Extinction Rebellion lähmt London

Jeremy Dewar, Infomail 1055, 20. Mai 2019

Extinction Rebellion (XR) erfasste die Schlagzeilen der
Hauptmedien und die Phantasie von Millionen zu Ostern 2019, als AktivistInnen
mehr als eine Woche lang wichtige Touristenorte und Hauptverkehrsadern in
London besetzten.

Ihr couragiertes Vorgehen ermutigte Tausende, sich ihren
Reihen anzuschließen, das Fernsehen übertrug ihre Bemühungen auf der ganzen
Welt. GewerkschafterInnen, SchülerInnen und PassantInnen besuchten ihre Aktionen
an Orten wie Marble Arch, Parliament Square, Oxford Circus, Waterloo Bridge und
Piccadilly. Es stießen immer mehr Menschen zur Gruppe der UmweltschützerInnen,
um die 834 Verhafteten zu ersetzen – Tendenz steigend. Je mehr die Polizei
eingriff, um die Proteste zu beenden, desto mehr Menschen wurden inspiriert,
sich ihren Reihen anzuschließen.

Ihr erklärtes Ziel war es, die Öffentlichkeit für den
katastrophalen Zustand des Weltklimas und die rasante Geschwindigkeit zu
sensibilisieren, mit der wir uns dem Umkipppunkt nähern, an dem der Klimawandel
unumkehrbar wird.

Sie wollten auch das selbstlose Handeln ihrer AnhängerInnen,
die sich in unmittelbare Gefahr begeben, der scheinbar endlosen Untätigkeit und
Verzögerung der PolitikerInnen und Industriellen entgegensetzen, die die
Zerstörung von Lebens- und Wohnräumen der zumeist armen Leute nur beobachten.

Wer sind XR?

Extinction Rebellion ist weniger als ein Jahr alt. Als Vereinigung
verschiedener Klimakampagnen, insbesondere von Rising Up!, wurden und werden
sie von AkademikerInnen dominiert. Es handelt sich dabei um akademische
AktivistInnen, die die Methoden vergangener ökologischer und gewaltfreier
Direktaktionen kennen und ihnen verpflichtet sind. Außerdem haben sie gute
Kenntnisse in der Nutzung sozialer Medien.

Zu ihren prominentesten Publikumsgesichtern gehören Roger
Haslam, Gail Bradbrook und Simon Bramwell, alle ursprünglich in Rising Up! Ihre
Aktivitäten begannen in London, haben sich aber über ganz Großbritannien
ausgebreitet, vor allem aufgrund der SchülerInnenstreiks.

Der erste öffentliche Akt der Gruppe bestand darin, dass Hundert
von ihnen einen offenen Brief unterzeichneten, in dem sie im Oktober 2018 zu
Maßnahmen aufforderten, um ihrem Aufruf für einen Klimanotstand Gehör zu
verschaffen. Verschiedene Aktionen führten wiederholt zu Festnahmen und
Verhaftungen, bei dem die AktivistInnen keinen Widerstand leisten, außer mit
dem Eigengewicht ihres Körpers und verschiedenen Mitteln, um ihre Räumung zu
behindern, vom Sekundenkleber bis zum Schloss.

Im folgenden Monat, im November 2018, bekam die von Greta
Thunberg in Schweden gegründete School Strikes 4 Climate-Bewegung globale
Dynamik: von Australien bis Österreich, von den USA bis Großbritannien. Bald
breitete sie sich auf Kolumbien und Uganda aus, d. h. auf jene Teile der
Welt, in Wirklichkeit Halbkolonien der Großmächte, die am meisten unter der
Verschmutzung durch die USA, die EU und China leiden.

Zumindest im Vereinigten Königreich führte dies zu einer gewissen
Verschmelzung der beiden Bewegungen, zumindest bis zum Streik am 15. Februar
2019, als sich SchülerInnen gegen die Polizei auflehnten, deren Ketten herumliefen
und dabei von StudentInnen unterstützt wurden. XR Youth wurde gegründet und
spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Organisation von Bezugsgruppen,
selbstorganisierten AktivistInnen mit einem gemeinsamen Ziel.

