Arbeiter:innenmacht

Thüringen-Wahl: Mehr als „Bodo“ oder „Björn“?

Tobi Hansen, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Am 27. Oktober wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt – Abschluss der herbstlichen „ostdeutschen“ Landtagswahlen. Größere Überraschungen sind nicht zu erwarten.

Die AfD mit Flügel-Führer Höcke wird sicher über 20 % landen. Unklar ist nur, ob sie vor der CDU liegen wird. Seit Monaten liegt die Regierungspartei Linkspartei mit rund 28 % relativ sicher auf Platz 1 der Umfragen. Sollte sie allerdings wie in den vorhergehenden Wahlen diese Werte deutlich unterbieten, dann könnte sogar ein „Dreikampf“ mit AfD und CDU entbrennen.

SPD und Grüne, beide Regierungspartnerinnen von Ministerpräsident Ramelow, kämpfen jeweils um die 10 %. Für die Grünen wäre das Rekordergebnis, für die SPD womöglich ein weiterer, wenn auch relativ unspektakulärer Tiefpunkt. Beide dürften allerdings ziemlich bereitwillig für eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün zur Verfügung stehen. Die FDP könnte auch in Thüringen an der 5-%-Hürde scheitern, wie auch von „Freien Wählern“ oder der NPD zumindest in den Umfragen wenig zu sehen ist.

Personalisierung statt Kampf

Die Linkspartei setzt ganz auf den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Dieser gilt als beliebter „Landesvater“ und möchte, wie auch Woidke und Kretschmann zuvor, vom Amtsbonus profitieren. Der thüringischen CDU stehen bei Platz 3 stürmische Zeiten bevor. Schließlich regierte sie bis 2014 in Erfurt. Nach dem Amtsantritt des ersten „roten“ Ministerpräsidenten traten CDU, AfD und „WutbürgerInnen“ schon mit Fackeln bei Demos auf. Viele sahen SED und Stasi gar wieder an der Macht.

Fünf Jahre später rühmt sich Rot-Rot-Grün, dass die Regierung immerhin gehalten habe. Dass sie als normale, bürgerliche Sachwalterin die Regierungstauglichkeit bewiesen hat, rechnet sich die Koalition hoch an. Auch die Linkspartei kommt mit ihrem personalisierten Wahlkampf richtig „etabliert“ daher. „Nähe, Verlässlichkeit und Offenheit“ verspricht Bodo vor thüringischem Wald und See vom Werbeplakat. In der ländlichen Region wird angepackt und in der Stadt Offenheit gelebt. Bodo ist besser für Thüringen, darauf konzentriert sich der Wahlkampf.

In Thüringen ist die Welt, wenigstens im Linkspartei-Wahlkampf, noch in Ordnung. Beseelt von der Gewissheit, dass nur DIE LINKE für sozialen Fortschritt stehe, scheint es keinen sichtbaren Widerstand gegen die Regierungspolitik in der Landespartei zu geben. So rühmt sich die Koalition, dass sie mehr in den öffentlichen Dienst investiert habe. Während bei der Polizei aufgestockt wurde, fehlen auch 2019 350 LehrerInnen. Die Koalition würde außerdem etwas für die Tarifbindung der Beschäftigten im Land tun. Die generelle Rechtfertigung von Rot-Rot-Grün lautet, dass sie „Schritt für Schritt“ eine bessere Politik als die CDU-geführten Landesregierungen umsetzen würde. Gemessen daran war die Landesregierung bestimmt „erfolgreich“, was zum Teil sicher auch die guten Umfragewerte der Linkspartei und das weitgehende Fehlen einer linken Opposition erklärt.

Der andere Faktor für die relative Stabilität der Koalition und ihre gar nicht so schlechten Aussichten weiterzumachen besteht darin, dass sie als eine, wenn auch vor allem parlamentarische Barriere gegen die AfD erscheint. Deren Thüringer Landespartei gehört zweifellos zum Rechtesten, was Rassismus und Rechtspopulismus derzeit zu bieten haben. Höcke darf nach dem letzten Gerichtsurteil sogar „offiziell“ als Faschist bezeichnet werden. Die CDU unter Landeschef Mike Mohring hat zwar eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen, angeblich aber nicht mögliche Sondierungen mit der Linkspartei, was die konservative WählerInnenschaft wohl eher desorientierte. Somit kommt in Thüringen, anders als in allen anderen Bundesländern, bislang die gesellschaftliche Polarisierung und der weiter drohende Rechtsruck in den Umfragen der Linkspartei zugute – nicht weil sie für Klassenkampf steht, sondern als verlässliche Garantin der bürgerlichen Demokratie samt „sozialem Ausgleich“ erscheint.

Siegeszug der AfD

Auf die Dauer wird das weder AfD noch Rechtsruck bremsen. Sollte die AfD um die 25 % erhalten und erneut die CDU schlagen, werden Höcke und Co. ihre führende „patriotisch-bürgerliche Volkspartei“ feiern, wohl wissend, dass genau diese ostdeutschen Landesverbände derzeit einen qualitativen Sprung machen. In Thüringen wirbt die AfD etwas zurückhaltender mit Rassismus und Hetze, stellt sich auch als Volkspartei dar, die alle Probleme auf einmal löst, natürlich geführt vom richtigen Volkskümmerer Höcke.

