Millionenfacher Auftakt des globalen Klimastreiks

Martin Suchanek, Infomail 1069, 22. September 2019

Die internationale Aktionswoche #WeekForFuture begann mit einem grandiosen Erfolg. Weltweit gingen schon am 20. September, dem ersten der beiden Tage des Generalstreiks für das Klima, Millionen auf die Straße.

In Australien waren es 300.000 bis 400.000, in Deutschland
1,4 Millionen. Insgesamt lässt sich die Gesamtzahl noch immer schwer
abzuschätzen – feststeht aber schon jetzt, dass der Klimastreik alle bisherigen
international koordinierten Aktionen zur „Rettung des Planeten“, also der
Überlebensbedingungen der Menschheit in den Schatten stellt. Für die gesamte
Aktionswoche und beide Streiktage sind Proteste, Demonstrationen und Streiks in
mindestens 2.900 Städten in mehr als 160 Staaten geplant.

Allein in Berlin und New York gingen nach Angaben der
VeranstalterInnen 270.000 bzw. 250.000 auf die Straße, in London und Hamburg,
Sydney und Melbourne 100.000 oder mehr. Auch andere Hauptstädte wie Brüssel
waren stark vertreten – und dabei findet der Generalstreik in den meisten
Ländern erst am 27. September statt.

Die große Masse der DemonstrantInnen und Streikenden – und
hier liegt zweifellos eine Schwäche der Bewegung insgesamt – stammt nach wie
vor aus den westlichen imperialistischen Ländern und Metropolen. Zweifellos
breitet sie sich auch in den vom Imperialismus beherrschten Ländern aus, aber
in denen Afrikas und Asiens sind die Aktionen von Fridays for Future bislang
nur in Hunderten und Tausenden, nicht in Zehntausenden oder Millionen zu
zählen.

In Kapstadt und Johannesburg wurden laut VeranstalterInnen
einige tausend DemonstrantInnen gezählt. Auch in Kampala (Uganda), Nairobi
(Kenia) oder in den Ölgebieten Nigerias kam es zu Protesten. In Indien gingen
vor allem Studierende auf die Straße. In Pakistan beteiligten sich unsere
GenossInnen des „Revolutionary Socialist Movement“ an den Aktionen in Karatschi
und Lahore. In Brasilien und anderen Ländern Lateinamerikas ist zwar FFF
verglichen mit Europa oder Nordamerika relativ schwach, aber zugleich hat sich
um die Bewegungen der Landlosen und LandarbeiterInnen, die Gewerkschaften, die
Linke und Indigenen eine riesige Bewegung gegen Bolsonaro und (nicht nur) die
Abholzung und Zerstörung des Amazonas gebildet.

Entscheidend wird hinsichtlich des Aufbaus einer wirklich
globalen Bewegung nicht so sehr sein, ob sich Fridays for Future ausweitet,
sondern ob es vielmehr gelingt, die Massenbewegung von FFF mit anderen, zum
Teil weit größeren und radikaleren Bewegungen der landlosen Bauern/Bäuerinnen,
der LandarbeiterInnen, von Indigenen oder der BewohnerInnen in den Slums und
Armutsvierteln, der Beschäftigten in den Sweatshops der „neuen“ Industrien usw.
zu verbinden.

Gerade in diesen Ländern stellt sich die Frage von Umweltschutz
und Kampf gegen Konzernwillkür, politische Entrechtung und Ausbeutung durch
imperialistisches wie „einheimisches“ Kapital viel unmittelbarer.

Soziale Basis von FFF

Dass Fridays for Future vor allem in den imperialistischen
Ländern solchen Zulauf erhält, hängt zuerst auch mit der sozialen Basis der
Mobilisierung zusammen. Es handelt sich erstens um einen Protest von
SchülerInnen – wenn auch hier in der Regel mit geringer Repräsentanz der aus
den ärmsten, am meisten unterdrückten und prekarisierten Schichten. Die
SchülerInnen aus dem BildungsbürgerInnentum, den lohnabhängigen Mittelschichten
oder der ArbeiterInnenaristokratie prägen (bislang) das Erscheinungsbild wie
auch die politisch-ideologische Ausrichtung.

Dass FFF von diesen Schichten dominiert ist, ist als solches
nicht weiter verwunderlich – noch stellt es einen Vorwurf dar. Historisch waren
es oft kleinbürgerlich zusammengesetzte Schichten (Studierende, die
Intelligenz), die gerade aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung zwischen
den Hauptklassen oder des Übergangscharakters ihrer sozialen Existenz auf neue
Fragen und reale Probleme rascher reagierten als die Masse der
ArbeiterInnenklasse und erst recht ihre verbürgerlichten reformistischen und
gewerkschaftlichen Organisationen.

