Arbeiter:innenmacht

Saudi-Arabien und Iran – Konterrevolutionäre Rivalen

Robert Teller, Neue Internationale 240, September 2019

Beide Staaten stehen seit 1979 in offener Feindschaft zueinander. Saudi-Arabien ist enger Verbündeter der USA, das iranische Regime entstand aus einer Revolution gegen eine pro-amerikanische Diktatur und legitimiert sich seit jeher über seinen vorgeblichen Anti-Imperialismus.

Beide beanspruchen eine Führungsrolle innerhalb der islamischen Welt. Dass sich das saudische Königshaus und das iranische Regime dabei auf einander entgegengesetzte islamische Interpretationen berufen, taugt nicht als Erklärung für ihre Feindschaft. Der Konflikt ist vielmehr eine Folge von geopolitischen Allianzen und ihres politischen Charakters.

Für die aktuelle Konfliktsituation sind mehrere Aspekte von Bedeutung: Die Rivalität imperialistischer Mächte, die im Nahen und Mittleren Osten ausgetragen wird, und die Rolle Saudi-Arabiens und Irans als „Energie-Supermächte“ und Konkurrenten am Weltmarkt. Besondere Bedeutung für den Konflikt haben der US-Einmarsch im Irak und die Auswirkungen der Arabischen Revolutionen 2011.

Geschichte Saudi-Arabiens

Der heutige saudische Staat entstand 1932 in Folge etwa zweihundert Jahre andauernder Versuche der Saud-Dynastie, die Arabische Halbinsel zu unterwerfen. Zur Zeit des Osmanischen Reiches waren diese Versuche alle zum Scheitern verurteilt. 1945 vereinbarten Präsident Roosevelt und König Abd al-Aziz Ibn Saud eine Partnerschaft, die im Grunde bis heute Bestand hat. Saudi-Arabien sollte zum verlässlichen Partner, Energielieferanten und politischen Gegengewicht zum sowjetischen Einfluss im arabischen Raum werden. Das saudische Königshaus erkaufte sich mit dem Ölexport in die USA die Garantie, jederzeit militärischen Schutz zu erhalten. Saudi-Arabien hat die größten nachgewiesenen Ölressourcen weltweit, ist weltgrößter Ölexporteur und unter den ÖlproduzentInnen das Schwergewicht mit dem größten Einfluss auf die Ölpreise. Während die USA Saudi-Arabien als größter Ölproduzent überholt haben, hat aufgrund der geologischen Verhältnisse die saudische Förderung nach wie vor die geringsten Produktionskosten. Das saudische Königshaus verfügt über die Macht, durch Steigerung der Fördermenge den Ölpreis unter den Betrag zu drücken, der für schwieriger zu erschließende Lagerstätten noch profitabel ist.

Das saudische Königshaus kann im arabischen Raum auf die längste Kontinuität politischer Herrschaft zurückblicken. Hätte es auf der arabischen Halbinsel kein Erdöl gegeben, so wäre dem saudischen Staat wohl das gleiche Schicksal beschieden gewesen wie zahllosen anderen arabischen Staaten, deren schwache Bourgeoisien bis heute unfähig sind, ihr Land zu einen und zu regieren, und daher lange Zeit zwischen Staatsstreichen und imperialistischen Interventionen nicht zur Ruhe kamen. Doch die besonderen Bedingungen einer Rentenökonomie ermöglichten es dem saudischen Herrscherhaus, sich einen Staat nach seinem Bilde zu schaffen: eine korrupte Despotie, deren primärer Zweck darin besteht, Petrodollars in die Taschen einiger hundert Prinzen zu schaufeln.

Die scheinbar nie versiegende Geldquelle des Ölexports erlaubte es dem Königshaus auch, seine Herrschaft in einer von atypischen Klassenverhältnissen geprägten Gesellschaft zu festigen. Der Staat stützt sich auf eine privilegierte Schicht saudischer ArbeiterInnen und Verwaltungsangestellten. Die ArbeiterInnenklasse in Saudi-Arabien besteht zum größten Teil aus MigrantInnen, die für begrenzte Zeit und in ihrer Mehrheit in vollkommener Rechtlosigkeit im privaten Sektor überausgebeutet werden.

