Arbeiter:innenmacht

Gewerkschaftslinke: Strategiekonferenz 2020 und ihre Aufgaben

Leo Drais, Neue Internationale 238, Juni 2019

Am 18. Mai 2019 trafen sich in Frankfurt am Main AktivistInnen aus dem Bereich der Gewerkschaftslinken, um eine Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften im kommenden Jahr vorzubereiten (vernetzung.home.blog). In der Diskussion waren sich fast alle politischen Kräfte einig, dass die Konferenzen der Rosa-Luxemburg-Stiftung eigentlich nur Austauschforen darstellen. Die zur Koordinierung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik notwendige strategische Diskussion findet dort ebenso wenig statt wie eine Beschlussfassung zur verbindlichen gemeinsamen Aktion – ein Resultat der Dominanz des linken Gewerkschaftsapparates, der diese Versammlungen auf unverbindlichen Austausch beschränken will. Daher beschloss die Gewerkschaftslinke, eine eigene Strategiekonferenz, vermutlich im Januar oder Februar 2020, durchzuführen.

Die Lage

Eine Strategiekonferenz muss die gegenwärtige Lage der Gewerkschaften bewerten. Derzeit stehen wir vor einer neuen Verschärfung der seit 2008 weltweit allgegenwärtigen Krise. Nach einem kurzen Aufschwung der letzten Jahre werden zur Zeit die Wachstumsprognosen nach unten revidiert, für Deutschland „halbiert“ (0,8 %). Bürgerliche PolitikerInnen und ÖkonomInnen erwarten ein Ende der Konjunktur. Globale Konfliktherde nehmen zu: drohender Brexit, Staatsschuldenkrise in Italien, Handelskonflikte – vor allem zwischen USA und China – sind nur einige der Punkte.

Treibende und zugleich verschärfende Kraft hinter diesen Entwicklungen ist die zugespitzte Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Mächten und der daraus resultierende Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Während die Herrschenden in den imperialistischen Zentren 2008 und in den folgenden Jahren noch zu einem koordinierten Vorgehen gegen die Auswirkungen der Krise fähig waren – vor allem durch Auslagern der Krisenfolgen in Halbkolonien sowie durch eine Politik der Bankenrettung und des billigen Geldes -, sind die Möglichkeiten beim nächsten Einbruch der Konjunktur deutlich beschränkter. Erstens haben die Maßnahmen zur Rettung der großen Unternehmen selbst dazu geführt, dass nicht so viel Kapital vernichtet wurde, wie zu einer neuen nachhaltigen Expansion nötig wäre. Im Gegenteil: Die strukturellen ökonomischen Probleme – Überakkumulation von Kapital, Verschuldung, neue spekulative Blasen – sind größer geworden. Zugleich schwindet auch die Möglichkeit und Bereitschaft der herrschenden Klassen, zu einem koordinierten Vorgehen – stattdessen haben die Tendenzen zu Blockbildung und Unilateralismus zugenommen. Die Kosten der Krise sollen auf die KonkurrentInnen abgeladen werden, die um die Vormachtstellung kämpfen.

Vor diesem Hintergrund sind auch härtere Angriffe auf die Kernsektoren der ArbeiterInnenklasse zu erwarten, auf die sich heute die IG Metall, IG BCE usw. im Wesentlichen stützen.

Die Konzerne sind sich dieser verschärften Konkurrenz und der drohenden Krise bewusst. In der Automobilbranche – einem, wenn nicht dem zentralen Sektor der deutschen Industrie – werden bereits jetzt große „Sparprogramme“ aufgelegt. So sollen bei VW 7.000, bei Daimler 10.000, bei Ford-Deutschland 5.000 Jobs vernichtet werden. Trotz dieser klaren Kampfansage schüren die GewerkschaftsführerInnen weiter die Illusion, all dies ließe sich wie eh und je sozialpartnerschaftlich lösen.

Dabei mussten wir schon in der Vergangenheit die fatalen Auswirkungen dieser Politik erleben. Sie schlägt sich nach den mitgetragenen Generalangriffen der letzten Jahrzehnte (Ausverkauf der DDR, Agenda 2010) in den Mitgliederzahlen nieder. 2017 wurde die 6-Milllionenmarke im DGB unterschritten. Der Klassenfrieden, die Konzentration auf rein ökonomische Aufgaben (Lohn, Arbeitszeit,..) und die Standortlogik stellen einen wesentlichen Grund für die Rechtsentwicklung auch von Teilen der Mitgliedschaft dar.

