Arbeiter:innenmacht

PODEMOS – populistische Falle oder Alternative für die ArbeiterInnenklasse?

Christian Gebhardt, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015

Innerhalb Europas stellt PODEMOS neben SYRIZA wohl als eines der Projekte dar, die mit der größten Ausstrahlungskraft in die europäische Linke aufwarten können. Mit diesem Artikel wollen wir einen Beitrag dazu leisten, die Entwicklung von PODEMOS zu analysieren sowie Antworten auf die folgenden Fragen zu geben: Welchen Charakter besitzt PODEMOS? Was ist die Bedeutung des Projektes mit Hinblick auf die Frage, wie die ArbeiterInnenklasse ihre Führungskrise überwinden kann? Darüber hinaus wollen wir uns der Frage widmen, welche praktischen Erfahrungen PODEMOS in seiner jungen Geschichte gemacht hat und welche Schlussfolgerungen für die radikale Linke innerhalb und außerhalb von PODEMOS gezogen werden können.

PODEMOS, der Ausdruck einer sogenannten „neuen Politik“ in Spanien, ist ein noch recht junges politisches Projekt innerhalb der spanischen Politiklandschaft. Kurz vor den Europawahlen 2014 gegründet, entwickelte sich schnell eine große Dynamik um das Projekt. Diese gipfelte in der „Assamblea ciudadana“ – ein einmonatiger Konstituierungsprozess der Partei, um über politische sowie statutarische Fragen als auch über KandidatInnen für die kommenden nationalen wie auch lokalen Wahlen im Jahre 2015 zu entscheiden. Vor einem Publikum von 8.000 TeilnehmerInnen im Palácio de Vistalegre sprach der prominenteste PODEMOS-Führer Pablo Iglesias:

„Wir sind längst nicht mehr nur eine Bürgerbewegung, wir sind eine politische Kraft. Wir werden uns nicht damit zufriedengeben, wie weit wir schon gekommen sind – Zweiter bei den landesweiten Wahlen – denn wir sind gekommen, um zu gewinnen und sie haben Angst vor uns.“

Er stellte sein „Ethisches Dokument“ auf der „Assamblea Cuidadana“ vor, in welchem PODEMOS als „ein Werkzeug der BürgerInnen zur Beendigung der Korruption“ dargestellt wurde. Für ihn wurde PODEMOS deshalb gegründet, da „jemand die ‚Opfer‘ der Krise repräsentieren muss. Was wir sagten, ermöglichte diesen Opfern – die untergebenen Schichten, vor allem der verarmenden Mittelschicht – sich als solches zu identifizieren und sich durch die Formierung eines neuen ‚Uns‘ ein Bild von ‚Ihnen‘, ihren KontrahentInnen zu machen: den alten Eliten. “ (1)

Aufstieg von PODEMOS

Bei den Wahlen am 25. Mai zum europäischen Parlament erreichte PODEMOS 7,9% und somit 1,25 Millionen Stimmen sowie 5 Abgeordnete. Die zwei größten spanischen Parteien, die Partido Socialista Obrero Español (PSOE) und die Partido Popular (PP), erhielten zusammengenommen weniger als 50% der Stimmen, welches einen starken Verlust im Vergleich zu 2009 darstellte. Damals erhielten beide Parteien noch zusammen 81%. Das verdeutlicht die Tragweite der Desillusionierung mit der „alten Politik“, welche das Land seit der Wiedereinführung der Demokratie nach der Franco-Ära 1978 dominierte.

Mit Blick auf unterschiedliche Umfragewerte befand sich PODEMOS einige Zeit auf einem Umfragehoch und bekam bis zu 27% der Stimmen, gefolgt von der PSOE mit 25%, während die derzeitige Regierungspartei PP auf gerade mal 20% absank. Dieses Wachstum von PODEMOS war ein – wenn auch der am wenigsten erwartete – Ausdruck einer Linksentwicklung innerhalb der politischen Landschaft Spaniens. Ein weiteres Anzeichen hierfür fand sich in der Zunahme an WählerInnenstimmen für die Izquierda Unida (IU). Deren Liste, in welcher u.a. die spanischen Grünen sowie die kommunistische Partei Spaniens vertreten sind, erhielt bei den Europawahlen 10,03%, 1.575.208 Stimmen und gewann 6 Sitze. 2009 bekam die IU noch 588.248 Stimmen, 3,7% und 2 Sitze.

Die objektive Basis für diese Entwicklung stellt die anhaltende wirtschaftliche Krise Spaniens sowie die politische Untätigkeit vieler Parteien und Organisationen dar, etwas gegen die Krisenauswirkungen zu unternehmen. Die Arbeitslosenquote befindet sich seit 2012 bei 25% und steht bei Jugendlichen unter 25 Jahren bei über 53%. Hierbei ist kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Dazu kommt, dass eine große Anzahl an SpanierInnen ihre Häuser in der Hypothekenkrise verloren haben und junge Menschen in Massen das Land verließen, um Arbeit zu suchen. Die Sparmaßnahmen, die unter dem Druck der Europäischen Union von PSOE- wie auch PP-Regierungen durchgepeitscht wurden, haben Millionen von SpanierInnen in Langzeitarbeitslosigkeit und Armut geworfen.

Hierbei darf auch nicht der Betrug der PSOE an ihren WählerInnen vergessen werden. Im August 2011 vereinbarte die Partei hinter dem Rücken ihrer Basis mit der PP von Mariano Rajoy – damals in der Opposition – eine Änderung der spanischen Verfassung, um auf Druck der europäischen Union Haushaltsdefizite zu verbieten. Hiermit wurde über Nacht jeder zukünftigen Regierung die Möglichkeit genommen, antizyklische Konjunkturprogramme zu verabschieden, um so zumindest kurzweilig Krisenauswirkungen abzufangen.

Die anhaltende wirtschaftliche Krise führte jedoch auch zu Wellen politischer Kämpfe gegen das vor allem von Jugendlichen als korrupt angesehene politische Establishment der beiden „Volksparteien“. Dies wiederum mündete in eine von Vielen so genannte „Krise der Demokratie“. Eine Erkenntnis durch die Massen, dass die vorhandene Form der Demokratie in Spanien wie auch in anderen Teilen Europas nur Parteien hervorbringt, welche in Zeiten enormer wirtschaftlicher und sozialer Krisen keinerlei reale Alternativen, keine Wahlmöglichkeiten anbieten können. Dies zeigte sich zum Beispiel durch den „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande in Frankreich, drückt seine Regierung, einmal gewählt, doch die gleichen Sparprogramme wie ihre konservativen Vorgängerinnen durch. Im Endeffekt zeigt das parlamentarische System in solchen Situationen den WählerInnen: „Wähle, wen du willst, es gibt keine Alternative“.

Die ersten Anzeichen einer klaren Ablehnung dieses Systems traten vor drei Jahren auf. Unter dem Slogan ¡Democracia Real YA! (Echte Demokratie, JETZT!) fanden massive Platzbesetzungen durch junge Menschen in ganz Spanien statt. Die bekanntesten waren die Besetzungen in Madrid auf dem Puerta del Sol und in Barcelona auf dem Plaça de Catalunya.

Diese Massenbewegung wurde unter dem Namen Indignados (die Empörten) oder 15-M Bewegung (die Proteste begannen am 15. Mai) bekannt (2). Spezifische Bewegungen gegen unterschiedliche Aspekte der großen Rezession traten aus dieser Bewegung hervor. Wie zum Beispiel die Plattform für die von Hypotheken Betroffenen (PAH), die Bewegungen für das Recht auf Wohnen oder die sogenannten Mareas, Proteste gegen soziale Kürzungen und Privatisierungen.