Greta reiste für zwei Tage mit dem Zug zu den Londoner
Protesten, nachdem sie vor zwei Jahren den Transport per Flugzeug aufgegeben
hatte. Dort traf sie sich mit führenden Mitgliedern aller politischen Parteien,
Jeremy Corbyn, Ed Miliband (beide Labour) und Caroline Lucas (Grüne), wie man
es erwarten würde, aber auch mit Tory-Umweltminister Michael Gove.

Greta versuchte dabei, einen Keil in die Tories treiben.
Diese haben die letzten neun Jahre damit verbracht, die wenigen Reformen, die
Labour davor eingeführt hatte, abzubauen. Insbesondere wies sie darauf hin,
dass die britischen Zahlen für CO2-Emissionsreduzierung
den Luftverkehr, die Schifffahrt und die Ein- und Ausfuhren nicht mit
einbezogen. Unter deren Einbezug sind die britischen Emissionen seit 1990 nicht
um 37 Prozent, sondern nur um 10 Prozent, also 0,4 Prozent pro Jahr, gesunken.

Gove, gerissen wie immer, antwortete jedoch einfach: „Ich
weiß, dass ich nicht genug getan habe, nur sehr wenige PolitikerInnen haben
dies…. eine Sache, die ich erbeten würde, ist, dass wir das Gespräch
weiterführen“. Der Punkt, auf den Thunberg und die Bewegung hinweisen, ist
jedoch, dass die Zeit für Gespräche vorbei ist; wir brauchen Taten.

Ziele und Methoden

Die einzige Möglichkeit, sich vor dem Establishment zu
schützen, welches versucht, die Bewegung zu vereinnahmen, besteht darin, klare
und präzise Forderungen zu stellen, die den Bedürfnissen der Situation
entsprechen und aus denen Menschen wie Gove sich nicht herauswinden können.

Was sind also die Ziele von XR? Laut ihrer Website sind es:

  • Die Regierung muss die Wahrheit über das Klima und die allgemeine ökologische Notlage sagen, inkonsistente Politiken umkehren und mit den Medien zusammenarbeiten, um mit den BürgerInnen zu kommunizieren.
  • Die Regierung muss rechtsverbindliche politische Maßnahmen ergreifen, um die CO2-Emissionen bis 2025 auf Null sowie den Konsum zu senken.
  • Eine nationale BürgerInnenversammlung, die die Veränderungen im Rahmen der Schaffung einer zweckmäßigen Demokratie überwacht.

Trotz des Slogans, der üblicherweise mit XR in Verbindung
gebracht wird, „System Change Not Climate Change!“, gibt es nichts, was eine
Änderung des Systems vorsieht, sei es sozial, politisch oder wirtschaftlich.
Die AkteurInnen des Wandels sollen die Regierung und die Medien sein, zwei der
am stärksten diskreditierten Institutionen und Unterstützer der Großfinanz. Und
ohne die Forderung nach Enteignung der fossilen Brennstoff-, Transport- und
Fertigungsindustrie liegt es in den Händen privater Unternehmen, Dinge auch wirklich
umzusetzen – oder eben nicht.

Die BürgerInnenversammlung, die sie als eine aus 100 – 1.000
zufällig ausgewählten Personen beschreiben, die monatelang und jahrelang
beraten, die Daten und Argumente von WissenschaftlerInnen durchgehen und
diskutieren soll, soll gegenüber der Regierung souverän sein.

Dies ist schon in einem Land utopisch, geschweige denn
global. Aber es ist auch höchst undemokratisch. Es entzieht der gewählten
Regierung einerseits die Macht, während es andererseits der Bevölkerung ein
Mitspracherecht bei seinen Entscheidungen und Methoden verweigert. Die Wahl von
100, 1000 oder irgendeiner anderer Zahl beliebiger Menschen ist in Wirklichkeit
noch undemokratischer als die Wahl eines bürgerlichen Parlaments. XR scheint eine
unverbindliche Konsultationsübung vorzusehen, wie es sie in einigen
bürgerlichen Demokratien ohnedies gibt. So konnte die irische Regierung
problemlos für das Referendum über die gleichgeschlechtliche Ehe eine solche
„Versammlung“ organisieren.

