Nebensache Klassencharakter? Zur Taktik gegenüber den „Gilets Jaunes“

Martin Suchanek, Infomail 1038, 18. Januar 2018

Die „Gilets Jaunes“ (= GJ; „Gelbe Westen“)
treiben Europa um. Europaweit erfahren sie Unterstützung und Sympathie seitens
unterschiedlichster politischer Kräfte – von der extremen Rechten bis zur
radikalen Linken, von (Teilen der) Linkspartei bis hin zur AfD. Auch wenn die
GJ auf ihrem bisherigen Höhepunkt im November 2018 mehrere Hunderttausend auf
die Straße brachten, so sind sie doch kleiner als anderen Bewegungen im
Frankreich der letzten Jahrzehnte – ganz zu schweigen von ihrer geringeren
politischen Bewusstheit. Selbst ihre Militanz erscheint nur auf den ersten
Blick tiefer gehend, also nur dann, wenn z. B. Straßenschlachten auf der
(Avenue des) Champs Élysées oder Straßenblockaden als höhere Form des Kampfe
betrachtet werden als wochenlange Streiks oder Besetzungen von Betrieben,
Schulen oder Universitäten.

Trotzdem – oder vielleicht auch gerade deswegen
– erklären sich die italienische Regierung Salvini, die Fünf Sterne, die
französischen Linken (La France Insoumise = FI, Unbeugsames Frankreich; die Nouveau
Parti anticapitaliste = NPA, Neue antikapitalistische Partei; oder Lutte
Ouvrière = LO; Arbeiterinnenkampf) und die Rechte (Rassemblement National = RN,
 Nationale Sammlungsbewegung; oder
französische FaschistInnen) zu UnterstützerInnen der GJ. Handelt es sich bei
dieser Gemeinsamkeit um ein bloßes Missverständnis von Seiten der linken oder
rechten ParteigängerInnen – oder entspringt diese fragwürdige Gemeinsamkeit
auch dem Charakter der Bewegung selbst? Über die Inkonsequenzen und Fragen, die
das für Rechtsextreme, RassistInnen oder die GaullistInnen in Frankreich
aufwerfen mag, wollen wir uns hier nicht den Kopf zerbrechen – wohl aber über die
Politik der Linken in dieser Bewegung.

In Frankreich entstand in den letzten Monaten –
anders als in den letzten Jahrzehnten – eine gesellschaftliche Kraft, die nicht
einfach als „links“ oder „fortschrittlich“ charakterisiert werden kann. Auf der
Straße artikulieren sich nicht die ArbeiterInnenbewegung, Bewegungen
rassistisch Unterdrückter oder der Jugend, sondern tritt eine „Volksbewegung“,
eine kleinbürgerlich-populistische Bewegung auf. Bei allen Schwierigkeiten des
unmittelbaren Vergleichs, so erinnert sie wohl am ehesten an die Bewegung der
Fünf Sterne in Italien, die heute Teil einer rechten Regierungskoalition ist.

All das bedeutet keinesfalls, dass die Linke,
dass die ArbeiterInnenbewegung in diese nicht intervenieren sollen und müssen.
Die Frage erhebt sich jedoch, wie die ArbeiterInnenklasse politisch die
fortschrittlichen Teile einer kleinbürgerlichen Bewegung für sich gewinnen, wie
sie diese von den reaktionären und offen bürgerlichen Kräften abspalten kann?
Ohne ein Verständnis des Klassencharakters der GJ kann jede „Intervention“ nur
in Impressionismus, Abenteurertum und Anpassung an deren vorherrschende
kleinbürgerliche Ideologie enden. Sich nur als die besseren, entschlosseneren,
kämpferischeren, „proletarischeren“, … „Gelben Westen“ zu gerieren, führt
dabei notwendigerweise in die Irre.

Die ArbeiterInnenklasse kann, so die
grundlegende These des folgenden Textes, selbst nur die gesellschaftliche
Initiative inmitten einer tiefen Krise der französischen Regierung, ja des
politischen Systems erlangen, wenn sie als eigenständige gesellschaftliche
Kraft, als kämpfende proletarische Klassenbewegung in Erscheinung tritt. Nur
wenn ein solcher Pol in der Aktion und politisch-programmatisch sichtbar wird,
kann eine klassenmäßige Differenzierung und Polarisierung der „Gelben Westen“
herbeigeführt werden, können deren proletarischen und fortschrittlichen
Elemente von ihren reaktionären getrennt werden.

Bevor wir auf die dafür erforderliche Strategie
und Taktik eingehen, wollen wir kurz die Entwicklung der „Gelben Westen“ Revue
passieren lassen und ihren Klassencharakter bestimmen.

Entwicklung

Seit gut zwei Monaten prägen die GJ das
politische Leben Frankreichs mit. Praktisch jeden Samstag demonstrieren ihre
AnhängerInnen in zahlreichen größeren und kleineren Städten gegen die Politik
der Regierung Macron. Während der Woche halten kleinere Gruppen an
Blockadepunkten aus – an den Samstagen kommt es zu größeren Blockaden oder
Demonstrationen samt Zusammenstößen mit Polizei und Sicherheitskräften. Die
markantesten und medial am meisten beachteten stellen dabei zweifellos die
Demos auf der Champs Élysées dar, auch wenn diese für den eher friedlichen
Charakter vieler lokaler Blockaden nicht unbedingt repräsentativ sind.

Auf dem bisherigen Höhepunkt der Bewegung, im
November 2018, beteiligten sich landesweit über 300.000 Menschen an den
Aktionen – seither nahm die Zahl zwar ab, aber am Beginn diesen Jahres stieg
sie wieder an. Am 5. Januar gingen in ganz Frankreich zwischen 50.000 bis
60.000 Menschen auf die Straße, am 12. Januar rund 80.000.

Zweifellos hatte die Regierung Macron darauf
spekuliert, die Bewegung durch drei Maßnahmen entschärfen zu können. Erstens
wurde und wird sie weiter als gewalttätig verteufelt, medial gebrandmarkt und
polizeilich unterdrückt. Zweitens sollten späte und halbherzige Zugeständnisse
(Rücknahme von Benzinpreiserhöhungen und eine Mindestlohnanhebung für einzelne
Sektoren) sowie Verhandlungsangebote die Menschen beschwichtigen. Drittens hoffte
die Regierung auf den Kalender, also ein Abflauen über Weihnachten und Neujahr.

