Bolsonaro an der Macht

Max Fleischer, REVOLUTION, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 7, März 2019

Letztes Jahr hat Brasilien gewählt. Im Januar wurde Jair Bolsonaro als Präsident Brasiliens vereidigt. Damit steht fest, dass Brasilien die nächsten Jahre von Sexismus, Rassismus, Homophobie und Neoliberalismus regiert werden wird. Bolsonaro, seines Zeichens Ex-Militär und vehementer Kämpfer für die Militärdiktatur, steht wie kein Zweiter für Neoliberalismus und Unterdrückung. Darüber hinaus sind seine Reden durchsetzt von widerlichem, hasserfülltem Vokabular. Er hetzt gegen alles, was nicht dem normativen Familienbild entspricht: „Ich hätte lieber, dass mein Sohn bei einem Autounfall stirbt, als dass er sich als homosexuell outet“, sagte er 2011 in einem Interview des brasilianischen „Playboy“. Auch von Gewerkschafter_Innen und linken Aktivist_Innen hat er keine hohe Meinung. So sagte er 2018: „Wenn diese Leute hier bleiben wollen, müssen sie sich unserem Recht beugen. Oder sie verlassen das Land oder gehen ins Gefängnis. Diese roten Typen werden aus unserem Vaterland verbannt.“

Wie konnte das passieren?

Im Zuge der
Weltwirtschaftskrise 2007/08 wurden durch den Internationalen Währungsfonds
(IWF) extreme Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse gefahren. Alle
Brasilianer_Innen mussten Kürzungen der sozialstaatlichen Mechanismen wie
Kranken- und Rentenversicherungen über sich ergehen lassen sowie Erhöhungen von
Sozialbeiträgen.

Doch das konnte nicht
helfen: Brasilien, ehemals aufstrebende Halbkolonie, ist krisengeschüttelt und
hoch verschuldet. Die Politik der Partido dos Trabalhadores (Arbeiter_Innenpartei;
im Folgenden: PT) wurde 2006 von der Bevölkerung gewählt in der Hoffnung auf
eine bessere Zukunft. Diese wurde jedoch enttäuscht. Als regierende Partei
schloss sie sich dem neoliberalen Kurs an, der durch den Internationalen
Währungsfonds, kapitalgeile Investor_Innen und die Bourgeoisie vorangetrieben
wurde. So war sie dafür verantwortlich, dass die Anti-Terror-Gesetze eingeführt
wurden, dass mehr und mehr Menschen verarmen und, vor allem in den Favelas
(Slums), die Leute ein Gefühl der Unsicherheit verspüren.

 Doch das reichte nicht, um Brasilien aus der Krise zu holen.
Die brasilianische Bourgeoisie brauchte jemanden, der härtere Maßnahmen gegen
die Arbeiter_Innenklasse durchsetzte. Denn diese ließ die Kürzungen nicht unkommentiert
stehen. Mit Protesten, massiven Mobilisierungen, Generalstreiks und Besetzungen
von beispielsweise Schulen sowie Universitäten versuchten Arbeiter_Innenklasse,
Jugendliche und Landlosenbewegung, sich zu wehren. Als Antwort auf die
Unfähigkeit der PT-Regierung die Proteste niederzuschlagen, wurde nach einem
Korruptionsskandal, der vielmehr Vorwand für einen verfassungsmäßigen Putsch lieferte,
Temer als Übergangspräsident eingesetzt. Bei den letzten Wahlen konnte sich
dann Bolsonaro durchsetzen, der sich nicht nur positiv auf die Militärdiktatur
bezieht, sondern sich auch von Schlägertupps auf den Straßen unterstützen
lässt.

Das lag daran, dass in dieser
Zeit ein Rechtsruck durch die brasilianische Gesellschaft gegangen ist. So
wurden die Mittelschichten durch die andauernd schlechte wirtschaftliche
Situation von Bolsonaros populistischer Hetze angezogen, während die PT nicht
mit ihrem Spitzenkandidaten Lula antreten konnte und bereits durch ihre
vorherige Politik an der Regierung Wähler_Innen aus der Arbeiter_Innenklasse
verloren hatte.

