Arbeiter:innenmacht

10 Jahre Agenda 2010

Arbeiterklasse und Gewerkschaften nach 10 Jahren Gegenreform

Frederik Haber, Revolutionärer Marxismus 44, November 2012

Nur wenige Monate nach der Wiederwahl von Rot/Grün, im März 2003, verkündete der damalige Kanzler Schröder ein Bündel von Angriffen: die „Agenda 2010“ war proklamiert.

Der politische Hintergrund ist bekannt. Die kapitalistische Wiedervereinigung war ein historischer Sieg des deutschen Kapitals unter der Regierung Kohl gewesen – die politische, antibürokratische Revolution endete in einer demokratischen Konterrevolution (1).

Die DDR wurde in einen vergrößerten deutschen Imperialismus eingemeindet. Nicht nur die nach-kapitalistischen Eigentumsverhältnisse wurden zerstört, auch zwei Drittel der Industriearbeiterschaft verloren in wenigen Jahren ihre Jobs, eine Heerschar schlechter bezahlter Arbeitskräfte trat auf den Plan. Bis heute ist der Osten ein Billiglohnland des deutschen Kapitals, wenn auch mit einigen hochmodernen „Inseln“.

Auch die wichtigsten Schranken der Expansion des deutschen Imperialismus, die sich aus der Niederlage des Faschismus und aus der Nachkriegsordnung ergaben, waren damit beseitigt. Die BRD war nun wieder in der Lage, im Kampf um die Neuaufteilung der Welt nicht nur ökonomisch, sondern perspektivisch auch politisch und militärisch „voll“ mitzumachen.

Auch die Grundlagen für eine deutsche Führung in Europa waren gelegt. Schon damals ihren Konkurrenten überlegen, war die deutsche Ökonomie durch die Einverleibung der DDR nun auch deutlich größer als die französische, britische oder italienische. Hinzu kam der Zusammenbruch des Stalinismus und die Reintegration Osteuropas in des Einzugsgebiet der westlichen Mächte, v.a. der BRD. Mit der Vertiefung der europäischen imperialistischen Vereinigung Europas (Maastricht-Verträge, Euro-Einführung usw.) nahm Deutschland Kurs auf eine bis heute allerdings unabgeschlossene „Reorganisation“ des Kontinents (2).

Doch dieses Ziel und die verschärfte globale Konkurrenz erforderten auch eine grundlegende Veränderung des Kräfteverhältnisses, der Beziehung von Kapital und Arbeit in Deutschland selbst. Schon die Regierung Kohl hatte mehrere Versuche unternommen, einen grundlegenden Angriff durchzuführen. Sie wurde aber durch Widerstand, durch Massenaktionen, z.B. die wilden Streiks in der Großindustrie gegen die drohende Aushebelung der Lohnfortzahlung bei Krankheit, gestoppt. Letztlich führten die Massenkämpfe auch zur Abwahl Kohls.

Schon damals versuchte die Gewerkschaftsbürokratie mit mehr Korporatismus, mehr Klassenzusammenarbeit, mehr Entgegenkommen und „Partnerschaft“ auf die Angriffe zu reagieren. Der vorläufige Gipfelpunkt, das „Bündnis für Arbeit“ (3), erscheint heute nur als Vorspiel. Aber im Grunde vertrat schon damals ein größer werdender Teil der Gewerkschaftsbürokratie und der Betriebsräte offen den Standortnationalismus und eine Politik des „Neuen Realismus“ oder, wie von Schröder auch genannt, die Politik der „Neuen Mitte“ (4).

Wichtig ist jedoch, dass diese Angriffe der Kohl-Ära und die Politik der Gewerkschaftsführungen wie jene von SPD und PDS zwar zu einem immer weiteren Zurückweichen und einer Schwächung der Klasse führten – aber sie beinhalteten auch eine Fortschreibung der sozialpartnerschaftlichen Strukturen der Nachkriegszeit und der Struktur der westdeutschen Arbeiterklasse.

Die unter dem Stichwort Agenda 2010 zusammengefassten Angriffe stehen hier für einen grundlegenden Angriff auf die Arbeiterklasse, der im Anschluss an die EU-Agenda von Lissabon aus dem Jahr 2000 folgendes Ziel hatte: „Die Union hat sich heute ein neues strategisches Ziel für das kommende Jahrzehnt gesetzt: das Ziel, die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen – einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen.“ (5)

Davor müsse die Bevölkerung – d.h. die Arbeiterklasse – aber zuerst durch ein Tal von Tränen. In seiner „Blut- und Tränen“-Rede vom 14. März 2003 umriss Schröder dann auch zentrale Ziele der Agenda 2010:

  • Kündigungsschutz: Er soll dramatisch ausgehöhlt werden. Zwar soll er formell weiter ab fünf Beschäftigten gelten – nicht jedoch für neu eingestellte ArbeiterInnen und Angestellte.
  • Arbeitslosengeld: Die Bezugsdauer soll von 32 auf 18 bzw. 12 Monate reduziert werden.
  • Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe: Beide sollen zusammengelegt und auf Sozialhilfeniveau oder darunter gesenkt werden. 12 Mrd. Euro sollen so gespart werden.
  • Gewerkschaften: Sie sollen die weitere Aushöhlung der Tarifverträge „freiwillig“ mitmachen – oder sie sollen dazu per Gesetz gezwungen werden.

Zusammen mit weiteren „Strukturmaßnahmen“ und „Reformen“ (Rente, Gesundheitswesen, Privatisierung) sollte so die Arbeiterklasse insgesamt gemäß den Konkurrenzbedürfnissen des deutschen Kapitals neu strukturiert werden. Auch wenn die Agenda-Rede keineswegs alle Maßnahmen der Regierung beinhaltet und manche schon davor z.B. durch die Hartz-Kommission unterbreitet wurden, so markiert die „Agenda 2010“ einen strategischen Wurf, einen Generalangriff.

Dieser Generalangriff war nicht auf dem Mist der Sozialdemokratie gewachsen. Schon Anfang 2003 erstellte der Bund der Deutschen Industrie (BDI) ein 100 Seiten starkes Memorandum unter dem Titel „Für ein attraktives Deutschland – Fesseln sprengen – Freiheit wagen“, das dann auf dem Reformkongress im September 2003 verabschiedet wurde. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts, Hans Werner Sinn, forderte in seinem Buch „Ist Deutschland noch zu retten?“ eine Senkung der Löhne um 30%, ähnlich auch für die Sozialhilfe und eine stärkere Spreizung der Löhne. Das Kapital bekam, was es bestellt hatte.

Im Folgenden werden wir grundlegende Veränderungen der Arbeiterklasse im letzten Jahrzehnt nachzeichnen. Es geht uns dabei jedoch nicht nur um eine Darstellung zentraler Entwicklungen und Veränderungen. Es geht v.a. darum, klassenkämpferischen LohnarbeiterInnen, linken und revolutionären AktivistInnen – ob in  „normalen“ oder „prekären“ Beschäftigungsverhältnissen oder als Erwerbslose – ein möglichst genaues Bild von diesen Veränderungen zu geben. Entgegen mancher modischer Theorien, die z.B. von eine Ablösung der Arbeiterklasse durch das „Prekariat“ sprechen, lässt sich leicht zeigen, dass es sich um keine „neue Klasse“, wohl aber um eine sehr tief gehende Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse handelt, deren Ende längst noch nicht erreicht ist.

Die politische Bedeutung dieser dramatischen Veränderung der Klasse ist freilich nur schwer zu überschätzen, weil sie auch das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und auch die Gewerkschaften und betrieblichen Strukturen massiv verändert hat.

Mit letzterer Veränderung meinen wir nicht nur Phänomene wie den Organisationsgrad usw. Auch das Verhältnis von Basis und Führung hat sich geändert, die gewerkschaftlichen Strukturen in den Betrieben sind andere geworden, tw. auch verschwunden. All das prägt jedoch die Bedingungen, unter denen oppositionelle, kämpferische oder revolutionäre KollegInnen und GenossInnen agieren, mit denen wir Widerstand organisieren und aufbauen müssen.

Daher ist unser Blick nicht einfach auf eine Bilanz und Bestandsaufnahme gerichtet, sondern wir versuchen am Ende des Textes auch, wichtige Schlussfolgerungen für unsere Aufgaben in den Gewerkschaften und Betrieben zu ziehen.

1. Die soziale Lage der Arbeiterklasse in Deutschland

Gegenüber der Jahrhundertwende hat sich die Lage der Lohnabhängigen aufgrund einer veränderten Zusammensetzung und Struktur des Gesamtkapitals sowie aufgrund von gesetzlichen und innerbetrieblichen Veränderungen massiv gewandelt – letztlich als Resultat von Klassenkämpfen. Bevor wir auf die eigentliche Struktur der Klasse eingehen, betrachten wir kurz einige dieser zentralen Veränderungen.

Die Hartz-Gesetze

Mit diesen Gesetzen, die seit 2003 die Ziele der EU-Agenda 2010 in Deutschland umsetzen sollen, wurde v.a. die Arbeitslosenversicherung angegriffen. Seit ihrer Einführung 1927 hatte diese denselben Charakter wie jede Versicherung. Beiträge, die nach der Höhe des Einkommens eingezahlt wurden, begründeten je nach Einzahlungsdauer einen unterschiedlich langen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosengeld, das sich wiederum an der Höhe des ehemaligen Einkommens bzw. der gezahlten Beiträge orientierte. Nach dem Ende dieser Zahlung trat eine niedrigere Zahlung (Arbeitslosenhilfe/Arbeitslosengeld 2) an deren Stelle, was der Sozialhilfe entsprach. Der Bezug von Arbeitslosengeld schützte zugleich vor einer Vermittlung in eine Stelle, die weniger Qualifikation verlangte und erzwang damit eine Vermittlung in Stellen, die ähnlich bezahlt wurden wie die verlorene.

Schon 1981 war diese „Unzumutbarkeitsregelung“ eingeschränkt worden, bis sie 2004 restlos fiel. Zugleich wurde der Bezug des Arbeitslosengeldes in der Regel auf ein Jahr verkürzt. In Verbindung mit der steigenden Arbeitslosigkeit war so der soziale Abstieg vorprogrammiert.

Dadurch entstand auch die Tendenz zur „Zwangsarbeit“ (Ein-Euro-Jobs). Zugleich wird seitdem die erworbene Qualifikation der Werktätigen noch schneller entwertet. Einmal, wenn ihnen durch Arbeitszwang die Arbeit in der erlernten Qualifikation verwehrt wird; zum anderen, wenn eine höhere Qualifikation durch die Unternehmer unbezahlt mitgenutzt werden kann und in der Praxis oft auch wird.

Vordergründig richteten sich diese Maßnahmen gegen „Arbeitsunwillige“. Es zeigte sich aber bald, dass sie ein massiver Schlag gegen die Errungenschaften der Arbeiteraristokratie waren.

Die Leiharbeit

Leiharbeit wurde in Deutschland erst mit der Agenda 2010 zu einer Massenerscheinung. Sie stieg von 2000 bis 2008. In der Krise wurden dann massiv LeiharbeiterInnen abgebaut. 2010, nach der Krise, stieg die Zahl dann wieder auf über 776.000 (Bundesagentur für Arbeit) bzw. 901.000 (Institut der deutschen Wirtschaft).

Grafik 1: LeiharbeiterInnen in 1000 (Quelle: Bundesagentur für Arbeit)

2004 hatte Clement (damals Arbeitsminister und SPD-Mitglied) erklärt, bei Leiharbeit habe Deutschland Nachholbedarf. Die Leiharbeit war ebenfalls ein wirksames Mittel zur Ausbreitung des Niedriglohnsektors. Das Gesetz zum angeblichen Schutz der LeiharbeiterInnen, das eine gleiche Bezahlung dieser wie der Stammbelegschaft verlangte, machte durch die Ausnahmeklausel „falls keine eigenen Tarife bestehen“ den „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ zur Makulatur. Ohne in den Zeitarbeits-Firmen über Mitglieder zu verfügen und ohne Tarifbewegung unterschrieben ver.di, IG Metall und DGB stehenden Fußes Billig-Tarife. Die innergewerkschaftlich verbreitete Begründung lautete, dass sonst die noch schlechteren Tarife der „christlichen“ „Gewerkschaften“ wirksam geworden wären. Dass auch dies eine Lüge war und nur die prinzipielle Zustimmung der DGB-Bonzen verkleistern sollte, erwies sich 2011, als – kurz bevor das Bundesarbeitsgericht die Tarife der christlichen „Gewerkschaften“ erwartungsgemäß für unwirksam erklärte – die DGB-Spitzen ihre Leiharbeitstarife – ohne Debatte in den Organisationen – erneut verlängert hatten.

