Bewegungslinke in der Linkspartei: Auf zu neuen Ufern?

Tobi Hansen, Neue Internationale 237, Mai 2019

Zum Europaparteitag der Linkspartei ist eine neue Strömung gegründet worden, die den Anspruch hat, links zu sein. Zumindest innerhalb der Partei wird sie auf dem linken Flügel verortet.  „Bewegungslinke“ nennt sich diese. Im Frühjahr 2018 fand das erste Arbeitstreffen statt, nun folgt die flächendeckende Organisierung in der Partei.

In diesem
Zusammenschluss ist z. B. marx 21 aktiv, aber es sind auch viele GenossInnen
der „Sozialistischen Linken“ (SL) dabei, welche dem „Aufstehen“-Lager nicht
folgen wollten, manche gewerkschaftlich Aktive wie auch Personen, die der
Interventionistischen Linken (IL) oder akademischen StichwortgeberInnen
„popularer Klassenbündnisse“ (Thomas Goes/Violetta Bock) zuzuordnen sind. Diese
Potpourri umfasst also eine bunte Mischung dessen, was sich als „links“ in der
Linkspartei versteht.

Ziele

Nachdem mit
„Aufstehen“ eine sog. „Sammlungsbewegung“ innerhalb und außerhalb der Partei
zur Zeit den Weg in die Selbstdemontage beschreitet, gründet sich nun eine
„Bewegungslinke“, die zumindest behauptet, dass sie die bestehende Partei
ändern möchte. Ähnlich wie bei „Aufstehen“ wird der Zusammenhang von
Klassenpolitik und Migration als ein „Gründungsgrund“ benannt, nur im Gegenteil
zu Lafontaine/Wagenknecht eben nicht mit einer offen sozialchauvinistischen
Ausrichtung:

„Wir sind keine
klassische Parteiströmung wie andere, sondern eine übergreifende
Erneuerungsbewegung der LINKEN für bewegungs- und klassenorientierte Politik.
Wir wollen eine politische Kultur stärken, die solidarisch ist und Lust aufs
Mitmachen macht. Vorschläge für eine klassenpolitische Praxis erarbeiten und
selbst ausprobieren. Mit denen ins Gespräch kommen, die das auch wollen. (…)

Für uns stellt sich deshalb die Frage, wie eine auf den Aufbau von Klassenmacht zielende Politik, die nicht an nationalen Grenzen halt machen und rassistische und sexistische Unterdrückung nicht als Nebenwidersprüche vernachlässigen will, heute nicht nur gedacht, sondern auch praktisch umgesetzt werden kann.“ (https://bewegungslinke.org/wp-content/uploads/2014/09/Diskussionsgrundlage.pdf)

Der 2. Absatz
des Zitats stellt ein löbliches Ziel dar, dem wir nicht widersprechen wollen.
Immerhin bezieht sich die „Erneuerungsbewegung“ positiv auf „Basics“ der
Klassenpolitik und versucht diese im Gegensatz zu „Aufstehen“ auch zu
artikulieren. Die Crux in einer reformistischen Partei mit aktueller
Regierungsbeteiligung in drei Bundesländern bleibt aber, dass die wohlgemeinten
Worte, wie auch nicht minder wohl gemeinte Änderungswünsche im Widerspruch zu
ihrer politischen Realität stehen.

Wie das Programm
und die Praxis verändert werden sollen, ob und wie dazu mit anderen linken
Strömungen wie der „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) zusammengearbeitet wird,
darüber finden wir freilich wenig. Stattdessen soll „Organizing“ helfen, diese
Partei in der Klasse zu verankern und somit ihren parlamentarisch fixierten
Charakter zu verändern. Das langfristige Ziel der Erneuerung wird wie folgt
benannt:

„So könnte aus der LINKEN gleichzeitig Bewegungspartei, wirkungsvolle Opposition und antikapitalistische Gestaltungskraft werden, die durch Reformkämpfe die Macht und das Selbstvertrauen der Vielen vergrößert. Eine politische Kraft, die um Hegemonie in der Gesellschaft kämpft, indem sie ihre Radikalität und Nützlichkeit im Alltag beweist.“ (Ebenda)

Zauberwort

Warum die Partei
trotz zahlreicher Absichterklärungen bislang nicht zu einer „Bewegungspartei“
wurde, was sie daran hindert, bleibt jedoch außen vor. Stattdessen wird das
Zauberwort „Organizing“ ständig beschworen – eine inhaltliche
politisch-strategische Antwort oder Alternative zum praktizierten und
programmatisch kodifizierten Reformismus und Parlamentarismus der Linkspartei
stellt dies aber nicht dar.

