Hamburger Bürgerschaftswahlen: Himbeerpudding mit grüner Soße

Bruno Tesch, Infomail 1091, 24. Februar 2020

Das Ergebnis der Bürgerschaftswahlen in Hamburg 2020 überraschte angesichts der Umfragen niemanden wirklich. Ein Kopf-an-Kopf-Rennen fand doch nicht statt. Die SPD lag am Ende mit 39,2 % klar vorn. An zweiter Stelle kam die Partei Die Grünen mit 24,2 % und ebenso deutlichem Abstand zur CDU (11,2 %) über die Wahlziellinie, während die Partei Die Linke mit 9,1 % einlief. Die AfD schaffte mit 5,3 % gerade noch die Fünf-Prozent-Hürde. Die FDP folg laut vorläufigem Ergebnis vom 24. Februar mit 4,9 % aus der Bürgerschaft.

SPD und
Grünen-Erfolg

Die
sozialdemokratische Spitze zeigte sich hochzufrieden. Der Erste Bürgermeister
Tschentscher sprach von einem „großartigen Abend“ und die öffentlichen Medien
legten ihm beim ersten Interview das Stichwort „Trendwende“ gegen die
Bundestendenz auf den Phrasenteller. Schauen wir uns das Wahlresultat genauer
an, sprechen die Zahlen einen anderen Schnack. Die „glänzende Siegerin“ war
gegenüber dem Ausgang der letzten Wahlen die Partei mit den höchsten
Stimmeneinbußen (- 6,4 %). Die SPD verlor allein an die Grünen etwa 32.000
Stimmen, an die Linke rund 3.000. Sie kompensiert ihre nicht ganz unbegründeten
Ängste vor dem Mehrheitsverlust durch das Schulterklopfen für den Einsatz und
die Geschlossenheit der Partei im Wahlkampf, die schließlich den Erfolg gebracht
hätten. Immerhin konnte sie auch 27.000 NichtwählerInnen zum Urnengang bewegen.

Aufwind bekam
sie auch im letzten Monat durch die Medien, die Tschentscher bspw. 2 Tage vor
der Wahl zur besten Sendezeit im Hamburg Journal (NDR) Gelegenheit gaben,
kräftig Propaganda zu betreiben. Dort behauptete er u. a., die SPD sei
erwiesenermaßen nicht in die Affäre um Cum-Ex-Geschäfte der Warburg-Bank
verstrickt, bei der die hamburgische Finanzbehörde auf die Zahlung von 47 Millionen
Euro verzichtet habe. Selbst wenn dies stimmen sollte, bleiben doch Zweifel am
staatlichen Umgang gerade mit Banken, denn bereits für die „Rettung“ der
HSH-Nordbank hat der Senat die SteuerzahlerInnen bluten lassen.

Gefeiert wurde
auch, dass der Erfolg aus „eigener Kraft“ errungen worden sei, d. h. das
neue Chef-Duo der Bundespartei wurde nicht zur Unterstützung für den Hamburger
Wahlkampf eingeladen – ein offener Affront und ein Zeichen, dass die Einheit
und der Kurs der SPD auf Bundesebene keineswegs klar vorgegeben sind.

Vom Ergebnis her
scheint eine Fortsetzung der bisherigen Koalition aus SPD und Grünen
vorgezeichnet. Die grüne Partei hat jedoch die Gewichtung zu ihren Gunsten
verschieben können. Sie verdoppelte ihren Stimmenanteil gegenüber 2015 auf 24,2 %
und profitierte v. a. vom Thema des letzten Jahres, der Sensibilisierung
für die Umweltfrage, was sich in sehr großen Demonstrationen und einer in
Hamburg sehr grünenfreundlichen „Fridays for Future“-Bewegung nicht zuletzt 2 Tage
vor der Wahl niederschlug.

Konnte die SPD
sich auf ihre Bastionen in der ArbeiterInnenschaft (40 %) stützen,
herausragend jedoch der Anteil von RentnerInnen mit absoluter Mehrheit (58 %),
erhielten die Grünen hauptsächlich das Votum von höheren Angestellten und Selbstständigen
(ca. 28 %).