All das hat sich nicht oder nur teilweise
erfüllt. Der Grund dafür ist nur unschwer zu erkennen. Die Bewegung der „Gelben
Westen“ bringt eine tief sitzende gesellschaftliche Unzufriedenheit zum
Ausdruck. Diese wird jedoch nicht von gewerkschaftlich organisierten und
klassenbewussteren Lohnabhängigen, kämpferischen Jugendlichen und rassistisch
Unterdrückten artikuliert, sondern von den „Mittelschichten“, unorganisierten
Lohnabhängigen, die vor allem in Klein- und Mittelbetrieben arbeiten, wie auch
ihren Chefs, die als KleinunternehmerInnen oder schwächere KapitalistInnen auch
als „Opfer“ der Regierungspolitik und des Monopolkapitals erscheinen.

Die Bewegung konnte sich im Großen und Ganzen nicht mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung und den MigrantInnen aus den Banlieues (Vorstädte mit Hochhaussiedlungen) verbinden. Darauf verweisen auch nüchterne Bestandaufnahmen von Linken, die ansonsten einen sehr positiven Bezug zu den GJ herstellen, wie z. B. Léon Crémieux. In dem Artikel „Yellow vests and the workers‘ movement at a crossroads“ (Die Gelben Westen und die ArbeiterInnenbewegung an einem Wendepunkt) schreibt er:

„Der Bewegung ist es, über die weit gehende
Sympathie hinaus, die sie erhalten hat, zweifellos nicht gelungen, die
ArbeiterInnenklasse der Vororte und urbanen Zentren in der Aktion mit sich zu
verbinden.“

Diese Entwicklung ist sicherlich zu einem großen
Teil auch das Resultat von Niederlagen, Teilrückzügen der Gewerkschaften und
der klassenkollaborationistischen Politik der Gewerkschaftsbürokratie, die
selbst eine Konfrontation mit Macron scheut. Aber die offenkundigen Vorbehalte
von größeren Teilen der organisierten ArbeiterInnen und vor allem der
Bevölkerung der Banlieues verweist selbst auch auf den kleinbürgerlichen
Klassencharakter der GJ-Bewegung und deren öffentliches Erscheinungsbild.

Hier begeht Léon Crémieux einen auch für vielen
andere linke UnterstützInnen typischen Fehler. Er scheut vor der Bestimmung des
Klassencharakters der Bewegung zurück. Stattdessen behilft er sich mit einem
Verweis auf die große Anzahl von Lohnabhängigen, Männern wie Frauen, aus
kleineren Betrieben v. a. in den Kleinstädten und auf dem Land. Er gesteht
aber auch den bedeutenden Einfluss der Rechten in der Bewegung und rechter,
chauvinistischer und rassistischer Einstellungen zu:

„Die Bewegung trägt einen politischen Fakt auf
ihrem Rücken: das reale Gewicht der Stimmen für die extreme Rechte unter den
Beschäftigten.“

Doch er tröstet sich über diesen ideologischen
Einfluss selbst hinweg:

„Aber jenseits der verschiedenen realen
rassistischen und homophoben Handlungen sind die Ziele der Gelben Westen, die
als für ihre Situation verantwortlich ausgemacht werden, weder MigrantInnen
noch Staatsangestellte, die als Sündenböcke von der extremen Rechten so
kultiviert werden.

Diese Bewegung hat sich auf das konzentriert, was
sie vereint, die Ablehnung von Steuerungerechtigkeit und die Ablehnung dessen,
was sie trennt, insbesondere des Rassismus. Selbst die Kampagne gegen den
Marrakesch-Pakt in den letzten Wochen ist an der Bewegung vorbeigegangen, ohne
an ihr hängenzubleiben.“

Das Problem hierbei liegt erstens in der
fehlenden Handlungs- und Kampfperspektive gegen den Einfluss der Rechten.
Vielmehr beruhigt uns der Autor damit, dass der Rassismus nicht allzu offen
hervortritt, sich die Bewegung auf andere Fragen konzentriert. Diese Politik
läuft leider auf ein rein passives Hoffen hinaus, dass die Rechten ihre Inhalte
nicht weiter forcieren mögen und die GJ nicht weiter nach rechts treiben, sich
dieses Problem vielmehr durch eine Ausweitung der Bewegung „von unten“ schon
irgendwie lösen würde.

Immerhin erkennen Autoren wie Léon Crémieux oder
Bernhard Schmid, der regelmäßig Berichte über die Bewegung liefert, den realen
Einfluss der Rechten und Rechtsextremen in ihr an. So spricht Schmid von einem
„Zweifrontenkampf“, den die Linken in Frankreich zu führen hätten, „gegen die
unbestreitbar zu bekämpfenden rechtsextremen Kräfte (auch in den Reihen der
Protestierenden) wie gegen das Regierungslager“ (http://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/frankreich-gelbe-westen-protest-abflauen-war-gestern-derzeit-steht-wiederaufflammen-auf-der-tagesordnung-regierungssprecher-auf-der-flucht/#more-142380).

Eine ebenso schwankende wie widersprüchliche,
vor allem aber bloß kommentierende Rolle nimmt die Linkspartei ein. Während
Sahra Wagenknecht und „Aufstehen“ in gelben Westen rumlaufen, verweist Bernd Riexinger
darauf, dass in Deutschland „eine solche Verbrüderung linker und rechter
Gesinnung nicht denkbar“ wäre.

Es wäre jedoch nicht die Linkspartei, wenn im Parteivorstand nicht wieder „Einigkeit“ erzielt werden könnte, so dass sich alle einstimmig „solidarisch“ erklären dürfen. Um diesen Positionswechsel zu erklären, verweist Riexinger darauf, dass „die Bewegung nicht von rechts übernommen werden konnte“, weil „Schüler, Studenten, linke Parteien und Gewerkschaften reingegangen sind“ (https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.linkspartei-chef-zu-gelbwesten-grosse-proteste-bei-uns-sind-moeglich.a448df64-54c6-4fd8-bf0d-038b34f8fd6c.html). Einmal abgesehen davon, dass die Frage der „Übernahme“ durch Rechte wie auch deren Einfluss längst nicht vom Tisch ist und dieser Kampf weiter anhält, so beschäftigen sich auch Riexinger und die Linkspartei nicht weiter mit dem Klassencharakter der Bewegung.

Charakter der Bewegung

Diese Frage umschifft der größte Teil der Linken
vielmehr. Er begnügt sich vielmehr mit Allerweltsbeobachtungen, dem Verweis auf
die „Heterogenität“ und ihre „spontane“ Entstehung „von unten“. Zum anderen
verweisen ihre UnterstützerInnen darauf, dass ein großer Teil, wenn nicht die
Mehrheit der GJ aus Lohnabhängigen bestehe, wenn auch aus solchen, die
gewerkschaftlich nicht organisiert sind und sich bisher auch wenig an
politischen Aktionen beteiligt haben.

