Arbeiter:innenmacht

Bundestagsbeschluss: Staatsräson kontra BDS

Robert Teller, Neue Internationale 238, Juni 2019

Die Resolution, die der Bundestag am 17. Mai mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP, SPD und Grünen beschlossen hat, trägt den Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Substanziell Neues enthält sie nicht, denn ihre Kernaussage – die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus – ist bereits seit geraumer Zeit ein reaktionärer Grundkonsens dieser Parteienkoalition. Eigentliches Ziel der Resolution ist es auch nicht, einen Beitrag zum Kampf gegen Antisemitismus zu leisten, der angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks und des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien europaweit auf dem Vormarsch ist.

Bundestagsresolution

So heißt es im Beschluss : „Wer Menschen wegen ihrer jüdischen Identität diffamiert, ihre Freizügigkeit einschränken will oder das Existenzrecht des jüdischen und demokratischen Staates Israel oder dessen Recht auf Landesverteidigung infrage stellt, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen.“

Hier werden kurzerhand grundverschiedene Dinge in einen Topf geworfen, um den Brückenschlag vom antifaschistischen hin zum bellizistischen Grundkonsens zu bewerkstelligen. Wer gegen antijüdischen Rassismus kämpft, muss nicht die israelische „Landesverteidigung“ – selbst ein Euphemismus angesichts der vorsätzlichen Ermordung von 183 palästinensischen DemonstrantInnen durch israelische ScharfschützInnen am Sperrzaun um Gaza seit März 2018 – befürworten. Und auch umgekehrt beweisen die AfD ebenso wie Viktor Orbán und viele andere RassistInnen, dass die Unterstützung des Staates Israel keinesfalls profunde antisemitische Überzeugungen ausschließt.

Dass derartige Überzeugungen nicht nur ein Problem des Denkens, sondern eine physische Bedrohung für JüdInnen sind, zeigen offizielle Zahlen, die 2018 einen Anstieg antisemitischer Gewaltakte um 74 % in Frankreich bzw. um 60 % Prozent in Deutschland gegenüber dem Vorjahr ausweisen. Und selbst das BKA – unverdächtig, die Gefahr von rechts zu übertreiben – gibt an, dass diese Gewaltakte zu 90 %von rechtsextremen Einheimischen verübt werden.

BDS-Kampagne

BDS geht auf einen Aufruf 171 palästinensischer Organisationen aus dem Jahr 2005 zurück. Seine Ziele sind der Abriss der vom Internationalen Gerichtshof 2004 als illegal beurteilten Sperrmauer in der West Bank, die Beendigung der Besetzung arabischen Landes, die völlige rechtliche Gleichstellung von PalästinenserInnen in Israel und das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge, das in der UNO-Resolution 194 gefordert wird. Die Ziele von BDS gehen letztlich nicht einmal über die Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bürgerlich-demokratischer Grundsätze hinaus. Ungeachtet der Frage, ob der Aufruf an KonsumentInnen, israelische Waren nicht zu kaufen, für deren Durchsetzung das wirksamste Mittel ist – antisemitisch ist er gewiss nicht.

Die BDS-Kampagne prangert lediglich in besonders öffentlich wirksamer Weise die systematische Diskriminierung von PalästinenserInnen durch den israelischen Staat an und versucht, durch Anwendung des Boykotts das Bewusstsein für diese Ungerechtigkeiten zu vergrößern und zugleich den Staat Israel unter Druck zu setzen. Dies als antisemitisch zu brandmarken, basiert auf der falschen Gleichsetzung des Staates Israel mit der jüdischen Nation – eine Gleichsetzung, der selbst eine nationalistische bis völkische Vorstellung nationaler Einheit zugrunde liegt.

Die Diffamierung dieser Bewegung, deren Ziele vom gesamten palästinensischen politischen Spektrum unterstützt werden, leistet auch dem rassistischen Generalverdacht Vorschub, PalästinenserInnen oder AraberInnen besäßen per se antisemitische Tendenzen – wie auch der im Rahmen der Asylrechtsverschärfungen diskutierte Vorschlag, von muslimischen EinwandererInnen ein Bekenntnis zu Israel zu verlangen.

