Fridays for Future – Systemwechsel statt Klimawandel!

Jan Hektik, Neue Internationale 236, April 2019

Hunderttausende SchülerInnen streiken und demonstrieren
Freitag für Freitag weltweit gegen die drohenden, katastrophalen Folgen des
Klimawandels. Allein am 15. März, dem bislang größten internationalen
Aktionstag, beteiligte sich über eine Million Jugendliche in mehr als 100
Ländern. Allein in Deutschland hatten rund 300.000 Besseres zu tun, als in die
Schule zu gehen. In zahlreichen anderen europäischen Hauptstädten waren
Zehntausende auf den Beinen: 50.000 in Paris, 30.000 in Brüssel, 25.000 in
Berlin.

Die Dynamik und die Stärken der Bewegung, ihr unglaubliches
Potential liegen auf der Hand. Erstens greift sie ein reales Menschheitsproblem
auf, eine der großen Überlebensfragenfragen des 21. Jahrhunderts. Zweitens
agiert die Bewegung als internationale, grenzübergreifende Kraft.

Entstehung

„Fridays for Future“ entstand um die Aktivistin Greta
Thunberg, die sich sehr medienwirksam gegen den Klimawandel ausgesprochen hat
und PolitikerInnen regelmäßig zum entschiedenen Handeln auffordert. Ihre
Initiative stieß, sicherlich für viele überraschend, weltweit auf Widerhall.
Seit Monaten ist sie ständig angewachsen mit einem vorläufigen Höhepunkt am 15.
März. Weitere bundesweite und internationale Aktionstage sind geplant, der
nächste am 26. April. Außerdem ist für den 27. September ein weltweiter
Generalstreik (Earth Strike) gegen Klimawandel im Gespräch.

Damit übertrifft sie schon jetzt die Bildungsstreikbewegung
vor einigen Jahren, die in Deutschland auf ihrem Höhepunkt 200.000 bis 300.000
SchülerInnen und Studierende mobilisierte.

Die großen Proteste sind von einer starken Neugier und einem
Willen gekennzeichnet, die Welt mit dem Wissen zu verändern, dass es bald zu
spät sein könnte.

Damit bietet sie unglaubliche Potentiale, vor allem, weil
die führenden bürgerlichen PolitikerInnen in der Zwickmühle stecken. Einerseits
sind die Ängste der Fridays-for-Future-Bewegung gut begründet. Nur fanatische
und phantastische Rechte wie Trump oder die AfD können sie als „Klimaschwindel”
oder Panikmache abtun – und zeigen damit einmal mehr, welches Sicherheitsrisiko
diese Leute für die Menschheit darstellen.

Der Mainstream der bürgerlichen Politik hingegen hat
erkannt, dass die Bewegung breit aufgestellt ist, so dass man sie nicht einfach
diffamieren kann. Dabei spielen Kanzlerin Merkel oder Umweltministerin Schulze
ein doppeltes Spiel. Einerseits sehen sie sich gezwungen, sich positiv auf die
Bewegung zu beziehen, andererseits müssen sie aber auch dafür sorgen, dass sie
folgenlos bleibt. Schließlich soll der Klimaschutz die heiligen Profite der
deutschen Energie- und Autoindustrie nicht gefährden. Schließlich sollen die
Kosten für die Klimakatastrophe und etwaige Reparaturmaßnahmen nicht die
Konzerne, sondern die Masse der Bevölkerung zahlen. Nicht die  imperialistischen Mächte, die
HauptverursacherInnen der Umweltprobleme, sondern die ArbeiterInnen, BäuerInnen
und die Länder der sog. „Dritten Welt” sollen die Hauptlast bürgerlicher
„Umweltpolitik” schultern.

Eine Sache für Profis?

So versuchen sich PolitikerInnen wie Angela Merkel oder
Lindner in einem Spagat. Sie lösen das Problem wie folgt: Während sie sich für
die Ziele der Bewegung aussprechen, kritisieren sie das Fernbleiben von der
Schule und versuchen den Protest über die Thematisierung von Nebensachen zu
delegitimieren. So FDP-Vorsitzender Lindner: „Von Kindern und Jugendlichen kann
man aber nicht erwarten, dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das
technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen, das ist eine Sache für
Profis“.