CDU und FDP hatten beide mit dem Nachbeben der Thüringen-Wahl zu kämpfen. Die CDU heimste mit 11,2 % ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis in der Hansestadt ein. Rein rechnerisch könnte die SPD zwar mit der Union eine Regierung bilden (69 von 123 Sitzen), SPD und Grüne verfügen aber mit 87 Abgeordneten nicht nur über eine satte Majorität, sondern konnten als Koalition auch noch zulegen. Alles andere als eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition ist praktisch ausgeschlossen.

Für einen
Verbleib in der Opposition hatte sich die Linkspartei schon vor der Wahl
erklärt. Sie konnte leicht um 0,6 % zulegen. Ihr vergleichsweise gutes
Abschneiden resultiert im Wesentlichen aus ihrem Engagement für bezahlbaren
Wohnraum, was sich auch im überdurchschnittlichen Zuspruch aus der
ArbeiterInnenklasse (11 %) zeigt.

Stabile
Verhältnisse?

Alle bürgerlichen und konformen Medien und ParteienvertreterInnen äußerten sich befriedigt über den Wahlausgang, der scheinbar klare Verhältnisse geschaffen hat. Dass CDU und FDP abgestraft wurden, dürfte angesichts der guten Erfahrungen der Hamburger UnternehmerInnenschaft mit der bisherigen Regierungskoalition die geringste Sorge der herrschenden Klasse sein. Rot-Grün hat sich bekanntlich recht „pragmatisch“, also willfährig gezeigt, wenn es um die Geschäftsinteressen des Hamburger BürgerInnentums ging.

Als es nach den ersten Hochrechnungen so schien, dass die AfD den Einzug ins Parlament verpasst hätte, konnte von SPD, Grünen und Linkspartei auch noch ein Sieg über Rechtspopulismus, Faschismus und Rassismus verkündet werden. Auf parlamentarischer Ebene konnte sich der Rechtspopulismus schließlich doch noch halten, wenn auch mit empfindlichen Verlusten (-0,8 %). Immerhin scheiterte die FDP – gewissermaßen als Trostpreis für den Verbleib der AfD.

Dass mit deren
Wahlverlusten die Gefahr des Rechtspopulismus gebannt und der Charakter der
„weltoffenen Stadt“ gewahrt wäre, gehört freilich ins Reich rot-grüner
Legendenbildung. Sie ist pure Augenwischerei, denn die rassistische Politik des
Senats gegenüber Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund hat sich
in der Vergangenheit mehrfach auf verschiedenen Ebenen gezeigt (Abschiebungen,
Wohnraum, Fördermittelstreichung). Wenn jetzt jubiliert wird, dass endlich
wieder durchregiert werden kann und keine Lähmungen bei Regierungsbildung zu
befürchten sind, so könnte sich bei Einbrüchen der stark außenwirtschaftlich
ausgerichteten Hamburger Wirtschaft bald zeigen, dass die vollmundigen
Versprechungen von SPD und Grünen über Projekte des Hafen- und
Wohnviertelausbaus, des öffentlichen Nahverkehrs und der Klimaverträglichkeit
in der Planungsphase versanden.

Die
ArbeiterInnenklasse muss bei allen Brennpunkten das Heft des Handelns in eigener
Organisierung an sich bringen: Krankenhäuser, Schulen, Mieten, Rassismus von
Staat und Rechten. Die Linkspartei darf sich nicht mit parlamentarischer
Opposition begnügen, sondern muss die Forderungen der ArbeiterInnen und Armen
aufgreifen und die kommenden Kämpfe unterstützen. Die Gewerkschaften dürfen
sich nicht zurücklehnen und Rot-Grün die Mauer machen. Dasselbe gilt für die
Spitze von „Fridays for Future“.

Um die
Lohnabhängigen, die Unterdrückten, die Jugend und die Umweltbewegung gegen
Angriffe und faule Kompromisse von Rot-Grün auf die Straße zu bringen, dürfen
wir uns nicht auf die Führungen von Linkspartei, Gewerkschaften, „Fridays for
Future“ oder gar sozialdemokratische Linke verlassen – wir müssen dazu selbst
Aktionsbündnisse in Betrieben und im Stadtteilen aufbauen.