Dennoch steht Saudi-Arabien vor einer Reihe grundsätzlicher Probleme. Das ist zum einen die im Verhältnis zum Reichtum des Herrscherhauses wirtschaftliche Rückständigkeit. Weder hat sich eine vom Königshaus unterscheidbare nationale Bourgeoisie herausgebildet noch eine indigene ArbeiterInnenklasse. Das Land ist stark vom Import von Waren und Arbeitskraft abhängig.

Zum anderen kostet der staatliche Sektor mit seinem hohen Lohnniveau viel Geld. Die vergangenen Jahre waren aufgrund des hohen Staatsdefizits bereits von sozialen Einschnitten und vom Schrumpfen der privilegierten, aristokratischen Schicht gekennzeichnet, auf die sich der saudische Staat stützt. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass trotz weitreichender staatlicher Wohlfahrtsprogramme der Anteil der saudischen StaatsbürgerInnen, die in Armut leben, bei etwa 20 % liegt.

Und drittens ist der saudische Staat hochgradig abhängig von der politischen Partnerschaft mit westlichen Regierungen. Diese Partnerschaft hat auch für diese einen politischen Preis: den Vorwurf der Unterstützung des mörderischen Kriegs im Jemen und der Rückendeckung für die extrem repressive Politik des Königshauses.

Geschichte Irans

Das iranische Mullah-Regime geht zurück auf die Iranische Revolution im Jahr 1979, die den heutigen Nahen und Mittleren Osten maßgeblich geformt hat. Der Sturz des Schah-Regimes war der Sieg einer gewaltigen Streikbewegung. Sie beendete die Ära unmittelbarer Kontrolle durch die USA und die ehemalige Besatzungsmacht Großbritannien. Doch die Früchte der Revolution gingen aufgrund des Fehlens einer revolutionären Führung und der Volksfrontpolitik der Tudeh-Partei an die Bewegung des erzreaktionären Ajatollah Chomeini verloren. Ein anderer Teil der iranischen Linken wandte sich dem Guerillakampf zu, anstatt den massenhaften Kampf der ArbeiterInnen anzuführen. Manifest wurde die drohende Niederlage der Iranischen Revolution mit dem von den USA unterstützten irakischen Angriff 1980. Es folgte 1982 die Zerschlagung der gesamten politischen Opposition durch das Mullah-Regime.

Dieses setzte seither auf eine pan-islamische Politik, um seinen Einfluss im arabischen Raum auszubauen. Dabei ist nicht nur der Aufstieg der Hisbollah im Libanon zu nennen. Das iranische Regime hegte auch lange Zeit gute Beziehungen zur sunnitischen Muslimbruderschaft in Ägypten.

Iran und der US-Einmarsch 2003 im Irak

Die US-Invasion im Irak 2003 führte zwar innerhalb kurzer Zeit zum Zusammenbruch des Saddam-Regimes, doch schaffte es das US-Militär nicht, das entstandene Machtvakuum zu füllen.

Die Invasion, die die direkte Kontrolle der USA über den Irak herstellen sollte, führte stattdessen zur Verankerung schiitischer, dem iranischen Regime ergebener Kräfte. Im Angesicht des Erstarkens sunnitisch-fundamentalistischer Kräfte – mit Unterstützung ehemaliger BaathistInnen – in der Erhebung gegen die US-Besatzung sah sich das US-Militär auf einmal Seite an Seite mit den vom Iran unterstützten Milizen, die das Ziel der US-Invasion, ein stabiles pro-westliches Regime zu etablieren, hätten durchkreuzen können.

Im Kriegstrommeln der US-Rechten gegen den Iran zeigt sich auch heute ein tiefer Widerspruch innerhalb des US-Imperialismus: Trump möchte das Militär aus Syrien und Afghanistan zurückziehen, ohne aber dem Iran das Feld zu überlassen. Eine US-Invasion im Iran würde sehr wahrscheinlich den ganzen Nahen und Mittleren Osten ins Chaos stürzen. Daher gibt es auch innerhalb der US-Rechten Stimmen, die einen Krieg ablehnen, gerade weil der Iran als Ordnungsmacht nicht zu ersetzen ist. Hier liegt auch der Interessenskonflikt mit Israel und Saudi-Arabien, die Irans Regionalmachtambitionen nicht anerkennen.

