Kühnert: Mit dem Juso-Chef BMW enteignen?

Tobi Hansen, Neue Internationale 238, Juni 2019

Noch vor wenigen Wochen hatte der Vorstoß des Juso-Chefs
Kühnert für eine gewisse Irritation in der bürgerlichen Landschaft gesorgt.
Nach dem jüngsten Wahldebakel scheint man wieder beruhigt, dass der „Linke“ mit
der SPD untergeht, der Vorstoß also nicht so ernst zu nehmen sei.

Während der Abstimmung über die Große Koalition hatte
Kühnert in der SPD zumindest für die Ablehnung mobilisiert, sich allein dadurch
schon „links“ hervorgetan. Dass er aber auch über eine mögliche Enteignung von
BMW spekulierte, war nicht unbedingt zu erwarten.

Aber der Reihe nach. Schon das Berliner Volksbegehren
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sorgte für relativ viel Aufregung in der
bürgerlichen Klasse und deren Parteien. Die Initiative, Miethaie zu enteignen
und MieterInnen vor Abzocke, Verdrängung und Spekulation zu schützen, erfährt
schließlich relativ offene Sympathie, sogar in einigen bürgerlichen Medien. Das
Thema Enteignung wird wieder öffentlich diskutiert und die dementsprechenden
Paragraphen aus Landesverfassungen und dem Grundgesetz werden ausgegraben.

Auch die Berliner Jusos unterstützen das Volksbegehren und
gehen damit auf Konfrontation mit dem Regierenden Bürgermeister Müller, welcher
Enteignungen entschieden ablehnt.

Dass die FDP eine Änderung des Grundgesetzes und der
Landesverfassungen fordert, um Enteignungen von KapitalistInnen auszuschließen,
und die Unternehmensverbände in heller Aufruhr sind, zeigt, dass die
Bourgeoisie an ihrem „wunden“ Punkt getroffen wurde, nämlich beim
Privateigentum. So steht es um das Nervenkostüm der besitzenden Klasse, sobald
die Quelle ihrer Bereicherung, das Privateigentum an den Produktionsmitteln,
auch nur ein Stück weit in Frage steht.

Alles in allem war es nicht sonderlich ungewöhnlich, dass
ein Juso-Vorsitzender mal „links“ ausholt und sich im Interview für die
Interessen von MieterInnen und nicht von Wohnkonzernen ausspricht. Bei BMW
wurde es deutlicher und gewissermaßen „gefährlicher“. Kühnert wollte, dass die
ArbeiterInnen bei BMW entscheiden sollen, was produziert wird, dass BMW auch
enteignet werden und in die Hände der ArbeiterInnen übergehen kann.

Betriebsrat gegen jede Enteignung

Interessant war, wer aus dem „eigenen Lager“ als erstes
gegen Kühnert ausholte. Dass die bürgerlichen Medien und Politik schon die SED
in der SPD wiederauferstanden sahen, war klar. Dass der
Seeheimer-Kreis-Sprecher Kahrs dem Juso-Vorsitzenden den Konsum illegaler
Drogen unterstellte („Was hat der denn geraucht, war bestimmt nicht legal“), war
bei diesem rechten Flügel der SPD-Bundestagsfraktion zu ahnen.

Spannender war der Auftritt des BMW-Betriebsratsvorsitzenden
Schoch. Dieser stellte fest, dass die SPD nun keine Option mehr für die
BMW-Beschäftigten wäre. So tolle Arbeitsplätze wie beim bayrischen Autokonzern
gäbe es fast nirgends. Die SPD sollte erst mal die Wirtschaft verstehen, bevor
sie darüber rede. Da haben wir viel gelernt vom und über den IGM-Betriebsrat.
Wenn die Wirtschaft gut funktioniert und die BesitzerInnen gut verdienen, geht es
anscheinend auch den Beschäftigten gut. Schochs Äußerung stellt freilich keinen
Ausrutscher dar. Er denkt gewissermaßen nur die Sozialpartnerschaft zu Ende,
frei nach dem Motto, wenn es dem/r HerrIn (dem/r EigentümerIn) gut geht, bleibt
auch für den Knecht/die Magd (die Lohnabhängigen) mehr übrig.

Nun wussten auch alle Medien, als Juso-Vorsitzender muss man
mal „richtig“ links sein können. Sicherlich hatte er mit der Kampagne „NoGroko“
für den Seeheimer Kreis, Gabriel und Co. schon genügend, wenn auch konsequenzlose
Opposition gezeigt. Dass er nun noch politische Forderungen aufstellte, war
dann für einige doch zu viel. Die Medien erinnerten uns daran, dass alle
Juso-Vorsitzenden der letzten 30–40 Jahre schon mal „marxistisch“ daherkamen.
Als wenn die ArbeiterInnen tatsächlich von Kühnert erwarten würden, dass dieser
Firmen enteignet! Aber im Zug der Debatte um das Berliner Volksbegehren war die
Enteignung für bundesdeutsche Verhältnisse erstaunlich oft in aller Munde und
hätte die Möglichkeit geliefert, diese Debatte als Vorlage zu benutzen.

Umso bescheidener war die Reaktion der Linkspartei. Deren
Vorsitzende Kipping verteidigte den Juso-Vorsitzenden zwar im Protesthagel
seiner eigenen Partei. Ihrer Ansicht nach wäre das ein Zeichen für einen
gesellschaftlichen Gesinnungswandel. Doch der Vorschlag Kühnerts, dass jede/r
nur eine eigene Wohnung haben sollte, ging Kipping dann doch zu weit. Sie hofft
weiterhin auf anständige VermieterInnen. Diese  Hoffnung wurde in Westdeutschland lange Zeit „soziale
Marktwirtschaft“ genannt und – hoppla! – schon ist Kipping bei Wagenknecht
gelandet. Wichtiger als die schützenden Worte für Kühnert war freilich, dass
sogar DGB-Chef Hoffmann dessen Gedanken lobte und seinen Kollegen Schoch auf
die Satzung der IGM hinwies. Dort wird wie auch bei Sonntagsreden anderer
GewerkschaftsfunktionärInnen eine Vergesellschaftung von Großbetrieben
zumindest in Betracht gezogen.

Perspektive Enteignung

Dabei müssten sich gerade die Gewerkschaften angesichts
einer möglichen Wirtschaftskrise Gedanken machen, wie mit Betrieben und
Konzernen umzugehen ist, die geschlossen werden und Massen in die
Arbeitslosigkeit schicken. Ohne Kampf für die entschädigungslose Enteignung und
Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle wird es nicht möglich sein, die
Angriffe zu stoppen. Dazu reichen freilich keine Lippenbekenntnisse wie von
Kühnert – dazu braucht es Klassenkampf, Betriebsbesetzungen und Massenstreiks.
Dazu hat der Juso-Chef bezeichnenderweise nichts gesagt.