Wagenknechts Rückzug – Linkspopulismus am Ende?

Tobi Hansen, Neue Internationale 236, April 2019

Offiziell begründete Fraktionschefin Wagenknecht ihren
Rückzug aus dem „Aufstehen“-Vorstand gesundheitlich. Eine zwei Monate
andauernde Krankheit hätte ihr Grenzen aufgezeigt, an die sie nicht mehr stoßen
wolle. Ein politischer Mensch wolle sie bleiben und weiter für ihre
Überzeugungen eintreten – natürlich unter Beibehaltung ihres Mandats.

Der Rückzug

Darüber sprach sie wenige Tage später bei „Anne Will“ mit
dem Fokus auf jene Beschäftigten, die sich eben wegen Überlastung, Stress und
Burnout nicht einfach von einem Job zurückziehen können. Schließlich haben
diese weder Mandat noch Vermögen, so dass sie sich einen „Rückzug“ einfach
nicht leisten können. Seitdem war Frau Wagenknecht recht präsent in den
bürgerlichen Medien. Bei der „Welt“ oder beim „Stern“ teilte sie vor allem
gegen den aktuellen Vorstand aus, setzte de facto ihren Kampf medial fort.
Hauptpunkt von Wagenknechts Angriff auf den Vorstand war der vorgebliche
Unterschied in der Zielgruppe der Linkspartei:

„Es gibt zwei Konzepte linker Politik. Entweder man
konzentriert sich auf die akademisch geprägten großstädtischen Milieus – den
Weg ist die Parteiführung in den letzten Jahren gegangen. Oder man bemüht sich
um die abstiegsbedrohte Mittelschicht und die Ärmeren.“

Wagenknecht weiter: „Eine Linke, die von den Menschen, denen der Raubtierkapitalismus am übelsten mitspielt, nicht mehr gewählt wird, hat ihre Seele verloren.“ (https://www.stern.de/politik/ deutschland/sahra-wagenknecht-im-stern—politik-ist-eine-schlangengrube–8628780.html)

Bislang folgte nur Sevim Dagdelen ihrer Verlautbarung, für
führende Funktionen der Fraktion nicht mehr zu kandidieren. Ansonsten bleiben
Rücktrittsankündigungen auch aus dem Wagenknecht-Lager aus. Der Parteivorstand
hält sich bislang eher zurück. Während Riexinger noch auf Wahlkampfauftritte
von Wagenknecht 2019 hofft, wird inhaltlich nicht weiter geantwortet.
Offenkundig setzt man darauf, dass sich der Streit um die von Wagenknecht und
Co. forcierte linkspopulistische Neuausrichtung mit ihrem Rückzug von selbst
erledigt.

Eine wirkliche inhaltliche Debatte will schließlich auch die
derzeitige Führung nicht. Sie käme nur zu leicht in Bedrängnis angesichts der
Tatsache, dass man sich die „offenen Grenzen“ auf die Fahne schreibt, während
die Landesregierungen in Berlin, Brandenburg und Thüringen weiter fleißig
abschieben und den staatlichen Rassismus umsetzen. Ähnliche Doppelbödigkeit
gilt bekanntlich für die Frage des Braunkohleausstiegs oder verschärfter Polizeigesetze
wie jüngst in Brandenburg.

Bei der Frage der „Milieus“ ist bezeichnend, dass die
Lohnabhängigen im Konflikt zwischen Wagenknecht und dem Vorstand kaum erwähnt
werden. Er erscheint eher als Stadt-Land-Konflikt nach dem Motto: hier die
„Hipster-Linke“ Kipping und dort Wagenknecht, die sich um die Rentnerin vom
Dorf kümmert.

Ungelöst

Das wesentliche Problem der Linkspartei wird von beiden
reformistischen Führungscliquen nicht gelöst – sie hat keine Alternative zum
Kapitalismus und zum „Mitregieren“. Dabei haben von Letzterem weder die
„großstädtischen Milieus“ noch die „abstiegsbedrohte Mittelschicht und die
Armen“ Nutzen ziehen können. Im Gegenteil, die Mitverwaltung des Kapitalismus
durch die Linkspartei unterscheidet sich praktisch nicht von jener der SPD oder
der Grünen.

Als „Lösung“ wollte Wagenknecht mit der Sammlungsbewegung
„Aufstehen“ die gesellschaftlichen Mehrheiten kippen. Die Bewegung sollte Druck
auf die Linkspartei machen und zugleich eine rot-rot-grüne Bundesregierung
vorbereiten, indem „Stimmung“ für eine andere Politik mit Wagenknecht als
Galionsfigur gemacht würde. Viele derjenigen, die ihr per Mail und „sozialen
Medien“ folgten, sahen in Wagenknecht immer noch die „linke“ Alternative zum
Vorstand, diejenige, die wirklich SPD und Grüne angreife, die anstelle von
Agenda 2010 und Hartz IV eine „wirklich soziale“ Politik setzen würde.