Eine Sache für Profis also, Herr Lindner? Was haben diese
sogenannten Profis denn bitte in Sachen Klimaschutz in den letzten 50 Jahren
erreicht? Nichts! Diese Profis sind entweder nicht fähig oder nicht gewillt,
etwas zu ändern und wir haben keine Zeit mehr, darauf zu warten, dass auch VW
erkennt, dass man auf einem zerstörten Planeten niemanden findet, der Autos
kauft. Wir könnten einen Dreijährigen mit der Lösung dieser Aufgabe beauftragen
und er könnte nicht weniger Sinnvolles zum Klimaschutz beitragen als die
ExpertInnen und Profis des Herrn Lindner!

JedeR RevolutionärIn muss Fridays for Future gegen solche
bevormundenden und herabwürgenden Aussagen verteidigen!

Alleine der mediale Rummel um das „Schule Schwänzen“
verdeutlicht doch, dass der Schulstreik die richtige Entscheidung war. Was sind
ein paar Fehlstunden gegen die drohende Überschwemmung und Verwüstung eines
Großteils der Erdoberfläche? Auch ein Lindner müsste das einsehen. Oder geht es
ihm am Ende gar nicht darum, sondern um die Frage der wirtschaftlichen
Interessen? Betrachten wir seine Aussage noch einmal. Was ist eigentlich dieses
„Ökonomisch Machbare“? Ökonomisch machbar wäre es ja, z. B. durch die
Besteuerung der Reichen, der Industrie, des Großhandels und des Finanzkapitals
– also der HauptverursacherInnen der drohenden Klimakatastrophe – den Ausbau
des öffentlichen Nahverkehrs und des Fernverkehrs auf Schienen voranzutreiben
und deren Benutzung kostenlos zu machen.

Würde man alleine die großen Konzerne und die GroßvermögensbesitzerInnen
massiv besteuern, wären Milliarden und Abermilliarden verfügbar. Solche
Maßnahmen, die sich gegen das Kapital richten, gelten Herrn Lindner als
fleißigem Lobbyisten der Besserverdienenden freilich als „ökonomisch nicht
machbar”. Er ist nicht schlauer als die SchülerInnen, die jeden Freitag auf die
Straße gehen. Er und die gesamte bürgerliche Elite vertreten vielmehr ganz
andere Interessen, nämlich die all jener, die von einem Wirtschaftssystem
profitieren, das die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen zerstört, den
von Menschen verursachten Klimawandel in beängstigendem Tempo voranschreiten
lässt.

Kohlekommission und Konzerninteressen

Und um zu verdeutlichen, dass für die deutsche Regierung die
Interessen des Großkapitals wichtiger sind als die Frage der Umwelt, werfen wir
einen kurzen Blick auf die sog. Kohlekommission. Allein die Bewertungsmaßstäbe
machen schon deutlich, woher der Wind weht. Es werden hier folgende Maßstäbe
nebeneinander angesetzt: „Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit,
Wirtschaftlichkeit (Bezahlbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Energieinfrastruktur,
Planungs- und Rechtssicherheit.)

Das Ding ist jetzt aber Folgendes: Natürlich hat auch die
normale Bevölkerung ein grundsätzliches Interesse an Versorgungssicherheit,
Energieinfrastruktur und einer gewissen Planungs- und Rechtssicherheit. Aber de
facto sind dies alles Umschreibungen für die Frage der Wirtschaftlichkeit (=
Gewinnträchtigkeit, Profitabilität) aus Sicht der Konzerne. Die Stromversorgung
der Bevölkerung ist nicht gefährdet, wenn der Stromverbauch der Konzerne
verteuert wird, wenn Subventionen gestrichen werden, erst recht nicht durch
einen geplanten und gezielten Ausstieg aus umweltschädlicher Energieproduktion
(Kohle, Kernkraft). Im Gegenteil, die Wettbewerbsfähigkeit, die zunehmende
Konkurrenz und Marktwirtschaft, der Kampf um Profite führen zu größerer
Unsicherheit der Versorgung – und zugleich zu größerer Umweltunverträglichkeit.