Obwohl es in den darauffolgenden Jahren zu vielen Demonstrationen und Aufmärschen (zum Beispiel der „Marsch für Würde“ Anfang diesen Jahres) kam sowie zu Besetzungsversuchen, scheiterte die soziale Bewegung daran, die etablierten Parteien von ihren Kürzungs- und Sparvorhaben abzubringen. Die Massenversammlungen, die jegliche Organisationsstrukturen unter dem Vorbehalt gegen Führungen ablehnten, vermochten es nicht, die politischen Kräfteverhältnisse entscheidend zu verändern. Auch die weit verbreitete Ablehnung politischer Organisierung im Allgemeinen einschließlich der etablierten reformistischen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung führte schließlich zu einem Absterben der 15M-Bewegung.

Jedoch lernten Teile der Bewegung, dass Proteste alleine nichts ändern würden, genauso wenig wie die anhaltenden Versammlungen, in welchen AnarchistInnen sowie Libertäre eine Vorform einer neuen Gesellschaft vorhersahen. Diese Sackgasse war nicht einzigartig für Spanien. Die gesamte Occupy-Bewegung scheiterte daran, die Regierungen zum Nachgeben zu bewegen oder gar irgendeine anhaltende Form für die von vielen TeilnehmerInnen diskutierte „neue Form der Demokratie“ zu schaffen.

Diese Sackgasse entstand unter anderem daher, dass es der Großteil der TeilnehmerInnen oder ihre angeblich „nicht-existierenden“ FührerInnen nicht versuchten oder nicht wollten, die Masse an gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen einzubinden. Deren direkte Streikaktionen hätten die PolitikerInnen zu Zugeständnissen zwingen können. Die Demonstrationen der BergarbeiterInnen und anderer Sektoren boten hierfür Möglichkeiten. Auf der anderen Seite verhinderten die FührerInnen der größten gewerkschaftlichen Dachverbände, wie auch in anderen Ländern, einen politischen Generalstreik, welcher die Sparregierungen zu Fall hätte bringen können.

Somit war zumindest in Spanien im Frühjahr 2014 die Lage reif für einen Schwenk hin zu einer Politik, die in festere organisatorische Strukturen als zuvor eingebettet war. Diese Politik musste jedoch eine „neue“ Politik darstellen. Eine Politik ohne „Experten“ – ohne PolitikerInnen. Jedoch eine Politik mit einem „unerlässlichen Bestandteil […] einer Führungsperson mit einem hohen Bekanntheitsgrad in Spanien“ (3).

Ideologische Wurzeln der „neuen Politik“

Die Gruppe, welche das öffentliche Gesicht von PODEMOS wurde, besteht fast ausschließlich aus Mitgliedern der Fakultät für Politikwissenschaften und Soziologie an der Complutense Universität in Madrid. Pablo Iglesias, Juan Carlos Monedero und Íñigo Errejon hatten sich Prominenz durch ein lokales TV-Programm – „La Tuerka“ – verschafft, welches landesweite Verbreitung dank sozialer Medien und Internet fand. Vor allem der junge Akademiker Pablo Iglesias startete einen gut ankommenden Angriff gegen die PSOE und PP, indem er sie für ihre Korruption, ihre Forcierung sozialer Ungleichheiten, ihre Vertuschungen von Betrug im Bankenwesen, ihre Rettungsaktionen für die Banken sowie ihre Unterstützung für das Sparprogramm des IWF bzw. der EZB an den Pranger stellte, welches mit verheerenden sozialen Auswirkungen verknüpft ist. Er sollte auch die oben angesprochene „Führungsperson mit einem hohen Bekanntheitsgrad in Spanien“ darstellen.

Iglesias vertraute mit Absicht auf – seiner Meinung nach – allgemeingültige Argumente und die Alltagssprache und schwor den rechten wie auch linken Traditionen und Begrifflichkeiten ab. Hierzu schrieb er in einem kürzlich veröffentlichten Artikel in New Left Review:

„Die Zusammensetzung der politischen Landschaft in eine Links-Rechts-Trennung führte zu einer Situation, die einen Wechsel hin zu einer progressiven Richtung in Spanien nicht länger möglich machte. Auf diesem symbolträchtigen Terrain von Links und Rechts haben diejenigen von uns, welche eine post-neoliberale Transformation durch den Staat anstreben – Verteidigung der Menschenrechte, der Souveränität und die Verbindung zwischen Demokratie und Umverteilungspolitik – nicht den Hauch einer Chance auf Wahlgewinne.“ (4)

Neben der Tatsache, dass in dieser Aussage viele schwammige Ziele formuliert werden (Menschenrechte, Demokratie, Umverteilungspolitik), wird hier deutlich, dass Pablo Iglesias eine klare Strategie verfolgt, über Mehrheiten im Parlament Reformen zu „erkämpfen“. Hierzu muss seiner Auffassung nach jedoch die „Links-Rechts-Achse“ aufgebrochen werden, um die Mehrheit der Bevölkerung erreichen zu können und diese nicht zu verschrecken. Dies sei notwendig, um einen durch die Krise aufgebrochenen Diskurs in der Gesellschaft zu führen und um keine Menschen zu verprellen, die durch radikalere Rhetorik nicht erreichbar wären. Diese abgeschwächte Rhetorik und diesen Populismus rechtfertigt Iglesias im selbigen Artikel später wie folgt:

„Wenn wir darauf bestehen, z.B. über Räumungen, Korruption und Ungleichheit zu sprechen, und uns dagegen wehren, in allgemeine Diskussionen über die Form des Staates (Monarchie oder Republik) […] gedrängt zu werden, heißt das nicht, dass wir keine Meinung zu diesen Themen haben oder unsere Positionen abschwächen. Wir nehmen vielmehr an, dass ohne die Maschinerie der institutionellen Macht es wenig Sinn macht, sich zu diesem Zeitpunkt auf Bereiche der Auseinandersetzung zu fokussieren, welche uns von der Mehrheit, ‚die nicht links ist, distanzieren würden. Und ohne die Mehrheit zu sein, ist es nicht möglich, den Zugang zur administrativen Maschinerie zu erlangen, welche uns die Möglichkeit geben würde, diese diskursiven Auseinandersetzungen unter anderen Voraussetzungen zu führen, während in der Zwischenzeit mit öffentlicher Politik interveniert wird.“ (5)

Dass der Aufbau von PODEMOS und das Erreichen der Ziele nur mit einer unerlässlichen Führungsfigur mit nationaler Popularität gelingen könnte, verdeutlicht neben dem Reformprogramm auch noch den populistischen Ansatz von Iglesias. Schnell erhielt er eine große Anzahl an GesinnungsgenossInnen. Einige der ComplutenseakadermikerInnen haben einen linken Hintergrund. Iglesias selbst trat mit 14 den JungkommunistInnen bei, Monedero war Berater für Izquierda Unida. Viele von ihnen haben einige Zeit in Lateinamerika verbracht, wo sie nicht nur die bolivarische Bewegung rund um Persönlichkeiten wie Hugo Chávez wissenschaftlich untersuchten, sondern auch aktiv an ihr teilnahmen. Hierbei lernten sie die praktische Kraft einer klassenübergreifenden Mobilisierung „der Bevölkerung“ gegen „die Oligarchie“ kennen.