Saudi-Arabien, Iran und die Arabische Revolution

Die relative politische Stabilität des saudischen Regimes bedeutete in den Jahren ab 2011, dass das wirtschaftlich und politisch mächtigste Land der arabischen Welt ein Hort der dortigen Konterrevolution wurde. Dass aber auch Saudi-Arabien vor einer revolutionären Erhebung nicht immun sein würde, zeigte die Erhebung in Bahrain, die im März 2011 durch eine saudische Militärintervention niedergeschlagen wurde, um ein Übergreifen zu verhindern.

Die Arabischen Revolutionen trafen nicht zufällig vor allem die schwächeren Regime unvorbereitet. In Ägypten, dem Land mit der größten ArbeiterInnenklasse im arabischen Raum, konnte Sisis Putschregime 2013 nur durch die Ermutigung und Unterstützung des saudischen Königshauses den endgültigen Sieg über die Revolution erringen, den in dessen Folge drohenden Staatsbankrott abwenden und den Militärstaat wieder aufrichten. In Syrien war das saudische Regime einer der Hauptsponsoren der mächtigen islamistischen Rebellenkoalitionen Dschaisch al-Islam (Armee des Islams) und Ahrar al-Scham (Islamische Bewegung der freien Männer der Levante) und trägt maßgebliche Verantwortung für die Niederlage der revolutionären Erhebung von 2011. Das saudische Königshaus konnte als Rückgrat der arabischen Konterrevolution seinen Einfluss in der Region ausbauen. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies mit gewaltigen Kosten erkauft wurde. Der Krieg im Jemen, unter dem Vorwand begonnen, iranischen Einfluss zu bekämpfen, ist für Saudi-Arabien militärisch gescheitert und hat wohl bislang weit über 100 Mrd. US-Dollar gekostet.

Das iranische Regime hat sich seinerseits 2011 von Beginn an darauf festgelegt, das Assad-Regime zu verteidigen – unter anderem, weil es die syrische Revolution als Fortsetzung der Massenproteste im Iran 2009/2010 sah. Die Unterstützung mit Waffen, Technologie, militärischen BeraterInnen und Finanzhilfen hat das syrische Regime vor dem Sturz gerettet. Seit etwa 2013 ist iranisches Militär in Syrien im Einsatz. Zur gleichen Zeit baute das iranische Regime eine Art „Fremdenlegion“ in Syrien auf, deren Mitgliederzahl die der ausländischen sunnitischen DschihadistInnen deutlich übersteigen dürfte. Die Entscheidung der US-Regierung von 2015, auf die kurdischen YPG-Kräfte zu setzen, ist auch der Lektion des Irak-Kriegs geschuldet, d. h. der Versuch, ein Gegengewicht zum iranischen Einfluss zu schaffen.

Letztendlich hat also das Scheitern der Arabischen Revolutionen auch dem iranischen Regime geholfen, seinen Einfluss in der Region auszuweiten. Sinnbildhaft für die Hoffnungslosigkeit der US-Interventionspolitik ist wohl der Einmarsch von Daesch (Islamischer Staat; IS) im Nordirak im Juni 2014, dem zunächst weder die irakische Zentralregierung noch die kurdische Autonomieregierung etwas entgegenzusetzen vermochten. Schnell wurde unter US-Führung eine Militärallianz zusammengezimmert, die das Schlimmste abwenden sollte. Das Rückgrat der Bodentruppen waren abermals schiitisch-fundamentalistische Kräfte.

Im Iran wie auch in Saudi-Arabien herrscht nicht Gottes Wille, sondern das Kapital. Die globale Krisensituation macht Massenerhebungen nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, wie die Proteste der vergangenen Jahre im Iran gezeigt haben. Nicht erst die massive Zuspitzung der wirtschaftlichen Lage aufgrund der neuen US-Sanktionen hat zu einer Welle von Streiks geführt, die sich meist gegen die Entwertung der Löhne durch die auf 50 % gestiegene Inflation richten. Die Repression des Regimes hat nur dazu beigetragen, den Streiks eine zusätzliche politische Komponente zu geben, wie etwa Streiks in Solidarität mit den ArbeiterInnen der Zuckerfabrik Haft Tappeh Ende 2018 gezeigt haben. Die iranische ArbeiterInnenklasse kämpft, und in dieser Situation ist es notwendig, eine neue revolutionäre Organisation aufzubauen, die die Lehren des Scheiterns der Iranischen Revolution zieht und ein Programm für den Sturz des Regimes durch die ArbeiterInnenklasse entwickelt.

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