Bolsonaros Programm

Auf seiner Agenda für die
kommende Zeit stehen zahlreiche arbeiter_Innenfeindliche Punkte und seine
Aufgabe besteht darin, die Interessen der brasilianischen Bourgeoisie und
ausländischen Investor_Innen durchzusetzen. So hat er als eine seiner ersten
Amtshandlungen den Mindestlohn gekürzt und plant, den Regenwald für
Agrarflächen freizugeben ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung oder
Umwelt. Neben der Schließung des Kultusministeriums sind zahlreiche
Entlassungen in Ministerien geplant, besonders wenn die Angestellten nicht auf
seiner politischen Linie stehen. Auch die
Stärkung der Befugnisse der Polizei, beispielsweise bis hin zu direkten
Exekutionen bei Kriminellen ohne vorheriges Gerichtsverfahren, gehört zu seinen
Vorhaben.

Zusätzlich sind seine Pläne
für ganz Brasilien durchsetzt von Hass auf alle Andersdenkenden, ein
Rückschritt für den Kampf um Gleichberechtigung, eine Katastrophe für die
Umwelt und die letzten Indigenen in Brasilien und ein Schlag ins Gesicht für
alle emanzipatorischen Kräfte.

Situation von Frauen

Diese Angriffe werden nun alle Arbeiter_Innen zu spüren
bekommen. Am stärksten davon betroffen werden jedoch die sozial unterdrückten
Gruppen sein. Dabei war die Situation für Frauen in Brasilien schon vor
Bolsonaro schwierig. So erhalten nach einer Studie des
Bundesarbeitsministeriums von 2006 Frauen 19 % weniger Lohn bei gleicher
Arbeit und Qualifizierung. Daneben wird die Erwerbstätigkeit der Frauen immer
noch als zweitrangig gegenüber Männern betrachtet. Trotz des gleichen
Arbeitsvolumens leisten Frauen im Schnitt zusätzlich 28 Stunden häusliche
Arbeit pro Woche im Gegensatz zu nur 10 Stunden bei Männern laut Ipea (Institut
für Angewandte Wirtschaftsforschung). Die geschlechterspezifische
Arbeitsteilung ist nach wie vor stark verankert: So müssen Frauen nach wie vor
einen Hauptteil in der Kinderbetreuung oder der Pflege von kranken
Familienmitgliedern übernehmen. Hinzu kommt, dass Kindergartenplätze Mangelware
sind und Ganztagsschulen nur für Reiche existieren.

Diese Problematik wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern.
Denn hier kommen gerade Bolsonaros Verbündete ins Spiel. Obwohl Brasilien immer als Bastion des Katholizismus galt, ist bald ein
Drittel der brasilianischen Gesellschaft evangelikal. Diese Kirche hat eine
riesige Geldmenge zur Verfügung, welche sie im eigenen Interesse nutzt. Nicht
nur dass sie über ein riesiges Medienimperium herrscht mit einem eigenen
Fernsehsender sowie zahlreichen TV-Prediger_Innen, auch unterstützt sie
Bolsonaro argumentativ und sitzen ihre Anhänger_Innen im neu gewählten
Parlament. So fordern sie beispielsweise rigorose Abtreibungsverbote, selbst
bei Vergewaltigungen. Bolsonaro unterstützen die christlichen, evangelikalen
Fundamentalist_Innen ebenso wie Trump, da beide die bürgerlich normative
Familienvorstellung wieder in den Vordergrund rücken wollen.

Doch das ist nicht alles.
Besonders Gewalt gegenüber Frauen ist in Brasilien ein großes Problem. Laut
Statistik wird alle 15 Sekunden in Brasilien eine Frau im eigenen Familienkreis
misshandelt. Ipea geht davon aus, dass jährlich mehr als 527.000 versuchte
Vergewaltigungen geschehen. Die Dunkelziffer dürfte jedoch weitaus höher
liegen. So wurde erst 2009 Vergewaltigung als Straftatbestand gesetzlich
eingeführt. Davor wurde sie lediglich als eine „Missachtung der Familienehre“
bewertet. Auch die gezielte Tötung von
Frauen aufgrund ihres Geschlechtes, auch Femizid genannt, ist ein großes
Problem. 2013 wurden knapp 13 Frauen am Tag getötet, großteils von
Familienangehörigen oder Ex-Partnern. Zwar wurde 2015 dann ein Gesetz zu
Femiziden verabschiedet, welches eine starke Erhöhung des Strafmaßes bei
häuslicher Gewalt beinhaltet. Es ist aber unter Bolsonaro damit zu rechnen,
dass sich die Gewalt gegenüber Frauen verschärft und die bestehenden Reglungen
aufgeweicht werden.