Dass dieser jetzt offiziell als Faschist bezeichnet werden kann, ist der Hartnäckigkeit der MLPD zu verdanken. Nach Schikanen gegen eine eigene Wahlkundgebung ging sie durch alle juristischen Instanzen und bekamen schlussendlich Recht, den AfD-Spitzenkandidaten Höcke als Faschisten bezeichnen zu dürfen. Das ändert jedoch nichts daran, dass die AfD derzeit eben keine faschistische Partei ist, wiewohl sich solche Elemente in der Partei tummeln. Sicher träumt Flügelführer Höcke von einer AfD, die alle bürgerlichen Parteien unterwirft, am besten in einer nationalistischen Sammlungsbewegung vereint und dadurch faschistischen Kräften die Möglichkeit bietet, an Einfluss zu gewinnen. Diese stellen wie die Zeitung „Sezession“ um das IfS (Institut für Staatspolitik) mit dem ideologischen Kopf Kubitschek einer „Mosaik-Rechten“ neben Teilen der NPD (speziell im Eichsfeld) und der „freien“ Kameradschaftsszene eine Basis für den AfD-Flügel dar. Im Wahlkampf will die Partei aber vor allem genügend LehrerInnen einstellen, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen und die Wende „sozial“ vollenden – natürlich ohne AusländerInnen. Der Rassismus darf schließlich auch im „respektablen“ Wahlkampf nicht fehlen. Das Motto „Wende 2.0 – vollendet die Wende!“ soll der AfD helfen, tief in die bürgerlichen WählerInnenschichten einzudringen.

Den Umfragewerten schadete auch nicht, dass sich Höcke im ZDF-Interview als dünnhäutiges „Sensibelchen“ präsentierte. Im Wahlkampf reicht zunächst das klassische rechtspopulistische Motiv der „Umdrehung“ – sie sind gegen ihn (Höcke), wühlen ihn persönlich auf und wollen ihn fertigmachen, weil der wahre Patriot für euch alle kämpft.

Perspektive Linkspartei

Sollte Rot-Rot-Grün wiedergewählt werden, hilft das vor allem der aktuellen Linkspartei-Bundesführung. Sie sollte es dann bis zum nächsten regulären Bundesparteitag 2020 schaffen.

Für diejenigen, die wie in Brandenburg die Regierungsbeteiligung über alles hängen und dort enttäuscht waren, dass sie diesmal nicht berücksichtigt wurden, bleibt die Linkspartei vor allem die Regierungskraft des „kleineren Übels“. Als solche könnte schließlich etwas bewirkt werden.

Dass die thüringische Landesregierung gerade einen Winter lang die Abschiebungen ausgesetzt hat, um diese danach „normal“ umzusetzen, verdeutlicht, dass eine solche Regierung eben keine qualitativ andere Politik betreibt als eine „normale“ bürgerliche. Natürlich hat die Koalition in Thüringen auch nichts an Hartz IV, nichts an Armutsrenten geändert, sondern allenfalls etwas sozialer den kapitalistischen Normalzustand verwaltet – das soll für Ramelow und Co. der „Wegweiser“ für eine mögliche Bundesregierung sein. Darin findet er sich in trauter Einigkeit mit Wagenknecht und Kühnert wieder, wie bei einer Veranstaltung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ Berlin notiert wurde.

In Zeiten des weiteren Aufstiegs der AfD versuchen sich die bürgerlichen ArbeiterInnenparteien (Linkspartei und SPD) verzweifelt an die „Regierungsfähigkeit“ zu klammern. Genau darüber verlieren sie nicht nur Stimmen an die AfD, sondern auch immer mehr die Verankerung in der Klasse selbst. Die relative Stabilität der Linkspartei in Thüringen stellt kein „Gegenmodell“ dar, sondern bloß eine Momentaufnahme. Als Regierungskraft wird sie auch in der nächsten ökonomischen Krise gezwungen sein, die Rechte und Errungenschaften ebendieser Klasse anzugreifen. Wenn hier nicht mit dieser Methode und Praxis gebrochen wird, dann kann auch die Bedeutungslosigkeit mittelfristig drohen.

Zweifellos werden viele WählerInnen und Mitglieder der Linkspartei angesichts des Aufstiegs der AfD „ihrer“ Partei die Treue halten, dieser als „kleinerer Übel“ oder „Reformmodell“ ihre Stimme geben. Dass sie damit AfD und CDU in die Schranken weisen wollen, ist nicht nur nachvollziehbar, sondern auch, für sich betrachtet, ein richtiger Schritt. Aber es ist eine Illusion, dass Thüringen eine „Ausnahme“ von einer allgemeinen bundesweiten Entwicklung darstellt. Wenn wir eine wirkliche Alternative aufbauen wollen, so braucht es eine Politik des Klassenkampfes, keine weichgespülte bürgerliche Koalitionspolitik.

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