Entscheidend für RevolutionärInnen wie für alle
klassenkämpferischen und linken Kräfte wird es jedoch, dass diese eine solche
Massenbewegung nicht nur mit aufbauen, sondern auch bewusst politisch
intervenieren, um ihr eine klassenpolitische, internationalistische, antiimperialistische
und antikapitalistische Ausrichtung zu geben – und den Einfluss der
bürgerlichen und kleinbürgerlichen Ideologien mehr und mehr zurückzudrängen.

Am letzten Freitag trat in etlichen Ländern aber auch ein
zweiter Aspekt hervor, der in diese Richtung weiter wirken kann. Greta Thunberg
hatte als die globale Galionsfigur von FFF für den September zum globalen
Generalstreik ausgerufen. In der Realität war der Tag weit von einem
Generalstreik, also einer organisierten, kollektiven Arbeitsniederlegung ganzer
Belegschaften entfernt.

Aber der gesellschaftliche Druck, den die Bewegung längst
entfaltet hat, und die Tatsache, dass hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden
Menschen die „Klimafrage“ wie überhaupt den barbarischen Raubbau an unseren
Lebensgrundlagen als Überlebensfrage begreifen, zwingt die meisten Regierungen
wie auch die Mehrzahl des bürgerlichen Mainstreams dazu, die Legitimität der
Bewegung anzuerkennen. US-DemokratInnen, die deutschen Konservativen, Labour
und Sozialdemokratie bis hin zu den Grünen und Linksparteien – alle versuchen
irgendwie auf der „Klimawelle“ zu reiten. Das schürt zweifellos auch
Illusionen.

Andererseits hat es am 20. September auch der Mobilisierung
zugearbeitet. So gab beispielsweise die Stadt New York rund 1.700 öffentlichen
Schulen frei. In Berlin stellte es die Landesregierung den Beschäftigten frei,
sich auch während der Arbeitszeit an der Demonstration zu beteiligen. Das
erklärt zumindest zum Teil, warum in beiden Städten jeweils eine Viertel
Millionen auf die Straße ging und warum wenigstens in Berlin ein großer Teil
der DemonstrantInnen neben SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen Beschäftigte
des öffentlichen Dienstes waren.

Zugleich offenbart sich selbst hier eine zentrale Schwäche.
Die Lohnabhängigen kamen nicht aufgrund einer gemeinsamen Streikaktion, sondern
aufgrund des „Entgegenkommens“ ihrer/s BrotgeberIn. Das traf in Deutschland
selbst für etliche Unternehmen zu, die aus ökologischen, aber auch aus
Werbegründen „ihren“ Beschäftigten frei gaben.

Die Gewerkschaften selbst hatten – wie viele Parteien der
ArbeiterInnenbewegung – zwar den globalen Streik wohlwollend begrüßt. Einen
direkten Aufruf zur Arbeitsniederlegung, zum globalen politischen Massenstreik
gab es hingegen nicht.

Vor allem aber versuchten das die bürokratischen Führungen
erst gar nicht. In einigen Ländern wie Deutschland oder Britannien wurden die
Einschränkungen des Streikrechts oder gewerkschaftsfeindliche Gesetze vielmehr
als willkommene Ausrede und „Entschuldigung“ dafür verwendet, nicht zum Streik
aufzurufen.

Diese Politik der Gewerkschaftsführungen und reformistischen
Parteien verstärkt selbst die Illusion in eine klassenübergreifende Lösung der
Umweltfrage, darin, dass sie nur durch die gemeinsame Anstrengung „aller
Menschen“, also aller Klassen, aller Regierungen zu bewältigen wäre.
Schließlich leisten Gewerkschaften, die nicht direkt zum Streik aufrufen und
organisieren, in den Augen vieler AktivistInnen tatsächlich nicht mehr zum
Gelingen der Aktion, als „vernünftige“ UnternehmerInnen oder Stadtverwaltungen,
die „ihren“ Beschäftigten am Tag frei geben.

„Menschheitsproblem“ oder Kapitalismusproblem?

Das Vorherrschen links-bürgerlicher und kleinbürgerlicher
Ideologien drückt sich auch in der Strategie und den Forderungen von FFF aus.

Die Zielsetzung besteht nicht darin, das Kräfteverhältnis
zwischen gesellschaftlichen Kräften zu verändern. Vielmehr sollen die
Regierenden und alle Klassen der Gesellschaft – Arm und Reich, Kapital und
Arbeit – davon zu überzeugen sein, gemeinsam „das Notwendige“ für das Klima zu
tun, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und die globale
Erwärmung auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

In einigen Ländern wie Deutschland wurde dieses Ziel zwar
noch etwas konkretisiert – im Grunde handelt es sich dabei aber bloß um recht
allgemeine Empfehlungen an „die Politik“, die auch nicht konkreter werden, nur
weil sie von tausenden bürgerlichen WissenschaftlerInnen und KlimaforscherInnen
abgesegnet wurden.

