Frankreich: Regierung will ArbeiterInneneinheitsfront spalten

KD Tait, Infomail 1084, 15. Januar 2020

Am Freitag, dem
10. Januar, gingen die Beschäftigten in ganz Frankreich zum 37. Tag der Streiks
und Demonstrationen gegen den Versuch der Regierung Macron, das Rentenalter zu
erhöhen und die Renten im öffentlichen Sektor massiv zu kürzen, hinaus.

Der
Frontalangriff auf die Altersversorgung des öffentlichen Sektors zielt auf die
Einführung eines einheitlichen punkte-basierten Systems ab, das die 42
sektoralen Rentensysteme des Landes wegfegen und ein „Schlüsselalter“ einführen
würde, das bedeuten würde, bis 64 zu arbeiten, um eine volle Rente zu erhalten,
zwei Jahre über das derzeitige offizielle Rentenalter von 62 Jahren hinaus.

Die Rentenreform
ist ein entscheidender Test für beide Seiten. Ein Sieg für Macron wird den Weg
für die neoliberale Schocktherapie ebnen, die den Kern seiner innenpolitischen
Agenda bildet.

Auf der anderen
Seite würde eine Niederlage für den Mann, der seine Präsidentschaft darauf
setzte, sich den Gewerkschaften in den Weg zu stellen, einen großen Rückschlag
für das Projekt der französischen KapitalistInnen bedeuten, die Beschäftigungsverhältnisse
zu deregulieren und die Art von Niedriglohn- und unsicheren Wirtschaftsmodellen
einzuführen, die Großbritannien drei Jahrzehnte lang verdorben haben.

Eine Bewegung
von unten

Im vergangenen
September wurde die Pariser Metro durch einen massiven eintägigen Streik
lahmgelegt. Im Oktober streikten ohne Vorwarnung mehrere Bahnwartungszentren
einige Wochen lang. Ein Eisenbahner, der in einer Vollversammlung sprach, erklärte:

„Wir drängten
sie [das Management] zum Rückzug. Sie gaben ihr Projekt in diesem Zentrum auf.
Es ist schon lange her, dass wir sie zum Rückzug zwingen konnten. Warum haben
wir diesmal gewonnen? Ich glaube, weil diesmal alles von der Basis aus begann.
Wir sagten ,genug, damit, ihnen [den GewerkschaftsführerInnen] zu gehorchen und
darauf zu warten, dass sie uns sagen, wir sollten mobilisieren. Wir haben die
Werkzeuge niedergelegt und dann hat sich die Belegschaft versammelt und die
Situation diskutiert. Durch diese Diskussion kamen wir zu einer Einigung und
dann handelten wir alle zusammen. Das ist es, was sie fürchten, dass wir uns
organisieren‘“.

Der Druck von
der Basis war von zentraler Bedeutung, um die zögerlichen Gewerkschaftsführungen
zum Handeln zu zwingen, nachdem sie immer wiederkehrende Niederlagen durch
Macron hingenommen hatten. Die Streiks der A&E-Beschäftigten im Frühjahr
2018, die nicht von den nationalen Gewerkschaften, sondern von einer
Basiskoordination (Collective Inter-Urgence) angeführt wurden, zeigen die
zunehmende Fähigkeit und Bereitschaft der einfachen Mitglieder,
erforderlichenfalls auch ohne ihre FührerInnen wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

Zum ersten Mal
seit Jahren wird die Taktik der Gewerkschaftsführung, eintägige Streiks oder
Aktionstage „ohne Morgen“ durchzuführen, offen kritisiert. Im vergangenen Jahr
traten die EisenbahnerInnen in einen längeren Streik mit einer besonders
selbstzerstörerischen Taktik: zwei Streiktage pro Woche über zwei Monate lang.
In der Folge wurden sie geschlagen. Jetzt haben sie ihre Lektion gelernt und
streiken seit Wochen mit aller Kraft.

Ein weiteres
Merkmal dieser Bewegung ist die Anzahl der Vollversammlungen, AGs, die in den
Betrieben schon vor dem Streik stattfinden. Normalerweise werden die AGs erst
nach Beginn eines Streiks einberufen. Seit Wochen bereiten sich die
ArbeiterInnen in AGs vor und diskutieren in ihnen, und die politisch
bewusstesten in „branchenübergreifenden AGs“, die verschiedene Sektoren und
Gewerkschaften umfassen, die Streiks planen.

Viele Streikende
sind sich bewusst, dass sie nicht nur gegen die Rentenreform, sondern auch
gegen die gesamte neoliberale Reformpolitik inmitten der Amtszeit von Emmanuel
Macron kämpfen. Seine Regierung ist heute schon geschwächt. Die Gelbwesten-Bewegung
hat trotz ihrer gefährlichen politischen Widersprüche den Glauben daran gefördert,
dass ein anhaltender militanter Widerstand die Regierung destabilisieren und
den Weg zu Siegen öffnen kann. Dies ist wahr – vorausgesetzt, die Bewegung
organisiert sich von unten und behält eine strenge Kontrolle über Ablauf und
Ergebnisse.

