Fridays For Future: Stell dir vor, es ist Klimastreik und alle gehen hin

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 241, Oktober 2019

Millionen

Der Auftakt der #WeekForFuture am 20. September war ein voller Erfolg. Schätzungsweise 4 Millionen Menschen aus 161 Staaten beteiligten sich an 5.800 Aktionen. Allein in Deutschland sind den VeranstalterInnen zufolge rund 1,4 Millionen Menschen auf den Beinen gewesen. In Australien waren es mindestens 300.000. In Kapstadt sollen es rund 2.000 AktivistInnen gewesen sein, in New York 250.000. In London sammelten sich etwa 100.000.

Auch am 27.
September zum Abschluss der Aktionswoche konnten wir beeindruckende
Menschenmassen sehen. Hier kam es laut VeranstalterInnen zu rund 6.000 Aktionen
in 170 Staaten. Allein in Italien demonstrierten schätzungsweise eine Million
Menschen, in Österreich rund 150.000, in Neuseeland 170.000, in Chile mehrere
Zehntausend. Im kanadischen Montreal versammelten sich eine halbe Million
Menschen.

Bereits im
Vorfeld kam es zu einer erneuten Zunahme von Mobilisierungen der Klimabewegung.
So fanden vom 13.-15. September in Frankfurt am Main Proteste gegen die
Internationale Automobilausstellung (IAA) statt. Unter dem Titel „Sand im
Getriebe“ mobilisierten hierzu unterschiedliche NGOs, die Grünen und die
Linkspartei sowie Teile der radikalen Linken. Laut VeranstalterInnen nahmen
rund 25.000 Menschen teil. Ebenso wie das restliche politische Programm der
Bewegung schreckte auch der Protest hier vor der Eigentumsfrage und der
Notwendigkeit der gesellschaftlichen Veränderung der Produktion, weg von der individuellen
hin zur kollektiven Mobilität, zurück.

International
handelt es sich bei der #WeekForFuture um die größte koordinierte Mobilisierung
seit dem Irakkrieg. Hier gingen im Februar 2003 weltweit etwa 20 bis 30
Millionen Menschen auf die Straße. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass
sich an den Generalstreiks in Indien in den letzten Jahren mehrfach 150 bis 200
Millionen beteiligten, ein Aufgebot an Widerstand, zu dem die Bewegung den
Schulterschluss suchen muss.

Momentan verfügt
sie jedoch vor allem in den imperialistischen Nationen über Schlagkraft. So
gingen beispielsweise am 20.9. in Thailand etwa 250 Menschen und in Afghanistan
rund 100 auf die Straße. Hier bildet Brasilien eine gewisse Vorbildfunktion.
Dort besteht nicht nur mit den Bränden im Amazonas eine Dringlichkeit, sondern
schon seit Monaten existiert eine Massenbewegung gegen das Regime Bolsonaros,
der nicht nur auf der Ebene des Umweltschutzes einen Generalangriff fährt. Hier
sehen wir eine Verbindung mit den Kämpfen der Landlosen, der indigenen
Bevölkerung und den kämpfenden Beschäftigten.

Dabei sind es
momentan vor allem die halbkolonialen Länder, die mit den Folgen der
systematischen Umweltzerstörung leben müssen. So erleben wir gerade massive
Proteste in Indonesien, u. a. gegen die massiven Brandrodungen der Regenwälder,
die Verschärfungen des Strafrechts und die Zunahme giftigen Smogs. Hier
produziert beispielsweise der deutsche Konzern HeidelbergCement. Nach der
Zerschlagung der Proteste und dem Klimapaket der Bundesregierung, welches den
CO2-Ausstoß bei der Zementproduktion mit keinem Cent besteuert, steigt die
Aktie des Konzerns wieder kräftig. Hier müssen InternationalistInnen im Kampf
ansetzen.

Wer kämpft?

In erster Linie
haben wir es hier mit einer Massenbewegung von SchülerInnen zu tun. Jedoch
handelt es sich dabei nicht um eine sozial einheitliche Gruppe, sondern eine
gemäß der Klassenherkunft ihrer Familie differenzierte. Die Gruppen, die das
Außenbild der Bewegung prägen, sind vor allem sozial besser gestellte
Jugendliche, die aus der lohnabhängigen Mittelschicht, dem
BildungsbürgerInnentum, dem KleinbürgerInnentum oder der
ArbeiterInnenaristokratie stammen. Aus diesen beiden Faktoren entsteht ein
Spannungsverhältnis. Die soziale Vorherrschaft von Mittelschichten und KleinbürgerInnentum
drückt sich ideologisch auch im Programm, in den Zielsetzungen und im
Bewusstsein der Bewegung aus.

Hieraus folgt
für RevolutionärInnen, dass wir nicht einfach nur die Bewegung aufbauen,
sondern auch für einen proletarischen Klassenstandpunkt kämpfen müssen.

Welche Hürden
überwinden?

Auf der einen
Seite kämpft die gesamte Bewegung dafür, die Regierung zum Einlenken in der
Klimafrage zu bewegen. Sie will von der herrschende Klasse und dem Kapital
Maßnahmen erzwingen und die bürgerliche Politik selbst entlarven. Sie hegt
reale Illusionen darin, dass die Bundesregierung bzw. die auf dem UN-Gipfel
versammelten Staats- und RegierungschefInnen von einer „vernünftigen“, im
Interesse alle Klassen liegenden Klimapolitik überzeugt werden könnten.