Die Leiharbeit breitete sich zuerst im Dienstleistungsbereich u.a. gewerkschaftlich schlecht organisierten Bereichen aus. Dann wurde sie von einzelnen Betriebsräten der Großindustrie, z.B. bei Audi, VW und BMW, geradezu gefördert, um die Löhne der Stammbelegschaft zu sichern und „Kündigungen zu vermeiden“ – durch „geräuschloses“ Heimschicken der LeiharbeiterInnen.

Mit dem Konjunkturaufschwung 2010 hat der Anteil der Leiharbeit in den industriellen Belegschaften erwartungsgemäß weiter zugenommen, da Bemühungen der Gewerkschaften zu deren Eindämmung meist halbherzig waren und oft nur Lippenbekenntnisse. Sie steht damit aber auch vor einer eigenen Problematik, weil die Kernbereiche der Arbeiteraristokratie – der von der Bürokratie bevorzugten Kernbelegschaften – dennoch weiter bedroht sind.

Von der Leiharbeit besonders betroffen sind Jugendliche, Ostdeutsche und MigrantInnen, Frauen eher weniger, sie sind dafür in anderen prekären Beschäftigungsverhältnissen wie 400 Euro-Jobs überproportional vertreten.

Kündigungsschutz

Bei den Angriffen auf die Errungenschaften der Arbeiterklasse stand der Kündigungsschutz auf der Liste immer ganz oben. Dabei handelt es sich um ein ohnehin schwaches Schutzgesetz, das mitnichten vor Kündigung schützt. Es regelt lediglich die Form der Entlassung; es verlangt, dass Gründe dafür genannt werden müssen und legt Kriterien fest, in welcher Reihenfolge Kündigungen zu erfolgen haben.

Kohl hob 1996 die Betriebsgröße, ab der der Kündigungsschutz gilt, von 5 „regelmäßig“ Beschäftigten auf 10 Vollzeitbeschäftigte an. Schröder hatte bei seiner Wahl 1998 die Rücknahme dieses Gesetzes versprochen. Mit der Agenda wurde mehr oder weniger die Kohlsche „Reform“ wieder hergestellt. Aber letztlich ging es nie um die Kleinbetriebe. Wirksamkeit entfaltet das Gesetz nämlich erst mit der „Mitbestimmung“ der Betriebsräte, die Sozialpläne aushandeln können, und der Vorschrift, dass der Betrieb eine Sozialauswahl festlegen muss. Genau diese wurde von Schröder gelockert.

Der entscheidende Schlag gegen den Kündigungsschutz gelang natürlich durch Leiharbeit und die Zunahme von Befristungen, die wesentlich erleichtert wurde. Auch bei LeiharbeiterInnen sind Befristungen möglich geworden, die das (Leih)arbeitsverhältnis an die Dauer des Entleihvertrags koppeln. Das „Synchronisationsverbot“ wurde auch durch die Hartz-Gesetze aufgehoben. Die vorgebliche Funktion der Zeitarbeits-Branche, qualifizierte Beschäftigte für kurzfristige oder befristete Einsätze bereitzuhalten und diese dafür in Dauerarbeitsverhältnissen zu halten, war nicht mehr nötig.

Mit der Ausweitung der Leiharbeit und der Schaffung von „Pufferbelegschaften“ wurde der Kündigungsschutz weit mehr ausgehöhlt, als durch Gesetzesänderungen. Diejenigen, die ihn bräuchten, haben ihn nicht.

Privatisierung

Die schrittweise Privatisierung vormals öffentlicher Sektoren hat die Arbeitsbedingungen für größere Teile der Klasse massiv verändert. Als Hauptbeispiel kann das Gesundheitswesen gelten.

Die finanzielle Austrocknung der Gemeinden hat den Verkauf der Krankenhäuser erzwungen, dabei war der materielle Zwang oft viel wirksamer als die oft beschworene neoliberale Ideologie. Zugleich haben die verschiedenen Gesundheitsreformen die „Anbieter“, also die Krankenhäuser jedweder Rechtsform, zur Einführung industrieller Rationalisierungsmethoden und Organisationsänderungen gezwungen. Von staatlich organisierter Reproduktionsarbeit wurde das Gesundheitswesen der Kapitalverwertung ausgeliefert und soll nun dem Kapital nicht nur die Arbeitskräfte „gesund“, also in ausbeutbarem Zustand halten, sondern aus diesem Prozess zugleich Profit ziehen. Tatsächlich werden im Gesundheitswesen heute mehr Menschen ausgebeutet als in der Autoindustrie.

Die gleiche Entwicklung hat das Bildungswesen genommen. Auch die ehedem öffentlichen Transport- und Kommunikationseinrichtungen, Bahn, Telekom und Post, deren Aufgaben nicht in der Reproduktion der Arbeitskraft, sondern in der Unterhaltung einer leistungsfähigen Infrastruktur liegen, gingen den gleichen Weg.

Für die Beschäftigten bedeutet dies den Verlust der Privilegien des Öffentlichen Dienstes wie Kündigungsschutz und relativ gute Altersversorgung. Bestimmte Berufe wie Ärzte, Krankenschwestern oder LehrerInnen, verlieren die Reste ihrer romantischen Verklärung

Technische und organisatorische Veränderungen

Auch Entwicklungen in der Arbeitsorganisation und der Technik haben im letzten Jahrzehnt zu Veränderungen innerhalb der Klasse geführt:

  • die Datennetze wurden ausgebaut;
  • die Programmierung, die unzählige Prozesse in allen Bereichen standardisierte und rationalisierte, wurde ihrerseits rationalisiert;
  • Bilder werden digitalisiert; Barcode-Systeme haben sich ausgebreitet;
  • umfangreiche Qualitätsstandards und -sicherungssysteme wurden eingeführt;
  • in der Produktion wurde wieder zu kurzen Taktzeiten und weiterer Arbeitsteilung gegriffen.

Mit solchen Verfahren konnten in riesigem Umfang Prozesse in Produktion, Logistik und Verwaltung erfasst, standardisiert und kontrolliert werden. So kann heute ein Kunde durch seine Bestellung bei einer Firma automatisch die Bereitstellung von Rohstoffen und Halbzeugen, die Suche nach Produktionskapazität und die Erstellung der Rechnung auslösen. Fehler – auch in einem einzelnen produzierten Teil – können dank lückenloser Dokumentation auf den einzelnen Verursacher zurückverfolgt werden. Die Verlagerung von Produktionsprozessen ist erheblich einfacher geworden – sie ist aber immer noch schwieriger, als viele Manager denken.

Zugleich wurden bestimmte Tätigkeiten entwertet oder abgeschafft. So hat die Digitalisierung von Bildern nicht nur FotografInnen und Kameraleute entwertet, sondern auch Sichtkontrollen abgeschafft. Die Vernetzung von Vertrieb, Produktion und Rechnungswesen (z.B. durch SAP-Systeme) hat die Verwaltung in den Betrieben ausgedünnt. Der Status von ProgrammiererInnen und technischen Angestellten sank, heute sind sie nahe am Facharbeiter angesiedelt, alte Domänen der Facharbeit, z.B. Werkzeugmacher und Modellbauer, wurden ihrer planenden und berechnenden Tätigkeiten beraubt. Produktionsarbeit wurde inhaltlich weiter ausgedünnt, auf der anderen Seite stiegen einige Wenige zu Anlagenführern bei Vollautomation auf.

Verlagerungen

Die Verlagerungen ins Ausland sind weitergegangen, wobei wir angesichts weiterhin hoher Exportüberschüsse und Exportweltmeisterschaft jede nationale Panikmache ablehnen, genauso wie umgekehrt jede Arroganz gegenüber den Belegschaften, die gegen Produktionsverlagerung kämpfen. Es ist völlig berechtigt, dass sich ProduktionsarbeiterInnen gegen Entlassungen wehren. Solange die Gewerkschaften jedoch keine offensiven Kämpfe für Arbeitszeitverkürzung und Kontrolle der Produktion durch die Belegschaften führen, sondern lediglich Sanierungskonzepte und Beschäftigungsgesellschaften vereinbaren wollen, drohen diese immer wieder rasch an ihre Grenzen zu stoßen und können auch leicht für standortbornierte Zielsetzungen missbraucht werden.

Die Demagogie um den „Standort D“ ist nur die Kehrseite dieser Medaille. Die Reformisten entwaffnen damit einerseits gerade die kämpferischsten Belegschaften und bereiten rechten Nationalisten den Boden.

Der Prozess der Verlagerung zeigt sich v.a. in der Auslagerung einzelner Produktionsschritte oder der Fertigung von Einzelteilen. Die Gesamtmontage von Autos, Maschinen und Anlagen findet weiterhin meist im Land statt. Zunehmend werden aber auch Teile der Forschung und der Verwaltung ausgelagert. Zu Arbeitsplatzverlusten hat dies v.a. bei ProduktionsarbeiterInnen geführt, während Transport und Logistik wichtiger und ausgebaut wurden.

In demselben Prozess, in dem die Endhersteller die Produktionstiefe verringert haben, also bestimmte Produktionsprozesse ausgelagert haben, sind im Zulieferbereich neue transnationale Konzerne entstanden. Beispiele dafür sind die Hardware bei IT-Konzernen oder die Zulieferindustrie bei Autos. Während solche Unternehmen im IT-Bereich nicht in Deutschland basiert sind, ist das bei der Automobil-Zulieferindustrie sehr wohl der Fall und ist künftig auch im Maschinenbau möglich. Die Tatsache, dass es sich um deutsche Firmen handelt, heißt nicht, dass die gesamte Produktion in Deutschland stattfindet, wohl aber Entwicklung, Erprobung und Verwaltung. Die Beschäftigten in diesen Konzernzentralen sind – anders als früher – meist nicht mehr mit einem Produktionsstandort verbunden, sie werden durch Extraprofite gut gefüttert und verfügen zugleich über hohes Wissen in der weltweiten Arbeitsteilung des Konzerns und der Industrie. Wissen, das sowohl für die Führung und (internationale) Koordination von Arbeitskämpfen, wie für die Reorganisation der Produktion nötig wäre.

Generell ergeben sich aus den Verlagerungen auch die Profite, welche die Bezahlung der Arbeiteraristokratie erlauben. Früher kamen diese Extraprofite durch die hohen Preise für Exportgüter zustande. Heute verlangen Betriebsräte selbst eine „Misch-Kalkulation“, d.h. nichts anderes als eine Finanzierung der höheren Entgelte in Deutschland durch die Niedriglöhne in den Halbkolonien.

Experimentierfeld Ost

Zwanzig Jahre nach der Vereinigung ist eine Angleichung der Arbeitsbedingungen nur insofern geschehen, als dass Niedriglöhne, Jugendarbeitslosigkeit und Tariflosigkeit sich nach Westen ausgebreitet haben. In den letzten zehn Jahren gibt es bei Arbeits- und Lebensbedingungen keine weitere Annäherung zwischen Ost und West, die Schere schließt sich nicht. Da sich die wirtschaftlichen Bedingungen auch zwischen Nord- und Süddeutschland differenziert haben, hat die Spreizung zwischen Nordost und Südwest eher zugenommen.

So ist das BIP der 10 westlichen Bundesländer im Verhältnis zu den östlichen (ohne Berlin) von 2000 bis 2010 zwar von 7,46 auf 7,33 gesunken, zugleich aber das Verhältnis von Süd (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz) zu Nord (Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) vom 2,52fachen auf das 2,58fache gestiegen.

2010 waren lt. Statistischem Bundesamt 22% aller ostdeutschen Beschäftigten im Niedriglohnbereich unter 8,50 Euro tätig – gegenüber 10% der westdeutschen.

2. Die Folgen im Allgemeinen

Druck auf Tarife und Belegschaften

Ideologisch wurde die Agenda 2010 durch eine Kampagne des Großkapitals vorbereitet, die Industrielöhne in Deutschland müssten um 30% gesenkt werden. Dies wurde unterstützt durch die Drohung der Regierung Schröder, die Tarifautonomie einzuschränken, wenn die Tarif-„Partner“ den Weg in die freiwillige Reduzierung nicht gehen würden. Die Gewerkschaften, insbesondere IG Metall und IG BCE, gaben klein bei: ihre Spitzen teilten den sozialdemokratischen Konsens.