Konkret hat die Kohlekommission den Ausstieg aus der
Braunkohleverstromung für 2 Jahrzehnte „gestreckt”, die Energiekonzerne
großzügig entschädigt – und das mit Zustimmung aller Regierungsparteien, aber
auch von Grünen, FDP und Naturschutzorganisationen wie NaBu und BUND!

Was wird gebraucht?

All diese Beispiele verdeutlichen, dass die Umweltfrage die
nach der Organisation der Wirtschaft aufwirft. Niemand kann leugnen, dass die
Rettung der Umwelt international geschehen muss, keine noch so grüne nationale
Wirtschaftspolitik kann erfolgreich sein. Weiterhin wirft es die Frage auf,
welche Interessen und Bedenken zu berücksichtigen sind. Für die deutsche
Regierung sind dies offensichtlich die Profite der Großkonzerne.

Dies zeigt vor allem eines: auch wenn die Linke sich immer
mehr von Klassenpolitik verabschiedet, die Regierung tut dies nicht! Und eine
Bewegung, welche die Klimakatastrophe stoppen will, muss sich deshalb auf
Klassenpolitik stützen. Die Verantwortlichen werden auf keine Apelle, Bitten
oder Ähnliches reagieren. Klimaschutz muss erkämpft werden – oder er wird nicht
stattfinden!

Hierfür wäre auch ein gemeinsamer Kampf von Fridays for
Future und anderer Umweltbewegungen mit den Gewerkschaften nötig. Um die Macht
der Konzerne zu brechen und eine vernünftige, an den Interessen der Masse der
Bevölkerung orientierte Politik durchzusetzen, braucht es nicht nur
Demonstrationen und befristete Streiks an Schulen und Unis. Wir brauchen
politische Massenstreiks, um die entschädigungslose Enteigung der
Energiekonzerne, der Großindustrie, des Verkehrswesens und anderer zentraler Teile
der Wirtschaft unter ArbeiterInnenkontrolle durchzusetzen. Nur so kann ein
nachhaltiger Plan zur Reorganisation der Produktion im Interesse von Mensch und
Umwelt durchgesetzt werden.

Gleichzeitig kann ein effektiver Klimaschutz nur
stattfinden, wenn auch Alternativen geschaffen werden. Ein ausgebauter
kostenloser öffentlicher Nahverkehr, die Verlagerung der Produktion nach der
Maßgabe, Transportwege zu kürzen, die Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse und
Patente sind notwendige Maßnahmen, dies zu garantieren. Vor allem in der Frage
umweltfreundlicher Produktion ist der Kapitalismus mit seinen Patenten und der
Konkurrenz um Technologie, Marktanteile und Profite ein Hemmnis, welches
verhindert, dass die weltweite Produktion unter den technisch besten und
umweltfreundlichsten Bedingungen stattfinden kann.

Zweifellos muss für Reformen, erste Schritte und
unmittelbare Maßnahmen bereits im Kapitalismus gekämpft werden – eine
endgültige Lösung bietet jedoch nur eine weltweite demokratisch organisierte
Planwirtschaft.

Was fordert Fridays for Future?

Wenn es um die Frage des Kapitalismus, der Ursachen der
Umweltprobleme geht, zeigen sich jedoch auch die Schwächen von Fridays for
Future, die wir überwinden wollen und müssen.

Zur Zeit sehen wir wenig davon in der Bewegung. Viele der
Aktionen und Demonstrationen beschränken sich auf Appelle an „die
PolitikerInnen“, die Parlamente, Regierungen und internationale
Institutionen  wie EU, UNO.
Politisch betrachtet entspricht das der Politik der Grünen!

Die Entscheidungen in Fridays for Future werden überwiegend
von Mitgliedern der Grünen, des BUND, des NaBu, von Greenpeace oder anderen
NGOs getroffen. Ein Bündnis mit den Gewerkschaften oder überhaupt einen Bezug
auf die ArbeiterInnenklasse streben diese Kräfte nicht an und die Führung von
Fridays for future versucht mit Flyerverboten und gezieltem Vorziehen der
NGO-Mitglieder auf Ortsgruppentreffen die Kontrolle über die Bewegung zu
behalten.