Diese Illusionsmacherei, dass alle Klassen, alle gesellschaftlichen
Gruppen im Kapitalismus das „gleiche“ Interesse haben würden, weil ja alle
überleben wollen, erscheint vielen AktivistInnen als Stärke der Bewegung. In
Wirklichkeit stellt es deren größte Schwäche dar.

Auch wenn im Kapitalismus konkrete Verbesserungen auch in
der Umweltfrage erkämpft werden können, so ist eine ökologisch nachhaltige
Produktion einfach unmöglich. In jeder Marktwirtschaft stellt sich immer erst
im Nachhinein heraus, welches Produkt überhaupt gesellschaftlich nützlich ist, welches
überhaupt ein (zahlungskräftiges) Bedürfnis befriedigt.

Darüber hinaus stellt die Befriedigung menschlicher
Bedürfnisse (und erst recht ökologische Nachhaltigkeit) im Kapitalismus
allenfalls ein Mittel dar, um den eigentlichen Zweck der Produktion zu
verfolgen – die Produktion für die Mehrheit durch Ausbeutung der menschlichen
Arbeitskraft und die Maximierung des Profits.

In einer Krisenperiode erzwingt der Konkurrenzkampf immer
härtere Methoden, um eigene Markteinteile und Gewinne hochzuhalten – auf Kosten
von Mensch und Natur. Da die Regierungen aller kapitalistischen Staaten
letztlich nicht mehr oder weniger als die politisch geschäftsführenden
Ausschüsse der herrschenden Klassen bilden, braucht es nicht weiter zu
verwundern, dass der Klimaschutz regelmäßig auf der Strecke bleibt – und zwar
nicht nur bei Trump, Bolsonaro oder Putin, sondern auch bei Merkels
„Klimakabinett“, oder wenn Macron die französische Nuklearindustrie bedient.

All das sollte hinlänglich deutlich machen, dass es
bestenfalls eine naive Illusion ist, alle Klassen, alle gesellschaftlichen
Kräfte für den Klimaschutz mit ins Boot holen zu wollen. Im Gegenteil – das
bedeutet, selbst nur wertvolle Zeit zu verlieren. Effektiver Klimaschutz ist
nur möglich gegen die Interessen der großen Konzerne, der großen Kapitale –
nicht durch deren „Überzeugung“.

FFF und Umweltbewegung müssen antikapitalistisch werden!

FFF und die Umweltbewegung müssen daher antikapitalistisch
und antiimperialistisch werden – und sie müssen die „Klimafrage“ als Klassenfrage
begreifen.

Es bedarf dazu konkreter Forderungen, die allesamt immer
wieder zur Eigentumsfrage und zu einer demokratischen, planwirtschaftlichen
Reorganisation von Wirtschaft und Gesellschaft führen.

Nehmen wir nur die Frage, wer für die Kosten des
ökologischen Umbaus der Wirtschaft zahlen soll. Die „klimafreundlichen“
Unternehmen und bürgerlichen Regierungen wollen, dass „marktwirtschaftliche“
Instrumente, Subventionen oder Steuergeschenke für „ökologische“ Multis
„Anreize“ zum Umlenken von Investitionen verschaffen. Sie hoffen praktisch, das
Kapital davon überzeugen zu können, dass es bei ökologischer Produktion mehr
Gewinne zu machen gebe. Wie das Beispiel E-Automobilität zeigt, ist das erstens
nicht ökologisch und basiert zweitens auf verschärfter Ausbeutung der
Arbeitskraft.

Die „Bepreisung“ der CO2-Emission durch
Zertifikathandel oder durch Steuern hat, wie die bisherige Erfahrung zeigt,
nicht nur eine überaus geringe „Lenkungswirkung“ – sie stellt letztlich die
Kosten für die vorgeblich ökologische Umgestaltung genau jenen in Rechnung, die
am wenigsten Einfluss auf die Ziele, Zwecke, Produktionsmethoden, … haben –
die Masse der Lohnabhängigen, der Bauern-/Bäuerinnenschaft, den städtischen und
ländlichen Armen.

In beiden Fällen sollen die Kosten über erhöhte Preise oder
über allgemeine, indirekte Steuern erhoben werden, also über Mechanismen, die
die lohnabhängigen und kleinbäuerlichen KonsumentInnen weit
überdurchschnittlich treffen.