Es wird jedoch
suggeriert, dass Programm, Praxis und politische Ausrichtung der Linkspartei
bloß durch aktivistischere Rekrutierung und einen aktiveren Zugang zu
Bewegungen prozesshaft geändert werden könnten. Der Reformismus der Linkspartei
wird nicht als eine politische Strategie und eine Form bürgerlicher
ArbeiterInnenpolitik begriffen, sondern erscheint bloß als Mangel an
„Organizing“, verbindender Netzwerkerei und Aktivismus.

Daher wird die
Frage, mit welchen Forderungen und BündnispartnerInnen (z. B. AktivistInnen von
„Seebrücke“, von antirassistischen Initiativen und Vereinen) gegen den
staatlicher Rassismus der Landesregierungen anzukämpfen wäre, erst gar nicht
gestellt. Trotz mancher direkten Formulierung wie „für offene Grenzen im
Programm“ finden wir wenig darüber, wie in der Praxis Sozialchauvinismus und
Standortpolitik in der Linkspartei angegriffen werden müssen. Kein Wunder, denn
schließlich würde das unvermeidlich die Frage aufwerfen, ob die Linkspartei
überhaupt zur viel beschworenen „Bewegungspartei“ werden kann oder nicht
vielmehr ein politischer Bruch mit dem Reformismus notwendig wäre.

Welcher
Antikapitalismus?

Stattdessen
finden wir linksreformistische oder linkspopulistisches Schlagwörter wie
„sozialistische Demokratie“ oder „populare Klassenpolitik und Bündnisse“ –
weniger Sitzungen, mehr Aktionen, heißt es im Gründungsaufruf zuspitzend. In
dessen längerer Version, welche etwas versteckt auf der Webseite vorhanden ist,
heißt es zur Regierungsbeteiligung:

„Dabei eint uns eine skeptische und kritische Haltung zu linker Regierungsbeteiligung und die Erfahrungen auf Länderebene bestärken uns darin. Wir wissen aber auch, dass wir die Macht übernehmen müssen, um die Welt zu verändern.“ (https://bewegungslinke.org/wp-content/uploads/2014/09/Diskussionsgrundlage.pdf)

In Abgrenzung
zum bürgerlichen Parlamentarismus wäre dann doch die Frage, wie und wodurch
übernehmen „wir“ die Macht? Hat die Bewegungslinke einen revolutionären
Anspruch oder verstecken „wir“ uns hinter Begrifflichkeiten wie Transformation,
Reformkämpfe und Gegenhegemonie? Dieser Verzicht auf Klarheit wäre allenfalls
„klassischer“ Zentrismus, das Schwanken zwischen Reform und Revolution. Statt
ein klares Programm und eine strategische Zielsetzung in die Klasse oder in
„Bewegungen“ hineinzutragen, finden wir ein Potpourri zentristischer und
postmoderner Visionen für die zu führenden antikapitalistischen Kämpfe.

„Ein Projekt,
das Mehrheiten erreichen will, ohne dabei seine Seele zu verleugnen. Ein
bündnisfähiges Projekt solidarischer Gegenhegemonie, tief verankert in den
arbeitenden Klassen.

Solch ein
Projekt ist unser mittelfristiges strategisches Ziel als LINKE. Wir wollen
gemeinsam mit den unteren und mittleren Klassen ein fortschrittliches soziales
und ökologisches Transformationsprojekt entwickeln – ein populares
Unten-Mitte-Bündnis.

Statt dieses
Kapitalismus‘ wollen wir eine Gesellschaft, in der die Ausbeutung des Menschen
durch den Menschen abgeschafft ist; eine Gesellschaft, in der kein Mensch sich
vor einem anderen bücken muss und in der die Sorge um Kinder, Kranke und Alte
genauso viel wert ist wie jede andere Arbeit.