Teilen und
herrschen

Trotz des
entschlossenen Widerstands der kämpferischen Sektoren ist es klar, dass die
Dauer des Streiks und das Versäumnis, breitere Forderungen zu stellen, die die
Beschäftigten des privaten Sektors in den Widerstand hineinziehen können, ihren
Tribut fordern, da die Zahl der StreikteilnehmerInnen zurückgeht.

Macrons
Premierminister Édouard Philippe hat seine Gelegenheit genutzt, um die
zerbrechliche Einheit der Bewegung zu nutzen, indem er einen zynischen „Kompromiss“
vorschlug, der diejenigen, die vor 2027 in den Ruhestand treten, von der höheren
Altersgrenze ausnimmt. Indem er die älteren Arbeitskräfte von den jüngeren
trennt, setzt Philippe darauf, die gemäßigten Gewerkschaften von den MilitantInnen
zu trennen und der Regierung einen Sieg zu sichern, indem er genau die gleichen
Methoden anwendet, die seine VorgängerInnen bei früheren Rentenreformen zur
Spaltung des öffentlichen und privaten Sektors angewandt haben.

Philippe hätte
nicht gehandelt, wenn er sich nicht einer positiven Reaktion der Gewerkschaft
CFDT sicher gewesen wäre, und er wurde nicht enttäuscht. Die Gewerkschaft, die
nur widerwillig und unter dem Druck ihrer Basis Aktionen unterstützte, machte
das so genannte „Schlüsselalter“ zu ihrer roten Linie, und so hat ihr dieser
Trick den Vorwand geliefert, den sie gesucht hat, um die CGT und andere
Gewerkschaften im Stich zu lassen – wieder einmal.

Die CGT
reagierte auf den Vorschlag der Regierung und forderte die Beschäftigten auf,
den Konflikt zu eskalieren und am 14., 15. und 16. Januar zu streiken. Es gibt
keine Alternative zum Zurückschlagen – aber wieder einmal geben die AnführerInnen
der „linken“ Gewerkschaften Frankreichs die Verantwortung auf, von der Front
aus zu führen, und weigern sich, das zu tun, was für einen entscheidenden
Schlag notwendig ist: d. h. den Streik über die Bahn- und Bildungsbastionen
des öffentlichen Sektors hinaus zu verallgemeinern.

Wie bei den
Protesten gegen das Arbeitsgesetz im Jahr 2017 besteht die Gefahr, dass die
CFDT bereit ist, einen Bruch in der Einheitsfront der ArbeiterInnen herbeizuführen.
Selbst dann war die Regierung gezwungen, das Gesetz per Präsidialdekret unter
Umgehung des Parlaments durchzusetzen – eine diktatorische Maßnahme, auf die
Philippe erneut zurückzugreifen droht.

Eine Strategie
zum Sieg

Die einzige Möglichkeit,
die Einheitsfront aufrechtzuerhalten und die Initiative gegen die Regierung zurückzuerobern,
besteht darin, die Front zu erweitern, die LehrerInnen und das
Gesundheitspersonal auf unbestimmte Zeit an der Seite der EisenbahnerInnen in
Aktion zu bringen und die Kontrolle der Mitgliederbasis über die Strategie auf
nationaler Ebene zu behaupten. Das bedeutet, die Vollversammlungen der Betriebe
auf regionaler und nationaler Ebene zu koordinieren und, was entscheidend ist,
die Streiks auf den privaten Sektor auszuweiten.

Eine Ausweitung
der Streiks auf den privaten Sektor, die ein entscheidender Schlag gegen Macron
wäre, erfordert eine effektive Organisation, um Streikposten zu bilden und die
nicht streikenden Beschäftigten zum Beitritt zu bewegen. Aber hier sind Ziele
erforderlich, die über die Rücknahme der Rentenreform hinausgehen.

Eine erste Maßnahme,
um die Einheit der Bewegung zu erhalten, ist die Forderung nach einer
Angleichung der sektoralen Renten und einer schrittweisen Senkung des
Rentenalters. Darüber hinaus sollte die Bewegung die Forderungen gegen die
Demontage der öffentlichen Dienstleistungen, für mehr Stipendien für die
Studierenden, aber auch für höhere Löhne und gegen zeitweilige und unsichere
Beschäftigung, die Prekarität, aufgreifen. Diese sollten in den AGs
demokratisch diskutiert und demokratisch und landesweit in eine einheitliche
Forderungsplattform aufgenommen werden.