XR ist also weder antikapitalistisch noch sozialistisch.
Ihre Schlagkraft hängt von den aufschrecken lassenden wissenschaftlichen
Schlussfolgerungen ab. Zum Beispiel die Forderung, die CO2-Emissionen in nur sechs Jahren
auf Null zu senken. Ebenso leitet XR seinen Namen von der 6. historischen
Aussterbewellen (Faunenschnitten, Extinktionen) des Holozäns (gegenwärtiger
Zeitabschnitt der Erdgeschichte) her. Es heißt, dass es fünf globale Ereignisse
gegeben hat, die hauptsächlich mit dem Klimawandel zusammenhängen, die jedes
Mal 70–80 Prozent der Arten auf dem Planeten vernichtet haben, was bedeutet,
dass einige größere Kreaturen wie Dinosaurier, Wollhaarmammuts usw.
verschwunden sind. XR glauben, dass wir auf dem Scheitelpunkt zur sechsten
Welle stehen oder diese bereits begonnen habe.

Sozialismus

Auch wenn man diese Schlussfolgerungen von XR nicht teilt,
so wissen wir, dass die Angelegenheit dringend ist und katastrophal sein kann. Aber
die politischen Ziele und Kampfmethoden von XR sind unzureichend.

Es ist, wie auch viele Jugendliche glauben, das
kapitalistische System, das wir bekämpfen müssen. Solange sich die
Weltwirtschaft in den Händen konkurrierender kapitalistischer Blöcke befindet,
wird keine internationale Zusammenarbeit beim Klimawandel möglich sein. Wir
müssen die großen Energie-, Verkehrs- und Verschmutzungsindustrien enteignen
und übernehmen, ihre technischen Befugnisse und Vermögenswerte zusammenführen,
um den Übergang zur nachhaltigen Produktion zu beschleunigen, ja überhaupt erst
zu ermöglichen.

Um dies zu erreichen, müssen wir uns nicht auf mutige – aber
notwendigerweise privilegierte – Personen verlassen, die die Polizeiwagen, die
Gerichte und schließlich die Gefängnisse verstopfen. Das Problem bei diesem
Ansatz besteht darin, dass er die Möglichkeit, sich wirklich zentral zu
engagieren, auf diejenigen beschränkt, die es sich am ehesten leisten können,
verhaftet zu werden, d. h. StudentInnen, AkademikerInnen und andere
Mittelstandsberufe, Weiße. Während andere zwar mitmachen können, sind sie
notwendigerweise immer peripher zu den KernaktivistInnen, den „arrestables“
(Verhaftbaren), wie sie genannt werden.

Das Problem wurde aufgezeigt, als das videoaktivistische
Kollektiv Reel News einen Film veröffentlichte, in dem eine schwarze Frau, die
vorbeikam, von der Polizei zu Boden gestoßen wurde, die sie dann verhaftete.
Nachdem sie betäubt und fixiert worden waren, kamen XR-AktivistInnen zu ihrer
Rettung und erwirkten die Freinahme der Frau. Aber die unterschiedliche
Feindseligkeit, die einer schwarze Frau im Gegensatz zu weißen AktivistInnen
entgegengebracht wurde, zeigt die Grenzen dieses Protestmodells auf, sich zu
einer Massenbewegung zu entwickeln, die all jene in der Gesellschaft anzieht,
die unter dem Klimawandel wahrscheinlich am meisten leiden.

Deshalb fordern die SozialistInnen massenhafte, kollektive
Aktionsformen, die den Kern der destruktiven Tendenzen des Kapitalismus
treffen: Streiks, Besetzungen, Massendemonstrationen. Die Polizei wird nicht so
geneigt sein, solche Aktionen mit Samthandschuhen und Humor zu behandeln – aber
diese können organisiert und kollektiv verteidigt werden.

Die Bewegung wird auch entscheiden müssen, was wichtiger
ist: effektives Handeln oder Gewaltlosigkeit als Prinzip. ArbeiterInnen und
Unterdrückte haben diese Entscheidung im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte
immer wieder getroffen, und XR hat nicht Recht, wenn es heißt, dass
Gewaltlosigkeit als das „versuchte und erprobte“ Siegermodell herauskommt.

Vielmehr ist es die Macht der ArbeiterInnenklasse, der
städtischen und ländlichen Armen, derjenigen, die am stärksten vom Klimawandel
betroffen sind, die die Prioritäten der Gesellschaft schnell ändern können! Weg
vom Profit und hin zur Produktion gemäß gesellschaftlicher Bedürfnisse. Diese
können sie nur durch eine sozialistische Revolution erreichen.