Dummerweise erschöpft sich die Frage nach dem
Klassencharakter einer Bewegung nicht in der Bestimmung ihrer Herkunft und
Einkommensquellen. Auch viele andere kleinbürgerlich-populistische Bewegungen
haben sich in den letzten Jahren um soziale Belange und demokratische Fragen
organisiert, so z. B. auch die Fünf Sterne in Italien. Die Tatsache, dass
die bei den GJ in Bewegung gekommenen Schichten jahrelang abseits der
organisierten ArbeiterInnenbewegung standen, bedeutet auch, dass sie zuerst von
den vorherrschenden Ideologien, vom politischen Einfluss der dominanten französischen
Politik geprägt sind. Daher auch der hohe Anteil von Unterstützung der
„Rassemblement National“ (RN, ehemals Front National/Nationale Front) in der
Bewegung, daher auch die Zuwächse von RN in Meinungsumfragen seit ihrem
Entstehen. Zweifellos profitieren von der Bewegung nicht nur die RN und noch
radikalere bis faschistische Rechte, sondern auch der Linkspopulismus eines Mélenchon
und von La France Insoumise. Es ist jedoch kein Zufall, sondern reflektiert den
Klassencharakter einer kleinbürgerlichen Bewegung, dass fast ausschließlich
populistische Kräfte politisch von ihr profitierten.

Er spielt sich auch in deren Forderungen wider.
Die wichtigsten richten sich gegen die Besteuerung von Benzin und Diesel und
fordern niedrigere Preise. Sie stammen eindeutig aus dem kleinbürgerlichen und
populistischen Arsenal. Die Parolen der ArbeiterInnenbewegung gegen regressive
indirekte Verbrauchssteuern wie die Mehrwertsteuer und für eine progressive
direkte Besteuerung von Vermögen und Unternehmensgewinnen bieten die wirkliche
Antwort darauf, wie der Staat notwendige Einkünfte auftreiben soll. Der Fokus
auf Preis- und Steuersenkungen macht es jedoch viel einfacher, verschiedene, ja
antagonistische Klassen zusammenzubringen, da jedeR „BürgerIn“ davon zu
profitieren scheint.

Nicht zuletzt auch die am 3. Dezember veröffentlichten 42 Forderungen der Bewegungoffenbaren ihren kleinbürgerlich-populistischen Charakter. Diese lesen sich wie ein politischer Gemischtwarenladen und spiegeln ihre Heterogenität wider. So stehen solche nach Mindestlohn, sicheren Renten, Kindergartenplätzen für alle und anderen sozialen Maßnahmen neben Steuersenkungsforderungen und dem Ruf nach Begünstigung der (französischen) KleinunternehmerInnen im Zentrum. Über wichtige Gesetzesvorhaben verlangt sie Volksabstimmungen, zugleich aber auch die Verlängerung der Präsidentschaft auf sieben Jahre (statt bisher fünf). Außerdem treten die GJ für „erhebliche Mittel für Justiz, Polizei, Gendarmerie und Armee“, also einen starken Staat ein und erheben auch rassistische Forderungen nach „sofortiger Abschiebung“ abgelehnter AsylbewerberInnen und an MigrantInnen, „französisch zu werden“, inklusive verpflichtender Tests auf ihre „Tauglichkeit“ zur StaatsbürgerInnenschaft.

Zweifellos
ist die Bewegung keine faschistische, aber der Rechtspopulismus spielt in ihr
eine bedeutende Rolle. Die Tatsache, dass ein Teil davon auch soziale Fragen
aufwirft und höhere Löhne fordert, widerlegt dies nicht. Gleichzeitig gab es
Fälle von offenem Rassismus und Homophobie. Solche offen reaktionären und
rassistischen Ausbrüche zeigen, auch wenn noch nicht weit verbreitet, dass die
Menschen, die die Bewegung zu sammeln versucht, das Volk vornehmlich als „das
weiße französische Volk“ betrachtet wird – nicht die gesamte arbeitende
Bevölkerung, einschließlich der in den Banlieues lebenden muslimischen und
immigrierten ArbeiterInnen.

Rolle
der Rechten

Die
Bedeutung von organisierten Rechten und die falsche „Toleranz“ ihnen gegenüber
wurde bei der Demonstration am 24. November in Paris offenbar. Bis zu 10.000 –
etwa 10 Prozent der geschätzten landesweiten Mobilisierung an diesem Tag –
stießen auf der Champs-Élysées mit der Polizei zusammen und die Kämpfe wurden
von der „extremen Rechten“ angeführt, d. h. von faschistischen und
halbfaschistischen Kräften rechts von der RN. Während die meisten
DemonstrantInnen wahrscheinlich selbst keine FaschistInnen waren, zeigten sie
sich eindeutig bereit, deren Führung an diesem Tag zu akzeptieren. Die
„Bewegung“ und die damit verbundenen Hauptkräfte haben keinen klaren Bruch mit
faschistischen Elementen wie Les Identitaires (BI; Identitärer Block – Die
Europäische Sozialbewegung) gefordert oder versucht, sie zu vertreiben. Am 1.
Dezember kam es zwar zu einzelnen Zusammenstößen zwischen Rechten und Linken –
aber diese stellten leider eine Ausnahme dar. Sie trugen einen eher
episodischen Charakter, wie der Artikel „Gelbwesten: Repression und
Gegenstrategien“ (https://www.graswurzel.net/gwr/2018/12/gelbwesten-repression-und-gegenstrategien/)
belegt:

„Am
ehesten geneigt, aus emanzipativer und libertär-sozialistischer Sicht die
militante Revolutionsromantik zu trüben, ist allerdings ein ganz anderes
Phänomen, das bei diesen Auseinandersetzungen, vor allem am 24. November und am
1. Dezember in Paris zum allerersten Mal überhaupt in der Geschichte sozialer
Kämpfe in Frankreich auftrat. Dass nämlich Militante aus ultra-rechten und
linksradikalen Gruppen bei den Barrikaden zum Teil zusammen auftraten und eine
Art faktische Querfront der Militanz bildeten, vereint im Kampf gegen die
Polizei Macrons. (…)

