und Profitmacherei basierendes System ist das Problem! Die Unternehmer fällen die Entscheidungen, die die Jobs kosten! Genauso, wie sie die Entscheidungen getroffen haben, die Umwelt zu versauen, Mengen von Kohlendioxid in die Luft zu blasen und beim Abgasmessen zu betrügen.

Übrigens ist der Ausweg aus der Auto-Krise, auf den heute das Kapital setzt, nicht nur eine Katastrophe für die Beschäftigten, sondern auch für die Umwelt. Das E-Auto ist weder vom Energieverbrauch noch von den Schadstoffen her eine Lösung, egal, wo diese Autos gebaut werden. Nötig sind effektive Verkehrssysteme, die insbesondere in den Städten, wo heute die Mehrheit der Menschheit lebt, platzsparend und Ressourcen schonend sind, also öffentliche Verkehrssysteme mit intelligenten technischen und organisatorischen Anschlüssen und Verbindungen in das Umland. Es liegt auf der Hand, dass wir als MetallerInnen andere und bessere Verbündete haben als die „ArbeitgeberInnen“, die uns gerade die Hälfte der Arbeitsplätze nehmen wollen.

Hilflosigkeit

Wie kläglich die Politik des Vorstandes ist, geht auch aus einer Folie mit dem Titel „Beschäftigung und Einkommen sichern“ hervor, also einer bildlichen Darstellung „aller Möglichkeiten der Beschäftigungssicherung“, wie dem IG Metall-Vorsitzenden Hofmann vorschwebt. Dort wird „Stopp aller Formen von Mehrarbeit“, „Abbau von Arbeitszeitkonten“, „Reduzierung verlängerte Vollzeit“ gefordert – das können Betriebsräte auch ohne Tarifrunde verlangen und im ersten Fall auch sehr einfach durchsetzen. „Insourcing“, ein weiterer Vorschlag, schafft keine Arbeitsplätze, sondern verlagert sie nur, oder genauer: vernichtet sie anderswo. „Gesetzliche Kurzarbeit mit Aufzahlung, tarifliche Kurzarbeit und Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung“ – das gibt es alles schon, da könnte auch noch ne Kleinigkeit tariflich verbessert werden ebenso wie bei „Qualifizierungszeiten ausweiten“. Aber im Grunde wird hier das gleiche Vorgehen vorgeschlagen wie bei jeder Beschäftigungssicherung der letzten 15 Jahre. Alle diese „Möglichkeiten“ werden überwiegend von den Beschäftigten bezahlt. Das sind keine Antworten auf den Generalangriff der Unternehmen.

Was fehlt ist die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Die Arbeit muss auf alle umverteilt werden und die Unternehmen müssen zahlen. Dazu muss die lange überfällige Angleichung in Osten kommen. Das sind Tarifforderungen, die wirklich etwas verändern! Aber sie erfordern den radikalen Bruch mit der Politik des Vorstandes, der immer Hand in Hand mit den Konzernspitzen der Autoindustrie marschiert ist.

Aufgaben der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG)

Immer wieder haben Linke und kämpferische KollegInnen in der IG Metall die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung eingebracht. Manche haben geglaubt, dass die letzte Tarifauseinandersetzung ein Schritt in diese Richtung war, obwohl auch das tarifliche Zusatzgeld (T-Zug) individuell ist und zu Lohnverlust führt. Aber die Arbeitszeitverkürzung, die wir meinen und die sehr nötig ist, geht nicht in gemeinsamen Verhandlungen mit den Unternehmen während der Friedenspflicht. Der Vorstand zieht sie jedoch einen härteren Arbeitskampf nicht einmal für den Fall des Scheiterns der Gespräche in Betracht, wenn es heißt: „Sollte es bis dahin keine Ergebnisse geben, soll es eine normale Tarifbewegung geben.“ Damit meint er mit Sicherheit nicht die Offensive für eine radikale Arbeitszeitverkürzung.

Auf klassenkämpferische GewerkschafterInnen und die VKG dürfen nicht so tun, als ob das, was objektiv nötig ist, in einer „normalen Tarifrunde“ und mit der Strategie dieser Führung möglich wäre. Es geht nur im Bruch mit der Sozialpartnerschaft, mit dem Anbiedern ans Kapital, mit der widerlichen Haltung dieses Vorstandes, der aber auch wirklich alles mitgemacht hat und mitmacht, was das Kapital will: Von der EU-Abgasregelung, dem Abgasmessungs-Betrug, keine Nachrüstung durch die Firmen, bei Leiharbeit, Outsourcing, Angriff auf das Streikrecht, Waffenexport, Auto-Kartellbildung und Korruption von Betriebsratsspitzen.

