Besetztes Haus in Stuttgart geräumt – Bürgermeister Kuhn spielt den Ahnungslosen

Martin Eickhoff, Infomail 1049, 2. April 2019

Das seit dem 10. März besetzte Haus in der Stuttgarter
Forststraße 140 wurde am frühen Morgen des 28. März durch eine Hundertschaft
der Stuttgarter Polizei geräumt. Auch wenn dieser Einsatz weitgehend friedlich
verlief, wurden fünf AktivistInnen von den BullInnen verhaftet und wegen
Hausfriedensbruchs angezeigt.

Interessanterweise erfolgte die Räumung nicht aufgrund einer
Klage der betroffenen EigentümerInnen. Vielmehr hatte die Stadt eine
Allgemeinverfügung erlassen, der zufolge die Besetzung eine Störung der
öffentlichen Ruhe und Ordnung darstelle.

Diese geht auf den Ordnungsbürgermeister Schairer (CDU)
zurück, der noch zwei Tage zuvor Verhandlungen zwischen BesetzerInnen und
EigentümerInnen inszenieren wollte. Diese „Vermittlung“ entpuppte sich schon
vor der Räumung als Farce, als Nebelkerze, um die BesetzerInnen als „unwillig“
hinzustellen. In Wirklichkeit bestand vonseiten der Stadt und der WS Real
Estate KG von vornherein kein Interesse daran, zu einer Einigung zu kommen.
Stattdessen wurde die Räumung vorbereitet. Schairer, die CDU, die bürgerlichen
Medien, aber auch die Stadtverwaltung unter dem grünen Oberbürgermeister Kuhn
hatten die Besetzung ohnedies immer schon als quasi-kriminellen Akt hinstellen
wollen. Die Verfügung des städtischen Ordnungsamts, welches die Besetzung als
Gefahr für die sogenannte öffentliche Ordnung betrachtet, ist nur das Mittel
zum Zweck.

Der Ordnungsamtsabteilungsleiter Stefan Praegert war bei der
Räumung persönlich anwesend und erläuterte stolz, dass Hausfriedensbruch und
eine Eigentumsstörung vorliegen würden: „Das dauerhafte Tolerieren einer
Straftat führt zu der Gefahr, dass sich der Zustand verfestigt und schließlich
schwieriger beseitigen lässt.” Auf Nachfragen betonte Praegert, dass es sich
hierbei weder um eine Entscheidung von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne)
noch von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU) handle: „Die Hausspitze
des Ordnungsamts hat das intern beraten und ist dann eigenständig zu dieser
Einschätzung gelangt.”

Der Bürgerreferent der Stuttgarter Polizeibehörde, Stefan Keilbach,
erwähnte vor Ort gegenüber PressevertreterInnen gebetsmühlenhaft mehrfach, dass
die BullInnen bei diesem Einsatz nur für den Vollzug zuständig seien. „Die
Einschätzung, dass eine Gefährdung vorliegt, stammt vom Ordnungsamt.“

Es ist bezeichnend, dass Kuhn und Schairer dem Ordnungsamt
den „Schwarzen Peter“ zuschieben. Schließlich stehen in wenigen Wochen
Kommunalwahlen in Stuttgart an. Der grüne Oberbürgermeister will sich bei einer
solch brisanten Aktion gegen eine Besetzung offenkundig nicht direkt die Finger
schmutzig machen. Schließlich gehört die Wohnungsfrage zu den akutesten
sozialen Problemen der Stadt. Die Aussage, dass er (oder Schairer) über die
entscheidenden Schritte nicht informiert gewesen wären, ist nicht nur total
unglaubwürdig. Sie offenbart auch, dass der grüne Realo Kuhn im Ernstfall
hinter den Immobilienhaien steht. Die grünen Versprechen für eine „soziale Stadt“
entpuppen sich als heiße Luft.

Am Nachmittag des 28. März erfolgte eine erste kreative
Protestaktion gegen die Räumung im Rathaus, da an diesem Tag eine Gemeinderatssitzung
stattfand. Bürgermeister Kuhn weigerte sich, eine Debatte über den Einsatz der OrdnungshüterInnen
zu führen und auf die Tagesordnung zu setzen. So flogen nach seiner Rede aus
Reihen der Zuschauertribüne mehrere hundert Flugblätter runter, so dass die
Gemeinderatssitzung kurzzeitig unterbrochen wurde. Der konservativen Presse war
diese Aktion jedoch keine Berichterstattung wert.

Danach zog eine Spontandemo mit fast 200 TeilnehmerInnen vom
geräumten Mehrfamilienhaus quer durch den Stuttgarter Westen bis zum Berliner
Platz. In dessen Nähe wurde der Sitz der Schwäbischen Bauwerk GmbH mit Klebezetteln
markiert. Das Unternehmen war in den letzten drei Wochen in die Schlagzeilen
geraten, weil es bei zumindest zwei Häusern im Westen die Mieten um bis zu 300
Prozent erhöhen will.

Auch wenn die Besetzung geräumt wurde – der Kampf geht
weiter!