Internationaler Frauenkampftag 2019: Eine Bewegung entsteht

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 236, April 2019

Millionen Frauen demonstrierten am 8. März gegen Ausbeutung,
Unterdrückung, Diskriminierung, Sexismus und Gewalt.

In Spanien legten wie schon 2018 rund 6 Millionen Beschäftigte
die Arbeit nieder. Der internationale Frauen*streik gipfelte dort erneut in
einer massenhaften Beteiligung gewerkschaftlich organisierter Arbeiterinnen wie
auch ihrer männlichen Kollegen. Ohne den Druck der betrieblichen Basis wäre es
sicher nicht möglich gewesen, diesen Streik so massenhaft zu entfalten.

Die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften CNT sowie CGT
hatten ohnedies offiziell zu einem 24-Stunden-Streik aufgerufen. Die zwei
größten, reformistisch geprägten Gewerkschaften, CC.OO und UGT, organisierten
immerhin einen zweistündigen Warnstreik. In manchen Regionen, wie Kastilien-La
Mancha, agierten sie linker und riefen zu einem ganztägigen Generalstreik der
Frauen im öffentlichen Dienst auf. Im Baskenland und Katalonien scheint die
Beteiligung besonders stark gewesen zu sein.

Zweifellos hat das Vorbild der spanischen Frauen auch die
Bewegung in anderen europäischen Ländern inspiriert. In Italien, Belgien und
anderen europäischen Ländern zeigten sich wichtige erste Ansätze von
Frauenstreiks, zu denen auch linke Basisgewerkschaften aufriefen, während sich
die großen Dachverbände CISL und UIL gegen die Bewegung stellten und den
Frauenstreik sogar als „gegen die Frauen gerichtet“ denunzierten.

Besonders groß war die Bewegung auch 2019 in Lateinamerika.
In Chile gingen allein in der Hauptstadt Santiago de Chile 200.000 auf die
Straße. In Argentinien prägten ebenfalls Massendemonstrationen das Bild, die
radikaleren Gewerkschaften riefen zu Streiks auf. In Brasilien demonstrierten
Hunderttausende, auch wenn dort der Fokus der aktuellen Mobilisierung stärker
auf den Streik- und Aktionstag gegen die sog. Rentenreform Ende März gelegt
wurde.

In der Türkei setzten sich tausende Frauen gegen die
Angriffe der PolizeischergInnen Erdogans auf die Demonstration in Istanbul zur
Wehr. Landesweit gingen Zehntausende trotz massiver Repression auf die Straße.

Deutschland

Auch in Deutschland scheint der Frauenstreik angekommen zu
sein. Bundesweit gingen rund 70.000 auf die Straße, in Berlin 20.000 bis
25.000, in Hamburg 10.000, in Leipzig 4.000, in Köln 3.000, München, Freiburg
und Kiel je 2.000, in Kassel und Stuttgart je 1.000. Dies sind deutlich mehr
als in den letzten Jahren, auch wenn von einem massenhaft befolgten politischen
Streik (noch) nicht die Rede sein konnte. Immerhin stellten Beschäftige bei
Amazon in Bad Hersfeld ihre tariflichen Auseinandersetzungen in den Kontext des
Frauenstreiks, organisierten eine Betriebsversammlung – und zeigten damit auch
einen Weg, wie Arbeitsniederlegungen am 8. März zu einer Realität werden
können.

Die Zahlen der Demonstrationen sind jedenfalls ermutigend –
und machen Lust auf mehr.

Dabei stellen sie nur einen kleinen Auszug der Aktionen von
den Frauen dar, die am 8. März überall auf der Welt demonstriert haben.
Insgesamt können wir beobachten, wie immer mehr und mehr Frauen auf die Straße
gehen und für ihre Rechte demonstrieren. So gab es im Jahr 2018 in rund 177
Ländern Proteste, für 2019 liegen uns noch keine endgültigen Zahlen vor. Wenn
wir die Gesamtsituation betrachten, dürfen wir freilich den Blick nicht nur auf
den 8. März legen. Ausgehend von Bewegungen wie Ni Una Menos in Argentinien und
dem Women’s March against Trump in den USA entstanden in Ländern wie Indien
oder Brasilien Massenbewegungen gegen Angriffe auf die Rechte der Frauen,
sexuelle und patriarchale Gewalt (bis hin zum massenhaften Femizid). Zusammen
mit dem Frauen*streik bilden sie seit einigen Jahren den sichtbaren Ansatz
einer neuen, internationalen Frauenbewegung.

Warum?

Der Rechtsruck ist schließlich auch eine Ursache der immer
stärkeren Angriffe auf Frauenrechte. Interessanterweise bleiben diese jedoch
nicht unbeantwortet: Seit mehreren Jahren können wir erleben, wie Frauen sich
zahlenmäßig stark gegen Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts über ihren
eigenen Körper, Gewalt oder die sich verschlechternde ökonomische Situation
wehren. Ob die Schwarzen Proteste in Polen, Ni Una Menos in Argentinien,
Proteste gegen Vergewaltigung in Indien: alles sind Widerstandsmaßnahmen der
letzten Jahre, die im Bewusstsein von Millionen Frauen präsent sind und
teilweise Erfolge errungen haben.