Ein einfacher, an der Oberfläche der Gesellschaft verbleibender Antagonismus, welchen die spanischen AkademikerInnen nun in ihrem Slogan „EinwohnerInnen gegen die Kaste“ reproduzieren. Sie „lernten“ zusätzlich aber auch, dass ein traditioneller Bestandteil der spanischen Libertären, welcher stark in der 15M-Bewegung vertreten war, wegen ihrer Feindseligkeit gegenüber FührerInnen über Bord geworfen werden müsse. Íñigo Errejon drückte sich dazu wie folgt aus:

„Wir forderten ebenfalls das FührerInnentabu heraus. Gemäß einigen liberalen Ideen, welche ebenfalls in der Linken verankert sind, ist einE charismatischeR FührerIn unvereinbar mit wirklicher Demokratie. Für PODEMOS war der Nutzen einer medialen Führung durch Pablo Iglesias eine Bedingung sine qua non der Kristallisation politischer Hoffnung, welche die Zusammenführung vereinzelter Kräfte in einem Kontext der Ablehnung der bürgerlichen Kräfte erlaubte.“

Klar wird hierbei, was diese linken AkademikerInnen in Lateinamerika gelernt hatten – die notwendige Ergänzung zum Populismus, der Caudillismo, welcher den Fokus auf eineN charismatischE FührerIn legt und dieseN direkt mit den Massen interagieren und für sie sprechen lässt. Populismus setzt auf Massenmobilisierungen in überwältigenden Ausmaßen, jedoch nicht unter allen Umständen durch Parteistrukturen und eine Pyramide an RepräsentantInnen, sondern direkt durch eineN, oder möglicherweise mehrere, anerkannteN FührerInnen. Die FührerInnen werden durch ihre „Popularität“ legitimiert, ausgedrückt in Massenversammlungen, Kundgebungen und medialer Präsenz.

Hugo Chávez verband dies mit seiner Macht durch wiederholte Wahlen und Referenden, seine riesigen Massenversammlungen und den bolivarischen Zirkel. PODEMOS nutzte die sozialen Medien sowie das Internet geschickt, um dies zu erreichen. Somit können die Schlüsselfiguren in PODEMOS eine Art dauerhafte Volksbefragung durchführen.

Der klassische Chávismus und PODEMOS zeichnen sich durch die Zerstreutheit der AnhängerInnen als Individuen bzw. in kleinen Gruppen aus. Demgegenüber besitzen die FührerInnen Privilegien, wie z.B. öffentlich die Politik zu vertreten, zu entwickeln, zu initiieren sowie auswählen zu können, welche von der Basis ausgehenden Ideen hervorgehoben werden sollen und welche nicht. Andere politische Gruppierungen oder Tendenzen innerhalb der Bewegung sind dadurch sehr angreifbar gegen Spaltungsvorwürfe oder gegen Vorwürfe, sie würden die Mitglieder nicht repräsentieren, sondern nur ihre eigenen kleinen Gruppen. Dies stellt die Demagogie dar, welche unzertrennlich mit dem Populismus einhergeht, das Spielen mit der Ignoranz sowie das Hofieren der Vorurteile der atomisierten Masse.

In Europa stellte der offene Populismus generell eine Domäne der Rechten dar. Teilweise war und ist dies der ArbeiterInnenklasse geschuldet. Die ArbeiterInnenbe-wegung schuf Massenparteien und zwang die Bourgeoisie dazu, das allgemeine Wahlrecht anzuerkennen. Die Klasse stützte Bewegungen – ob Gewerkschafts- oder Parteibewegungen – auf Zellen und Ortsgruppen, welche über Delegiertenkonferen-zen ihre Politik bestimmten und sich selbst Führungen wählten.

Natürlich sind solche Strukturen in Form sozialdemokratischer oder stalinistischer Massenparteien verbürokratisiert. Selbst formal demokratische Strukturen konnten die tradionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegungen nicht davor bewahren, nachdem sie sich auf eine passive Mitgliedschaft und einen bürokratischen Apparat sowie enge Beziehungen zum bürgerlichen Staat stützten. Hinzu kommt, dass sie eine soziale Basis unter den „besser gestellten“, arbeiteraristokratischen Schichten der Klasse haben – was auch erklärt, warum sie vornehmlich ein politisches Phänomen der imperialistischen Länder oder wirtschaftlich stärkerer Halb-Kolonien sind.

Diese Parteien sehen die Existenz des Kapitalismus und kapitalistischen Wohlstand – oder zumindest Stabilität – als eine Grundvoraussetzung für jegliche Reformen an. Konsequenterweise akzeptierten sie damit die Notwendigkeit, in Perioden der Krise oder der verschärften Konkurrenz Sparmaßnahmen durchzuführen, auch wenn diese den Interessen ihrer eigenen UnterstützerInnen zuwiderliefen. Als sich diese UnterstützerInnen gegen diese Parteien wandten, begannen viele nicht nur diese Politik, sondern auch die historische Tradition der ArbeiterInnenbewegung, die sie in verkrusteter Form auch verkörpern, abzulehnen. So erschien die plebiszitäre Form der Demokratie, wie in PODEMOS verkörpert, „partizipativer“ zu sein als die verkrustete Form innerparteilicher Regularien, wie sie in den Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung üblich war. In Wirklichkeit stellt diese Entwicklung einen Schritt zu noch größerer Unabhängigkeit der FührerInnen oder des/der FührerIn von der Basis dar und nicht zu mehr Kontrolle. Diese Entwicklung ist keineswegs auf PODEMOS beschränkt, sondern lässt sich seit Jahren auch bei den „traditionellen“ sozialdemokratischen Parteien beobachten, wenn z.B. mehr und mehr Formen des Wahlkampfes und der KandidatInnenwahl von offen bürgerlichen Parteien übernommen werden (oft am Modell der US-Demokraten orientiert).

Auch wenn viele der PODEMOS-Führungspersonen aus einem IU-Hintergrund kommen, konnten Iglesias und das Team hinter PODEMOS daraus Nutzen ziehen, einen sozialistischen Sprachgebrauch komplett zu vermeiden. Im Gegensatz zu einem Klassenbezug sowie der Anerkennung der ArbeiterInnen als das prinzipielle Subjekt für einen Wandel sprechen sie von „der Bevölkerung“ und „den EinwohnerInnen“. Sie sind alle gleich vage in der Frage, wer genau die GegnerInnen sind, gegen wen die Personen vorgehen müssen.

Indem sie den 15M-Slogan „Sie repräsentieren uns nicht!“ aufnahmen, welcher gegen „die Kaste“ professioneller PolitikerInnen gerichtet war, versuchten sie, Methoden zu entwickeln, die diejenigen der offiziellen Politik – Links wie Rechts – überschreiten. Sie glauben, dass dies ein schnellerer und einfacherer Weg zur Erlangung der parlamentarischen Mehrheit darstellt. Deshalb drückte sich Iglesias im Palácio de Vistalegre wie folgt aus: „Wir werden ihnen sagen, dass wir das Zentrum besetzen wollen; wo eine politische Mehrheit existiert, die an Anstandsgefühl glaubt“.