So wurden dann seit 2004 „Standortsicherungs-Verträge“ vereinbart. Im Unterschied zu vielen betrieblichen „Bündnissen für Arbeit“ saß die Gewerkschaft bei diesen Verträgen mit am Tisch. Der Verzicht auf übertarifliche und tarifliche Errungenschaften war also von höchster Stelle abgesegnet und wurde allen Betrieben übergestülpt. Innerhalb der Großkonzerne waren selbst örtliche Betriebsratsvorsitzende weitgehend von diesen Verfahren ausgeschlossen. Die Belegschaften, die zum Widerstand bereit waren und eine entsprechende Tradition hatten, wurden vorher auch noch mal zu Protesten aufgerufen. Sie wurden letztlich aber immer mit der Drohung gefügig gemacht, bei einem Arbeitsplatzverlust durch Hartz IV innerhalb eines Jahres nicht nur Lohn und daran gekoppeltes Arbeitslosengeld, sondern auch jede Qualifikation und fast alle Ersparnisse zu verlieren.

Im Gefolge dieser Verträge gab die IG Metall auch das Ziel und Kampfmittel Arbeitszeitverkürzung als strategische Antwort auf Rationalisierung und Arbeitslosigkeit auf. Die historische Errungenschaft, die 35-Stunden-Woche, die sie gegen das Kapital und die Regierung Kohl durchgesetzt hatte, wurde zur Verhandlungsmasse in Verzichtsverträgen. Zwar existieren auch heute noch Belegschaftsteile, die 35 Stunden pro Woche arbeiten. Aber die Ausweitung auf Ostdeutschland wurde von der Führungsriege der IG Metall – durch den Vorsitzenden Zwickel sowie etliche Gesamtbetriebsratsfürsten sabotiert. Die Ausnahmen wurden ausgeweitet (Pforzheimer Vertrag und Dienstleistungstarifverträge) und sind auch Bestandteil vieler Standortsicherungsabkommen.

Grafik 2: Grafik 2: Effektivlöhne in der Metallindustrie, Quelle: IG Metall. Deutlich wird, dass in den Jahren der Agenda und der Standortsicherungen die Effektivlöhne geringer als die Tariflöhne stiegen.

Exkurs: Der Kampf um die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland

Im Osten gab es einen starken Wunsch v.a. in den Metall-Betrieben, endlich auch bei der Arbeitszeit gleiche Bedingungen in Ost und West zu schaffen. Dies war auch ein Signal, eine der wichtigsten Spaltungen der Arbeiterklasse in ganz Deutschland anzugreifen.

Unter dem damaligen zweiten und späteren ersten Vorsitzenden der IG Metall, Peters, wurde der Tarifkampf allerdings schlecht vorbereitet – freilich nicht nur aufgrund eigener Fehler, sondern weil ein großer Teil der Bürokratie den Streik und die damit verbundene politische Konfrontation nicht wollte. So wurden die Belegschaften im Westen anfangs gar nicht einbezogen, selbst die Information war dürftig.

Nachdem sich die Konflikte zuspitzten, StreikbrecherInnen rekrutiert wurden und die Repression stark anstieg, wurden seitens der IG Metall StreikhelferInnen aus anderen Bereichen und auch aus dem Westen geschickt. Bevor der Streik aber durch Lieferausfälle in der Autoindustrie zu kalter Aussperrung im Westen geführt hätte, wurde er vom Vorsitzenden Zwickel beendet – im Bruch mit der Satzung der IG Metall.

Der Streikabbruch wurde v.a. auf Druck der Gesamtbetriebsratsfürsten der Autohersteller herbeigeführt. Klaus Franz (Opel), rief offen zum Streikabbruch auf, ein Vergehen, das mit Streikbrechertum gleichzusetzen ist. Von Klemm (Daimler), wurde der Begriff „Geisterfahrer“ kolportiert, mit dem er alle Streikbefürworter bezeichnete. Dieser offene Verrat besiegelte eine der schwersten Niederlagen der Arbeiterklasse im letzten Jahrzehnt.

Lohnsenkung im Tarif und außerhalb

All dies hat zu einem massiven Sinken des Lohnniveaus in Deutschland geführt. Die hochorganisierten und kampferprobten Belegschaften der Metallindustrie, insbesondere im Fahrzeugbau, waren erneut der Maßstab für alle. In den siebziger und achtziger Jahren hatte man gewerkschaftsintern vom „Geleitzug-Prinzip“ gesprochen, um zu beschreiben, dass und wie insbesondere die IG Metall Marken in der Tarifpolitik gesetzt hatte, die anderen Branchen als Orientierung und Hilfe dienten, wenn sie diese auch stets später oder nur teilweise erreichten. Außer bei der Lohnhöhe war dies z.B. bei der Arbeitszeit und den sechs Wochen Urlaub der Fall. Jetzt wurde nicht nur die Bremse, sondern der Rückwärtsgang eingelegt. Die IGM gab das Signal zu Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerung für alle Tarifbereiche und erst recht außerhalb dieser.

Von 2000 bis 2010 sanken die Reallöhne in Deutschland. Im Juli 2011 legte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Studie vor, die belegt, dass die Reallöhne seit 2000 nicht gestiegen sind. „Real“ heißt, dass die Inflation gegen die „nominale“ Erhöhung verrechnet wird. Wenn die Preise stärker steigen als die Zahlenwerte der Löhne steigen, können sich die Menschen von ihren Löhnen weniger kaufen – die Reallöhne sinken. Genau das geschah mit den GeringverdienerInnen, die weniger als 1.600 Euro netto im Monat erhalten. Sie haben bis zu 22% ihrer Kaufkraft verloren. (6)

Grafik 3: Lohnentwicklung 1991 – 2010, Quelle: Deutsches Institut für Wirtschafts-forschung

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat diesen Trend bestätigt. Die Einkommensungleichheit ist in Deutschland seit 1990 stärker als in anderen wohlhabenden Industriestaaten gewachsen. In den 80er und 90er Jahren zählte die OECD Deutschland noch zu den wirtschaftlich „ausgeglichenen“ Gesellschaften – heute nicht mehr:

„Die Entwicklung der Einkommen in der Bevölkerung illustriert die Veränderung: Die Forscher haben festgestellt, dass die oberen zehn Prozent der Deutschen, die ein Einkommen beziehen, im Jahr 2008 durchschnittlich 57.300 Euro verdient haben – und damit achtmal so viel wie die unteren zehn Prozent, bei denen es nur 7.400 Euro waren. In den 90er Jahren war es noch das Sechsfache. Verantwortlich für das Auseinanderdriften von Arm und Reich ist vor allem die Entwicklung der Gehälter, die hierzulande rund 75 Prozent der Haushaltseinkommen ausmachen.“ (7)

Reichtumsverteilung in der BRD

In Verbindung mit weitergehender Rationalisierung sanken die Lohnstückkosten in der gleichen Zeit dramatisch. Damit konnte die deutsche Exportindustrie andere Volkswirtschaften, insbesondere die Länder der Euro-Zone niederkonkurrieren.

Das Kalkül der Kapitalisten und ihrer sozialdemokratischen Helfer ist in dieser Hinsicht aufgegangen. Den Preis hat die Klasse bezahlt: ökonomisch und politisch.

Grafik 4: Veränderung der Reichtumsverteilung 1998 – 2008

Grafik 5: Quelle: Eurostat. Die Lohnstückkosten werden von der Lohnentwicklung und der Rationalisierung beeinflusst. Je mehr Teile ein Arbeiter pro Stunde produzieren kann, desto geringer ist der Lohnanteil pro Stück.

Geringere tarifliche Abdeckung

Durch Ausgründungen und Firmenneugründungen sowie Leiharbeit hat sich die Gültigkeit von Tarifen allgemein verringert (Grafik 6).

Mehrfache Lohnspreizung

Dadurch sind innerhalb des letzten Jahrzehnts nicht nur die Löhne gegenüber Einkünften aus Kapitalerträgen gefallen, sondern die Spreizung innerhalb der Klasse, zwischen Niedriglöhnern einerseits und den Resten der Arbeiteraristokratie, erst Recht gegenüber Leitungsfunktionen, anderseits hat derart zugenommen, dass Deutschland im internationalen Vergleich von einem Land mit eher geringer Differenzierung zu einem Land mit überdurchschnittlicher Differenzierung wurde.

Nicht zufällig hat sich auch die Differenz zwischen Frauen und Männern nicht weiter verringert – nach Jahrzehnten langsamer Angleichung. „Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst von Frauen lag 2011 um 23% niedriger als der Verdienst der Männer. Die Unterschiede fielen in Westdeutschland (und Berlin) mit 25% deutlich höher aus als im Osten (6%). Seit 2002 ist der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern fast konstant. Das Ziel der Bundesregierung, den Verdienstabstand bis zum Jahr 2010 auf 15% zu senken, wurde damit deutlich verfehlt.“ (Statistisches Bundesamt 2012)

Grafik 7: Quelle: Statistisches Bundesamt. Die Lohnquote beschreibt, welcher Anteil des Volkseinkommens als Arbeit“nehmer“entgelt ausgegeben wird. Die Differenz sind alle Einkommen aus Unternehmen und Vermögen. Dies ist nur als Tendenz aussagekräftig, da z.B. auch Managervergütungen als Arbeit“nehmer“entgelt“ gelten. Der Anstieg in der Krise ist v.a. durch ein Sinken der Gewinne zu erklären, nicht durch den Anstieg der Löhne.

Grafik 8: Mit Gender Pay Gap wird die Verdienstlücke zwischen Männern und Frauen bezeichnet. Zahlen beziehen sich auf Stundenlöhne. Quelle: Stat. Bundesamt 2012

Differenzierung der Belegschaften

Die Lohnspreizung existiert zwischen Ost und West, Nord und Süd, Frauen und Männern, Alt und Jung, sie spaltet nicht nur einzelne Belegschaften, sondern wirkt auch direkt innerhalb einzelner Belegschaften.

Der Organisationsgrad der Gewerkschaften fällt

Die Organisierung von Niederlagen und Rückzügen, die verpassten und vergebenen Chancen, dem Kapital und seiner Regierung Niederlagen zuzufügen, hat sich auch in der Struktur und der Kampfkraft der Gewerkschaften niedergeschlagen. Ein Anzeichen dafür sind die gesunkenen Mitgliedszahlen.

Auch der Anteil von „aktiven“, also Mitgliedern im Betrieb, ist gefallen. Bei den jüngeren Beschäftigten-Generationen liegt der Organisationsgrad oft noch niedriger.

Menschen in prekären Beschäftigungsverhältnissen können sich zudem Gewerkschaftsbeiträge zunehmend weniger leisten.

Grafik 9 und10 (Seite 21): Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften
Quelle: DGB. Es wurde das Jahr 2001 gewählt, weil dafür die ersten ver.di-Zahlen vorliegen

Grafik 10: Mitgliedsentwicklung der DGB-Gewerkschaften

3. Die Politik der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie

Tarifliche Ebene

Die Tarifauseinandersetzungen sind in Deutschland das Terrain, auf dem die Gewerkschaften am wahrnehmbarsten sind, wo sie für die ganze Klasse sichtbar agieren und umgekehrt die Mitglieder noch einen – wenn auch bescheidenen – Einfluss haben. Gerade auf diesem Gebiet hat sich eine dramatische Veränderung ergeben: von der Kompensation, d.h. dem Erkaufen von Lohnzuwächsen durch Verzicht bei Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen oder Zulagen, über Absenkungsverträge, die v.a. zukünftig wirken, bis hin zum Vertrag für die Metallindustrie 2010, der für das erste Jahr der Laufzeit sogar einen nominalen Lohnverlust ermöglichte.

Die Erosion der Tariflandschaft hatte schon in den 90er Jahren begonnen, begleitet von zahllosen Warnungen und durchaus kritischen Debatten innerhalb des DGB. Die meisten Warnungen waren berechtigt: die flächendeckende Erosion ist eingetreten. Die Debatten sind verstummt, die Praktiken der Demontage gelten heute innerhalb des Apparats als „Tariftechnik“.