Dabei könnten Steuererhöhungen durchaus ein Mittel sein, die
finanziellen Ressourcen für ökologischen Umbau zu beschaffen – durch die
massive Besteuerung von Unternehmensgewinnen und privaten Großvermögen, also
indem man die Reichen zur Kasse zwingt. Damit könnten z. B. staatliche
Vorhaben zur ökologischen Sanierung im Wohnungsbau, zum Ausbau des öffentlichen
Verkehrs, … – unter Kontrolle von Beschäftigten und NutzerInnen – finanziert
werden. Darüber hinaus könnten so die Mittel bereitgestellt werden, um alle
Entlassungen aufgrund ökologischer Umstrukturierungen zu verhindern, diese
Unternehmen zu enteignen und unter Kontrolle der Beschäftigten
umzustrukturieren.

Eine reale Umgestaltung der Wirtschaft wie des gesamten
gesellschaftlichen Lebens erfordert natürlich mehr – es erfordert einen Plan
zur Erreichung der Klimaziele, der gleichzeitig eine Verbesserung der sozialen
Lage gerade der prekären, überausgebeuteten Schichten der ArbeiterInnenklasse
und der Massen in der sog. „Dritten Welt“ einschließt. Das ist ohne massive
Eingriffe in das Privateigentum, ohne entschädigungslose Enteignung der großen
Kapitale und Vermögen, der Banken, Industriekonzerne, DienstleisterInnen,
Transport- und Handelsunternehmen nicht möglich. Zugleich müssen die Schulden
der sog. „Dritten Welt“ gestrichen werden und die Grenzen für alle Klima- wie
alle anderen Flüchtlinge geöffnet werden.

Global Strike – global revolution

Diese Ziele können nur durchgesetzt werden, wenn die
ArbeiterInnenklasse zur führenden Kraft in der Umweltbewegung wird, wenn die
Bewegung selbst internationalistisch und antikapitalistisch wird.

Dazu braucht es freilich auch in der Bewegung selbst eine
Zusammenarbeit und Koordinierung alle jener Kräfte, die den Kampf für eine
lebenswerte Umwelt mit dem gegen das Kapital verbinden, die eine internationale
Bewegung der ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen aufbauen wollen. Der globale
Klimastreik stellt einen wichtigen Schritt in diese Richtung dar – aber es ist
einer, der gleichzeitig mit zahlreichen Illusionen z. B. in die
„Weltgemeinschaft“ der sog. „Vereinten Nationen“ verbunden ist. Diese
Illusionen werden zwar, wie alle Hoffnungen im Handeln „unserer“ Regierungen,
täglich unterminiert – aber wir müssen dazu auch aktiv unseren Beitrag leisten.

Ein Aspekt davon bedeutet zweifellos auch, in der
ArbeiterInnenbewegung selbst für einen Kurswechsel einzutreten. Vage und
unverbindliche „Sympathie“ mit der Umweltbewegung, mit FFF und anderen
Initiativen wird nicht reichen. Vor allem die Arbeit der Gewerkschaften selbst
muss politischer werden. Es geht nicht nur darum, andere im Kampf um eine
lebenswerte Umwelt zu unterstützen, sondern selbst im Betrieb, in Tarifkämpfen,
in politischen Auseinandersetzungen um eigene Forderungen aktiv zu werden – und
selbst die ökologische Frage, die Frage nach Produktionskontrolle und
Enteignung der KlimakillerInnen in den Großkonzernen aufzuwerfen.

Und schließlich geht es darum, an dem enormen
fortschrittlichen Moment von FFF, der internationalen Breite der Aktionen
anzuknüpfen. Wir treten für die Organisierung von Aktionskonferenzen der
Umweltbewegung auf nationaler wie internationaler Ebene ein, die allen
Strömungen der Bewegung offenstehen müssen. Solche Konferenzen müssten sich
dabei zwei zentrale unmittelbare Aufgaben stellen: a) Erarbeitung eines
Sofortprogramms zum Klimaschutz im Interesse der globalen ArbeiterInnenklasse
und vor allem der vom Imperialismus beherrschten Länder; b) eines Aktionsplans
für einen globalen Generalstreik, um die KlimakillerInnen in den Konzernetagen
dort zu treffen, wo es weh tut – bei den Profiten.

Eine solche Bewegung würde, gehen die Streiks über einzelne
Tage hinaus, zweifellos zu einer mächtigen Herausforderung für zahlreiche
Regierungen werden. Sie würde in ganzen Ländern die Machtfrage aufwerfen. Sie
müsste sich daher auch darauf vorbereiten, sie zu beantworten, indem die
ArbeiterInnenklasse und ihre Verbündeten auf die Notwendigkeit des
revolutionären Sturzes des Kapitalismus, die Errichtung von
ArbeiterInnenregierungen und einer demokratischen Planwirtschaft vorbereitet
werden.