Besonders herauszustreichen ist hier auch der Women’s March
in den USA. Zum Amtsantritt Trumps initiiert, demonstrierten dort rund 3
Millionen Frauen. Dabei blieb es aber nicht: In anderen Großstädten auf der
Welt solidarisierten sich Frauen und gingen unter dem gleichen Namen für
Frauenrechte auf die Straße. Neben One Billion Rising stellt diese eine der
größten  Aktionen dar, die zeigten,
dass sich unter einem gleichen Slogan Proteste länderübergreifend koordinieren
lassen und somit eine wichtige Grundlage für Vernetzungen und eine
internationalistische Ausrichtung der lokalen Aktionen gelegt werden kann.

Wir als Organisation glauben, dass diese Proteste zwei
größere Ursachen haben.

Auf der einen Seite gibt es Angriffe auf bereits bestehende,
erkämpfte Rechte: Sparmaßnahmen wie Streichungen der Kitaplätze; Teuerung von
Pflegeangeboten; Versuche, Abtreibungsrechte einzuschränken seitens der
Regierung und der Rechten. Das heißt, ein Teil der Kämpfe ist defensiv.

Auf der anderen Seite gibt es auch immer mehr wachsende
Proteste, vor allem in Asien. Dies hat mit einem generellen Wachstum der
ArbeiterInnenklasse auf diesem Kontinent zu tun. Frauen werden dort mehr und
mehr in die Produktion einbezogen. Damit wächst auch gleichzeitig ihre
Doppelbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit (also Haushalt, Erziehung,
Pflegearbeit). Gleichzeitig ermöglicht ihnen das mehr Zugang zu Bildung und
eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit, sodass ihre Lage nicht nur durch
doppelten Druck und die Last erz-reaktionärer Unterdrückung geprägt ist,
sondern auch Möglichkeiten schafft, vermehrt und aktiver für ihre Rechte zu
kämpfen.

Das alles führt uns zu den Fragen: Wie können wir dieses
Potenzial nutzen und den Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung erfolgreich
führen?

Es bedarf dazu einer internationalen Bewegung – einer, die
die unterschiedlichen Probleme, die Frauen weltweit betreffen, zusammenfasst
und eine gemeinsame Perspektive aufwirft. Ob nun von der Muslima, die das Recht
hat, ihren Glauben so zu praktizieren, wie sie es möchte, über schwarze Frauen,
die nicht länger der massiven Polizeigewalt und rassistischen Angriffen
ausgesetzt sein wollen, bis hin zur pakistanischen Arbeiterin, die nicht länger
für einen Hungerlohn arbeiten will, ob für geflüchtete Frauen oder die
Pflegerin hier in Deutschland: Es ist unsere Aufgabe, für die unterschiedlichen
Situationen die Gemeinsamkeiten in der sexistischen Unterdrückung deutlich zu
machen und eine internationale Perspektive zu formulieren. Wenn wir diese
aktuellen Kämpfe betrachten, dann lassen sich 5 konkrete Forderungsblöcke
daraus ableiten:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den
Produktionsprozess!

2. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!

3. Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Das sind alles Forderungen, die sich auf viele grundlegende
Problematiken beziehen, mit denen wir Frauen – und damit meinen wir in erster
Linie die Masse der Frauen aus der ArbeiterInnenklasse, der
Bauern-/Bäuerinnenschaft und den nicht ausbeutenden Schichten der städtischen
Mittelschichten – zu kämpfen haben. Und um diese mit Leben zu füllen, müssen
wir die Proteste, die es gibt, miteinander koordinieren. Es bedarf zweierlei:
einmal einer Möglichkeit, wo sich die unterschiedlichsten Aktivistinnen
austauschen können, denn es gibt bereits Kämpfe, die vernetzt und verbunden
werden müssen. Aktionskonferenzen in Anlehnung an die Sozialforen könnten da
eine Möglichkeit sein.

Der zweite Punkt ist die Basisorganisierung der Bewegungen
vor Ort. Wir müssen uns dort, wo wir uns tagtäglich bewegen, organisieren,
demokratische Strukturen geben – z. B. Vollversammlungen, um zu Aktionen zu
mobilisieren und die Probleme international mit denen vor Ort zu verbinden, um
nicht nur diejenigen zu erreichen, die sich bereits dafür interessieren. Damit
das passiert, ist es ebenfalls wichtig, Druck auf bereits bestehende
Organisationen wie beispielsweise Gewerkschaften auszuüben und dort aktiv
einzugreifen. Der Frauenstreik in Spanien ist vor allem deshalb so groß, weil
sich Gewerkschaftsgliederungen bewusst daran beteiligen und dafür auch
mobilisieren. Denn nur wenn wir eine Bewegung sind, die ihre Basis auf der
Straße hat und nicht nach einem Tag verschwunden ist, können wir unsere
Forderungen durchsetzen!

Die Bewegung, die am 8. März weltweit sichtbar wurde, birgt
das Potential, zu einer neuen proletarischen Frauenbewegung zu werden, einer,
die die Befreiung der Frauen und LGBTIA-Menschen als Teil des Klassenkampfes
betrachtet und mit einer revolutionären Perspektive verbindet. So kann sie
zugleich auch zu einer Vorkämpferin für eine neue, revolutionäre Internationale
werden.