In Realität ist dies nicht etwa eine ausgeklügelte „konter-hegemoniale“ Strategie. In der Tat ist es nicht einmal neu. Bewusst oder unbewusst stellt es eine Kapitulation gegenüber dem Zentrum, der „Mittelklasse“ und den Mittelschichten dar. Der Glaube daran, dass „ehrliche Menschen“, welche gewöhnlich rechts wählen, durch das Vermeiden alter Terminologie von Rechts und Links, von ArbeiterInnen- und Kapitalistenklasse gewonnen werden können, ist entweder ein Fallstrick oder eine Täuschung. Es wird zu einem Fallstrick, wenn PODEMOS dahingehend sein Programm limitiert, was akzeptabel für diese WählerInnen ist. Es stellt eine Täuschung dar, wenn Iglesias & Co. denken, dass auf solch einer Basis für PODEMOS gewonnene Personen einer eventuellen PODEMOS-Regierung treu bleiben, wenn die Gangarten härter werden und die KapitalistInnen beginnen, all ihre wirtschaftliche Kraft gegen PODEMOS zu richten. In diesen Fallstrick scheint PODEMOS nach seinem Hoch in der Gunst der WählerInnenstimmen nun auch zu fallen. Durch das Aufkommen einer rechts-populistischen Konkurrenz mit dem Namen „Ciudadanos“ vor einigen Monaten fällt es PODEMOS schwer, seine Umfragewerte zu halten. Dies wurde z.B. bei den letzten Regionalwahlen in Andalusien deutlich, bei denen PODEMOS die oben genannten Umfragewerte nicht erreichen konnte.

Darüber hinaus deuten weitere Entwicklungen in Richtung Fallstrick. Während Iglesias bis zur offiziellen Gründung von PODEMOS immer von der Streichung der Schulden gesprochen hatte, nahm die „Assamblea Ciudadana“ einen Antrag an, welcher nur eine „ordentliche Restrukturierung“ der Staatsschulden vorsieht. Bibiana Medialdea, Wirtschaftsprofessorin und die Person, welche damit beauftragt war, die Vorschläge zum Thema „Finanzen“ vorzustellen, erklärte die Position wie folgt: „Die objektive Lage ist nicht, die Schulden nicht zu bezahlen, sondern mit einem nachhaltigen Ansatz zu einem Niveau der Staatsverschuldung zu gelangen, welches die Wiedererlangung des Bevölkerungswohlstandes erlauben würde.“

Die Grundeinheiten von PODEMOS

Angelehnt an die Rolle, welche Chávez‘ bolivarische Zirkel gespielt haben, baute die neue Bewegung ein Netzwerk von PODEMOS-Zirkeln in Städten und Institutionen sowie in unterschiedlichen Bereichen und sozialen Problemfeldern auf. So wurden Zirkel von Arbeitslosen, Behinderten, LGBT, FeministInnen, RenterInnen oder für Gesundheit, Journalismus, öffentlichen Verkehr, Ökologie, usw. gebildet.

„Sie sind Orte, um Ängste, Zersplitterung und Resignation zu beenden, Einigkeit der Bevölkerung zu schaffen gegen die Verelendung und die Beschlagnahmung der Demokratie. Durch die Zirkel verteidigen wir Angelegenheiten des normalen Menschenverstandes: Wir sind EinwohnerInnen und wir haben das Recht auf Rechte: darauf, ohne Ängste zu leben, auf Gesundheitsversorgung, Bildung, Rente sowie soziale Absicherung, auf Land und Boden, auf Beschäftigung, Kultur, darauf uns als Individuen und Personen entwickeln zu können, darauf, dass niemand uns belügt oder uns falsch behandelt, darauf, dass niemand uns mit Schulden überschüttet, dass uns niemand beraubt.“

Cristina Flesher Fominaya, Autorin des Buches „Soziale Bewegungen und Globalisierung“ (Mai 2014) beschreibt die Methoden von PODEMOS daher folgendermaßen: „Diese Kommunikation hat es ermöglicht, die grundsätzliche Achse der klassischen Repräsentation zu überwinden: die Parteiformen, die Kultur von Militanz, die Links/Rechts-Achse, das undurchschaubare Konzept des Verhältnisses zwischen RepräsentantInnen und den Repräsentierten sowie die Idee einer politischen Identität eines mehr oder weniger existierenden Subjekts. PODEMOS hat es geschafft, sich über diese Achsen hinwegzusetzen und dabei die Basis gelegt für eine dreiteilige Beziehung zwischen bürgerlicher Mitbestimmung, sozialen Kämpfen sowie dem Ausdruck von Forderungen in Institutionen, welche über die repräsentative Demokratie hinausgehen und eine grundsätzliche Transformation von Politik, Wirtschaft und sozialem Leben ermöglichen.“ (6)

Aus dem Blickwinkel von Iglesias und seiner Formation „Claro Que Podemos“ innerhalb der Führung von PODEMOS hat sich diese Form der Organisierung längst ausgezahlt. Bei den Online-Abstimmungen zu der Frage, welche Organisationsstrukturen sich PODEMOS geben sollte, gewann der Vorschlag von „Claro Que podemos“ eine überwältigende Mehrheit von 80,7% der Stimmen. Der Antrag sah eineN einzelneN GeneralsekretärIn als ParteiführerIn vor. Die einflussreichste Gegenposition – von der Gruppierung „Sumando podemos“ initiiert – schlug ein dreiköpfiges Sekretariat vor. Einer der führenden Köpfe von „Sumando podemos“, Jesús Rodríguez, definierte ihr Vorhaben damit: „Wir haben die Unterstützung vieler Menschen, welche die Pluralität des Projektes aufrechterhalten wollen. Und darunter befinden sich viele Personen, welche eine Führung mit Unterschieden und Pluralität wollen.“

Iglesias machte mit dieser Vorstellung kurzen Prozess, indem er erklärte, dass „der Himmel nicht durch Konsens, sondern nur durch Angriff erobert werden kann“. Sein zweiter organisatorischer Antrag, welcher ebenfalls erfolgreich war, bestand darin, Mitgliedern, welche gleichzeitig Mitglieder anderer Organisationen sind, die Möglichkeit zu untersagen, sich für die Wahl zum „BürgerInnenrat“ aufstellen zu lassen. Der „BürgerInnenrat“ wird für zwei Jahre als Leitungskörper gewählt, welcher die Partei zwischen den Vollversammlungen anleitet. Dieser Antrag war sehr deutlich gegen die Mitglieder von Izquierda Anticapitalista (IA, Antikapitalistische Linke) gerichtet, die spanische Sektion der Vierten Internationale.

Mitglieder der IA sind jedoch nicht nur zentral für „Sumando podemos“, sie haben auch gut die Hälfte der nötigen Unterschriften bereitgestellt, um den Gründungsantrag für PODEMOS einreichen zu können. Darüber hinaus schrieb IA auch das Wahlprogramm zu den EU-Wahlen, bei welchen PODEMOS gut abschnitt. Auch ein Mitglied der IA, Teresa Rodríguez, wurde als Abgeordnete des EU-Parlamentes gewählt. Doch nun zahlt IA den Preis dafür, dass sie Iglesias seit der Gründung der Partei immer nur entgegengekommen ist, anstatt für alternative Organisationskonzepte und deren Vorteile gegenüber den Vorstellungen der Iglesiastruppe zu kämpfen. Diese Entwicklung ging auch nicht spurlos an der IA vorüber. Zu den Auswirkungen auf die spanische Sektion der Vierten Internationale werden wir uns weiter unten auslassen.

Ist PODEMOS der richtige Weg?

PODEMOS wirft wichtige Fragen für Gruppierungen innerhalb der radikalen Linken auf. Ist diese „neue Politik“, vorgeschlagen von der Führung der jungen Partei, ein Modell, welches in anderen Ländern übernommen werden sollte? Stellt es eine wirkliche politische Alternative für die spanische ArbeiterInnenklasse und Jugend in ihren Kämpfen gegen die kapitalistische Krise und deren Auswirkungen dar? Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, welches Verhältnis RevolutionärInnen zu PODEMOS einnehmen sollten.