Mit „Aufstehen“ sollten nicht nur die Ausrichtung und
Kräfteverhältnisse in der Linkspartei verändert werden, auch die gescheiterte
Politik der Sozialdemokratie, den Kapitalismus zu zügeln, die Marktwirtschaft
sozial auszugestalten, wurde wieder aufgelegt.

„Aufstehen“ vor der Implosion

Mit ihrer „Sammlungsbewegung“, dem 170.000 Personen umfassenden Mailverteiler und einem „professionellen“ Trägerverein von „Aufstehen“ wollte Wagenknecht sich eben um die abstiegsbedrohten Mittelschichten und die Ärmeren kümmern.Aber auch dort trat sie aus dem politischen Vorstand zurück. Als Reaktion darauf sind jetzt erst mal alle Führungsmitglieder, die nicht in der Linkspartei waren, ausgetreten. Der Ex-SPD-Bundestagsabgeordnete Bülow versucht sich mit einer „Aktionsplattform“, während der Grüne Volmer zum Hintergrund des permanenten Konflikts zwischen dem Vorstand und dem Trägerverein kundtat, dass es eine Kontroverse gegeben habe, „ob Aufstehen eine sich von unten frei entfaltende, parteiunabhängige Bewegung mit offener strategischer Zielsetzung oder eine politische Vorfeldorganisation einer bestimmten Strömung der Partei Die Linke sein sollte.“  (www.taz.de/!5582420/)

Den Trägerverein leitet weiterhin Dramaturg Bernd Stegemann.
Hier sammelt sich Geld und Einfluss und hier sollte wohl beschlossen werden,
was man in der Linkspartei nicht durchsetzen konnte, nämlich die Forderung nach
„offenen Grenzen“ zu streichen. Dementsprechend handelte der Trägerverein auch
als politische Führung. Die Benennung eines politischen Vorstands Anfang des
Jahres entsprach eher dem Versuch, überhaupt eine vom Verein formal unabhängige
Spitze der Bewegung nach außen präsentieren zu können, die nicht nur aus
„PrätorianerInnen“ und „Fans“ der Wagenknecht bestanden.

Verein wie Sammlungsbewegung dienten beide auch und vor
allem als Fußtruppen für Wagenknecht und Lafontaine. Dass dies besonders
parteipolitisch motiviert ist in Bezug auf die Linkspartei, wurde spätestens
klar, als Wagenknecht offiziell die #unteilbar-Demonstration im Herbst 2018
ablehnte. Während mit Volmer und SPDlerInnen wie Hudson Berlin zumindest als
„Aufstehen“ repräsentiert war, wollte die Galionsfigur der „Sammlungsbewegung“
nichts mit den 240.000 auf der Straße zu tun haben. Offiziell wurde dies damit
begründet, dass sich die Demonstration faktisch für „offene Grenzen“
ausgesprochen hätte, was leider im #unteilbar-Aufruf gar nicht gefordert worden
war. Garniert wurde das mit kruden nationalistischen Theorien über offene
Grenzen, das Finanzkapital, und dass Soros die ganze Geflüchtetenbewegung über
NGOs anheize oder gar steuere.

Ob Wagenknecht solche Theorien teilt, ist nicht bekannt. Bei
Herrn Stegemann besteht in jedem Fall ein Nahverhältnis zu solchen reaktionären
Positionen. In seinem aktuellen Buch „Die Moralfalle – für eine Befreiung
linker Politik“ bekennt er sich nicht nur zur „guten, alten“
sozialdemokratischen Wohlfahrtspolitik, sondern auch dazu, dass ein Teil der
ArbeiterInnenklasse, nämlich MigrantInnen und Geflüchtete, von ihr ausgegrenzt
wird. Offene Grenzen und mangelnde Integration der Geflüchteten gefährdeten
diesen „hochdifferenzierten Wohlfahrtsstaat“, ja machten ihn de facto
unmöglich.

Klassenbegriff?

Gleichzeitig wird beklagt, dass der „Klassenbegriff“
beschädigt worden sei und niemand mehr eine „soziale Idee“ hätte – außer
vielleicht Frau Wagenknecht, für die die ArbeiterInnenklasse in erster Linie
eine nationale Klasse darstellt. Es mutet schon obskur an, wenn eine Strömung
wie „Aufstehen“, die sich von der Klassenpolitik Richtung Populismus
verabschiedet, die „Beschädigung“ eines Klassenbegriffes beklagt, den sie
längst an der Garderobe zur Populismusbühne abgelegt hat.

Natürlich ist „Aufstehen“ nicht wegen Wagenknecht und nicht
wegen des Dualismus von Verein und Vorstand zerbrochen. Das Projekt scheiterte
sicherlich auch an einer guten Dosis Dilettantismus, wie sich an den kläglichen
Mobilisierungen ablesen ließ.

