Raus aus der Kohle – durch wen?

Leo Drais, Neue Internationale 242, November 2019

Zum Auftakt der UN-Klimakonferenz ruft „Ende Gelände“ (EG) zur Blockade des Braunkohleabbaus in der Lausitz auf. EG reagiert damit auf das „Klimapaket“ der Bundesregierung, welches einer Aufgabe des 1,5-Grad-Zieles gleichkomme (https://www.ende-gelaende.org/aufruf-lausitz-2019/ ). Der Protest richtet sich dabei nur gegen einen Teil der TreibhausgasemittentInnen. Kraftwerke machen ca. 21 % des jährlichen Treibhausgasausstoßes in Deutschland aus, Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft und vor allem die industrielle Produktion selbst erzeugen deren Großteil.

LEAG

Der Protest in der Lausitz trägt letztlich einen symbolischen Charakter und richtet sich gegen das Versagen der Regierung und gegen einzelne Konzerne – in diesem Fall gegen die LEAG.

LEAG ist bloß
der Markenname der Lausitz Energie Verwaltungs GmbH, Lausitz Energie Bergbau AG
und der Lausitz Energie Kraftwerke AG, welche ihrerseits dem tschechischen
Energiekonzern EPH gehören. EPH setzt seit Jahren auf den billigen Aufkauf
fossiler StromerzeugerInnen und spekuliert hierbei auf im Rahmen der
Energiewende steigende Strompreise, staatliche Entschädigungen sowie günstige
CO2-Zertifikate.

Die ArbeiterInnen
der LEAG stehen in der Mehrzahl hinter der Braunkohle und betrachten die
Position der Unternehmensführung in den Verhandlungen um den Kohleausstieg als
positiv. Das heißt nicht, dass sie die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den
Klimawandel durchweg ablehnen, wohl aber, dass sie in der Frage des
Ausstiegstempos auf der Seite der LEAG stehen. Eine entsprechende Position
nehmen der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG BCE ein, welche ihrerseits in
der Vergangenheit Demonstrationen für die Braunkohleverstromung organisierten
und somit selbst zur ideologischen Bindung der Beschäftigten an Vattenfall bzw.
LEAG beitrugen. Angesichts dessen ist es zwar verständlich, dass EG den
Kohleausstieg durch Aktionen des zivilen Ungehorsams „selber machen“ will.
Verständlich ist auch, dass viele Protestierende die Kraftwerks- und
TagebauarbeiterInnen als ihren GegnerInnen betrachten – fatal ist letzteres
aber trotzdem.

Warum?

LEAG,
Betriebsräten, Regierung und auch manchen Protestierenden ist eines gemeinsam:
Sie alle betrachten die Beschäftigten des Energiesektors als passiven Teil der
erforderlichen Umstellung der Energieproduktion und allenfalls als
Verhandlungsmasse. Das von Konzernen und Regierung vorgebrachte Argument der
Jobsicherung ist zwar ohnedies scheinheilig, waren doch in der Lausitz zu
Wendezeiten noch rund 80.000 Menschen im Energiesektor beschäftigt. Heute sind
davon nach großzügiger Deindustrialisierung, technischer
Produktivitätssteigerung und Arbeitsplatzvernichtung noch gut 8.000 übrig, plus
die Jobs im Zuliefererbereich. Betriebsräte und Gewerkschaften haben das
allenfalls „sozialverträglich“ ausgestaltet. So kommt es, dass die heute
übrigen 8.000 Jobs zu den bestbezahlten der Region zählen und ganze Familien
daran hängen, auch wenn „nur“ rund 3 % der Erwerbstätigen in der Lausitz
direkt im Braunkohleabbau und den Zulieferunternehmen schuften. Die hohe
Entlohnung und der drohende Arbeitsplatzverlust bilden sicherlich die
wichtigsten Faktoren, warum ein Großteil der Beschäftigten einer
umweltschonenden Energieerzeugung mit Skepsis gegenübersteht. Aber auch die
Schwäche von EG, konkrete Forderungen und Perspektiven für die Beschäftigten
aufzuzeigen, trägt dazu bei. Der für sich genommen richtige Slogan „There are
no jobs on a dead planet“ geht an den Sorgen der in der Lausitz Beschäftigten
bestenfalls vorbei.