Diese Fragen sind deshalb so wichtig, da PODEMOS sich aus einem Projekt entwickelte, welches von einer Gruppe aus AkademikerInnen angestoßen wurde. Ist es daher „nur“ ein Projekt von Intellektuellen „für die Massen“ oder birgt es Potenzial, sich in eine Partei der Massen, also eine Partei der ArbeiterInnenklasse, zu entwickeln? Sind Verbindungen zur ArbeiterInnenklasse überhaupt vorhanden?

Studien zur Demografie von PODEMOS sind bisher rar gesät. In seinem auf der Internetseite Open Democracy veröffentlichten Artikel „Wer ist eigentlich PODEMOS?“ versuchte Fernando Betancour, ein amerikanischer sowie wirtschaftlich und politisch liberal eingestellter Politiker, einige Schlussfolgerungen zu ziehen, indem er die Zusammensetzung der WählerInnen sowie der PODEMOS nahestehenden Personen untersuchte. Er kam zu folgender Schlussfolgerung:

„In Übereinstimmung mit einigen demografischen Informationen, welche durch WählerInnenumfragen erstellt wurden, können wir annehmen, dass die WählerInnen von PODEMOS mittleren Alters oder vorstädtische Jugendliche mit einem überdurchschnittlich wohlhabenden Hintergrund sind. Sie sind nicht, zumindest im Durchschnitt, gefährdet durch Arbeitslosigkeit oder Besitzlosigkeit bzw. dadurch, wirtschaftlich marginalisiert zu werden. Sie scheinen nicht eine Gruppe von ArbeiterInnen, vor allem nicht von LumpenproletarierInnen, wie Herr Iglesias in einem Interview verunglimpfend auf sie verwies, darzustellen. Es handelt sich dabei eher um Personen aus der Mittelklasse. Und wenn sie nicht arbeits- oder wohnungslos sind, dann sind sie aufgebracht von anderen Themen: Korruption, politischer Elitismus, Teilnahmslosigkeit der Regierung sowie wahrgenommene Ungerechtigkeit.“

Dies sollte eineN nicht verwundern, vermeiden die bekanntesten SprecherInnen von PODEMOS, so gut es geht, die Sprache und Symbolik der ArbeiterInnenbe-wegung. Für sie stellt eine solche Bezugnahme die Sprache „der Kaste“ dar, ein Zugeständnis an das „Links-Rechts-Schema“, welches ihrer Meinung nach ohne große Umwege in den Mülleimer geworfen werden sollte.

Ebenfalls stellt es keine Überraschung dar, dass das Programm von PODEMOS nicht wirklich radikaler ist als das Programm der Sozialdemokratie, bevor sie vor dem Neoliberalismus kapitulierte. Das Programm zur EU-Wahl war ein klar linksreformistisches Programm, ein Minimalprogramm, welches nicht über Forderungen hinausgeht wie nach einem Schuldenerlass, einem Mindesteinkommen, der Wiederverstaatlichung von privatisierten, aber strategisch wichtigen Teilen der Wirtschaft oder nach der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien. Das Programm versprach die Abschaffung von Steuerinseln, die Einführung eines garantierten Mindesteinkommens sowie die Herabsenkung des Rentenalters auf 60 Jahre. Alles gute und nachvollziehbare Forderungen, jedoch bei weitem kein antikapitalistisches Programm.

Der Kampf für solche Forderungen muss auf jeden Fall auf die Tagesordnung gesetzt werden; jedoch ist die wichtigere Frage, wie diese Kämpfe mit der Eroberung der Macht durch die ArbeiterInnenklasse verbunden werden können.

Um die reformistischen Illusionen zu überwinden und der spanischen ArbeiterInnenklasse ein revolutionäres Programm zu geben, sollten die unterschiedlichen anti-kapitalistischen Strömungen in Spanien, innerhalb und außerhalb von PODEMOS, die Dynamik und Bewegung rund um PODEMOS nutzen, um dafür zu kämpfen, die neue Partei von ihren populistischen und nicht-sozialistischen Einschränkungen zu befreien. Sie sollten offen für eine revolutionäre Linie kämpfen und hierfür für ein revolutionäres Programm mit Fokussierung auf die spanische sowie internationale ArbeiterInnenklasse eintreten. Vor allem mit Hinblick auf die Auseinandersetzung rund um die Wahlen im spanischen Superwahljahr 2015 sollten RevolutionärInnen die entstehende Dynamik und Diskussionen nutzen und die Bildung einer revolutionären Plattform innerhalb von PODEMOS vorantreiben, aber auch den Schulterschluss mit Teilen außerhalb von PODEMOS suchen. Diese Plattform sollte ein Aktionsprogramm sowie ein alternatives Organisationsmodell für die Partei erarbeiten und damit in PODEMOS intervenieren.

Die größte und einflussreichste Organisation der radikalen Linken innerhalb von PODEMOS, die Izquierda Anticapitalista (IA), betreibt freilich eine Politik, die in die entgegengesetzte Richtung führt. Verdeutlicht wird diese passive und defensive Haltung am besten anhand des Umgangs der IA mit den oben genannten Mehrheitsbeschlüssen der „Assamblea Ciudadana“ sowie durch die kampflose Auflösung der IA in PODEMOS.

Nachdem die „Assamblea Ciudadana“den Antrag von Iglesias angenommen hatte, Mitgliedern anderer politischer Organisationen die Möglichkeit zu nehmen, sich zur Wahl der PODEMOS-Führung aufstellen zu lassen, erklärte die IA kurz danach ihre Auflösung in PODEMOS und benannte sich anschließend in „Anticapitalista“ um. Dieser Art des Umgangs mit der Niederlage bei der Abstimmung auf der „Assamblea Ciudadana“, offenbart ein klares Fehlen des Aufbaus einer aktiven und offensiven Opposition gegen die Iglesias-Führung und deren politischen und organisatorischen Konzepte. Vor allem liegt diesem Vorgehen die illusorische Vorstellung zugrunde, dass der grundsätzliche Konflikt mit der Iglesias-Führung vermieden werden könne. Die Iglesias-Führung vertritt nicht nur undemokratische Organisationsziele, sondern vor allem einen kleinbürgerlichen Klassenstandpunkt, der sich im Zuge einer Weiterentwicklung zu einer Form offenen bürgerlichen Populismus‘ entwickeln kann, ja wird. Es ist daher von Seiten dieser Führungsgruppe und ihrer AnhängerInnen nur konsequent, gegen alle Strömungen vorzugehen, die PODEMOS in eine proletarische oder gar eine revolutionäre Richtung drängen oder auch nur drängen könnten.

Anticapitalista will diesen grundsätzlichen Gegensatz jedoch nicht wahrhaben und weicht ihm aus. Rund um diese Auseinandersetzungen auf der „Assamblea Ciudadana“ hätte sie die Zusammenführung revolutionärer Kräfte innerhalb von PODEMOS zu einer revolutionären Plattform vorantreiben können und müssen. Diese revolutionäre Plattform könnte nun aktuell innerhalb von PODEMOS dazu genutzt werden, eine prinzipienfeste Opposition aufzubauen, welche sich für den Aufbau einer demokratisch-zentralistischen Organisation mit voller Tendenz- und Fraktionsfreiheit einsetzt.