So fordert der Vorsitzende des VW-Gesamt- und Konzernbetriebsrats Osterloh: „(…) wir wollen auch deutlich mehr Zusagen für Zukunftsarbeitsplätze. Und diese Zukunftsarbeitsplätze entstehen nicht irgendwo in der Welt, sondern in der VW-Heimat.“ Der Konzernbetriebsrat gibt sich hier kämpferisch – doch nur für die Belegschaft an „seinem“ Standort. Die VW-Beschäftigten in anderen Länden spielen bei dieser Art standortbornierter Politik allenfalls am Rande eine Rolle.

Sie spielt dabei unwillkürlich RassistInnen und RechtspopulistInnen in die Hände, die sich noch als die Anwälte „deutscher Arbeitsplätze“ präsentieren – und damit Erfolge einfahren. 15 % der DGB-Mitglieder wählten 2017 die AfD – ein Kampf dagegen oder auch nur eine Diskussion über die Ursachen findet so gut wie nicht statt. Eine Aufnahme von Geflüchteten in die Gewerkschaften erfolgt zumeist nur, wenn diese bereits in ein Arbeitsverhältnis eingetreten sind. Ein Abschiebestopp wurde letztes Jahr diskutiert – aber bloß für berufstätige Geflüchtete, ganz im Einklang mit der Industrie.

Eine Frage der Kontrolle

Angesichts dieser Ausgangslage ist die Initiative zur Strategiekonferenz der Gewerkschaftslinken wichtig und richtig. Ein erstes Vorbereitungstreffen fand Mitte Mai 2019 statt. Aus unserer Sicht sollte eine Strategiekonferenz der Startpunkt für den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisopposition in den Gewerkschaften sein. Das bedeutet einerseits, dass Arbeitskampfmaßnahmen demokratischer und kämpferischer gestaltet werden.

Es muss darum gehen, die Kontrolle über die Kämpfe in die Hände der Belegschaften selbst zu legen. Jeder Arbeitskampf, bei dem sich die ArbeiterInnen selbst dazu ermächtigen, zu entscheiden, wie und für was sie kämpfen wollen, wird jedoch unweigerlich einen Konflikt mit der Gewerkschaftsbürokratie hervorrufen – auch mit deren linkem Flügel.

Die GewerkschaftsführerInnen und FunktionärInnen, der gesamte bürokratische Apparat, sind nicht nur ideologisch auf Klassenzusammenarbeit getrimmt. Die Politik der Sozialpartnerschaft entspricht der Vermittlerrolle, die die Bürokratie im Kampf zwischen Kapital und Arbeit einnimmt – eine Vermittlerrolle, die ihrerseits über Jahrzehnte institutionalisiert wurde und mit einer engen Bindung der Bürokratie an Unternehmen und Staat einhergeht.

Die opportunistische Haltung zu den Arbeit„geber“Innen stellt daher keinen politischen Ausrutscher dar, sondern bildet vielmehr das Lebenselixier dieser Funktionärsschicht, selbst wenn sie gelegentlich gezwungen sein kann, linker und kämpferischer aufzutreten, als ihr lieb ist. Darüber hinaus ist die heutige Struktur der Gewerkschaften hierarchisch durchorganisiert und auch kämpferische FunktionärInnen können dadurch Repressionen von höheren Instanzen ausgesetzt werden. Genau deshalb geht es nicht bloß um eine andere Politik der Gewerkschaften – es geht um ihre grundsätzliche Reorganisation auf klassenkämpferischer, antibürokratischer Basis.