Vor allem Gruppen der ,Bastion Social’
übernahmen in Paris am 24. November die üblich gewordene Strategie der linken
Insurrektionalist*innen und setzten sich auf der Champs-Élysées an die Spitze
des Demozuges der Gelbwesten, um so sofort in die Konfrontation mit der Polizei
zu kommen. Am 1. Dezember waren wiederum die ,Bastion Social’-Militanten als
Erste schon frühmorgens am Arc de Triomphe und schlugen gleich gegen die
Polizei los, bevor dann erst viel später, am Nachmittag, die
Insurrektionalist*innen des ,Unsichtbaren Komitees’ und die Antifaschist*innen
der ,Action Antifasciste Paris-Banlieue’ ankamen und die militanten Kämpfe
fortführten. Erst sie zertrümmerten dann Teile des Arc, was die Ultra-Rechten
nie tun würden, sie ehren das dortige ,Grab des unbekannten Soldaten’ als
nationales Heiligtum. Beim Übergang – quasi der Wachablösung – kam es dann zum
Aufeinandertreffen. Von daher erklärt sich auch, wieso genau an diesem Ort Yvan
Benedetti, früherer Chef von L’Œuvre française, der im Zusammenhang mit dem
Mord am Antifaschisten Victor Méric 2013 als beteiligt verdächtigt wird,
heutiger Vorsitzender des ,Parti Nationaliste Français’ (PNF), von in
Gelbwesten verkleideten Linksradikalen krankenhausreif geschlagen wurde. Gerade
weil sich die Militanten zum Teil Gelbwesten überzogen und auch ansonsten im
Streetfighter-Outfit gleich aussehen, liegt der eigentliche Erklärungsbedarf
genau hier: Ist das eine faktische Querfront linksradikaler Militanter mit
Nazi-Militanten?“ (https://www.graswurzel.net/gwr/2018/12/gelbwesten-repression-und-gegenstrategien/)

Der
kurze Schlagabtausch hatte an diesem Tag einen bloß episodischen Charakter.
FaschistInnen und „Linksradikale“ lösten sich im Kampf um dasselbe Ziel,
denselben Inhalt ab – eine Form der Zusammenarbeit, die nur als reaktionär
beschrieben werden kann. Unabhängig von einzelnen Scharmützeln fanden sich hier
Linksradikale stundenlang in einer Aktionseinheit mit Nazis.

Veränderungen?

Zweifellos haben von Beginn an auch Linke in die
Bewegung interveniert und an manchen Orten entstanden ebenso zweifellos
Verbindungen zwischen den GJ und progressiven Kräften, auch mit
GewerkschafterInnen und SchülerInnen.

Das ist natürlich ein positiver Schritt, der
verdeutlicht, dass Menschen zu einer bewussteren, linken Politik gewonnen
werden können. Am kleinbürgerlichen Charakter der Bewegung selbst ändert das
noch nichts.

Dass die Forderungen einen eindeutig
kleinbürgerlichen Charakter haben, ist unbestreitbar, ebenso der Einfluss von
Rechten. Hinter Formeln wie der „Heterogenität“ der Bewegung verbirgt sich
vielmehr der Unwille, die Frage zu stellen, welche soziale Kraft, welche Klasse
die Bewegung dominiert, welche ihre Führung stellt.

ZentristInnen wie RIO versteifen sich sogar auf den Standpunkt, dass diese Bewegung „aktuell eher führungslos wäre“ (Der Aufstand der Gelbwesten, https://www.klassegegenklasse.org/der-aufstand-der-gelbwesten/). Zu dieser Schlussfolgerung vermag man freilich nur zu kommen, wenn die Frage der Führung bloß als Frage der Repräsentanz politischer Parteien und Organisationen, anerkannter, repräsentativer FührerInnen gestellt wird. So gesehen sind die GJ, solange sie keine allgemein anerkannte Form der Wahl von RepräsentantInnen, SprecherInnen usw. gefunden haben, quasi per definitionem führerInnenlos.

Das blendet jedoch die eigentliche Frage aus,
welche Klasse die Bewegung dominiert, welche sie anführt. Dass es sich dabei um
die ArbeiterInnenklasse handeln würde, behaupten nicht einmal die eifrigsten
UnterstützerInnen aus der Linken – und der Mainstream aus der französischen
Linken, insbesondere La France Insoumise strebt das auch nicht an. Schließlich
gilt PopulistInnen das „Volk“ als eigentliches Subjekt gesellschaftlicher
Veränderung, in dem die ArbeiterInnenklasse als eigenständige Kraft aufgelöst
wird.

Hier zeigt sich aber auch eine fatale
Oberflächlichkeit deutsche „Linksradikaler“. So erklärt Peter Schaber im „Lower
Class Magazine“, dass soziale Bewegungen eben heterogen wären, dies
gewissermaßen ihren „Naturzustand“ verkörpere. Hinter dieser schon im Abstrakten
und in ihrer Allgemeinheit nutzlosen Feststellung verschwindet freilich die Frage,
welche Klasse eine bestimmte soziale Bewegung dominiert, lenkt. Das trifft auch
auf die oberflächliche Behauptung von RIO/FT-CI (Revolutionäre
Internationalistische Organisation/Trotzkistische Fraktion – Vierte
Internationale)  zu, dass die
Bewegung vor allem „führungslos“ wäre.

Diese Behauptung impliziert letztlich, dass es
keine Rolle für die Charakterisierung einer Bewegung, für die Haltung von
MarxistInnen, die politische Taktik und die Politik der ArbeiterInnenklasse
spielen würde, welche Klasse diese politisch-ideologisch dominiert oder prägt.

Dummerweise spiegeln die Gelbwesten jedoch auch
eine Veränderung der politischen Landschaft und des Verhältnisses zwischen
ArbeiterInnenklasse und KleinbürgerInnentum wider. Über Jahre stellte erstere
letztlich die prägende Kraft im Kampf gegen verschiedene bürgerliche
Regierungen und das Kapital dar. Jahrelang erwies sich dabei die CGT
(Allgemeiner Arbeitskongress; große französische Gewerkschaft) als zentrale
Organisation, die ihrerseits immer wieder dem Druck radikalerer Kräfte
ausgesetzt war. Diese Hegemonie bedeutete auch, dass sich andere
Massenbewegungen – insbesondere die Jugend (SchülerInnen, StudentInnen) wie
auch die MigrantInnen in den Banlieues – als linke, fortschrittliche Bewegungen
manifestierten. Selbst radikalere kleinbürgerliche Bewegungen wie die
Confédération paysanne (Bauerngewerkschaft) José Bovés, die
Antiglobalisierungsbewegung oder die Bewegung gegen die EU-Verfassung waren vor
diesem Hintergrund links geprägt.