Wir wollen eine
sozialistische Demokratie, in der die BürgerInnen selbst bestimmen, in der ihre
Sichtweisen und Interessen nicht mit Füßen getreten werden. Deshalb müssen
unsere Parlamente in neue Einrichtungen direkter Räte-Demokratie eingebettet
werden. Ein System, in dem die Menschen regieren und die Regierung gehorcht und
folgt.“

(https://bewegungslinke.org/wp-content/uploads/2014/09/2018_Diskussionsgrundlage_Solidarit%C3%A4t-ist-unteilbar_E1.pdf)

Illusion

Hier geht das
politische Potpourri munter weiter. Das „Transformationsprojekt“ soll in ein
System münden, das „unsere“ bürgerlichen Parlamente in eine „neue“
Räte-Demokratie einbettet. Hier ging so mancher Kautsky verloren oder wird von
Noske auf dem Weg zur „Einbettung“ der Räte erschossen. Zumindest waren das die
Lehren der letzten Novemberrevolution. Das Projekt der USPD und des
Kautskyianismus, bürgerliche Demokratie und Rätedemokratie zu kombinieren,
entpuppte sich als Illusion und politisches Verwirrspiel, das scheitern musste,
weil zwei antagonistische Klassen respektive deren (potentielle)
Herrschaftsorgane nicht gleichzeitig herrschen können. Die Räte mussten der
„Demokratie“ weichen. Statt Herrschaft des Proletariats erfolgte die Festigung
der konterrevolutionären Bourgeoismacht.

Daran ändert
auch der Begriff „Gegenhegemonie“ der akademischen Linken herzlich wenig. Hier
werden idealistische Demokratieillusionen – namentlich die Leugnung des
Klassencharakters der bürgerlichen Demokratie – mit Begriffen der
ArbeiterInnendemokratie, der Räteherrschaft vermengt. Das ist nicht
zielführend, sondern politisch gefährlich.

Wessen
Herrschaft?

Entweder
herrscht die ArbeiterInnenklasse und übt ihre Diktatur vermittelt durch die
Räte aus – nämlich zur Unterdrückung von Kapital und Konterrevolution – oder
eben nicht. In der Frage unklar, verschwommen und letztlich irreführend zu
agieren ist vielen angeblichen „AntikapitalistInnen“ in der Linkspartei eigen.
Eine sozialistische, revolutionäre Perspektive und Strategie stellt das jedoch
nicht dar.

Der Zusammenhang
zwischen „Menschen regieren“ und die „Regierung gehorcht und folgt“ bringt auch
vieles durcheinander. Statt mit solchen Allerweltsphrasen aus den Lehrbüchern
der bürgerlichen demokratischen Herrschaft hausieren zu gehen, sollte vielmehr
klar ausgesprochen werden, wessen Macht gebrochen werden muss, damit „Menschen“
eine Regierung ohne die Bourgeoise bilden können. Das populare
„Unten-Mitte“-Bündnis hört sich erst mal nicht nach „Volksfront von unten“,
also eine klassenübergreifende Politik von unten an, ist aber de facto nichts
anderes. Hier muss dann auch klar formuliert werden, was denn unter
„Unten-Mitte“ verstanden wird und welche Politik ein solches Bündnis umsetzen
soll, bzw. was vorgeschlagen wird, um z. B. Mittelschichten für den Kampf der
ArbeiterInnenklasse zu gewinnen. Auch das wird mit neuen akademischen Formeln
wie „populares“ Bündnis umgangen.

Bei den
Wagenknecht-AnhängerInnen wird die „Bewegungslinke“ erst mal parteiintern im
„Verdacht“ stehen, dem Vorstand zu folgen. Und damit liegen die PopulistInnen
nicht einmal falsch.

Strömung für
oder gegen den Vorstand?

Schließlich
praktiziert die „Bewegungslinke“ real den Schulterschluss mit Kipping und
Riexinger, präsentiert sich als deren linke Ratgeberin und eben nicht als
kämpferische Alternative Dafür bräuchte es nämlich ein klares sozialistisches
Programm, nicht allein für die BRD, sondern auch für Europa, damit man der
reformistischen Regierungsrealität auch was entgegensetzen, worum man einen
realen linken Bruch in der Partei organisieren könnte. Aber darum geht es den
InitiatorInnen weniger. Trotz mancher Veränderungswünsche soll hier vor allem
das „eigene“ Bild von einer Linkspartei gezeichnet werden, die nur noch in die
richtige Richtung Bewegung werden müsse.

Wenn die
„Bewegungslinke“ sich nicht gegen diese faktische Unterordnung unter den
Linksreformismus organisiert und mit dem reformistischen Programm der
Linkspartei bricht, wird daraus nur eine weitere zahnlose Strömung, die sich
kämpferisch präsentiert, aber weder an Programm noch Praxis etwas ändert.
Schlimmer noch, sie präsentiert sich als „kritische“ Unterstützung einer
Parteiführung, die letztlich noch immer auf Rot-Rot-Grün auf Bundesebene hofft.