Diese Plattform könnte auch in die derzeitigen Auseinandersetzungen in PODEMOS rund um die aktuellen Regional- und Nationalwahlen eingreifen, um die programmatischen Schwächen der Iglesias-Führung aufzuzeigen. Durch das Unterlassen einer solchen Initiative stellte der Umgang von Anticapitalista mit diesen Mehrheitsentscheiden eher einen kampflosen Rückzug gegenüber der Führung dar statt eines offensiven Angriffs gegen die fehlerbehafteten Strategien und Taktiken der derzeitigen Führung. Neben der symptomatischen Auflösung der IA wird ihr Kniefall gegenüber Iglesias auch in einer weiteren Auseinandersetzung deutlich, welche sich rund um die Regionalwahlen in Andalusien abspielte und seitdem landesweite Wellen schlug. Mehr dazu weiter unten im Text.

Ein unausweichlicher Schritt, für welchen Anticapitalista sowie eine eventuelle revolutionäre Plattform oder Fraktion in Opposition zu der Iglesias-Führung eintreten müsste, wäre das Aufbrechen der plebiszitären Struktur der Partei. Konferenzen mit Tausenden TeilnehmerInnen und Hunderttausenden, welche online abstimmen dürfen, erscheinen auf den ersten Blick sehr demokratisch. Im Endeffekt festigt dies jedoch die privilegierte Position der „anerkannten FührerInnen“ – vor allem diejenigen mit einem großen Medienprofil. Wenn zugleich vorhandene organisierte Tendenzen ausgeschlossen und verunglimpft werden, macht dies die Sache nur noch schlimmer. Große Massenkonferenzen politisch unerfahrener, vereinzelter, oft passiver Menschen sind viel einfacher zu manipulieren; das zeigen nicht nur populistische Bewegungen, sondern auch alle Formen bonapartistischer Herrschaft. Die Tatsache, dass allen BürgerInnen, welche nicht aktiv an der Partei teilhaben, die gleichen Rechte gewährt werden wie denjenigen, welche sich aktiv beteiligen, stellt keine höhere Form der Demokratie dar, sondern ist vielmehr eine Waffe gegen sie.

Wahlen und Regierungsfrage

Zweifellos zeigten die in ganz Europa gemachten Erfahrungen neuer Parteien, deren Wachstum die Eroberung der Regierungsmacht ermöglichten, dass blinde Euphorie, hervorgerufen durch einen einzigen Wahlerfolg oder hohe Umfragewerte, deplatziert ist. Die Erfolge von PODEMOS bei den Europawahlen sind hier kein echter Gradmesser für die zukünftige Politik der Partei, weil bei den Europawahlen kein Parlament gewählt wird, das auch eine Regierung bildet. Daher stellt die Stimmabgabe oft primär den Ausdruck der Loyalität gegenüber einer bestimmten Partei oder deren „Abstrafung“ bei einer vergleichsweise „unwichtigen“ Wahl dar. Sie kann allerdings auch als ein Ausdruck gegen die Ausrichtung des „europäischen Projektes als Ganzes“ verstanden werden. Nationale Wahlen im Gegensatz dazu drehen sich um die Frage, wer tatsächlich ein Land regieren soll.

Die Erfahrungen der Rifondazione Comunista in Italien im letzten Jahrzehnt sowie die jüngsten Erfahrungen rund um SYRIZA in Griechenland zeigen, dass jede Partei, welche keinen klaren proletarischen Klassenstandpunkt einnimmt, schlussendlich gegenüber den vorhanden konstitutionellen Grenzen der existierenden bürgerlichen Gesellschaft kapitulieren wird. Dies zeigte sich auch schon in PODEMOS nach dem Abhalten der „Assamblea Ciudadana“, wie in der Abschwächung der Forderung nach einem Schuldenerlass zu sehen ist, sowie in den oben zitierten jüngeren Äußerungen Iglesias, in welchen die Erlangung der institutionellen Macht obenan gestellt und programmatische Klarheit unter den Tisch gekehrt werden.

Für PODEMOS werden die Wahlen sofort die Frage nach einer Koalition aufwerfen. Iglesias sagte, dass PODEMOS in keine Koalition mit Parteien „der Kaste“ eintreten werde. Da dies nicht nur die PSOE, sondern auch die Izquierda Unida beinhaltet, stellen sich nur zwei Szenarien im Falle eines Wahlerfolgs von PODEMOS: Entweder die Formierung einer Minderheitenregierung, um den Versuch zu starten, das Parteiprogramm zu verwirklichen – oder es anderen Parteien zu erlauben, eine Regierung zu bilden. Dies würde entweder eine Koalition zwischen Parteien aus dem rechten Lager oder eine Große Koalition zwischen den traditionellen Parteien, den prinzipiellen Repräsentanten „der Kaste“, bedeuten.

Einer Minderheitsregierung würde offensichtlich nicht nur im Parlament entgegengearbeitet werden, sondern auch von Seiten der Banken, den internationalen Behörden wie dem IWF oder der Weltbank, allen großen Unternehmen sowie natürlich von Seiten der bürgerlichen Medien. Es käme zu einem sofortigen Abfluss von Kapital und einem Aufruhr an den Aktienmärkten. Wäre eine solche Minderheitsregierung nicht in der Lage, schon existierende außerparlamentarische Kräfte zu mobilisieren, um solchen Attacken nicht nur mit Hilfe von Demonstrationen, sondern auch durch Enteignung der Produktionsmittel und Einführung von ArbeiterInnenkontrolle entgegenzuwirken, würde sie nicht lange überleben.

Auf den ersten Blick erschien die Strategie von PODEMOS, jegliche Koalitionen abzulehnen, als sehr radikal, eine entschlossene Ablehnung von allem, für das die etablierten Parteien „der Kaste“ stehen. Iglesias machte deutlich, dass sein Ziel ein sofortiger Wahlsieg, eine Mehrheitsregierung ist. Die vorherige Ablehnung jeglicher Koalitionen, sogar mit der IU und kritischen Elementen innerhalb der PSOE, ist dahingehend gerichtet, die WählerInnen dieser Parteien zu einer Wahl von PODEMOS zu überzeugen. Hierzu äußerte sich Iglesias in einem Interview wie folgt recht deutlich:

„Da ist die Frage der Zahlen (Wahlergebnisse, Anmerkung des Autors) natürlich, aber hinter diesen Zahlen steht die Frage, welche Kapazität jemand besitzt, um Druck auf andere auszuüben. Wenn wir gefragt werden: ‚Werdet ihr Übereinkünfte mit der Sozialistischen Partei machen?‘, antworten wir immer, ‚Die SozialistInnen werden eine 180°-Drehung hinlegen müssen‘.“ (7)

Da jedoch das Programm von PODEMOS qualitativ nicht über demjenigen der IU steht, stellt diese Unnachgiebigkeit keine Prinzipienfestigkeit, sondern Sektierertum dar. Es wird sogar zu einer eindeutigen Farce, beachtet man, dass PODEMOS innerhalb des Europäischen Parlaments keinerlei Probleme besitzt, mit Parteien anderer nationaler „Kasten“ eine Fraktion zu bilden wie z.B. mit der deutschen Linkspartei.