Die GJ markieren eine tief gehende Veränderung
des Verhältnisses zwischen den Klassen. Ihre Ablehnung nicht nur bürgerlicher
Parteien, sondern aller Parteien und Gewerkschaften signalisiert nicht allein
ein vielleicht verständliches Misstrauen – es drückt auch eine deutliche Rechtsentwicklung
gegenüber früheren sozialen Bewegungen aus. Mögen die Vorbehalte gegen die
Gewerkschaftsführungen und erst recht gegen jene linker Parteien noch so
nachvollziehbar sein, die Forderung nach einem Verzicht auf deren offenes
Auftreten, nach deren Eingreifen als politische oder gewerkschaftliche organisierte
Kraft mit ihren Vorschlägen träg einen eindeutig reaktionären Charakter. Ihre
Umsetzung bedeutet nicht mehr und weniger, als dass die ArbeiterInnenklasse
nicht als kollektives Subjekt in Erscheinung treten soll, dass die
Lohnabhängigen nur als Individuen, als BürgerInnen (citoyens) unter anderen
BürgerInnen sichtbar werden sollen.

Schließlich spiegeln die GJ auch die Schwäche,
ja fast den Zusammenbruch der politischen Parteien der ArbeiterInnenbewegung
wider. Während vor über 10 Jahren die Krise der Parti socialiste (PS,
Sozialistische Partei) und Kommunistischen Partei (KPF) zur Bildung der NPA als
zentristischer Partei und danach der Parti de Gauche (PdG, Linkspartei) als
reformistischer Partei geführt hatte, also zu einer politischen
Linksverschiebung, so haben diese selbst in den letzten Jahren aufgrund ihrer
eigenen Widersprüche abgewirtschaftet.

Die PS hat sich fast zur kompletten Irrelevanz
zerlegt. Die KPF dümpelt vor sich hin. Die NPA ist deutlich schwächer als in
der ersten Phase nach ihrer Gründung. Die PdG wurde zu einem
links-populistischen Projekt, zu La France Insoumise transformiert. Anstelle
einer reformistischen, bürgerlichen ArbeiterInnenpartei trat unter Melénchons
Führung eine populistische Partei, eine „Volks“partei. Von roten Fahnen will auch
er nichts mehr wissen. Stattdessen wird die Trikolore gehisst. Dem
„aggressiven“ französischen Nationalismus soll durch einen angeblich
fortschrittlichen und inkludierenden „linken Patriotismus“ der Rang abgelaufen
werden. In Wahrheit erweist sich das nur als Wasser auf die Mühlen der „echten“
PatriotInnen und NationalistInnen, die freudig darauf verweisen, dass nun auch
der „Linke“ Mélenchon gegen den „Kosmopolitismus“ und offene Grenzen hetzt.

All das spiegelt sich auch in der Bewegung
wider. Die linken Kräfte haben schließlich gegenüber den 42 Forderungen –
selbst wenn sie keine wirkliche demokratische Legitimation haben – keine
nennenswerten inhaltlichen Einwände vorgebracht.

Im Gegenteil: Mélenchon und seine Bewegung
unterstützen sie und verweisen darauf, dass sie eigentlich dem Programm von La
France Insoumise entsprechen würden. Und damit hat er nicht einmal Unrecht. In
vielen Punkten entspricht diese Mischung aus Keynesianismus, sozialer Sicherung
für die Armen und unteren Einkommensschichten der ArbeiterInnenklasse, aus
Steuererleichterungen, aus dem Ruf nach einem starken Staat und regulierter
Migration sowie das Bekenntnis zur französischen Nation (samt ihrem
„Republikanismus“) dem Populismus seiner Bewegung.

Umgehrt können sich auch die RN und die noch
rechteren Kräfte damit anfreunden, weil sich ihr rechter Populismus heute als
„sozial“ präsentiert, im Fall der faschistischen und halbfaschistischen
Organisationen sogar als „antikapitalistisch“ und „revolutionär“. Auch sie präsentieren
sich als VertreterInnen der Interessen der „Volksmassen“ gegen die „Elite“.
Umgekehrt entspricht es dem Populismus von rechts, aber auch von links, dass
die Anliegen der „patriotischen“ UnternehmerInnen und der
binnenmarktorientierten KapitalistInnen bedient werden sollen – schließlich
gehören auch sie zum „Volk“, dieser imaginären, klassenübergreifenden
politischen Wundertüte, hinter deren Beschwörung sich letztlich immer nur
bürgerliche und kleinbürgerliche Interessen verbergen können.

Doch selbst „revolutionäre“ Kräfte passen sich opportunistisch an die Forderungen der Bewegung an. So erklärt RIO im Dezember 2018: „Im Moment enthält die Forderungsliste der Gelben Westen, die an die Regierung gerichtet ist, äußerst progressive Punkte wie die Erhöhung des Mindestlohns, das Ende der Leiharbeit, Altersrenten, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Kopplung der Löhne an die Inflation, die Begrenzung prekärer Verträge, mehr Steuern für Großunternehmen usw.“ (Der Aufstand der Gelbwesten) Die reaktionären Forderungen nach rassistischen Gesetzen oder nach mehr Mitteln für die Repressionskräfte werden, um das progressive Bild nicht zu trüben, erst gar nicht erwähnt.

Die Beschönigung des Programms der „Gelbwesten“
findet sich bei FT/RIO auch an anderen Stellen immer wieder.

„Ausgehend von dieser klassenübergreifenden sozialen Basis – die in der überwiegenden Mehrheit der Arbeiter*innenklasse angehört (welche sich aber infolge des Rückgangs der Organisation und des Bewusstseins der Arbeiter*innenbewegung in Verbindung mit der versöhnlerischen Haltung der Gewerkschaftsbürokratie nicht als Proletariat versteht) und bis hin zu den Sektoren der deklassierten Mittelschicht mit kleinbürgerlichen Merkmalen reicht, über die Zwischenschichten der Selbständigen – entsteht der uneinheitliche Charakter der sozialen und wirtschaftlichen Forderungen, die die Bewegung trägt. Einige sind eindeutig progressiv, wie die Erhöhung des Mindestlohns oder die Streichung einiger indirekter Steuern, während andere viel unklarer sind, wie beispielsweise Forderungen nach einer Senkung der ,Arbeitgebergebühren’.“ (Die Gelben Westen und die vorrevolutionären Elemente der Situation; https://www.klassegegenklasse.org/frankreich-die-gelben-westen-und-die-vorrevolutionaeren-elemente-der-situation/)

Was an der Senkung der „Arbeitergebergebühren“ –
einer klassischen bürgerlichen und neo-liberalen Forderung – „unklar“ sein
soll, bleibt das Geheimnis dieser Gruppierung. Offenbar sollen damit die
reaktionären und arbeiterfeindlichen Aspekte des Programms beschönigt werden,
statt sie klar auszusprechen. Dabei verdeutlichen die unterschiedlichen,
teilweise direkt einander entgegengesetzten Forderungen, die bei den „Gelbwesten“
zu einem in sich widersprüchlichen Mischmasch zusammengeworfen werden, gerade
den Klassencharakter der Bewegung und die hegemoniale Rolle des
KleinbürgerInnentums.