Wir haben oben beschrieben, wie die Folgen der Politik der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetze auf die Löhne der Beschäftigen durchgeschlagen haben, indem die Bürokratie „Standortsicherungsverträge“ durchsetzte. Diese können als der Dammbruch angesehen werden, der durch die Löcher vorbereitet wurde, die schon in den 90ern gebohrt worden waren.

Wir haben oben auch dargestellt, wie sich die Löhne und die Lohnspreizung entwickelt haben. Tarifvertraglich hat die Gewerkschaftsbürokratie dies auf unterschiedliche Weise gestaltet:

a) Absenkung in der Fläche: ERA, TVÖD

Diese Absenkung fand nicht nur auf Betriebs- oder Konzernebene statt, sondern auch im Flächentarif durch Tarifverträge, die Arbeitsplätze und die dafür nötige Qualifikation neu bewerteten. Damit wurden die Unternehmer legitimiert, massiv „Besitzstände“ anzugreifen, also Löhne und Positionen, die sich Beschäftigte erworben hatten, und zugleich die Niveaus für Neueinsteiger zu senken. Andererseits wurden zumindest beim Entgelt-Rahmen-Tarif (ERA) bei der IG Metall) auch bestimmte Schichten aufgewertet.

Beim TVÖD tritt der Lohnverlust ebenfalls bei Neueinsteigern auf, aber auch bei Beschäftigten, die lediglich die Stelle wechseln.

Derzeit wird für den Einzelhandel ein ähnliches Projekt vorbereitet – weitgehend hinter dem Rücken der Beschäftigten. Das Konzept, „Qualifikation“ zum Kriterium für die Lohnhöhe zu machen, muss in dieser Branche mit vielen Arbeitsplätzen mit geringer formaler Qualifikation verheerende Folgen haben.

b) Sparten-Tarif-Verträge

Unter dem Eindruck der Drohung seitens der Unternehmer wie der öffentlichen „Arbeitgeber“, bestimmte Bereiche in tariffreie Unternehmen oder Branchen mit niedrigeren Standards auszugliedern, haben Gewerkschaften und Betriebs- und Personalräte der Ausgliederung von Teilen der Belegschaften aus dem Flächentarif zugestimmt. So wurden etwa Busfahrer aus dem Öffentlichen Dienst oder Service-Bereiche aus dem Metallindustrie-Vertrag herausgenommen und schlechter gestellt.

c) Bestandssicherung für Alte, verbunden mit Absenkungen für Neue

Diese Tendenz, der die Betriebs- und Personalräte willig folgten, hat seine – reformistische – Logik: vom einzelnen Beschäftigten wird unmittelbarer Schaden, z.B. Lohnsenkung, abgewendet. Die negativen Folgen, die Spaltung der Klasse und die niedrigeren Löhne für die nachkommenden Generationen sowie die Ausblutung der Sozialkassen, wurden dabei in Kauf genommen, von den Gewerkschaften kaum ins Bewusstsein der Belegschaften gerückt und noch weniger bekämpft.

d) Öffnungsklauseln

Diese waren noch in den 90ern umstrittene Erscheinungen, heute sind sie aus Industrie-Tarifen nicht mehr wegzudenken. Damit wird ein Teil der Tarifpolitik auf die betriebliche Vertretung übertragen, was wie bei den „Standortsicherungsverträgen“ die Gewerkschaft als Organisation der Klasse in den Augen derselben immer mehr verschwinden lässt. Wir haben es also nicht nur mit tariflich organisiertem Rückschritt und Zersplitterung der Tariflandschaft zu tun, sondern auch mit dem Rückzug der Gewerkschaften aus ihrem ureigenen Kampffeld.

Betriebliche Ebene

Die Verbetrieblichung der Tarifpolitik auf dem Weg vom „betrieblichen Bündnis“ zum „Standortsicherungsvertrag“ hat aus betrieblicher Sicht ein stärkeres Auftauchen der Gewerkschaft zur Folge. Allerdings nicht als Organisatorin von Konflikten, sondern in Form von hochrangigen Bürokraten, die mit den Betriebsrats-Spitzen und Unternehmensvertretern am Verhandlungstisch sitzen und mehr oder weniger unkontrolliert Vereinbarungen abschließen.

Eine in der IG Metall propagierte „Stärkung der Vertrauensleute“ durch eine Verbetrieblichung der Tarifpolitik erwies sich dann genau als die Leimrute, als die sie verdächtigt wurde. So befanden z.B. die Vertrauensleute von Daimler-Untertürkheim im Oktober 2004 über die Standortsicherung, die im Juli beschlossen worden war. Betriebliche Tarifkommissionen können gebildet werden, müssen aber nicht, da letztlich der Vorstand alles allein entscheidet. Wie sie gebildet werden, ist Ermessenssache. Meist sind die Betriebsratsfürsten unter sich. Demokratie Fehlanzeige.

a) Arbeitszeitverlängerung

Sie wurde nicht nur auf tariflicher Ebene (Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst der Länder), sondern meist auf betrieblicher Ebene durchgesetzt. Auch hier folgte die Gewerkschaft meist den Erpressungen der Bosse oder dem Druck der Betriebsrats-Fürsten.

b) Weitere politische Unterordnung der Gewerkschaft unter die (Gesamt)-Betriebsräte

Die Gewerkschaften ordnen sich immer mehr den Betriebs- und Personalräten unter. Die freiwillige und unabhängige Organisation der Beschäftigten wird dominiert von Personen, die von den gesamten Belegschaften gewählt wurden, also auch den nicht gewerkschaftlich Organisierten. Auch die Vorstände werden aus Betriebsratsvorsitzenden zusammengesetzt.

In den Großbetrieben ging diese Entwicklung in den letzten Jahren weiter auf Kosten der Vertrauensleute-Körper. Innerhalb der Vorstandsverwaltung wurde das u.a. durch die Auflösung eines eigenständigen Bereiches vorangetrieben, die Vertrauensleute-Arbeit wurde in die „Betriebspolitik“ integriert. Das Grundlagenseminar für Vertrauensleute wurde für bestimmte Betriebe umgestaltet: Es werden nur noch geschlossene Seminare organisiert, bei denen nicht nur die betrieblichen Strukturen stärker betont werden, sondern auch die Politik des Betriebsrats gezielt „vermittelt“ wird.

Gegen alle Beschlüsse gewerkschaftlicher Gremien setzten 2003 die Gesamtbetriebsrats-Vorsitzenden der Autoindustrie den Abbruch des Streiks für die 35-Stunden-Woche im Osten durch. Der damalige Gesamtbetriebsrats-Chef von Opel, Klaus Franz, rief straflos zum Streikabbruch auf. In der IG Metall ist das machtvollste Organ das Treffen der Gesamtbetriebsrats -Vorsitzenden der Auto-Industrie: obwohl in der IGM-Satzung gar nicht erwähnt, geht gegen dessen Willen nichts.

In weiten Bereichen von ver.di ist Gewerkschaftsarbeit die Betreuung von Personal-und Betriebsräten. Was in Kleinbetrieben wichtig und richtig ist, bedeutet für Großbetriebe Verzicht auf ein eigenständiges Auftreten als Gewerkschaft.

Organisationspolitik

Auf die massiven Mitgliederverluste seit 1992 haben die Gewerkschaftsapparate einerseits mit „downsizing“ reagiert, also mit Personalabbau und Zusammenlegung von Einheiten. Das ging von Gewerkschaftsfusionen wie bei ver.di bis zur Zusammenlegung von Verwaltungsstellen. Letzteres ging einher mit einer starken Ausdünnung der Basisstrukturen.

Der DGB ist zu einem reinen Spitzenverband geworden, der zugleich darunter leidet, dass ver.di und IG Metall ihn entweder dominieren oder auch ganz auf ihn verzichten können. Ortskartelle und Jugendgruppen sind fast verschwunden, auf dem Land ist Gewerkschaft mit der Auflösung der DGB-Kreisverbände praktisch nicht mehr vorhanden.

Andererseits wurde versucht, den Mitgliederverlust mit Werbeaktionen auszugleichen. Neben rigoroser Zielkontrolle verbunden mit Werbeprämien kam es zu einer Übernahme des amerikanischen „Organizing“-Modells, das – unpolitisch konzipiert – seines ursprünglich doch emanzipatorischen Inhalts beraubt wurde. Für solche Kampagnen greift der Apparat gern auf engagierte junge AktivistInnen zurück, die prekär beschäftigt und schlecht bezahlt werden.

In einigen Handels- und Dienstleistungsbereichen führten solche Kampagnen allerdings auch zum Aufbau neuer gewerkschaftlicher Strukturen.

Schon in den 90ern rieten der rechte Flügel des Apparats und „wohlmeinende Freunde“ der Arbeiterbewegung wie der SPD-Vordenker Peter Glotz den Gewerkschaften, sich von Streiks u.a. überholten Praktiken zu verabschieden und stattdessen Gewerkschaften als Service-Betriebe zu gestalten.

Diese Ausrichtung wurde zwar betrieben, hat sich aber natürlich als erfolglos erwiesen. Mitglied einer Gewerkschaft zu sein wegen Rabatten, Rentenversicherung und Qualifizierungsberatung ist bei ausbleibenden materiellen und politischen Erfolgen nur für sehr wenige Werktätige attraktiv.

Bei der Finanzierung haben die Apparate versucht, sich von den Mitgliedern unabhängiger zu machen. Die Gewerkschaftshäuser wurden in Immobilientrusts zusammengelegt, die für gewerkschaftliche Aktivitäten gemietet werden müssen. Die Verwaltung wie die Betreuung wurden weitgehend outgesourcet und die Beschäftigungsverhältnisse verschlechtert. Bildung und Beratung wurden eigenständigen Gesellschaften übertragen, die somit – anders als Gewerkschaften – Profit machen und Geld von Unternehmen kassieren dürfen (Verbot der Gegnerfinanzierung). Gegenüber den Altbeschäftigten, v.a. den „politischen“ Gewerkschaftssekretären, sind die dort Beschäftigten schlechter bezahlt.

Die politische Ebene

Auf politischer Ebene hat sich die Gewerkschafts-Bürokratie genauso orientiert wie die Sozialdemokratie, von deren Fleische sie ja ist. Ende der 1990er Jahre hat sich in der Sozialdemokratie aller größeren Länder eine starke rechte Strömung gebildet, die auf Grundlage einer Anerkennung von Neoliberalismus und kapitalistischer Globalisierung als „unvermeidlicher“ Realitäten die Politik der Sozialdemokratie auf eine „neue“ Grundlage stellen wollte. In Britannien war das Blairs „Third Way“, in Deutschland Schröders „Neue Mitte“. Die Zielsetzung dieser Strömung war letztlich, der Sozialdemokratie eine neue soziale Stütze außerhalb der Arbeiterklasse zu verschaffen und diese Parteien auf die lohnabhängigen Mittelschichten auszurichten.

In den Gewerkschaften entsprach dem der Kurs eines Teils der Bürokratie, z.B: die „Reformer“ in der IG BCE oder der Huber-Flügel in der IG Metall. Ähnliches geschah auch in anderen Ländern, so der „New Realism“ in der britischen Gewerkschaftsbewegung.

Auch wenn es diesem Flügel nicht gelang, die Sozialdemokratie von ihrer Abhängigkeit von der organisierten Gewerkschaftsbewegung abzukoppeln, wie es v.a. Blair zeitweilig offensiv verfolgte, so bildete die „Neue Mitte“ u.ä. Ideologien unausgesprochen einen neuen ideologischen Unterbau der Bürokratie in der Sozialdemokratie und auch in den Gewerkschaften und bei Betriebsräten. Ganz im Sinne dieser Ideologie wurde auch die Agenda 2010 übernommen oder die Hartz-Reformen unter Einbindung der Gewerkschaftsbürokratie ausgearbeitet.

Ziel der Agenda 2010 war es, die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Imperialismus v.a. gegenüber dem US-Imperialismus zu stärken. Diese Stärkung sollte über einen Angriff auf die Arbeiterklassen, v.a. auf die stärksten, erfolgen. Zugleich hieß und heißt „Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Imperialismus“ die des stärksten, also des deutschen. Dass dabei die anderen europäischen Staaten tw. massiv ins Hintertreffen gerieten, ist eine andere Folge, für die die Gewerkschaften mit der Senkung der Lohnstückkosten im internationalen Vergleich jedoch mitverantwortlich sind.