Wir sollten auch keinen Zweifel daran lassen, dass kleine Proteste diesen Kurs nicht ändern können. Ja, manche Belegschaften diskutieren trotzdem Tarifforderungen. Manche halten den „Nachhaltigkeitsbonus“, der den IG Metall-Mitgliedern im Unterschied zu nicht organisierten KollegInnen versprochen wird für falsch oder auch, dass er an „umweltbewußtes Verhalten“ gekoppelt werden soll. Falls er überhaupt kommt, ist das eine klassische Ablenkungsdiskussion.

Deshalb sollten wir als Alternative zur Kapitulation des Vorstandes vor dem Kapital ein zusammenhängendes Gegenprogramm präsentieren:

  • Kampf mit allem was dazu gehört: Warnstreiks und Streiks, die in der Tarifrunde unzweifelhaft legal wären, hin zum branchenweiten Vollstreik. Gewählte, der Basis verantwortliche Aktions- und Streikkomitees sollen über die Aktionen entscheiden, koordiniert werden und die Kampfleitung stellen.
  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, Kontrolle der Umsetzung in den einzelnen Abteilungen und Betrieben durch die Betroffenen, die Vertrauensleute und die Betriebsräte.
  • Umstellung der Produktion auf umweltgerechte Produkte und Fertigungsmethoden unter Kontrolle der Beschäftigten in Abstimmung mit Umwelt-AktivistInnen und ExpertInnen, die das Vertrauen der Lohnabhängigen genießen.
  • Betrieben, die geschlossen werden sollen oder mit Personalabbau drohen, sollen entschädigungslos enteignet und unter ArbeiterInnenkontrolle verstaatlicht werden. Nötige und gesellschaftlich sinnvolle Umstellung der Produktion soll durch die Besteuerung der Unternehmensgewinne und großen Vermögen finanziert werden. Dazu sollen auch alle Subventionen an die Unternehmer gestrichen werden.
  • Schulterschluss mit der Umweltbewegung, nicht mit dem Auto-Kapital

Die VKG hat sich richtigerweise entschieden, die Politik des IG Metall Vorstandes zu kritisieren und dazu ein Flugblatt veröffentlich. Leider greift dies in wichtigen Punkten zu kurz.

In der Diskussion zur Metall Tarifrunde kam das Argument, dass das die Forderungen nach Kontrolle des Kampfes durch die Belegschaften, nach gewählten Streik- und Aktionskomitees und entschädigungsloser Enteignung zu politisch wären und über gewerkschaftliche Forderungen hinaus gingen. Ja, das tun sie. Aber der Vorstand handelt auch nicht „gewerkschaftlich“. Er stellt seine Treue zum führenden deutschen Exportkapital, zur Regierung und zum Kapitalismus dermaßen über die Interessen der Beschäftigten, dass er sogar die Vernichtung der Hälfte der Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Kauf nimmt – ohne Gegenwehr. Vor allem aber erfordern die kommende wirtschaftliche Krise und die grundlegenden Umwälzung der gesamten Industrie politische, gesamtgesellschaftliche und nicht bloß rein gewerkschaftliche – also tarifpolitische – Antworten.

Zweitens kam das Argument, dass es keine wirkliche Basisbewegung gebe, die heute schon z. B. für Belegschaftsversammlungen kämpfen würde, die über Kampfmaßnahmen entscheiden und dazu Aktionskomitees wählen würde. Es stimmt, dass es diese derzeit nicht gibt. Der Apparat in der IG Metall wird auch alles dafür tun, dass dies nicht passiert.

All das sind jedoch im Grunde keine Argumente dafür, auf solche Forderungen zu verzichten. Im Gegenteil, unsere Aufgabe besteht gerade darin den Kolleginnen und Kollegen zu zeigen, das es eine Alternative zur Kapitulation des Vorstandes gibt. Solche Vorschläge können, wenn es doch zu Protesten gegen die Hoffnungslosigkeit der sozialpartnerschaftlichen Unterwerfung kommt, auch rasch handlungsrelevant werden. Dazu müssen wir aber schon jetzt damit anfangen, sie unter den KollegInnen zu verbreiten, zu erklären, zur Diskussion zu stellen.

Diese Tarifrunde zeigt jetzt schon, dass die Gründung der VKG überfällig war. Er zeigt aber auch, dass sie selbst noch weit entfernt ist, die politischen Herausforderungen der aktuellen Situation offensiv anzugehen. Genau das brauchen wir aber. Wir brauchen ein organisierte Opposition in der Metall und Auto-Industrie, die z. B. in der Lage ist, gegen so ein „Moratoriums“-Vorschlag zu argumentieren, Beschlüsse in Vertrauenskörpern durchzusetzen und Alternativen zu formulieren. Wir müssen in die Lage kommen, den Belegschaften, die kämpfen wollen, und die wird es geben, mit Rat und Tat zu helfen. Eine klassenkämpferische Basisbewegung kann nur Wirklichkeit werden, wenn wir helfen, sie zu entwickeln.

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