Es gibt jedoch
auch noch andere Faktoren der Skepsis: Seit der Wende sorgte die Bundespolitik
nicht für die versprochenen „blühenden Landschaften“, sondern für ein durch
sozialen Kahlschlag hervorgerufenes – und durchaus berechtigtes – Misstrauen
gegenüber der Politik. Gerade weil die soziale Abstiegsangst in Brandenburg und
Sachsen mit realen Erfahrungen verknüpft ist, kann die AfD, z. B. indem
sie sich stramm hinter die Braunkohle stellt, hier erfolgreich sein.

Hinzu kommt,
dass die bisherige Umsetzung der Energiewende – nicht nur in den Augen vieler
Beschäftigter – bestenfalls Flickschusterei gleichkommt. Den ArbeiterInnen des
Sektors ist bekannt, dass die Gefahr eines Blackouts durchaus real ist. Dabei
liegt diese durchaus nicht an der Abkehr von der fossilen oder atomaren
Stromerzeugung an sich, sondern vielmehr daran, dass diese unter
kapitalistischen Vorzeichen vermittels einer immer härter werdender  Konkurrenz und Profitzwängen
notwendigerweise nur chaotisch stattfindet. Staatlichen Regulierungsmaßnahmen
kommt hier allenfalls eine Reparaturfunktion zu.

Ein den
Produktivkräften entsprechender, schnellstmöglicher internationaler Ausstieg
aus der Kohle ohne Stromausfälle und doch in der erforderlichen Eile ist ohne
die Kontrolle der Beschäftigten des Energiesektors, ja der ArbeiterInnenklasse
insgesamt unmöglich. Nicht nur, dass sie objektiv, geschichtlich kein Interesse
daran haben können, sich Profitinteressen von EPH, RWE und Co. unterzuordnen –
sie verfügen vor allem über das technische Know-how zur Umsetzung einer
wirklichen Energiewende.

Doch das
bedeutet auch, eine Politik zu entwickeln und alle politischen Anstrengungen zu
unternehmen, um die Lohnabhängigen, einschließlich möglichst großer Teile der
ArbeiterInnen der LEAG zu überzeugen und für diese Perspektive zu gewinnen. Um
die vermittels der IG BCE und den Betriebsräten umgesetzte Bindung an das
Unternehmen aufzubrechen, brauchen AntikapitalistInnen wie in EG auch
Forderungen und eine politische Strategie, die die Beschäftigten als
AkteurInnen der Energiewende und des Strukturwandels in der Lausitz begreift,
nicht als passive Verhandlungsmasse:

  • Energiewende unter Einbeziehung der ArbeiterInnen in der Energiewirtschaft! Für einen demokratischen Plan zur Verwirklichung von Netz- und erneuerbarem Energieausbau sowie zur Entwicklung von Speichertechnologien! Für einen demokratischen Strukturplan in der Lausitz, der für die Ansiedelung von nachhaltigen Industrien sorgt! Für die Kontrolle dessen durch ArbeiterInnenkomitees und Gewerkschaften!

  • Für eine Aufteilung der Arbeitszeit auf alle in der Region Lebenden – bei voller Lohnfortzahlung und Personalausgleich! Für ein öffentliches Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeit und dementsprechender Umschulung bei einer Bezahlung, die mindestens dem bisherigen Entgelt entspricht!

  • Lasst die SpekulantInnen und Konzerne für die Energiewende zahlen! Massive Besteuerung der Profite energieintensiver fossiler Industrien! Enteignung des gesamten Energiesektors unter ArbeiterInnenkontrolle!

  • Wenn die Energiewende schnellstmöglich passieren soll, braucht es eigene Kampfaktionen der Beschäftigten! IG BCE und ver.di: Brecht mit den Konzernen, die die Lebensgrundlage der Menschheit zugunsten des Profits zerstören! Für den politischen Massenstreik der ArbeiterInnenklasse, der ein ökologisches Sofortprogramm der ArbeiterInnen selbst durchsetzt!