Dass sich die französische und europäische
Rechte mit dem Programm durchaus anfreunden kann, sollte niemanden wundern,
entspricht es doch durchaus den Forderungen, mit denen ähnliche populistische
Bewegungen angetreten sind.

All das verdeutlicht, dass die Linken in der
Bewegung eben keinen konsequenten politischen Kampf gegen den rechten Einfluss
führen, sondern sich an entscheidenden Punkten anpassen. Ein Teil dieser
Anpassung besteht darin, den Einfluss rechter Kräfte herunterzuspielen. Während
das die eher autonom oder libertär orientierten UnterstützerInnen der Bewegung
als eine Art „Naturzustand“ von Bewegungen hinstellen, versteigen sich Gruppierungen
wie RIO dazu, den Einfluss der Rechten als „bisher noch marginal“ zu
bezeichnen.

Wir haben oben gezeigt, welche Rolle die Rechten
bei den Aktionen am 24.11. und am 1.12.2018 spielten. Die FT verklärt dies zum
„revolutionären Erwachen der ‚kleinen Leute’“:

„Das subversivste Element des gegenwärtigen
Aufstands sind seine radikalen Methoden und die Tatsache, dass der Protest ein
Ausdruck des Leidens ist, der weit über den mobilisierten Sektor der Gelben
Westen hinaus Anklang findet. Dies zeigt sich an der sehr breiten
Unterstützung, die in der öffentlichen Meinung für die Bewegung herrscht, auch
nach den „Gewaltszenen“ vom Samstag, den 24. November, auf die die Regierung
zählte, um die Bevölkerung gegen die Bewegung zu wenden.

Zum ersten Mal seit Langem erleben wir in Frankreich die Entscheidung zur Blockade von „unten“, ohne jegliche Kontrolle durch die Regierung oder die Gewerkschaften, linke oder rechtsextreme Parteien. Diese Blockade war wirksam, und zwar ohne Koordinierung auf territorialer Ebene mit Autoritäten oder Gewerkschaften. Diese absolut subversive Haltung – im Gegensatz zu den zahmen Demonstrationen, die für die routinemäßigen Aktionen der Gewerkschaftszentralen oder der Linken charakteristisch sind – spiegelte sich in der Entscheidung wider, die Demonstration am 24. November auf den Champs Élysées beizubehalten, obwohl die Regierung sie verboten hatte. Ein neuer Meilenstein wurde mit dem ,revolutionären Tag’ am 1. Dezember erreicht, der Paris und viele Städte in der Region erschütterte, während die Exekutive mit der Aufrechterhaltung der Ordnung völlig überfordert war.“ (https://www.klassegegenklasse.org/frankreich-die-gelben-westen-und-die-vorrevolutionaeren-elemente-der-situation/)

Dass die Aktionen an den „revolutionären Tagen“
von den FaschistInnen angeführt wurden, ficht solche RevolutionärInnen
anscheinend nicht an. Was soll schon an dieser Aktionseinheit problematisch
sein, solange sie von „unten“ kommt und „das subversivste Element des
gegenwärtigen Aufstands“ sei?

Statt die abenteuerliche Politik der
AnarchistInnen und InsurrektionistInnen scharf zu kritisieren, verfolgen
sogenannte TrotzkistInnen eine Politik, die nur allzu sehr an die desaströse
der KPD beim „roten Volksentscheid“ erinnert.

Auch kann eine solche nur die Stellung der
Rechten stärken, weil sie den von ihnen Geführten unwillkürlich eine
„unbewusste“ VorreiterInnenrolle zuschreibt. Wer wofür kämpft, welche
politischen und Klassenkräfte bei der „subversiven Aktion“ am Werk sind, wird
zur Nebensache, verschwindet vollkommen hinter der Form der Auseinandersetzung.
Die Bewegung ist alles, das Ziel, der Inhalt ist nichts oder wird durch die
„progressive Dynamik“ anscheinend automatisch vorangetrieben.

Einfluss der Rechten

Der Einfluss von Rechten ist seither auch nicht
verschwunden, auch wenn er sich an vielen Orten eher vermittelt zeigt.
Natürlich hat z. B. Marine Le Pen auch Teile der Bewegung vor den Kopf
gestoßen, als sie sich gegen die Besetzung von Amazon wandte. Zugleich agieren
ihre lokalen und regionalen FunktionärInnen weiter. Darüber hinaus konkurrierte
die RN, wie eine Reihe ihrer Reden und Presseerklärungen zeigen, offenkundig
mit Melénchon darum, sich als parlamentarisches Sprachrohr der „Gelbwesten“ zu
etablieren. Sicherlich spielt ihr dabei auch in die Hände, dass
RN-VertreterInnen in den Massenmedien als SprecherInnen oder UnterstützerInnen
der Bewegung präsentiert werden.

Die Meinungsumfragen verweisen außerdem weiter
auf einen Zuwachs der RN wie auch anderer rechter Kräfte. FI dürfte dagegen
eher stagnieren – so weit jedenfalls gemäß Umfragen von Mitte Dezember 2018,
die RN bei Wahlen 24 Prozent, Macrons La République en Marche (LREM) 18 %
voraussagten. Bei diesen Umfragen lag Debout
la France (DLF, Steh auf Frankreich),
eine Rechtsabspaltung von RN,
bei 8 %. Die Partei Sarkozys Les Républicains (LR, Die Republikaner) lag
bei 11 %, La France Insoumise bei 9 %, die Grünen bei 8 % und
die SozialdemokratInnen bei 4,5 %. (Umfragen zu Zeiten der Gelben Westen:
Le Pens Partei liegt vorn; https://www.heise.de/tp/features/Umfragen-zu-Zeiten-der-Gelben-Westen-Le-Pens-Partei-liegt-vorne-4250308.html).

Auch wenn die GJ über keine einheitliche, gewählte
Führungsstruktur verfügen, so haben sie doch, wie jede Massenbewegung,
„SprecherInnen“. Die Tatsache, dass diese nicht demokratische legitimiert sind,
bedeutet natürlich nicht, dass sie keine Führungsfiguren wären –vielmehr, dass
sich unwillkürlich AnführerInnen finden, die den Charakter einer Bewegung mehr
oder weniger genau widerspiegeln einschließlich ihrer konkurrierenden Flügel.