Diese undemokratische und ausgrenzende Politik stößt auch
bei vielen AktivistInnen auf Unmut. Damit dieser nicht verpufft, treten wir für
demokratische Strukturen für alle UnterstützerInnen von Fridays for Future, für
eine offene politische Diskussion über die Strategie und Zukunft der Bewegung
ein.

Zur Zeit ist die Bewegung zwar von linksbürgerlichen und
kleinbürgerlichen Kräften geführt. Aber das muss nicht so sein. Die Grünen
haben in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, dass ihre Umweltpolitik vor
allem kapitalverträglich sein soll. Heute betrachten sie die Bewegung als
Mittel, möglichst viele Stimmen bei den EU-Wahlen abzugreifen und geben sich
als UnterstützerInnen der Bewegung. Doch gestern erst haben sie dem
Kohlekompromiss zugestimmt. Nach dem Ende der Großen Koalition im Bund bilden
sie womöglich mit CDU/CSU die nächste Regierung. Solche Kräfte dürfen nicht
bestimmen, wer welche Fahne bei den Demos trägt und welche politische Richtung
sie einschlägt.

Von einem Kampf gegen den Kapitalismus wollen die Grünen und
die NGOs längst nichts mehr wissen. Diese Politik steht letztlich im
Widerspruch zu den Interessen von Millionen aktiven Jugendlichen.

Daher treten wir für eine klassenkämpferische,
antikapitalistische Perspektive ein und tragen diese in die Bewegung. Alle
Kräfte, die das auch wollen, sollten sich dazu zusammenschließen, um Fridays
for Future zu demokratisieren, Basisstrukturen an den Schulen aufzubauen und
aktiv Bündnisse mit den Gewerkschaften zu suchen. In Ländern wie Belgien und
Frankreich haben Gewerkschaften zu den Streiks aufgerufen – das brauchen wir
auch in Deutschland!

Denn wenn wir den Klimawandel wirklich stoppen wollen,
dürfen wir nicht nur seine Auswirkungen bekämpfen, wir müssen seine Ursache
angehen – und die heißt Kapitalismus!

Systemwechsel statt Klimawandel!

  • Entschädigungslose Enteignung und Verstaatlichung der Energiekonzerne und ihrer Netze unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Organisierter Ausstieg aus der Stromerzeugung mittels hergebrachter atomarer Kernspaltung und Verbrennung von fossilen Energieträgern! Weiterbeschäftigung der Kraftwerksbeschäftigten zu gleichen Löhnen und Bedingungen!
  • Einheitlicher Tarif für alle Beschäftigten in dieser Branche (Kohle, Atom, Windenergie etc.)!
  • ArbeiterInnenkontrolle über Betrieb, Planung und Forschung unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen der Klasse genießen!
  • Offenlegung der Geschäftsgeheimnisse, nicht nur der wirtschaftlichen, sondern auch der technischen (Patente…) und damit Aufhebung der Konkurrenz darum!
  • Weg mit den Rezepten des „grünen“ Kapitalismus und dem EEG-Flickwerk (Zertifikate, Ökosteuer, EEG-Umlage, Stromsteuer)! Finanzierung des Kohleausstiegs durch progressive Steuern auf Einkommen, Vermögen und Gewinne statt indirekter Massensteuern!
  • Energiewende heißt: integrierter Plan, der auch Verkehr, Landwirtschaft und Industrie umfasst, nicht nur den Stromsektor!
  • Für ein Forschungsprogramm, bezahlt aus Unternehmensprofiten zur Lösung der EE-Speicherproblematik!
  • Für einen rationalen Verkehrsplan! Ausbau des ÖPNV statt der Sackgasse Elektro-PKW! Güter und Menschen bevorzugt auf die Schiene!
  • Weltweiter Plan zur Reparatur der Umweltschäden und Angleichung der Lebensverhältnisse!