Die Bürokratie verfolgte diese nationalen, imperialistischen Ziele im Namen der „Stärkung des Standorts Deutschland“ oder der Wettbewerbsfähigkeit desselben. Es ist kein Wunder, dass sie mit dem Jugoslawienkrieg 1999 auch die militärischen Ziele des deutschen Imperialismus wieder offener unterstützt.

Trotz verbaler Kritik hat die Bürokratie letztlich nicht nur die Hartz-Gesetze, sondern auch die Leiharbeit akzeptiert, die es lediglich „zu regulieren“ gelte.

Zu dem massiv aufgetretenen Problem der Niedriglöhne haben die Gewerkschaften spät reagiert. Im Namen der Tarifautonomie sperrte sich die IG Metall noch gegen die Forderung nach einem Mindestlohn, als IG BAU und ver.di dies schon auf der Agenda hatten. Allerdings haben die Gewerkschaften nie ernsthaft für einen allgemeinen Mindestlohn gekämpft, sondern die Branchenlösung nach dem Entsendegesetz akzeptiert, die das Einverständnis der Unternehmerverbände voraussetzt.

Daneben wurden Mindestlöhne in einer Höhe gefordert, die auch bei 45 Versicherungsjahren nicht zu einer Rente oberhalb von Hartz IV reichen. Derzeit wären das etwa 11,- Euro, der DGB hat seine Forderung für den Mindestlohn zuletzt auf 8,50 Euro erhöht.

In der Krise sind die Industriegewerkschaften IGM und IG BCE zu einer gesteigerten Form der Klassenzusammenarbeit bereit gewesen, die man angesichts der verschärften inter-imperialistischen Konflikte schon als Vorstufe einer Burgfriedenspolitik (8) einschätzen kann. Die IG Metall hat sich mit einer Verlängerung der Kurzarbeit auf zwei Jahre, dem Verzicht auf die bisher tariflich geregelte Aufzahlung durch die Unternehmen, einem Tarifvertrag, der – erstmals seit den 30er Jahren – Einkommensverluste über die Kurzarbeit hinaus ermöglicht, im Austausch für weitere tarifliche Kurzarbeitsregelungen, das Ganze garniert mit der Abwrackprämie für Autos zum national Krisen-Co-Manager entwickelt.

Dieser Trend ging einher mit einer grundlegenden Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Bürokratie auf der Grundlage bedeutender Niederlagen der Arbeiterklasse. Der IG Metall-Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten war hier ein Wendepunkt. Er brachte zwar kurzfristig den „Traditionalisten“ Peters an die Spitze, doch dieser Flügel vermochte es nicht, die „Reformer“ um Huber zu stoppen oder ein tragfähiges Gegenkonzept zu entwickeln.

4. Die Klasse heute

Seit Mitte der 80er Jahre hatte die Arbeiterklasse in Westdeutschland immer wieder Angriffe hinnehmen müssen, nur selten konnte sie Teilerfolge erringen. Andererseits konnte sie so viel Widerstand entwickeln, dass auch die Bourgeoisie meist zurückstecken musste. Immer wieder erwiesen sich die SPD und die reformistische Bürokratie als wirkungsvolle Instrumente der Kapitalisten, um den Widerstand zu bremsen und zu begrenzen.

In der DDR erlitt die Arbeiterklasse eine Niederlage von historischer Dimension durch die kapitalistische Wiedervereinigung. Die verloren gegangen Kämpfe gegen Treuhand und Stilllegungen belegen das. Zwei Drittel der industriellen Arbeiterklasse der DDR verloren innerhalb von 2-3 Jahren ihre Jobs – im Osten fand eine auch im historischen Maßstab extreme Entindustrialisierung statt. Die Verantwortung dafür liegt sowohl bei den Stalinisten, die durch die politische Unterdrückung der Arbeiterklasse verhindert hatten, dass diese eigene Machtorgane wie Fabrikkomitees und Räte sowie eigene Parteien aufbauen konnte, als auch bei den Sozialdemokraten, die auf politischer wie gewerkschaftlicher Ebene sich zu Motoren der Rekapitalisierung machten und zugleich Illusionen in einen sozialen Kapitalismus streuten, den sie im Westen bereits zu demontieren halfen.

Im historischen Gesamtblick war die kapitalistische Wiedervereinigung zugleich eine Niederlage der gesamten deutschen Arbeiterklasse, die aber vom Hauptteil der Klasse im Westen so erst einmal nicht empfunden wurde – und gerade deshalb doppelt dramatisch war. Die deutsche Bourgeoisie aber nutzte die Niederlage als Hebel, die Sozialversicherung und die Tarife im ganzen Land anzugreifen. Ostdeutsche ArbeiterInnen wurden zur Billiglohn-Reservearmee.

Mit der Agenda 2010 hat sich das Kräfteverhältnis noch einmal entscheidend geändert. Die Angriffe der Regierung Schröder auf die westdeutschen ArbeiterInnen waren schwerer und erfolgreicher als die Helmut Kohls. In der Folge hat sich die Struktur der Klasse massiv geändert. Die überwiegende Mehrheit der Klasse ist geschwächt, weil sie weniger auf organisierte Strukturen und Erfahrungen zurückgreifen kann. Diese müssen neu erworben bzw. aufgebaut werden. Die deutsche Arbeiterklasse hat wichtige Errungenschaften oder Zugeständnisse der Nachkriegsära aufgegeben bzw. verloren. Das stellt eine wichtige Niederlage der Arbeiterklasse dar, auch wenn sie etappenweise und nicht auf einen Schlag erfolgte.

Eine Besonderheit stellt aber zweifellos die Form dar, in der diese Niederlage von statten ging. Sie erklärt sich aus dem Charakter und den Bedürfnissen des deutschen Imperialismus, was wiederum erklärt, warum nach dieser Niederlage die Gewerkschaftsbürokratie gestärkt wurde, was sich in der Krise 2008-10 fortgesetzt hat.

In Britannien und den USA gingen die strategischen Niederlagen durch die neoliberale Offensive mit einer massiven Schwächung der industriellen Basis des britischen bzw. US-Imperialismus einher. Die deutsche Bourgeoisie hingegen hat immer das Ziel verfolgt, die Industrie als materielle Basis ihres Imperialismus nicht nur zu erhalten, sondern sich darauf in der Weltmarktkonkurrenz ebenso wie im politischen Kampf um eine Neuordnung der Welt zu stützen.

Ein zentrales Ziel der neoliberalen Angriffe in Britannien und den USA war, eine grundlegende Schwächung der Gewerkschaften einschließlich ihrer bürokratischen Führungen herbeizuführen, indem die Strukturen der Gewerkschaften und ihre gesellschaftliche Macht frontal angegriffen und in den Augen aller Klassen gebrochen wurde.

In Deutschland war es anders. Trotz einer deutlichen Entfremdung von DGB-Führungen und SPD unter Rot/Grün und auch während der Großen Koalition, wurde der grundlegende Korporatismus, die „Sozialpartnerschaft“ nicht gebrochen. Die Gewerkschaften selbst wurden unter Schröder – siehe Hartz-Kommission – einbezogen, wenn auch oft nicht auf „Top“-Level. So gelang es der DGB-Spitze in einer ersten Stellungnahme zu Schröders Agenda-Rede auch dort noch, so manches „Positive“ zu finden.

„1. Schröder hat volle Unterstützung für Friedenskurs, 2. angekündigte Wachstumsimpulse sind gutes Zeichen, müssen aber anders ausgestaltet werden, der Staat und nicht eine Bank muss sich massiv engagieren, 3. insgesamt ist das Reformkonzept nicht ausgewogen: an die Wirtschaft gehen überwiegend Appelle, Arbeitnehmer und Erwerbslose dagegen müssen mit massiven finanziellen Nachteilen rechnen. 4. Tarifautonomie: wir machen seit Jahren, was der Kanzler fordert. Wir begrüßen sein klares Bekenntnis zu den Vorteilen der Tarifautonomie und der Mitbestimmung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 5. Ausbildungsplätze: begrüßen Forderung des Kanzlers an die Unternehmen für mehr Ausbildung. Wichtig halten wir die Möglichkeit einer Ausbildungsplatzabgabe.“ (9)

Es verwundert nicht, dass sich die Gewerkschaftsführungen daher direkt gegen die Bewegungen gegen Hartz-Gesetze und Agenda 2010 stellten. Nach halbherzigen Mobilisierungen im Frühjahr 2003 wurden alle Aktivitäten eingestellt, da das Thema „nicht mobilisierungsfähig“ sei. Dass dies allein die Unwilligkeit der Führungen war, zeigte eine eintägige Massenmobilisierung in Schweinfurt, wo der spätere WASG-Führer Ernst als lokaler IG Metall-Chef streikähnlichen Widerstand organisierte.

Erst als am 1. November 2003 100.000 in Berlin gegen den erklärten Willen der Führung auf die Straße gingen, als sich eine Massenbewegung formierte und auch Teile des Apparats logistische Unterstützung für die Bewegung lieferten, schwenkte die Spitze um. Im Mai 2004 brachte sie mehr als eine halbe Million auf die Straße, allerdings nominell nicht gegen die Regierung, sondern für einen „europäischen Aktionstag“, von dem in keinem anderen Land etwas bekannt war. Um die Bewegung von oben her endgültig abzuwürgen, wurde danach aufgerufen, Unterschriften zu sammeln, die an alle Bundestagsparteien appellierten.

Die im August folgenden Montagsdemos – eine wirkliche Massenbewegung der Erwerbslosen im Osten – wurden noch viel schmählicher in Stich gelassen. Jede Ausweitung in den Westen, jede Verbindung mit Belegschaften wurde bekämpft.

Fast zeitgleich im Frühjahr 2003 hatte die schäbige Rolle der Betriebsratsbürokratien in den großen westdeutschen Autokonzernen zum Abbruch und zur Niederlage des Streiks um die 35-Stunden-Woche im Osten geführt. 2005 kamen dann die „Standortsicherungen“, in denen die IG Metall-Führung gegen Massenproteste bei Daimler und einen einwöchigen Streik bei Opel Bochum die Belegschaften verkaufte.

Ohne diesen Verrat der Führungen, ohne diese Kooperation mit dem Kapital wären die Agenda-Politik und ihre Folgen nicht so einfach durchsetzbar gewesen. Zugleich waren diese drei Klassenkampfereignisse auch Möglichkeiten für eine Verallgemeinerung des Kampfes und um die  Frage des politischen Massenstreiks gegen die Regierung auf die Tagesordnung zu stellen. Die Niederlagen dieser einzelnen Auseinandersetzungen haben nicht nur das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen, sondern auch in der Klasse verschoben.

Alle Angriffe, und insbesondere auch die Anti-Krisenpolitik, gingen mit Korporatismus einher – ein Korporatismus jedoch für eine schrumpfende und sich wandelnde Arbeiteraristokratie. Diese sollte und soll weiter eingebunden werden in die ökonomischen und politischen Strategien des deutschen Kapitals.

Während also einerseits Organisations- und Kampfstrukturen der Klasse zerstört wurden, wurden andererseits Strukturen der Klassenkollaboration, wie die Betriebsräte, gegenüber allen eigenständigen Ansätzen bewusst weiter gestärkt. Unter Kohl suchte die Regierung noch eine Konfrontation mit den Gewerkschaften. In Phasen der Agenda-Umsetzung reichte der Regierung Schröder eine passive Unterstützung durch die Gewerkschaftsführungen. Interessanterweise hat die Krise 2007/08 dazu geführt, dass die Regierung Merkel stärker die Kollaboration mit Gewerkschaften und Betriebsräten suchte, um die Kosten der Krise auf die Klasse abzuwälzen, aber zugleich die Lasten für die Arbeiteraristokratie in der Exportindustrie abzuschwächen – was die Gewerkschaftsbürokratie wiederum als eine „Aufwertung“ ihrer gesellschaftlichen Rolle freudig aufgriff.

Neben der Niederlage und der daraus folgenden Veränderung der Klasse gibt also eine andere, grundlegende Veränderung gegenüber den 1990er Jahren und der ersten Phase des 21. Jahrhunderts. Die Gewerkschaftsbürokratie ist insgesamt deutlich nach rechts gerückt, der „traditionalistische“ Flügel ist schwächer geworden. Andererseits ist auch die Einbindung der Gewerkschaften in das System der Klassenkollaboration gestärkt worden, v.a. zu Beginn und im Laufe der letzten, großen Rezession.