„Aufstehen“ hat keine einzige Initiative gestartet, kaum
eine Mobilisierung zu Stande gebracht, die nur annähernd an die Größe ihrer
Maillisten herangekommen wäre. Außerhalb von Talkshows und Saalveranstaltungen
fand die „Bewegung“ nicht statt. Ein Aktionstag der Friedensbewegung wurde zwar
gekapert, nicht zuletzt, weil viele „Friedensbewegte“ der Linkspartei bei
„Aufstehen“ waren. Bei einer zentralen Kundgebung mit Sahra Wagenknecht
versammelten sich gerade 1.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor und der
„Buntwesten“-Aktionstag riss bundesweit keine 5.000 vom Hocker.

Währenddessen gingen Hunderttausende bei „Friday for Future“
oder den Warnstreiks im öffentlichen Dienst auf die Straße – hier spielte
„Aufstehen“ keine Rolle. In Karlsruhe entscheiden RichterInnen über die Frage
der Hartz-IV-Sanktionen, die Millionen in Armut getrieben haben, und wo ist
„Aufstehen“? Aktuell gibt es eine Online-Fragestunde mit der Tante Sahra, wie
auch das „Team Sahra“ wieder verstärkt in den virtuellen Vordergrund rückt.

Im Hintergrund sprach Lafontaine vor einiger Zeit noch über
die möglichen wahltechnischen Ambitionen von „Aufstehen“ z. B. zur EU-Wahl,
diese seien aber erst mal ad acta gelegt. Schließlich wolle man keine „Spaltung
der Linken“.

In Wirklichkeit wollten Lafontaine und Wagenknecht mit
„Aufstehen“ ein Mittel an die Hand bekommen, das sowohl als Pressure-Group für
die Linkspartei dient wie als mögliches „unabhängiges“ Projekt für den Fall
einer Spaltung. Funktionieren konnte diese natürlich nie als „Bewegung“ oder
„von unten“, sondern es bedurfte immer einer bürokratischen Lenkung von oben
und der Verkörperung der Bewegung in einer unumstrittenen Führungsfigur, eben
in Sahra Wagenknecht. Ohne Star ist daher wohl auch die Luft raus aus dem
Fan-Club. Sicherlich kann „Aufstehen“ weiter vor sich hindümpeln, Karteien verwalten
und so tun, als würde man sich jetzt um die „Basisarbeit“ kümmern. Raus kommt
dabei – unabhängig von den Intentionen etlicher Mitglieder – allenfalls ein
Fanclub, der auf die Rückkehr des Stars wartet, sollte sich Wagenknecht zu
einem Rückzug vom Rückzug entscheiden.

Zukunft?

Ob es dazu kommt oder nicht, hängt in erster Linie von der
Entwicklung der Linkspartei, genauer von deren Abschneiden bei den nächsten
Wahlen ab. Sollten die Europa- und anstehenden Landtagswahlen verloren gehen,
so wird der Vorstand massiv unter Beschuss geraten. Das könnte den Boden für
ein Comeback von Sahra Wagenknecht bereiten – sei es in Form einer
Führungsrolle in der Linkspartei samt politischer Neuausrichtung oder eines
wiederbelebten linkspopulistischen Konkurrenzprojektes.

Die „Realpolitik“ der Linkspartei wird in jedem Fall weiter
Unglaubwürdigkeit, Halbherzigkeit hervorbringen. Die links-reformistischen
Versprechungen von Vorstand und Fraktion werden ihre Grenzen an der
Regierungspolitik in den Bundesländern und dem biederen Parlamentarismus der
Partei finden. Solcherart werden ihre inneren Widersprüche immer wieder den
Boden bereiten, in dem der Linkspopulismus einer Wagenknecht Wurzeln schlagen
konnte.

Die Linke in der Linkspartei müsste dem eigentlich eine
entschieden revolutionäre Politik des Bruchs mit dem Reformismus
entgegenstellen. Genau das tut sie aber seit Jahren nicht. Vielmehr suchte und
sucht sie Allianzen, Kompromisse, Zusammenarbeit mit dem linken Flügel des
Vorstandes und ordnet sich diesem unter, so wie der „linke“ Vorstand die
Realpolitik der Landesregierungen in Berlin, Brandenburg und Thüringen
toleriert oder verteidigt.

Solange die Linke in der Linken selbst keinen Kurs auf einen
revolutionären Bruch mit allen Schattierungen des Reformismus verfolgt, spielt
sie letztlich nur die Rolle einer integrierenden Schein-Opposition. Sie deckt
damit nicht nur den Vorstand politisch, sie erleichtert, ja ermöglicht es erst
einem Linkspopulismus, sich als „echte Opposition“ zum Realo-Kurs des
Parteivorstandes zu inszenieren. Auch mit dem absehbaren Scheitern von
„Aufstehen“ ist daher die Gefahr des Linkspopulismus keineswegs gebannt.