Angriffe auf LGBTIAs

Ein großer Dorn im Auge sind dem Staatspräsidenten alle
Menschen, die nicht den bürgerlichen, heterosexuellen Idealen entsprechen.
LGBTIA-Menschen sind seit einiger Zeit wieder stärker von Aggressionen und
Gewalt, verbal sowie körperlich, betroffen. Seit den Wahlen hat sich die
Unsicherheit weiter verschärft. Die 2010 gesetzlich verankerte Gleichstellung
von homosexuellen Partner_Innenschaften wird aktuell von Bolsonaro und seinen
Evangelikal_Innen permanent bombardiert. Daneben läuft eine Hetzkampagne gegen
das Adoptionsrecht von Paaren, die eben nicht dem bürgerlich normativen
Idealbild entsprechen. Als die Regierung und Rousseff Pläne vorstellten, in
denen sexuelle Orientierungen sowie Genderfragen als Teil des Unterrichts
eingeführt werden sollten, warf Bolsonaro der Regierung vor, die Gesellschaft
„homosexualisieren“ zu wollen. Auf der Agenda der neuen Regierung steht eine
Umarbeitung der Lehrpläne. Es sollen jegliche Genderthemen sowie Sexualkunde
gestrichen werden, um die Schule vermeintlich als „neutralen Ort des Lernens“
darzustellen. Im vergangenen Jahr wurden laut Schätzungen 300 LGBTIA-Menschen
in Brasilien getötet, wobei auch hier eine höhere Dunkelziffer angesetzt werden
dürfte. Kurz nach dem ersten Wahlgang wurde die LGBTIA-Kämpferin und
brasilienweit bekannte Transgenderkünstlerin Aretha Sadick verbal angegriffen.
Nur zwei Tage später, wenige Straßen weiter wurde eine 25-jährige Transfrau
brutal ermordet. Augenzeugen berichteten von Männern, die laut
schwulenfeindliche Parolen brüllten und „Bolsonaro“ riefen. Die Angst innerhalb
der LGBTIA-Community wächst ständig und die Gewalt hat, seitdem Bolsonaro zur
Wahl angetreten ist, dramatisch zugenommen. 2017
gab es sogar einen richterlichen Beschluss, welcher Homosexualität als
Krankheit darstellt und es Psycholog_Innen erlaubt, Homosexuelle zu
therapieren.

Wie gegen Bolsonaro kämpfen?

Nur eine kämpferische Linke kann die Angriffe Bolsonaros und
seiner Regierung abwenden. Die fortschrittlichen Teile der Klasse sind jetzt
dazu angehalten, sich gemeinsam zu organisieren und dem ekelhaften Bolsonaro
einen Riegel vorzuschieben. Dazu brauchen wir
eine kämpferische Einheitsfront aller linken Kräfte, die sich auf die
Arbeiter_Innenbewegung stützen. Das bedeutet, dass man auch die PT und die CUT
(Arbeiter_Inneneinheitskongress), den brasilianischen Dachverband der
Gewerkschaften, klar auffordern und zwingen muss, sich zu beteiligen.
Denn nur wenn alle linken Kräfte zusammenarbeiten, kann die
Arbeiter_Innenklasse die kommende Katastrophe abwenden.

Alle linken Gruppen, Gewerkschaften und Organisationen der
Klasse sind dazu angehalten, ihre Kräfte zu bündeln und gemeinsam zu streiken
bis hin zum Generalstreik, der die gesamte Wirtschaft des Landes lahmlegt. Dazu
braucht es koordinierte Organe, die die Selbstverteidigung organisieren und die
Bevölkerung bewaffnen. Das ist die einzige Möglichkeit, um wirklich alle
Unterdrückten zu befreien, um Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern
herzustellen und das tradierte, auf ekligen Vorstellungen basierende
Ausbeutersystem zu stürzen. Darüber hinaus
muss klar sein: Der Kampf um Befreiung ist international! Auch bei uns
müssen die Leute solidarisch auf die Straßen gehen. Arbeiter_Innen
multinationaler Konzerne, die die brasilianische Regierung stützen, müssen ihre
Arbeit niederlegen. Der Rechtsruck ist international und kann auch nur so
bekämpft werden. Wenn die weltweite Linke das nicht tut, werden bald nicht nur
in Brasilien die Anschläge auf LGBTIA-Menschen massiv zunehmen, werden Frauen immer
stärker in ihre alte Rolle zurückgedrängt und alle Andersfarbigen widerlicher
Hetze ausgesetzt sein. Nur wir können das Erstarken der Rechten verhindern!

Solidarität mit allen Brasilianer_Innen, nieder mit
Bolsonaro! Nur eine geeinte Arbeiter_Innenbewegung hat die Macht, sich und die
sozial Unterdrückten zu befreien und wahre Gleichberechtigung herzustellen.