Heute steht die Gewerkschaftsbürokratie insgesamt also geschlossener da, während die Niederlagen und vergebenen Möglichkeiten des letzten Jahrzehnts zugleich die kampffähigen Teile der Klasse in Struktur, Zahl und Größe geschwächt haben.

Natürlich sind auch weiterhin noch kampffähige Strukturen vorhanden, manche wurden auch neu aufgebaut. Diese können genutzt werden. In manchen betrieblichen Kämpfen und gesellschaftlichen (Anti-Krisen-) Bewegungen zeigen sich jene Elemente, mit der die deutsche Arbeiterklasse wieder auf die Füße kommen kann und wo sich sogar ein gewisser Grad an Eigenorganisation entwickelt.

Aber es handelt sich um einen Reorganisationsprozess aus der Defensive heraus. Über die Gewerkschaften und erst recht über die Betriebsräte in den Großkonzernen ist die Klasse mehr als noch vor 10 Jahren in das Herrschaftssystem des Kapitals eingebunden. Die Bürokratie sitzt fester im Sattel – damit ist auch ihre Fähigkeit gewachsen, die nach wie vor vorhandenen Kampfpotentiale auszubremsen.

Der Grund dafür liegt nicht einer grundsätzlichen Unmöglichkeit massenhafter politischer Abwehrkämpfe. Im Gegenteil. Ein Aufruf zu Massendemonstrationen am Beginn der Krise, als die Banken gerettet wurden und die Massen dafür bluten sollten, hätte wahrscheinlich Millionen mobilisieren und Kämpfe von weit größerem Ausmaß hervorrufen können, als die Kämpfe der letzten 10, 15 Jahre. Die herrschende Klasse fürchtete eine solche Entwicklung enorm, weil erstmals seit der kapitalistischen Wiedervereinigung der Kapitalismus als Gesellschaftssystem bei der Mehrheit der Bevölkerung in Misskredit geraten war. Aber die Gewerkschaften ließen die Möglichkeiten nicht nur verstreichen, sie blockierten die Entwicklung ganz bewusst bis hin zu Absprachen, vor den Bundestagswahlen nicht zu mobilisieren.

Zweifellos sind noch Errungenschaften des Proletariats vorhanden, die weitere Angriffe des Kapitals nötig machen. Doch das ist nicht so einfach. Einerseits muss die Bourgeoisie in Deutschland größere Teile der Klasse an sich binden, sie braucht eine im Vergleich zu anderen Ländern große Arbeiteraristokratie; andererseits muss sie zugleich deren Errungenschaften angreifen. Werden in einem neuen Abschwung Teile dieser angegriffenen Schichten, die oft noch über alte Kampferfahrung verfügen, in die Offensive gehen? Werden die Kämpfe der „neuen aristokratischen Schichten“, wie PilotInnen, ÄrztInnen usw. zu Zündfunken für weitere Teile der Klasse? Es stellen sich weitere Fragen: Wie werden die schlecht bezahlten Schichten der Klasse auf das zunehmende Lohngefälle reagieren? Werden sich die NiedriglöhnerInnen z.B. im Transport und in der Logistik ihrer Schlüsselstellung bewusst?

Zahlenmäßige Entwicklung der Arbeiterklasse und ihrer Schichten

Die Gesamtzahl der Lohnabhängigen ist gewachsen, auch die Gesamtzahl der eigentlichen Arbeiterklasse ist durch die Proletarisierung früherer Mittelschichten gewachsen. Der Anteil der Industriearbeiterschaft ist durch Rationalisierung, Ausgliederung und Verlagerung gesunken, damit wurde auch die traditionelle Arbeiteraristokratie zahlenmäßig verringert.

LeiharbeiterInnen und Prekariat: Die Herausbildung einer echten Unterschicht der Arbeiterklasse hat schon früher begonnen. Seit den 80ern wurden z.B. Behinderte, Kranke oder sozial „schwierige“ Menschen nicht mehr in den Arbeitsprozess integriert. Sie wurden zu Langzeitarbeitslosen, die sich vielfach auch nicht mehr integrieren konnten oder wollten. Aber das war eine heterogene Gruppe am Rande einer relativ homogenen Arbeiterklasse. Nach den Massenentlassungen im Osten 1992 entstand dort ein pauperisiertes Arbeitermilieu aus Arbeitslosen, WanderarbeiterInnen und PendlerInnen, das aber auch bezogen auf die Klasse insgesamt weiter nur eine Randrolle spielte. Heute umfasst das Prekariat einen großen Teil der Klasse, etwa ein Fünftel bis ein Viertel aller Lohnabhängigen. Es dominiert nicht nur im Osten, sondern auch innerhalb der arbeitenden Jugend. Es gibt weiterhin unterschiedliche Formen – Leiharbeit, Teilzeit, 400 Euro-Jobs, Niedriglöhne, Ein-Euro-Jobs, Befristete, Werkverträge – aber die einzelnen Gruppen innerhalb dieser Schicht umfassen jeweils Hunderttausende.

Öffentlicher Dienst: In vielen europäischen Ländern stellt der Öffentliche Dienst – auch mit seinen privatisierten Bereichen – die kämpferischen Kernschichten der Klasse. In Deutschland waren die Kampftruppen eher in der Metallbranche, früher auch in der Druckindustrie, zu finden. Die andauernden Angriffe auf den Öffentlichen Dienst haben aber nicht nur die Gesamtzahl der dort Beschäftigten gesenkt, sondern dort auch die wenigen, traditionell kämpferischen Schichten wie Nahverkehr und Müllabfuhr durch Privatisierung und Zerschlagung geschwächt. Diese Schichten gehörten früher durchaus auch zur Arbeiteraristokratie. Neue Schichten sind nur vereinzelt in den Kampf gezogen, z.B. die ErzieherInnen. Das Potential an Proletariat ist durch Privatisierung und Verlust von Privilegien aber eigentlich gestiegen.

Zahlenmäßig sind die Schichten, die aus den lohnabhängigen Mittelschichten ins Proletariat hineinfallen, nicht so bedeutend wie ihre mögliche Rolle im Klassenkampf als neuer Bestandteil der Arbeiteraristokratie.

Die Arbeiteraristokratie

Die Veränderungen, die sich in und für die Arbeiteraristokratie ergeben, sind für eine revolutionäre Organisation von großer Bedeutung, v.a. in einem imperialistischen Land. Jede Krisenperiode des Kapitalismus, jede große Veränderung bedeutet natürlich auch, dass nicht nur die „unteren“ Schichten der Klasse weiter nach unten gedrückt werden, dass neben Arbeitslosigkeit auch „Unterbeschäftigung“ entsteht, sondern dass auch jene Schichten der Klasse, die über eine ganze Periode hinweg eine gegenüber der Mehrheit des Proletariats relativ privilegierte Stellung eingenommen haben, von massiven Veränderungen betroffen sind und tw. sogar als solche privilegierte Schicht verschwinden können. Ökonomisch betrachtet, stellt die Arbeiteraristokratie einen Teil der Klasse der Lohnabhängigen dar, der über eine längere Periode Löhne erhält, die über den durchschnittlichen Reproduktionskosten liegen.

Kapitalseitig ist die Basis dafür die Entstehung von Extraprofiten aus der globalen Ausbeutung und die Bildung großer Monopole. Somit ist eine Arbeiteraristokratie ein Kennzeichen für die Arbeiterklasse aller imperialistischen Länder, die in bestimmten Perioden ein Viertel oder gar Drittel der Gesamtklasse umfassen kann (vgl. z.B. Hobsbawns Kalkulationen für Britannien im 19. und 20. Jahrhundert). Das geht auch einher mit einer relativen Sicherheit des Arbeitsplatzes und einer gewissen Verkleinbürgerlichung des Lebensstils.

In Deutschland ist aufgrund der enormen Bedeutung des industriellen Sektors – Stichwort „Exportweltmeister“ – die tradierte Arbeiteraristokratie v.a. unter den Beschäftigten der Großindustrie zu finden.

Es handelt sich um die Teile der Klasse, einerseits stark inkorporiert sind, andererseits aufgrund ihrer wirtschaftlichen Stellung dem Kapital aber auch den größten Schaden zufügen und damit ihm auch politisch gefährlich werden können: Sie sind es, die z.B. für einen Generalstreik von entscheidender Bedeutung sind.

Das ist kein Zufall. Schließlich ist es ja auch erst die Stellung in solch strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen, die es ermöglicht, dass sich bestimmte Schichten der Arbeiterklasse zu einer Arbeiteraristokratie entwickeln können – gewissermaßen als Nebenprodukt erfolgreich geführter ökonomischer Kämpfe oder jedenfalls einer starken Stellung im Produktionsprozess, aus der sich auch eine starke Verhandlungsposition ergibt.

Aus gutem Grund ist jede Bourgeoisie auch eher bereit, diesen Schichten entgegenzukommen, sie zu „bestechen“ und einen Teil ihrer Extraprofite auf diesen Bereich zu verwenden. Ebenso konzentrieren sich die reformistischen Apparate besonders darauf, diese Bereiche ökonomisch und politisch in den bürgerlichen Staat und seine Institutionen zu integrieren. Umgekehrt liefert natürlich auch die Arbeiteraristokratie überproportional viele Kader für die reformistischen Apparate. Diese Verbindung zu sprengen ist für eine siegreiche Revolution unerlässlich.

Welche Schichten in einer Gesellschaft zur Arbeiteraristokratie gehören, ist von der technisch-ökonomischen Entwicklung, dem Kräfteverhältnis zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie und der internationalen Stellung der Bourgeoisie abhängig. Entsprechend gibt es Schichten, die eher durch ihre unverzichtbare Qualifikation, und andere, die durch ihre hohe Wertschöpfung bzw. zentrale Stellung in der Produktions- oder Distributionskette zur Arbeiteraristokratie gehören. Gerade letztere Schichten müssen sich dieser Stellung bewusst werden, was nur durch kollektive Kampferfahrung geschehen kann.

Wenn verschärfte Konkurrenz zwischen den Kapitalisten bzw. den imperialistischen Staaten die Ressourcen zur Befriedung der Arbeiteraristokratie vermindert, die Bourgeoisie also die Arbeiteraristokratie oder Teile dieser angreifen muss, ergeben sich zwei Chancen: erstens können diese Angriffe zu sofortigem Widerstand führen, besonders dann, wenn es sich zugleich um Schichten handelt, die ihre herausgehobene Stellung zu erfolgreichen ökonomischen Kämpfen genutzt haben bzw. diesen verdanken; zweitens können diese Schichten auch langfristig besser für den Klassenkampf gewonnen werden, wenn sie ihre ökonomische Schlüsselrolle behalten und zugleich die Kontrolle der reformistischen Apparate geringer wird.

Die Angriffe der Kapitalisten und Regierungen haben hier zu einem Szenario geführt, das in bestimmten Bereichen schon zu Explosionen geführte hat und auch zukünftig führen kann.

Beispiele für Angriffe auf die Arbeiteraristokratie

ProduktionsarbeiterInnen in der Metallindustrie

Die Schicht der Arbeiteraristokratie, welche die stärksten Angriffe erlitten hat, sind die MetallarbeiterInnen in der Produktion. Sie wurden durch Rationalisierung und Verlagerung dezimiert, sie mussten Lohnverluste durch ERA und Standortsicherungen hinnehmen. Es gab kampflose Niederlagen bei Nokia Bochum und Siemens Kamp-Lintfort. Auch dort, wo die Bürokratie den Kampf nicht verhindern konnte, endete dieser in Niederlagen, z.B. bei BSH Berlin, AEG Nürnberg, Fahrradfabrik Nordhausen, Mahle Alzenau, Behr Stuttgart. Teilerfolge gab es nur bei Opel Bochum 2006 und Daimler Sindelfingen 2009.

Kampfmittel Betriebsbesetzung

In diesen Kämpfen kam es auch zu Besetzungen oder zu Versuchen dazu. Zu diesem Kampfmittel wurden von Belegschaften dann gegriffen, wenn klar war, dass ein Streik keinen ökonomischen Druck ausüben kann. Diese Besetzungen wurden in Deutschland aber nie mit der Perspektive der Arbeiterkontrolle der Produktion geführt, sondern nur, um die Abfindungsbedingungen hoch zu treiben. Bei Mahle Alzenau konnte diese Perspektive in einem Teil der Belegschaft durch unser Eingreifen verankert werden – drei Tage lang war der Betrieb besetzt.