Vor allem stellt sich die Frage, was – wenn von der Rhetorik abgesehen wird – von dieser Strategie übrig bleibt? Was bleibt übrig außer einem sehr naiven Vertrauen in die parlamentarische Demokratie? Die unterschwellige Annahme der PODEMOS-Führung ist, dass die entscheidende Voraussetzung für die Bekämpfung „der Kaste“ und das System, welches sie verteidigt, der Gewinn einer Mehrheit an parlamentarischen Sitzen ist. Aber eine Mehrheitsregierung, gebildet durch PODEMOS, würde den gleichen GegnerInnen und Vorbehalten gegenüberstehen wie eine Minderheitsregierung, auch wenn sich eine solche Regierung entgegen allen nationalen und internationalen Gegenwinden halten könnte. Was könnte der Gewinn von Parlamentsstimmen vollbringen, wenn sich die Finanzmärkte unnachgiebig weigern würden, der spanischen Regierung oder den spanischen Banken und Unternehmen Geld zu leihen?

In der Realität zeigt die „Flexibilität“, welche die Iglesias-Truppe in der Frage der Ablehnung der Schuldenzahlung zeigte, deutlich auf, dass eine PODEMOS-Regierung schnell von ihrem „hohen Ross“ steigen und ihre Politik darauf limitieren würde, was „möglich“ und „akzeptabel“ ist, ohne sich von den Massen, „die nicht links sind“, zu entfernen und den gesellschaftlichen Diskurs zu gefährden. Das Schlimme daran ist jedoch: egal wie viele Zirkel organisiert werden, wenn diese alleine eine „von oben nach unten“ – Beziehung mit der PODEMOS-Führung besitzen und somit keine Möglichkeit der eigenen Koordinierung oder gar Entscheidungsfindung über politische Fragen haben, werden sie niemals in der Lage sein, ihre Führung daran zu hindern solche 180-Gradwendungen zu vollziehen.

Nichtsdestotrotz, auch wenn sich die Iglesias-Führung durch die „Assamblea Ciudadana“ und die Onlineabstimmungen klar konsolidieren konnte, ist PODEMOS immer noch ein sehr junges Projekt und sein finaler Charakter noch nicht entschieden. Die Parlamentswahlen, auf welche Iglesias so viel Hoffnung setzt, werden weitere Episoden erzeugen, die die Lorbeeren von Iglesias beflecken werden. Hier sind die Auseinandersetzungen in Andalusien sowie die kürzlich aufgekommene Führungskrise rund um den Rücktritt von Monedero als jüngste Beispiele zu nennen. Dies bedeutet, dass ein Abseitsstehen von dieser Parteiformierung eine sektiererische Selbstisolation von mehreren Tausend militanten AktivistInnen in sozialen Bewegungen und Teilen der Avantgarde der ArbeiterInnenklasse darstellt.

Die aktuellen Erfahrungen mit PODEMOS in der Praxis

Spanien steht, wie oben schon erwähnt, vor einem Superwahljahr. Im Mai standen Kommunalwahlen an. Gleichzeitig werden im Laufe des gesamten Jahres 2015 in fast allen Regionen die Regionalregierungen neu gewählt. Andalusien – welches am 22. März sein Regionalparlament gewählt hat – stand am Anfang einer langen Reihe kommender Wahlen und politischer Auseinandersetzungen in Spanien. Das Superwahljahr wird schlussendlich im November mit den Wahlen zur nationalen Regierung ein Ende finden. Die Wahl in Andalusien – der bevölkerungsreichsten Region Spaniens – kann somit im von der EU-Krise stark betroffenen Land als Stimmungstest für die politische Stimmung Spaniens gewertet werden.

Hierbei stand PODEMOS, vor allem nach dem Wahlsieg von SYRIZA in Griechenland, im Rampenlicht. Mit Spannung wurde das Abschneiden dieser Partei bei der Regionalwahl in Andalusien erwartet, stand PODEMOS doch in einigen der letzten landesweiten Umfragen mit 27% in der Gunst der WählerInnen an erster Stelle. Dieses historisch hohe Ergebnis in der noch jungen Geschichte von PODEMOS konnte jedoch in Andalusien nicht erreicht werden. Die Wahl gewann wie erwartet die Partido Socialista Obrero Español (PSOE) mit 47 der insgesamt 109 Sitze (35,4%). Jedoch musste die bisherige Regierungspartei Andalusiens klare Verluste verzeichnen und erzielte das schlechteste Ergebnis in ihrer Hochburg seit dem Ende der Franco-Ära. Die Regierungspartei Partido Popular (PP) erlitt jedoch eine stärkere Niederlage und wurde von den WählerInnen für ihre Sparpolitik abgestraft. Sie erhielt 33 Sitze (26,8%) und büßte rund ein Drittel ihrer Mandate ein.

PODEMOS im Gegenzug konnte zwar das erste Mal in seiner Geschichte erfolgreich in ein spanisches Regionalparlament einziehen. Jedoch erhielt es als drittstärkste Kraft nur 15 Sitze (14,8%), welches im starken Gegensatz zu den Umfragewerten stand. Hierbei muss erwähnt werden, dass PODEMOS stark damit zu kämpfen hatte, sich gegen eine neue populistische Mitte-Rechts-Partei mit dem Namen Ciudadanos zu behaupten. Diese Partei konnte aus dem Stand 9 Sitze (9,3%) erhalten. Addiert man die Ergebnisse von PODEMOS und Ciudadanos erhält man 25% und somit die oben genannten Umfragewerte. Wieso konnte PODEMOS jedoch sein Umfragehoch nicht halten?

Ciudadanos, eine populistische, in Katalonien gegen die Unabhängigkeitsbestre-bungen gegründete Partei, erlebt einen ähnlichen Aufschwung wie PODEMOS in den letzten Monaten. Dies weist einerseits darauf hin, dass sich das langjährige Zweiparteiensystem in Spanien überlebt hat. Andererseits zeigt es aber auch deutlich auf, dass PODEMOS mit seiner populistischen Herangehensweise an seine Politik schnell unter Zugzwang von rechts kommen kann. Wie oben erwähnt, orientiert sich die PODEMOS-Führung rund um Iglesias stark am Chávismus und dessen Populismus. Dies äußert sich vor allem in einer Fokussierung auf eine Führungspersönlichkeit und deren Legitimierung durch Massenabstimmungen sowie im Verzicht auf eine klare Orientierung auf die ArbeiterInnenklasse. Dies führt nun schlussendlich dazu, dass PODEMOE relativ einfach von rechts unter Zugzwang gesetzt werden kann. Die strategische Ausrichtung auf „das Volk“, ohne den Klassencharakter des Kapitalismus offen zu legen, wird hier praktisch als ein Schuss ins eigene Bein offenbart. Jedoch scheut Iglesias und seine Truppe das Wort „Kapitalismus“ wie der Teufel das Weihwasser:

„Nur einige wenige Menschen mit einem hohen Niveau an politischer und theoretischer Bildung wären in der Lage zu sagen, dass das Problem der Kapitalismus darstellt. Wenn wir uns jedoch eine soziale Bewegung mit Hunderttausenden vorstellen, ist es schwer zu glauben, dass es einem Wort wie ‚Kapitalismus‘ möglich wäre zu verkörpern, gegen was die Bewegung sich richtet.“ (8)

Erneut erwies sich die Nichtexistenz einer revolutionären Plattform in PODEMOS mit Hinblick auf die Ereignisse rund um das Superwahljahr als ein großer Fehler. Der Wahlausgang in Andalusien z.B. hätte von einer revolutionären Plattform innerhalb von PODEMOS als Ausgangspunkt verwendet werden können, diesen kritisch aufzuarbeiten und praktisch den Basismitgliedern in PODEMOS die Schwächen des Iglesias-Populismus und dessen Programm aufzuzeigen. Dies hätte zusätzlich dazu genutzt werden können, um für ein revolutionäres Aktionsprogramm einzutreten und MitstreiterInnen für eine antikapitalistische, revolutionäre Politik zu gewinnen.