Zwei bekannte Führungsfiguren auf Seiten der
Rechten der Bewegung stellen eindeutig der LKW-Fahrer Éric Drouet und Maxime
Nicolle alias „Fly Rider“ dar. Es ist zwar umstritten, ob Drouet bei den
letzten Wahlen Le Pen wählte – unbestritten sind jedoch seine eindeutig
migrantInnenfeindlichen und rassistischen Posts aus dem Jahr 2018 (und davor).
Nicolle gilt als Anhänger obskurer Verschwörungstheorien, liked reihenweise
Erklärungen der RN und Le Pens und behauptet, dass das Attentat vom 11.
Dezember 2018 in Strasbourg eine „false flag“-Operation der Regierung gewesen
wäre. Diese Führungsfiguren erhalten freilich nicht nur von Rechten Zuspruch.
So erklärte Mélenchon Drouet zu einem „Anführer der Bewegung“ und einer
faszinierenden Persönlichkeit.

Sicherlich gibt es auch bekanntere,
nicht-rassistische VertreterInnen der Bewegung wie die schwarze Karibikfranzösin
Priscillia Ludosky, eine 33-jährige Inhaberin eines Internetkosmetikshops, die
neben Drouet und Nicolle zu den Galionsfiguren der Bewegung zählt.

„An diesem Samstag, den 05. Januar d. J., traten
Frau Ludoksy und Herr Nicolle bei der Abschlusskundgebung der Demo vor dem Pariser
Rathaus gemeinsam auf, wobei Letzterer sich in der Sache darauf beschränkte,
die Einführung von Referenden durch Bürger/innen/begehren oder RIC (référendum
d’initiative citoyenne) zu fordern. In Teilen der Protestbewegung schien sich
dieses Verlangen seit kurz vor Weihnachten 18 zum neuen ,Patentrezept’ zu
entwickeln, und da diese Forderung keinen Klassencharakter zu tragen scheint,
freunden sich auch die rechteren Kräfte ganz gerne damit an.“ (http://www.labournet.de/internationales/frankreich/soziale_konflikte-frankreich/frankreich-gelbe-westen-protest-abflauen-war-gestern-derzeit-steht-wiederaufflammen-auf-der-tagesordnung-regierungssprecher-auf-der-flucht/)

Am 12. Januar hatten Nicolle und Ludoksy
gemeinsam zur landesweiten Demonstration in Bourges aufgerufen, an deren Spitze
sie auch marschierten.

Dieses gemeinsame Auftreten verdeutlicht –
unabhängig davon, was sich Einzelne dabei denken mögen – den populistischen, ja
volksfrontartigen Charakter der Bewegung, die mal friedlicheren, mal
kämpferische, aber kontinuierliche Zusammenarbeit von rechts und „links“. Die
Zusammensetzung der Galionsfiguren jedenfalls zeigt, dass auf dieser Ebene die
rechten KleinbürgerInnen in der Vorhand sind, zumal Ludosky selbst nur einen
linkeren kleinbürgerlichen, keinesfalls jedoch einen proletarischen
Klassenstandpunkt vertritt.

Zweifellos hat die Intervention von Linken oder
GewerkschafterInnen auf lokaler Ebene auch zu Verschiebungen nach links geführt.
Es verdeutlicht jedoch das innere Kräfteverhältnis in der Bewegung, dass diese
in einigen Städten oder lokalen Komitees eine sogar dominierende Rolle spielen,
nicht jedoch auf nationaler Ebene. Hier kann allenfalls die links-populistische
FI einen wichtigen Einfluss für sich reklamieren.

All das verweist darauf, dass Rechte,
RechtspopulistInnen usw. keine Marginalie, sondern in jedem Fall einen
integralen Bestandteil der Bewegung darstellen. Die ArbeiterInnenklasse als
solche hingegen spielt eine Nebenrolle. Das zeigt sich selbst bei
vergleichsweise fortschrittlichen Erklärungen wie dem Aufruf zu Volksversammlungen
aus der Stadt Commercy. Diese Versammlung einer französischen Kleinstadt, die
von zahlreichen Linken als ein Kristallisationspunkt der fortschrittlichen
Kräfte hofiert wird, erhebt verständlicherweise die Forderung nach einer nationalen
Delegiertenversammlung.

Zugleich geht sie aber selbst über radikalen
kleinbürgerlichen Demokratismus nicht hinaus und enthält selbst falsche,
anti-politische Tendenzen, wo sie sich grundsätzlich gegen die Wahl von
VertreterInnen der Bewegung ausspricht. Das kann nur dazu führen, dass sich eben
Ungewählte als solche betätigen.

Die Perspektiven der Bewegung

Auch wenn die GJ in den ersten Wochen des Jahres
wieder Zulauf erhalten haben, so ist eine politische Differenzierung der
Bewegung mehr und mehr unvermeidlich. Ihre eigenen Aktionsformen werden
zusehends an ihre Grenzen stoßen und manche sind auch umstritten. Die Kämpfe
mit der Polizei auf der Champs Élysées verstören sicherlich auch eine Reihe der
AnhängerInnen – umgekehrt waren es zweifellos diese Aktionsformen, die
Präsident und Regierung zu Zugeständnissen gezwungen haben, sicher nicht die
Anzahl der DemonstrantInnen.

Wiederum kann keine offene Diskussion über die
Taktik geführt werden, die zu verbindlichen Beschlüssen führen würde, da diese
die „Einheit“ der Bewegung zwangsläufig unterminieren würden. Erst recht trifft
dies auf die Forderungen der Bewegung zu. Wenn sie sich auf eine bestimmte
klassenpolitische Richtung – z. B. soziale Forderungen oder
Steuerforderungen für Selbstständige und KleinunternehmerInnen fokussierte, …
– würde sie nicht nur Ziele genauer definieren müssen, es würde diese zugleich
nach politischen Richtungen und Klassen polarisieren. Genau das versuchen aber
mehr oder minder alle in der Bewegung zu vermeiden, um sich nicht dem Vorwurf
des/r „Spalters/In“ auszusetzen.

Daher erscheinen die Forderung nach dem
„Rücktritt Macrons“, der Symbolfigur der Elite, einerseits und die nach
„radikaler Demokratie“ andererseits als einigendes Band.

Das Verlangen nach Macrons Rücktritt mag zwar
radikal erscheinen, lässt jedoch völlig offen, wer ihn durch welches Verfahren
ersetzen soll. Unter den gegebenen Bedingungen würde es wahrscheinlich zu
Neuwahlen kommen, bei denen ein Sieg von RN und Le Pen droht, auch wenn diese
wahrscheinlich mit anderen Kräften eine Koalition bilden müsste.