Kampfmittel alternative Listen

Die Zunahme von alternativen Betriebsrats- und Personalratskandidaturen ist eine Antwort auf die Politik der Bürokratie. Da die gewerkschaftlichen Strukturen wie Vertrauensleute immer weniger Möglichkeiten bieten, selbst gegen die krassesten Auswüchse von Co-Management vorzugehen, ja sich die gewerkschaftliche Betriebspolitik auf Begleitung der Betriebsrats- und Personalratsarbeit reduziert, sind alternative Kandidaturen zu einem häufigeren Mittel geworden, um sowohl gegen Betriebsrats-Fürsten, wie auch gegen Gewerkschaftsbürokraten vorzugehen.

Die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, die von CDU-Regierungen im Namen des Minderheitenschutzes eingeführt worden waren, werden heute öfter zum Werkzeug kämpferischer Elemente als der anti-gewerkschaftlichen Minderheiten, für deren Förderung sie ursprünglich gedacht waren. Die kämpferischen Betriebsrats-Fraktionen tendieren aber immer zum Betriebssyndikalismus und landen auch dort, solange keine antibürokratische Basisbewegung in den Gewerkschaften existiert. Umgekehrt stellen sie ein Potential für eine solche Bewegung dar. Bekanntestes Beispiel ist die Gruppierung ALTERNATIVE bei Daimler Untertürkheim. Aufgrund ihrer erfolgreichen Basisarbeit, die ihr eine Mehrheit im Werkteil Mettingen gegen die „offizielle“ Betriebsratsliste der IGM sicherte, konnte sie sich allen Repressionen einschließlich Ausschlussdrohungen widersetzen und ist so zum oft kopierten und nie erreichten Vorbild für eine solche Taktik geworden. Seit der Betriebsratswahl 2010 ist die ALTERNATIVE wieder in die IGM-Fraktion integriert, arbeitet aber um die gleichnamige Zeitung weiter. Ein Höhepunkt der ALTERNATIVE war der Marsch über die Schnellstraße B10 mit 2.000 Beschäftigten des Mettinger Werks auf dem Weg zur Protestkundgebung der IG Metall gegen die Angriffe im Jahr 2005.

Die Rolle der MigrantInnen

MigrantInnen stellen im Westen nicht nur einen großen Teil der prekär Beschäftigten und Arbeitslosen, sondern auch einen Teil der Arbeiteraristokratie. Naturgemäß spielen deshalb MigrantInnen bei den Kämpfen des Prekariats ihre Rolle, sehr wichtig ist aber auch ihre Rolle als bedrohte Schicht der Arbeiteraristokratie. Ihre Zugehörigkeit zur Arbeiteraristokratie beruht v.a. auf Kampfkraft, nicht so sehr auf Qualifikation, mit der sie als angelernte Produktionsarbeiter besonders in der Metall- und Elektroindustrie auch von den Extra-Profiten des exportorientierten Kapitals etwas abbekamen. Die Rationalisierungen und Verlagerungen von Produktion entwerten ihre v.a. in der Praxis erworbenen Fähigkeiten völlig und werfen sie in die untersten Schichten der Klasse hinab. Nur die Jüngeren haben eine Chance, über Qualifizierung in andere Bereiche zu wechseln, „deutsche“ ArbeiterInnen in der gleichen Lage haben ebenfalls bessere Chancen.

Ein Beispiel dafür ist das Werk 8 des Kühlerherstellers Behr in Stuttgart-Feuerbach, in dem fast nur MigrantInnen tätig waren, allerdings mit langer Betriebszugehörigkeit. Als das Werk in der Krise 2009/10 geschlossen werden sollte, widersetzten sich die Beschäftigten in einem halbjährigen harten Kampf diesen Plänen.

FacharbeiterInnen

In einer ähnlichen ökonomischen Lage befinden sich die FacharbeiterInnen im Maschinenbau u.ä. Branchen. In den letzten 10-20 Jahren fand eine große Fusionswelle in Deutschland statt. Jetzt steht diese auf internationaler Ebene bevor, v.a. in Richtung China. Im Maschinenbau dominiert aber die Schicht der männlichen „deutschen“ Facharbeiter, die v.a. durch „deutsche Wertarbeit“, d.h. hohe Qualifikation ihren Platz in der Arbeiteraristokratie eingenommen haben und seltener über Kampftraditionen verfügen als ihre KollegInnen in der Auto-Industrie. Dennoch können die neuen Angriffe zu neuen Kämpfen führen. Exemplarische Kämpfe gab es bei Alstom Power Mannheim, KBA Stuttgart oder Atlas Norddeutschland.

Ein gutes Beispiel sind auch die Drucker, die ursprünglich durch ihre Qualifikation (Lesen und Schreiben) – nicht nur in Deutschland – zur Arbeiteraristokratie gehörten. In Deutschland verbanden sie diese mit einem hohen Organisationsgrad und hoher Kampftradition. Ihr Schicksal wurde durch die Computertechnik schon vor einer Generation besiegelt.

Proletarisierte Schichten aus dem (ehemaligen) Öffentlichen Dienst

Post, Telekom und Bahn

In diesen Sektoren hatten die zuständigen Gewerkschaften, die rechtssozialdemokratische GDED (später Transnet, heute EVG) und die DPG (sozialdemokratisch mit stalinistischer Organisationsdisziplin, heute in ver.di) eine desaströse Linie: Keinen Widerstand gegen die Privatisierung als solche, keine oder zu späte Organisierung konkurrierender Unternehmen, anschließend Verzicht bei Lohn, Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen mit Verweis auf die Konkurrenz. Die Belegschaften sind gespalten in einen alten Stamm mit Kündigungsschutz und hohen Rentenzusagen, teils sogar mit Beamtenstatus, und den Neuen, die befristet oder sogar bei firmeneigenen Leiharbeitsfirmen (bei Post und Telekom) oder Subunternehmen (Bahnen) angestellt sind.

Bei der Bahn führte diese Lage dazu, dass die GDL, als berufsständische Gewerkschaft der Lokführer im Beamtenbund, den wir im Prinzip als gelbe Gewerkschaft ansehen, durch einen Zustrom neuer Mitglieder, v.a. aus dem Osten, sich im Kampf aus der bürokratischen Tarif-Einheit der Bahngewerkschaften löste. Einerseits stellen die Lokführer eine arbeiteraristokratische Schicht innerhalb der Bahn dar, da sie nicht so schnell zu ersetzen sind, andererseits machten sie sich völlig zu Recht die Verwundbarkeit des Transportsystems zunutze. Die organisationspolitischen Egoismen der CDU-orientierten GDL-Führung wie auch die Spaltungspolitik der DGB-Führung verhinderten allerdings, dass die Teilerfolge des Streiks 2007 zu einem Fanal für allgemeine Kämpfe im Transportsektor wurden.

Krankenhäuser

Pflegekräfte und ÄrztInnen hatte beide eine typisch berufsständische Tradition. Heute verbindet Krankenhausärzte außer dem gleichen Ausbildungsweg nur noch wenig mit niedergelassenen Ärzten, die zwar auch von den Rationalisierungen im Gesundheitswesen erfasst sind, aber ihre Standesprivilegien wahren konnten. Bei den Pflegekräften funktioniert die Ideologie des „Dienstes am Menschen“ und der „Nächstenliebe“, die aus der kirchlichen Dominanz des Bereichs stammt, immer weniger. In der Folge sahen wir mehr Krankenhausstreiks, bei den ÄrztInnen hat sich auch die Spartengewerkschaft Marburger Bund gezwungen gesehen, zu diesem Kampfmittel zu greifen.

LeiharbeiterInnen und Prekariat im Klassenkampf

Bislang haben LeiharbeiterInnen nirgends eine spezifische Rolle in Kämpfen gespielt, weder in den entleihenden Branchen, noch bei den Verleih-Unternehmen selbst oder in sozialpolitischen Konflikten. Anders sieht es im Niedriglohnbereich bei bestimmten Dienstleistungsbranchen aus, dort gab es Kämpfe in einzelnen Sektoren.

Transport

Hohe Wellen schlug der Streik bei Gate-Gourmet im Düsseldorfer Flughafen 2006. 2009 gab es erste Streiks an Flughäfen während des Tarifkampfes im Bewachungsgewerbe.

Handel

Der Einzelhandel kann mit seinem hohen Anteil an 400 Euro-Kräften, teilzeitbeschäftigten Frauen, Befristungen und einem hohen Anteil an MigrantInnen auch zu diesem Sektor gezählt werden. Hier gab es Tarifkämpfe, Betriebsrats-Gründungen, Konflikte um Überwachung und willkürliche Entlassungen. Allerdings waren die ProtagonistInnen eher die Stammbeschäftigten. Ausnahmen waren die Mode-Läden H&M und Zara mit v.a. jugendlicher Belegschaft, die mit geringerer Abhängigkeit – z.B. Jobben neben dem Studium – und oft großem Elan die Zumutungen der Firmenleitungen attackierten.

Gebäudereinigung

Aufsehen erregte der erste Streik der GebäudereinigerInnen im Herbst 2009. Dieser gelang mit starkem Einsatz des Apparats der Gewerkschaft BAU, war aber durchaus getragen von zahlreichen Belegschaften im Osten bzw. im Westen v.a. durch MigrantInnen. Die IG BAU kann sich kaum noch auf arbeiteraristokratische Schichten stützen. Im Bauhauptgewerbe sind diese sehr stark geschrumpft, in anderen Branchen, die von der IG BAU organisiert werden, waren sie ohnehin nie vertreten. Dabei standen die GebäudereinigerInnen früher durchaus der Arbeiteraristokratie nahe – so gehörten sie z.B. zum Tarif der Metall- und Elektroindustrie oder des Öffentlichen Dienstes. Ihre Verdienste lagen weit über denen ihrer KollegInnen, die in Privathaushalten arbeiteten. Erst die massiven Ausgliederungen brachten sie zur IG BAU.

Der Fall aus den lohnabhängigen Mittelschichten ins Proletariat

Technische Angestellte und Beschäftigte in der Informations- und Kommunikationstechnologie (ITK)

Veränderungen im Bereich der ITK-Beschäftigten

Im Zusammenhang mit der gestiegenen Bedeutung von elektronischer Informationsverarbeitung und Kommunikation im Gefolge von Rationalisierungen im Industrie- und Dienstleistungssektor haben sich die Arbeitsbedingungen von technischen Angestellten stark geändert. Privilegierte Ingenieursberufe finden sich zumeist nur noch in Nischen. Besonders die ITK-Industrie ist inzwischen stark arbeitsteilig, qualifikationsmäßig und bezahlungsmäßig differenziert. Speziell Outsourcing (Auslagerung von IT-Abteilungen an eigens dafür tätige Dienstleistungsfirmen), Verlagerung von IT-Services (Programmierung, Call-Center …) in Billiglohnländer und Vereinfachung der Anpassbarkeit von IT-Diensten z.B. im Umfeld Web-basierter Anwendungen haben zu einer Entwertung von Expertentum und zu stark unsicheren Job-Situationen geführt. In der ITK-Industrie sind inzwischen nicht nur wie schon früher stark belastende und exzessive Arbeitsbedingungen, sondern auch prekäre Beschäftigungsverhältnisse stärker verbreitet.

In diesem Zusammenhang verstärkt sich auch die Gegenwehr. Dies nimmt (neben den neuen Internet-basierten Widerstandsarten) auch traditionelle Formen an: Kämpfe um die Bildung von Betriebsräten (ob in kleinen „Software-Buden“ oder in der „Krake“ SAP), aber auch Tarifkämpfe. Dies drückt sich auch darin aus, dass inzwischen über die Hälfte der ITK-Beschäftigten in Betrieben mit Tarifverträgen arbeitet und dort nachgewiesen bessere Bedingungen als in den nicht-tarifgebundenen Betrieben haben. Allerdings sind dabei Haustarifverträge sehr häufig (z.B. IBM, HP). Zusätzlich konkurrieren ver.di und IG-Metall in dem Bereich mit stark konträren Eigeninteressen der jeweiligen bürokratischen Apparate. Dagegen sind die IT-Unternehmen stark vernetzt und nutzen ihre Marktposition und die schwache bzw. gespaltene Organisation der Beschäftigten zum Drücken der Lohnniveaus. So gibt es das „Market Based Adjustment“ – eine als Marktstudie verkleidete Kartellabsprache der IT-Unternehmen, aus der „Durchschnittsgehälter“ und angeblich daraus folgende „vertretbare Gehaltssteigerungen“ abgeleitet werden.