So ist der wohl kämpferischste Auszug aus der Rede von Greta Thunberg vor dem UN-Klimagipfel folgender: „Ihr sagt, dass Ihr uns ‚hört‘ und dass Ihr die Dringlichkeit versteht. Aber egal wie traurig und wütend ich bin, will ich das nicht glauben. Wenn Ihr die Situation wirklich verstehen würdet und uns immer noch im Stich lassen würdet, dann wärt Ihr grausam und das weigere ich mich zu glauben.“ (The Guardian, 23. September 2019)

Er verdeutlicht
sinnbildlich die Widersprüche der Bewegung. Zum einen klagt Thunberg die
Herrschenden offen für ihre Weigerung zu handeln, für ihre hohle „Klimapolitik“
an. Zum anderen weigert sie sich verbittert, aber auch umso sturer zu
akzeptieren, dass diese tatsächlich auf der anderen Seite stehen.

Hartnäckig
stellt sie das Problem so dar, als ginge es darum, dass „die Politik“ dessen
Dringlichkeit endlich richtig verstehen müsse. Ansonsten wäre sie nämlich
„grausam“. Letztlich präsentiert sie also die Frage rein moralisch. Die
Regierenden müssten nur richtig zuhören, die Lage akzeptieren, wie sie ist –
und alsdann handeln.

Der systemische
Charakter des Kapitalismus fällt vollkommen aus dem Blickfeld. Die objektiven
Klasseninteressen, die den FunktionsträgerInnen des Kapitals in den Konzernen
wie in den bürgerlichen staatlichen Institutionen vermittelt über die
Konkurrenz bestimmtes Handeln ganz unabhängig vom Bewusstsein oder der Vernunft
des Einzelnen aufzwingen, werden erst gar nicht zur Kenntnis genommen.

Daher auch der
beeindruckende moralische Impetus der Rede von Thunberg einerseits, der
andererseits eine hoffungslose und ohnmächtige Perspektive entspricht – der
ständig wiederholte Appell an die Mächtigen der Welt, doch endlich ihr Herz und
Hirn zu gebrauchen und die Menschen nicht weiter im Stich zu lassen.

In Wirklichkeit
zwingt die kapitalistische Produktionsform samt ihrer freien Konkurrenz die
einzelnen ProduzentInnen, ohne Rücksicht auf ihren Ressourcenverbrauch oder
ihre Abfallerzeugung zu wirtschaften, da sie sonst verdrängt werden könnten.
Nachhaltigkeit ist für sie in erster Linie ein Kostenfaktor, der ihre Profite
nicht weiter schmälern soll. Wir müssen die Unvereinbarkeit von Nachhaltigkeit
und kapitalistischer Produktion verdeutlichen.

Generalstreik
und Klassenfrage

Mit dem Aufruf
zum 20. und 27. September hatte die Bewegung einen Schritt vorwärts gemacht,
insofern sie zu einem globalen Generalstreik aufrief. Allerdings wurde und wird
darunter nicht eine kollektive, organisierte Arbeitsniederlegung der
Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaften verstanden, sondern eher eine individuelle
Entscheidung einer/s Einzelnen. Wer – ob nun während der Arbeitszeit oder am
arbeitsfreien Tag – zur Demonstration kommt, „streikt“. Es streiken
Beschäftigte ebenso wie Unternehmen, die, ob aus Solidarität oder Werbezwecken,
ihr Geschäft für einen Tag oder einige Stunden schließen.

Auch das
entspricht der vorherrschenden kleinbürgerlichen Ideologie der Bewegung. Diese
kommt umgekehrt auch den Gewerkschaftsführungen gelegen, die einen politischen
Streik, also eine echte Konfrontation mit Kapital und Kabinett fürchten wie der
Teufel das Weihwasser. Die Führung der Bewegung wiederum will – insbesondere
hier in Deutschland – den Gewerkschaftsapparat nicht verschrecken und lehnte
daher mehrheitlich ab, die Generalstreiksforderung an die Organisationen zu
richten, die ihn durchführen hätten können. Diese riefen nicht zum Streik,
sondern höchstens zum Ausstempeln auf.

Dies
erleichterte es zugleich einer Reihe von Parteien und Unternehmen, Greenwashing
zu betreiben, während der Kampf beim reinen Protest stehenbleiben muss. Allein
in Deutschland erklärten sich 2.800 Unternehmen solidarisch.

Hieraus folgt,
dass die ArbeiterInnen zumeist aus „Nettigkeit“ ihrer Unternehmen an diesem Tag
demonstrieren konnten. In Berlin und New York wurde weiten Teilen der öffentlichen
Beschäftigten an diesem Tag frei gegeben, was die Größe der Demonstrationen
erklärt.

Heute erscheint
vielen in der Bewegung dieser klassenübergreifende Charakter der Proteste, der
Aktionen und ihrer Ziele als Stärke. In Wirklichkeit besteht darin ihre größte
Schwäche.

Antikapitalismus

Deshalb müssen
wir uns als  AntikapitalistInnen in
den Protesten für eine offene Debatte um die Perspektive des Kampfes gegen den
Klimawandel einsetzen. Er kann nur erfolgreich sein, wenn er die Eigentumsfrage
ins Zentrum rückt. Ohne entschädigungslose Enteignung der großen Konzerne, ohne
Kontrolle über Forschung und Wissenschaft durch die ArbeiterInnenklasse und die
Masse der Unterdrückten sind effektive Klimaschutzmaßnahmen unmöglich, da diese
vor allem eine Veränderung der Produktion, die ökologische Nachhaltigkeit mit
der Befriedung der Bedürfnisse der großen Masse der Menschheit verbindet,
erfordern.

Die notwendigen
Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen und zur Umstellung der Ökonomie sind
undenkbar ohne einen international koordinierten Plan, sozialistischen Umbau
der Wirtschaft. Bauen wir daher gemeinsam einen revolutionären,
klassenkämpferischen Pol in der Bewegung auf!