In jedem Fall erhebt sich daher auch schon jetzt unter den GJ die Frage, ob man sich auf Wahlen einlassen und welche Partei man gegebenenfalls wählen soll. Der rechte wie linke Populismus spekuliert mehr oder weniger unverhohlen auf diese Entwicklung, wobei Le Pen hier sicher die Nase vorne hat. Aufgrund der in der Bewegung weit verbreiteten generellen Ablehnung von „Politik“ versuchen alle etablierten Parteien, nicht zu offen aufzutreten, sondern hoffen darauf, dass den GJ „natürlich“ nur die Wahl bleibt, RN, DLF oder FI zu wählen (und daher, dass aus der Bewegung selbst keine eigene Liste zu den Europawahlen hervorgeht, die ihnen Stimmen kosten würde). In jedem Fall haben diese drei Parteien gute Chancen, dass ihr Kalkül bei den Europawahlen aufgeht, von den Stimmen der GJ zu profitieren.

Ein anderer, „entschlossenerer“ Flügel der
Bewegung betrachtet diese Gefahr misstrauisch und setzt ihr die Forderungen
nach verbindlichen Volksabstimmungen zu allen bedeutenden Fragen, eine Form
radikalen kleinbürgerlichen Demokratismus’, entgegen. Für ihn sind politische
Parteien, VertreterInnen, Repräsentation per se von Übel und sie sollen durch
ständige Abstimmungen überflüssig gemacht werden. Was sich auf den ersten Blick
ultra-demokratisch anhört, ist jedoch vor allem ultra-utopisch. In Wirklichkeit
steht jede Demokratie (auch die proletarische) vor dem Problem der
Repräsentation. Der Unterschied zwischen der Rätedemokratie der
ArbeiterInnenklasse und dem bürgerlichen Parlamentarismus besteht nicht darin,
dass es keine VertreterInnen gibt, sondern erstens im Klassencharakter des
Staates, auf dem diese Demokratie aufbaut, und zweitens in der Form, wie diese
Vertretung von ihre Basis kontrolliert und (ab)wählbar gemacht wird.

Was den „radikalen“ Demokratieforderungen bei
den GJ jedoch vorschwebt, ist in mehrfacher Hinsicht eine kleinbürgerliche
Utopie. Einerseits spielen diese „BürgerInnen“ mit dem Gedanken, jede Form von
Vertretung abzuschaffen, alles „unmittelbar“ zu entscheiden. Andererseits
sollen die Eigentumsverhältnisse der Gesellschaft „natürlich“ unberührt von all
diesen Fragen sein.

Im besten Fall sind diese utopischen
Vorstellungen desorganisierend. Keine Bewegung kann ohne landesweite
VertreterInnen, Forderungen, SprecherInnen auskommen – das per se abzulehnen,
bedeutet letztlich keine Demokratisierung irgendeiner Bewegung, sondern dass
SprecherInnen wie Drouet und Nicolle weiter ihre Führungsrolle ausfüllen können
und werden.

ArbeiterInnenklasse und kleinbürgerlich-populistische
Bewegung

All das zeigt, dass eine längerfristige
Perspektive für die Lohnabhängigen, die von den GJ mobilisiert wurden, nicht
spontan aus der Bewegung kommen wird.

Eine revolutionäre Klassenpolitik muss vielmehr
mehrere Elemente miteinander verbinden.

1. Die gegenwärtige politische Krise in
Frankreich bietet günstige Bedingungen für die ArbeiterInnenklasse, die
Gewerkschaften, die Jugend, gegen die Regierung Macron und das Kapital zu
mobilisieren. Das haben die Streiks der SchülerInnen und die Studierenden im
Dezember gezeigt, wie auch die verhaltenen Aktionstage der CGT.

2. Um die Initiative im Kampf gegen die
Regierung zu gewinnen, muss aber die ArbeiterInnenklasse selbst als
Klassenkraft das Feld gesellschaftlicher und politischer Konfrontation mit
ihren eigenen Mitteln und ihren eigenen Forderungen beschreiten. Daher braucht
es ein Kampfprogramm, das die fortschrittlichen Elemente der Forderungen der
„Gelbwesten“ aufgreift, radikalisiert (z. B. eine deutlich höhere
Mindestlohnforderung von 1800 Euro), die reaktionären Forderungen klar ablehnt
und durch progressive ersetzt (Keine Abschiebungen, keine Zwangstests von
MigrantInnen und deren Anpassung an die französische Kultur, Öffnung der
Grenzen für Geflüchtete und MigrantInnen).

3. Dazu müssen kämpferische und linke
BasisgewerkschafterInnen die Initiative ergreifen und von CGT und SUD, aber
auch von allen anderen Gewerkschaften unbefristete politische Massenstreiks
verlangen.

4. Nur unter diesen Bedingungen kann die
ArbeiterInnenbewegung eine Ausstrahlungskraft erlangen, die die lohnabhängigen
Teile der GJ von ihrer kleinbürgerlichen politischen Ausrichtung und ihren
antipolitischen Vorurteilen brechen kann.

5. Mit einer solchen Politik sollten
GewerkschafterInnen, radikale Linke, AntikapitalistInnen und RevolutionärInnen
intervenieren, um die Bewegung entlang der Klassenlinie zu polarisieren und zu
spalten. Natürlich schließt das auch gemeinsame Aktionen mit lokalen und
fortschrittlichen Teilen der GJ ein und die Intervention auf deren Demonstrationen.
Diese müssen aber immer mit einer klaren Kritik an reaktionären, bürgerlichen
und populistischen Vorstellungen in der Bewegung verbunden sein und von einem
offenen organisierten Auftreten geprägt.

6. All das bedeutet auch, klar zu erkennen, dass wir es heute in Frankreich nicht einfach mit einer Konfrontation von zwei „Lagern“, der Regierung Macron gegen das von GJ verkörperte Volk, zu tun haben. Eine solche Vorstellung übersieht, dass wir es sich heute um eine kleinbürgerlich dominierte, klassenübergreifende volksfrontartige Bewegung handelt, die ihrerseits eine Spaltung im bürgerlichen Lager reflektiert, ähnlich wie auch andere populistische Formationen, die sich gegen die Elite richten. Revolutionäre, marxistische Politik muss diesen Schein der zwei Lager durchbrechen. Ansonsten wird die ArbeiterInnenbewegung zur Nachtrabpolitik à la Mélenchon und zur politischen Unterordnung unter das KleinbürgerInnentum verurteilt.