Eckpunkte dessen sind:

  • Aufbau von Streikkomitees, die gegenüber den Vollversammlungen in den Betrieben verantwortlich, von diesen gewählt und jederzeit abwählbar sind! Diese Versammlungen müssen alle Beschäftigten einschließen, auch die gewerkschaftlich unorganisierten, um sie in den Kampf einzubeziehen und den Druck auf die Routine des Apparats zu erhöhen. Die Komitees müssen zentralisiert und zu einer schlagkräftigen Führung ausgebaut werden!
  • Streiks und Kämpfe müssen gegen StreikbrecherInnen, Polizei und ProvokateurInnen geschützt werden! Dazu sind demokratisch kontrollierte Streikposten zu Selbstverteidigung der ArbeiterInnen nötig!
  • Für das Recht aller politischen und sozialen Gruppierungen (mit Ausnahme faschistischer und offen gewerkschaftsfeindlicher), sich in den Gewerkschaften zu versammeln, zu artikulieren und Fraktionen zu bilden!
  • Für die Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der FunktionärInnen! Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt verdienen!
  • Aufhebung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere des Rechts auf politischen Streik! Für klassenkämpferische Gewerkschaften, strukturiert nach Branchennähe, Streikfähigkeit und gemäß dem Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“.

Ein Programm gegen die Krise

Entscheidend für den Erfolg der Strategiekonferenz und der Gewerkschaftslinken wird sein, ob ihre Isolation innerhalb der ArbeiterInnenbewegung durchbrochen werden kann. Dazu bedarf es aber auch der Diskussion und Formulierung einer politischen Alternative zum Bürokratismus und Reformismus des Apparates.

Der Kampf um eine Politisierung der Gewerkschaften ist dazu unerlässlich. Die drohenden Angriffe werden nicht nur in Betrieben stattfinden. Die Frage von explodierenden Mieten, Kampf um die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen, imperialistische Aufrüstung, Rassismus, Schuldendiktate und Generalangriffe auf demokratische Rechte bedürfen politischer Antworten bis hin zum politischen Streik.

Daher sollte auch eine Verbindung der gewerkschaftlichen Kämpfe mit bestehenden Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ gesucht werden. Dies wird nur möglich sein durch programmatische Forderungen, die in die kommenden Auseinandersetzungen getragen werden und um die sich kämpferische ArbeiterInnen sammeln können:

  • Wir zahlen nicht für eure Krise! Gegen die staatliche Rettung maroder Banken und Konzerne. Keine Subventionsprogramme zur Steigerung der Profite!
  • Streiks und Besetzungen gegen die kommenden Massenentlassungen! Anstelle einer sozialpartnerschaftlichen „Lösung“: entschädigungslose Enteignung der Schlüsselindustrien und der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit allen Hartz-Gesetzen sowie Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen! Nein zu allen Privatisierungen! Demokratische Kontrolle der Arbeitslosenversicherung, des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens durch die Beschäftigten! Die Gewerkschaften müssen auch für die kämpfen und die aufnehmen, die nicht im Produktionsprozess stehen.
  • Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche in ganz Europa! Für einen europaweiten Mindestlohn und internationale Tarifverträge, um der Standortkonkurrenz entgegenzutreten!
  • Nein zu Rassismus, Sexismus, Militarismus, Umweltzerstörung! Offene Grenzen statt Festung Europa! Europaweiter und internationaler Klassenkampf statt Nationalismus!

Auf dem Vorbereitungstreffen wurde von verschiedenen Kräften der Vorschlag eingebracht, eine Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu starten – angesichts der drohenden Massenentlassungen eine richtige und wichtige Forderung, vor allem im Zusammenhang mit den zu erwartenden Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung. Die Forderung sollte aber dahingehend erweitert werden, eine von ArbeiterInnen kontrollierte Aufteilung der Arbeit auf alle, die in Europa leben, zu erreichen – so kann auch der Spaltung der Lohnabhängigen entgegengetreten werden.

Um zu einem Attraktionspol für kämpferische GewerkschafterInnen zu werden, reicht natürlich die Bewerbung einer Strategiekonferenz nicht aus. Die Initiative muss vielmehr auch in den Kämpfen und Mobilisierungen bekannt gemacht werden.

Vor allem aber geht es auch darum, dass die Gewerkschaftslinke eine klassenkämpferische Antwort in den laufenden Auseinandersetzungen und Aktionen – sei es gegen die drohenden Massenentlassungen, sei es gegen den Pflegenotstand, sei es bei Fridays for Future oder der zentralen Mobilisierung  der IG Metall am 29. Juni – vertritt.

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