Ein offener Brief, der von 66 jüdischen und israelischen AkademikerInnen unterzeichnet wurde, charakterisiert die Resolution durchaus zutreffend:

„Ein Bundestagsbeschluss, der die palästinensische BDS-Bewegung mit Antisemitismus gleichsetzt, ist ein Angriff auf und eine Stigmatisierung von PalästinenserInnen in Deutschland und unterdrückt ihre freie Meinungsäußerung und ihre Sorgen. Dies könnte sie und andere Gruppen in der deutschen Gesellschaft auch vom Kampf gegen Antisemitismus entfernen, anstatt sie dafür zu gewinnen. Die Gleichsetzung von BDS mit Antisemitismus wird von der rechtesten Regierung in der israelischen Geschichte betrieben. Dies ist Teil der ständigen Bestrebungen, jeglichen Diskurs über die Rechte der PalästinenserInnen und jegliche internationale Solidarität mit ihnen zu delegitimieren, die unter Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden.“

Kritik unter Generalverdacht

„Berechtigte Kritik“ an der israelischen Regierung muss laut den BefürworterInnen der Bundestagsresolution „natürlich“ erlaubt sein, Aktionen selbst symbolischer Art, die sich gegen den Staat Israel richten, müssen es jedoch nicht. Das bedeutet: Kritik ist nur insofern erlaubt, als sie den Vorstellungen der deutschen imperialistischen Außenpolitik passt. Praktische internationale Solidarität mit den PalästinenserInnen gilt nicht nur als unerwünscht, sie wird diffamiert und kriminalisiert. Denn eine internationale Solidaritätskampagne, die sich gegen die systematische und institutionalisierte Diskriminierung von PalästinenserInnen durch die Regierung Israels wendet und sich zum Ziel setzt, diese Diskriminierung zu beenden, kommt letztlich nicht umhin, Mittel anzuwenden, die den Staat Israel unter Druck setzen, diesem ökonomisch oder politisch schaden und seine unterdrückerischen Aktionen delegitimieren.

Das Problem bei der Bandmarkung von BDS als antisemitisch ist nicht nur, dass fortschrittliche Kräfte zu Unrecht als RassistInnen abgestempelt werden. Der Begriff „Antisemitismus“ wird hierbei auch seines Inhalts beraubt. Wenn im Namen der deutschen Staatsräson jede BDS-UnterstützerIn oder jede Menschenrechts-NGO erst einmal auf ihren heimlichen Antisemitismus durchleuchtet werden muss, dann lässt das die wahren AntisemitInnen ebenso unbeeindruckt wie die Hexenverfolgung Unwetter, Missernten und Pestepidemien. Die Gleichsetzung von Antizionismus mit Antisemitismus dient nicht nur der Einschränkung demokratischer Rechte, sondern auch als Entschuldigung des bürgerlichen Lagers und der reformistischen Parteien dafür, den RechtspopulistInnen nichts entgegenzusetzen und sie durch Anpassung ihrer eigenen Politik auch noch zu stärken.

Und die Linkspartei?

Neben dem fraktionsübergreifenden Antrag stand aber noch einer der LINKEN zur Abstimmung. Die Partei verweigerte dem Regierungsantrag zwar die Zustimmung. Zugleich legte sie jedoch einen eigenen vor, nachdem Petra Pau damit gedroht hatte, andernfalls mit der Regierung zu stimmen. Wer nun denkt, dass die LINKE dem Regierungsantrag eine linke Kritik entgegensetzt, liegt falsch. Auch dieser Antrag charakterisiert BDS als generell antisemitismusverdächtig. Der wesentliche Unterschied zum Regierungsantrag ist, dass die LINKE dem Text ein Bekenntnis zur längst begrabenen Zweistaatenlösung hinzufügt:

„Für uns steht fest, dass eine friedliche Lösung auf Basis der bisherigen UN-Resolutionen sowie der zwischen beiden Parteien geschlossenen Abkommen nur mit zwei unabhängigen, lebensfähigen, demokratischen und miteinander kooperierenden Staaten umsetzbar ist.“