Anticapitalista in der Krise?

Eine revolutionäre Plattform könnte aber nicht nur die derzeitigen Wahlen dazu nutzen, die Fehler des Linkspopulismus eines Iglesias aufzudecken. Die derzeitigen Entwicklungen rund um Anticapitalista könnten ebenfalls dazu verwendet werden, MitstreiterInnen aus diesen Reihen für den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei zu gewinnen. Der Konflikt innerhalb der Anticapitalista-Reihen entwickelte sich rund um die Wahlen in Andalusien schnell zu einer landesweiten Auseinandersetzung. Es kam vor den Wahlen in Andalusien zu einem Treffen zwischen Iglesias und Teresa Rodríguez (Führungsmitglied von Anticapitalista, sowie PODEMOS-Abgeordnete im Europäischen Parlament).

Auf diesem Treffen wurden Listen für die Regionalwahlen in Andalusien vereinbart sowie für die kommenden Wahlen der Regionalführungen von PODEMOS. Innerhalb von Anticapitalista kam es zu Kritik an dem undemokratischen Vorgehen, da die Basismitglieder nicht an der Zusammenstellung der Listen beteiligt wurden. Als Resultat wurde Anfang April etwa die Hälfte der Anticapitalista-Mitglieder in Andalusien ausgeschlossen, welche eine Opposition gegen den Iglesias-Rodríguez Pakt bildeten. Dieser Ausschluss schlug auch landesweit Wellen und führte dazu, dass Ende April weitere Mitglieder von Anticapitalista in Madrid ihren Austritt erklärten. Ihre Hauptargumente sind der opportunistische Umgang von Anticapitalista mit der Iglesias-Führung, das Unterlassen des Kampfes für ein antikapitalistisches Programm sowie der Bürokratismus und Populismus innerhalb von PODEMOS.

Der Kampf für ein revolutionäres Aktionsprogramm und den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei!

Die oben beschriebenen Konflikte rund um PODEMOS und ihre Entwicklung im Lichte der ersten praktischen Erfahrungen im spanischen Superwahljahr zeigen die notwendigen Aufgaben für RevolutionärInnen deutlich auf. Sie müssen ihre Anstrengungen darauf konzentrieren, einen Kampf basierend auf Interventionen in den Klassenkampf und mit Fokussierung auf die ArbeiterInnenklasse zu entwickeln statt Fixierung auf Wahlgewinne. Sie sollten sich zu einer revolutionären Plattform zusammenschließen, deren Aufgabe die Erarbeitung eines revolutionären Aktionsprogramms sein muss. Es sollte ein antikapitalistisches Aktionsprogramm gegen die Sparmaßnahmen erarbeitet werden, welches kämpferische Alternativen zu den meisten wichtigsten Fragen aufwirft, vor denen die ArbeiterInnen, Jugendlichen, Frauen und Minderheiten in Spanien stehen.

Neben spezifischen Forderungen nach Arbeit, Löhnen, Unterkünften und allen anderen Bereichen des Klassenkampfes sollte ein solches Programm auch die Notwendigkeit der Bildung von Aktionskomitees in jedem Betrieb, jeder Schule, Universität und Nachbarschaft hervorheben, welche die Aufgabe haben sollten, die jeweiligen Verteidigungsaktionen zu organisieren. Solche Aktionskomitees sollten sich so schnell wie möglich auf einem nationalen Maßstab vereinigen, um den Kampf zentralisiert aufnehmen zu können. So hat die Bewegung als Ganzes auch eine bessere Möglichkeit, über unterschiedliche Einheitsstrategien im Kampf zu diskutieren und zu entscheiden. Um aus der Defensive in die Offensive zu gelangen, sollte die Frage und die Organisierung eines unbegrenzten politischen Generalstreiks auf die Tagesordnung gesetzt werden.

Ein Generalstreik wirft jedoch unausweichlich die Frage auf: Wer regiert und in wessen Interesse? Die anhaltende Krise innerhalb der spanischen Gesellschaft zeigt klar die Notwendigkeit eines Regierungsprogramms im Interesse der Arbeiterklasse sowie der Bauernschaft auf. Neben der Rücknahme der Sparpolitik sowie der Renationalisierung der privaten Industrie muss ein solches Programm auch gleichzeitig die ungelösten nationalen und demokratischen Fragen der spanischen Gesellschaft angehen: das Recht auf nationale Selbstbestimmung, Abschaffung der Monarchie sowie die Einberufung einer konstituierenden Versammlung. Ein solches Programm wäre unmöglich durchzusetzen ohne die entschädigungslose Enteignung von Großkapitalisten oder Großgrundbesitzern unter ArbeiterInnenkontrolle sowie die Reorganisierung der Wirtschaft auf der Basis eines demokratischen Plans mit Bezug auf die gesamte Gesellschaft.

Dafür ist die Bildung einer ArbeiterInnenregierung notwendig, welche sich auf Kampforgane der ArbeiterInnenklasse, der Bauern und Bäuerinnen, der Jugend, Aktionskomitees, demokratische Räte sowie Selbstverteidigungsorgane stützt. Nur eine solche Regierung kann die Reaktion entwaffnen sowie die bürgerliche Staatsmaschine zerschlagen und ersetzen.

Rund um den Kampf für eine solche Strategie müssen sich RevolutionärInnen nicht nur innerhalb PODEMOS, sondern auch in den Gewerkschaften sowie anderen Organisationen der Arbeiterklasse organisieren, um MitstreiterInnen für den Aufbau einer realen Alternative für die spanische ArbeiterInnenklasse zu finden: eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei. Der neo-reformistische Populismus eines Iglesias bietet hierfür keine Lösung.

Das Beispiel SYRIZAs verdeutlicht, dass ein Bruch mit der reformistischen Führung und dem Parteiapparat unvermeidlich ist. Auch wenn in einem Fraktionskampf taktische Manöver unvermeidlich sein mögen, so wäre es eine selbstmörderische Illusion zu denken, dass die grundsätzlichen politischen Differenzen – letztlich entgegengesetzte Klasseninteressen – durch statutarische oder organisatorische Maßnahmen „gelöst“ werden können. Was für SYRIZA galt, gilt erst recht für PODEMOS, zumal es sich hier um eine kleinbürgerliche Partei handelt, keine bürgerliche ArbeiterInnenpartei. Für RevolutionärInnen gilt es daher, der Konfrontation mit der populistischen Spitze nicht auszuweichen, sondern sie von Beginn an vorzubereiten, den Bruch nicht als zu vermeidende Tragödie, sondern als unvermeidlichen Schritt zur Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei zu begreifen.

Endnoten

(1) Pablo Iglesias, „Understanding Podemos“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 17; http://newleftreview.org/II/93/pablo-iglesias-understanding-podemos; Übersetzung des Autors

(2) Rico Rodriguez, „Spanien – Krise und Führungskrise“; Neue Internationale 179, May 2013; http://www.arbeitermacht.de/ni/ni179/spanien.htm

(3) Pablo Iglesias, „Understanding Podemos“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 15 ; http://newleftreview.org/II/93/pablo-iglesias-understanding-podemos

(4) Ebenda, Seite 15

(5) Ebenda, Seite 16

(6) Cristina Flesher Fominaya, „Soziale Bewegungen und Globalisierung“ (Mai 2014)

(7) Interview mit Pablo Iglesias, „Spain on Edge“; New Left Review 93, May-June 2015, Seite 40

(8) Ebenda, Seite 33

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