Polizeiangriff auf MieterInnendemo in Stuttgart – Erinnerungen an den „Schwarzen Donnerstag“ werden wach

Martin Eickhoff, Infomail 1050, 10. April 2019

Der „Schwarze Donnerstag“ 2010 ist vielen StuttgarterInnen
bis heute in trauriger Erinnerung. Bei einem brutalen Polizeiansatz gegen eine
Protestkundgebung im Schlossgarten, die sich gegen das Wahnsinnsprojekt
„Stuttgart 21“ richtete, verlor damals ein Demonstrant das Augenlicht. Viele
andere, die gegen das Prestigeprojekt und Milliardengrab damals auf die Straße
gingen, wurden schwer verletzt. Am 6. April 2019 griffen die Einsatzkräfte
wieder abziehende TeilnehmerInnen, diesmal der Protestaktion gegen hohe
Mietpreise an – und verletzten dabei mehr als 50 Menschen.

Erneut zeigte also die Stadt Stuttgart, dass sie auch unter
dem grünen Oberbürgermeister Kuhn vor brutaler Repression nicht zurückschreckt
und so hofft, eine wachsende Bewegung einzuschüchtern.

Wie in vielen anderen Städten war die Aktion nämlich auch in
der baden-württembergischen Landeshauptstadt ein großer Erfolg. Am Samstag, dem
6. April, gingen etwa 5.000 Menschen unter dem Motto „Mieten runter!“ auf die
Straße. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus mehr als 30 Organisationen –
darunter neben MieterInneninitiativen, Sozialverbänden, HausbesetzerInnen auch
Parteien wie DIE LINKE oder die DKP. Dass sich auch VertreterInnen der Grünen
vor Ort zeigten, wurde mit deutlichen Missfallensäußerungen seitens der TeilnehmerInnen
quittiert. Kein Wunder – schließlich trägt diese als regierende Partei in Stadt
und Land Mitschuld an der katastrophalen Wohnungspolitik und hat auch gegen die
Hausbesetzung in der Forststraße 140 Stimmung gemacht.

An dieser wichtigen Kundgebung beteiligten sich auch GenossInnen
der Gruppe ArbeiterInnenmacht und der Jugendorganisation Revolution und machten
auch ihre angehende Veranstaltung am 23. April, auf der über revolutionäre
Perspektiven in der Wohnungspolitik diskutiert werden soll, vielen
interessierten Menschen bekannt.

Noch kurz vor Demobeginn begann der ehemalige stellvertretende
Landesvorsitzende der rechten AfD und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechter
junge Menschen in üblicher Manier zu provozieren. Doch nach kurzem Hin und Her
musste er frustriert im Taxi den Rückzug antreten, so dass der große Zug der
DemonstrantInnen pünktlich loslaufen konnte. Neben Demosprüchen und kurzen
Redebeiträgen wurde das Programm immer wieder von der Heute-Show-Kabarettistin
Christine Prayon, der Ska-Band No Sports und dem Freestyle-Rap-Duo Toba &
Pheel bereichert. Der bekannte Stuttgarter Kolumnist Joe Bauer führte mit viel
Witz und Unterhaltung durch den Lauf der Demonstration durch das
Heusteigviertel.

Als der Demozug an einem Büro des Immobilienspekulanten
Vonovia vorbeizog, wurde dieses aus dem Block heraus mit roter Farbe ein wenig
verschönert und von einem gegenüberliegenden Parkhaus ein Transparent herunter
gelassen, um die BewohnerInnen der Heusteigstraße auf die skandalösen
Machenschaften der Immobilienhaie aufmerksam zu machen. Dabei wurden
AktivistInnen umgehend von den Bullen bedrängt, die mit Pfefferspray auf diese
DemoteilnehmerInnen losgingen.

Angriff am Ende der Demonstration

Nach Abschluss der Endkundgebung und Auflösung der
Versammlung machte sich eine Gruppe Menschen in der Böblinger Straße auf den
Weg Richtung Heslach. Dabei versperrte die Polizei den DemonstrantInnen den Weg
und setzte ohne ernsthafte Gefahr völlig unverhältnismäßig wiederholt massiv
Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Dabei wurden viele durch das z. T. aus
nächster Nähe eingesetzte Reizgas verletzt. Die Demosanitätsgruppe Süd-West
berichtete von fast 60 Behandlungen, davon über 50 Verletzten durch
Pfefferspray, 2 chirurgischen Verletzungen durch Schlagstockeinsatz und 2 internistischen
Notversorgungen.

Jedoch ließen sich die mutigen DemonstrantInnen nicht von
dem Bullenterror einschüchtern und so wurde etwa eine Stunde nach der
Abschlusskundgebung das seit langem leerstehende Hofbräu-Areal in der Böblinger
Straße 104 kurzzeitig symbolisch besetzt. Die Bauten auf dem Gelände sollen
abgerissen werden und der Aldikonzern will dort 50 Luxuswohnungen bauen,
während immer mehr Menschen auch in Stuttgart auf Wartelisten für
Sozialwohnungen stehen. Dies scheint aber die grüne Mehrheit im Gemeinderat
nicht groß zu interessierten. Auch in Stuttgart sind die Grünen offenkundig zur
Partei der Besserverdienenden geworden.

Ein Polizeisprecher versuchte am Montag, die
Pfefferspray-Attacken damit zu rechtfertigen, man habe eine drohende
Hausbesetzung verhindern wollen, auch durch Einsatz von Pfefferspray.

Viele Stuttgarter BürgerInnen fühlten sich unweigerlich an
die Vorkommnisse des sogenannten Schwarzen Donnerstags erinnert, als am 30.
September 2010 im Schlossgarten Wasserwerfer und Pfefferspray gegen
DemonstrantInnen eingesetzt wurden. Damals wurden Hunderte verletzt, die gegen
S21 protestierten, darunter auch Kinder. Ein Mensch wurde damals so stark von
einem Wasserwerfer getroffen, dass er in dessen Folge sein Augenlicht verlor.

Wie damals gilt auch heute: Von der Repression dürfen wir
uns nicht einschüchtern lassen. Wir brauchen dagegen solidarische und
kollektive Gegenwehr, indem wir eine Bewegung von MieterInnen und
HausbesetzerInnen aufbauen, die eng mit der ArbeiterInnenbewegung, vor allem
mit den Gewerkschaften verbunden ist.

Wir fordern die.

  • restlose Aufklärung der Polizeigewalt im Rahmen der Demo am 6. April und eine öffentliche Untersuchung durch die MieterInnenbewegung!
  • Niederschlagung aller Verfahren und Ermittlungen gegen BesetzerInnen und DemonstrantInnen
  • Schluss mit der Diskriminierung von HausbesetzerInnen und Besetzungsaktionen
  • ein umfangreiches soziales Wohnungsbauprojekt in der Stadt Stuttgart unter Kontrolle der ArbeiterInnen und MieterInnen!
  • Entschädigungslose Enteignungen aller privaten Immobiliengesellschaften!