Dies ist zwar offiziell auch die Position der Bundesregierung. Dass dieses Thema im Regierungsentwurf mit keinem Wort erwähnt wird, mag aber auch daran liegen, dass nur die LINKE noch „ernsthaft“ an der Illusion von der Zweistaatenlösung festhält. In Wirklichkeit ist sie nur eine diplomatische und „völkerrechtliche“ Fassade, hinter der die zionistische Version der Einstaatenlösung Stück für Stück Realität wird. Auf einem zerstückelten, von Trennmauern und Checkpoints durchzogenen Flickenteppich von palästinensischen Inseln ohne Grundwasser, Hauptstadt, Währung, Finanz- und Grenzkontrolle, Hafen oder Flughafen wird kein „lebensfähiger Staat“ entstehen – höchstens eine Karikatur dessen, die das heutige System rassistischer Segregation zementiert. Auch heute übt letztlich Israel in den besetzten Gebieten die Staatsgewalt aus. Die sogenannte „Palästinensische Autonomiebehörde“ stellt einen verlängerten Arm der Besatzung dar, die Hamas-„Regierung“ hat etwa soviel „Eigenständigkeit“ wie eine Gefangenenvertretung in einem Freiluftgefängnis.

Entscheidend ist aber auch, was die LINKE in ihrem Entwurf nicht schreibt: Zweck der Resolution ist nicht der Kampf gegen Antisemitismus, sondern die Beschneidung von demokratischen Grundrechten. Indem die Resolution explizit BDS in die Nähe zu NS-Parolen rückt, soll nicht nur die öffentliche Ächtung und Ausgrenzung von BDS legitimiert werden, was beispielsweise in München in Form eines Stadtratsbeschlusses realisiert wurde, der es BDS-UnterstützerInnen untersagt, öffentliche Räumlichkeiten zu mieten. Es soll hiermit auch jede öffentliche Positionierung für die Rechte der PalästinenserInnen delegitimiert werden. Die AfD denkt im Grunde nur diesen Ansatz konsequent zu Ende, indem sie gleich das Verbot von „BDS“, das als einheitliche Organisation gar nicht existiert, fordert. Dies könnte im nächsten Schritt zu Vereinsverboten führen, wie sie bereits vielfach gegen die kurdische Solidaritätsbewegung, türkische auch palästinensische Linke in Deutschland eingesetzt wurden. Schon heute beschränkt sich die Diffamierung nicht auf BDS, sondern trifft auch viele andere Linke – einschließlich von Initiativen wie der „Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“.

Hände weg von BDS!

Und solche Maßnahmen werden sich nicht auf BDS-Gruppen beschränken, sondern auch gegen die gesamte internationalistische und anti-imperialistische Linke eingesetzt werden.

Folglich müsste auch die gesamte Linke den Kampf gegen derartige Angriffe führen, die wir als Ausdruck der allgemeinen Rechtsentwicklung in Deutschland und weltweit sehen sollten. Vor allem aber müssen sie auch als Schritt zur ideologischen Vorbereitung weiterer reaktionärer imperialistischer und zionistischer Aggression im Nahen Osten begriffen werden – sei es die Annexion der Golan-Höhen, ein drohender Angriff gegen den Iran, Bombardements von pro-iranischen Stellungen im Irak und vor allem die fortgesetzte Vertreibung der PalästinenserInnen. Jede Kritik an solcher Kriegstreiberei, Intervention, Mord und Vertreibung soll im Voraus mundtot gemacht werden.

Die ArbeiterInnenbewegung und die Linke müssen in diesem Kampf einen unabhängigen Standpunkt einnehmen und ihn mit dem Kampf gegen RassistInnen gleich welcher Art verbinden. DIE LINKE dagegen reiht sich ein in eine bürgerliche „Einheitsfront”, die uns die Unterstützung des militaristischen, rassistischen Staates Israel als „Entschuldigung“ für den Holocaust verkauft. InternationalistInnen sollten für die einzige Lösung kämpfen, die die Grundlage für jeglichen Rassismus beseitigen kann: einen multinationalen, sozialistischen Staat in ganz Palästina, der allen dort lebenden Bevölkerungsgruppen die gleichen Rechte gewährt.

Alle internationalistischen, proletarischen, ja alle demokratischen Kräfte müssen offen gegen den Bundestagsbeschluss auftreten: Hände weg von BDS! Hände weg von der Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk und dessen Widerstand!

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