Außerdem bestehen Absprachen unter den großen Konzernen, was Qualifizierungsniveaus (Zwang zur Zertifizierung), Arbeitszeitmodelle (bevorzugt „Vertrauensarbeitszeit“), Ausweitung von Bereitschaftsdiensten und Home-office (verschwimmende Grenzen zwischen Arbeits- und Privatzeit) betrifft.

Generell hat sich die Position der technischen Angestellten in der Industrie verschlechtert. Zum einen wurden Teile ihrer Qualifikation wie Programmierung, Arbeitsvorbereitung und Terminverfolgung („SAP“) standardisiert, andere, wie Zeitaufnahmen („REFA“), entfielen durch die Technisierung. Für die Führung großer Anlagen, z.B. auch in der Chemie-Industrie wurde die Ausbildung zum Techniker zur Voraussetzung, zugleich wurden diese Stellen aber bezahlungs- und hierarchiemäßig entwertet.

LehrerInnen

Politisch sind die LehrerInnen 40 Jahre nach dem Aufbruch der 68er weit nach rechts gegangen. Die Angriffe auf das Bildungssystem haben in diesem Bereich nicht zu wahrnehmbarem Widerstand geführt. Zugleich geht der Trend vom Beamtenstatus zum Stundenlohn im Niedriglohnbereich, v.a. in der Erwachsenenbildung. Diese Proletarisierung des Lehrerberufs könnte die Ursache dafür sein, dass die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die positivste Mitgliederentwicklung aller DGB-Gewerkschaften zu verzeichnen hat, auch wenn öffentliche Kämpfe dieser Gewerkschaft kaum bekannt sind.

JournalistInnen und Medienberufe

Im Medienbereich gab es große Umwälzungen: technische Veränderungen bei Druck, Datenübermittlung und Kommunikation, Kapitalkonzentration auf nationaler und internationaler Ebene und bewusste politische Entscheidungen, wie Teilprivatisierungen bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten oder Aufsplitterung von Konzernen wie Gruner+Jahr u.a. in rechtlich selbstständige Teilgesellschaften. Dies und v.a. die Ausgliederung der großen Verlagsdruckereien, mit den immer noch kampfstarken DruckerInnen machen eine gemeinsame Gegenwehr der Beschäftigten in den Verlagen immer schwieriger.

Berufe wie Kameraleute verloren ihren Status in den Fernsehanstalten durch Ausgliederung und billige Verfügbarkeit von Video-Technik. Print-JournalistInnen geraten v.a. durch den verstärkten Einsatz von „freien“ JournalistInnen, die in der Regel aber wirtschaftlich allein von dem jeweiligen Verlag abhängig sind, unter Druck. Damit findet eine Prekarisierung von vormals hochqualifizierten Jobs statt, die Medienkonzerne scheuen keine Tricks, Tarife zu senken oder entweder ganz oder nur in den zuvor ausgegliederten Betrieben aus der Tarifbindung herauszugehen.

Aber in den letzten Jahren sind in den Zeitungsverlagen JournalistInnen in Streiks getreten. Doch auch andere Verlage und Rundfunkanstalten waren in den letzten Jahren von Streiks betroffen.

Wer ist die Avantgarde der Klasse?

In der bürgerlichen Gesellschaft erscheinen Politik und Wirtschaft als getrennte Sphären, daher auch der politische und ökonomischer Kampf als separat. Der Reformismus, wie generell bürgerliche Arbeiterpolitik, reproduziert diese Trennung noch einmal durch die Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaft, die für Tarife u.a. ökonomische und soziale Fragen zuständig sein soll, und reformistischer Partei. Das spiegelt sich auch in der Trennung von politischer und wirtschaftlicher Avantgarde wider. Letztlich kann diese Trennung nur durch eine kommunistische Avantgardepartei aufgehoben werden.

Auf ökonomischer Ebene waren es traditionell die Beschäftigten der Metallindustrie, die eine Vorreiterrolle in den Tarifrunden spielten und auch in politischen Fragen, z.B. den spontanen Streiks gegen den Angriff der Kohl-Regierung auf die Lohnfortzahlung 1996.

Mit den verschärften Angriffen des Kapitals und der zunehmenden Klassenkollaboration der IGM-Bürokratie sind die Beschäftigten der Metallindustrie im Begriff, ihre Rolle als ökonomische Avantgarde zu verlieren. Das „Geleitzugprinzip“ funktioniert nicht mehr, die anderen Branchen können nicht mehr von den Vorlagen der IG Metall profitieren. Andererseits hat noch keine andere Branche, kein anderer Sektor diese Rolle übernommen. Eher findet eine Angleichung nach unten statt.

Dennoch bleibt die Industriearbeiterschaft in Deutschland der Kern der Klasse, deren Gewinnung das strategische Ziel einer revolutionären Organisation sein muss.

Der Niedergang der Metallarbeiterschaft als wirtschaftliche Avantgarde ist sicher nicht durch eine geringere Bedeutung der industriellen Kernschichten im Produktionsprozess verursacht, auch wenn Veränderungen in der Zusammensetzungen von Belegschaften und die verschärfte Konkurrenz die Kampfbedingungen oft verschlechtert haben.

Entscheidend ist aber, dass die Trennung von wirtschaftlicher und politischer Avantgarde immer auch Schein ist, dass damit natürlich eine politische Bestimmung der Aktivitäten (oder der Passivität) der Klasse oder von Sektoren der Klasse auch verschleiert wird. Dass die IG Metall keine „Leitfunktion“ für die Tarife oder bei der Verkürzung der Arbeitszeit mehr spielt – höchstens auf „negative“ Art – hat ursächlich mit veränderten politischen Kräfteverhältnissen in der sozialdemokratischen Betriebs- und Gewerkschaftsbürokratie zu tun.

Dies ist auch ein Beleg dafür, dass eine grundlegende Veränderung der Gewerkschaften nie nur durch rein gewerkschaftlichen Kampf und ein rein gewerkschaftliches Programm erreicht werden kann, sondern immer auch politische Initiativen erfordert. Das trifft natürlich umso unmittelbarer in einer Krisenperiode der Gesellschaft zu.

Es ist daher auch kein Zufall, dass die Frage einer Neuzusammensetzung der Avantgarde nie befriedigend gelöst oder verstanden werden kann, wenn wir den Blick nur auf Betriebe und kämpferische Belegschaften und Betriebsoppositionen legen. Diese gehören zwar sicher auch zur Schicht einer größeren Avantgarde. Von mindestens genauso großer, wenn nicht größerer, Bedeutung sind aber die politischen Veränderungen in der Klasse.

Um ver.di-Stuttgart/Baden-Württemberg, Teile der Linkspartei und die Gewerkschaftslinke hat sich vermittels der Krisenbündnisse eine temporäre Struktur herausgebildet, die zeitweilig das Heft des Handelns aufnehmen konnte – ohne aber bereits die Dominanz des sozialdemokratischen Gewerkschaftsapparates zu brechen. Die Organisierung von ein oder zwei bundesweiten Demos mit einigen zehntausend TeilnehmerInnen ist ein wichtiger Schritt – die Macht der permanenten Strukturen der Arbeiterbewegung besteht aber weiter. Hier zeigt sich aber das Potential für eine neue politische Avantgarde, die über den Reformismus der Linkspartei hinausgehen könnte.

Besonderheiten im Verhältnis Massen – Apparate

Die Veränderungen im letzten Jahrzehnt haben auch das Gesamtbild der Kämpfe differenzierter gestaltet. Während Streiks in den Tarifrunden der Metallindustrie zurückgegangen sind, fanden diese in anderen Branchen wie Gebäudereinigung, Bewachung, Kindergärten, Krankenhäuser oder Eisenbahn erstmals statt.

Die Ferne oder Schwäche des Apparats kann es erlauben, dass Belegschaften schneller in den Kampf gehen bzw. AktivistInnen nicht ausgebremst werden. Selbst die FAU konnte sich dadurch erstmals in kleinen Kämpfen profilieren. (Nordhausen, Kino Babylon Berlin). Andererseits können durch die Politik der DGB-Gewerkschaften bei gleichzeitigen Angriffen auf Schichten, die bisher zur Arbeiteraristokratie (Lokführer) oder zu den lohnabhängigen Mittelschichten (Piloten) gehörten, Berufsverbände in die Rolle von kämpferischen Gewerkschaften gedrängt werden.

Schwache betriebliche Apparatstrukturen zwingen die Gewerkschaftsbürokratie unter Umständen, sich auf kämpferische Kräfte zu stützen, was nicht heißt, dass diese nicht nach erfolgreicher Aktion oder Kampagne ihre Schuldigkeit getan haben und gehen können. Umgekehrt gab es in manchen Kämpfen gerade in der Metallindustrie eine deutlich zugespitzte Konfrontation mit dem Apparat: bei Bosch-Siemens-Hausgeräte Berlin (BSH), Mahle Alzenau, Behr Feuerbach und Panasonic Esslingen.

Diese Differenzierung der Kämpfe führte auch dazu, dass verstärkt in „typischen Frauenbereichen“ gekämpft wurde: Kindergärten, Krankenhäuser, Einzelhandel. Manche Kämpfe sind ausgesprochen migrantisch geprägt.

Obige Entwicklungen führen auch zu Brüchen im Apparat, die selbst gewisse Veränderungen in der Klasse und das Potential für die Entstehung von neuen aktiven Schichten zeigen.

Aber es darf dabei die Haupttendenz der Entwicklung nicht übersehen werden, welche die Gewerkschaftslandschaft schon seit Jahren prägt: Bekanntlich ist die Interessenvertretung der Arbeiterklasse in Deutschland seit Beginn der Nachkriegsperiode von einem Dualismus zwischen Gewerkschaft und Betriebsrat geprägt. Das Betriebsverfassungsgesetz und seine Novellierungen sahen von Beginn an eine Stärkung des Betriebsrates auf Kosten der Gewerkschaft vor. Betriebsräte sind per se in eine Struktur der Klassenkollaboration eingebunden, die sie gesetzlich an das Unternehmenswohl, „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit zum Wohle des Betriebs und an Kooperation binden und ihnen zugleich die wichtigsten Waffen im Kampf nimmt, wie es das Verbot für sie, zu Streiks oder Arbeitskämpfen aufzurufen, zeigt.

Die Kapitalisten haben das bewusst als Mittel zur Schwächung des gewerkschaftlichen Einflusses im Betrieb verwandt und tun das auch weiterhin.

Nach anfänglichen Protesten hat sich die Gewerkschaftsbürokratie natürlich schnell, pragmatisch und opportunistisch angepasst und auf die Betriebsräte gesetzt – im Zweifel gegen die eigentliche gewerkschaftliche Struktur im Betrieb, die Vertrauensleute oder Betriebsgruppen. Mittlerweile sind die Betriebsrats- und Personalratsgremien in den privaten wie staatlichen Großunternehmen, die sich auch auf einen eigenen bürokratischen Apparat stützen können, längst zur dominierenden Kraft in Gewerkschaften aufgestiegen.

So wie in der Bürokratie die Betriebs(Personalrats)fürsten – Fürstinnen gibt es recht wenige – den Ton angeben, so ist auch der Apparat professioneller geworden, was seine Rekrutierung angeht. Der „klassische“ Aufstieg vom betrieblichen, wenn auch reformistischen „Basisfunktionär“ zum Gewerkschaftssekretär ist längst zur Ausnahmeerscheinung geworden. Heute rekrutiert die Bürokratie an der Uni. Selbst wer zuerst im Betrieb war, geht an die „Bürokratenschule“ ADA oder macht „Trainee-Programme“, wird für die ersten Jahre in irgendeine, von seinem Ursprungsort entlegene Verwaltungsstelle geschickt. Kurz, es entsteht eine Bürokratenschicht, die von den lokalen, betrieblichen Wurzeln, aus denen früher die Bürokratie kam, weit unabhängiger ist, ein von der Masse der Mitglieder viel abgesondertere Existenz führt und damit auch unabhängiger ist von deren politischen Druck. Es ist dabei letztlich vollkommen nebensächlich für das Funktionieren dieses abstoßenden Systems bürokratische Kontrolle, ob die „Neuen“ im Apparat, die selbst eine Periode der Befristung, des „Tests“ durchlaufen müssen, aus der christlichen Arbeitnehmerschaft kommen oder aus der autonomen Antifa.

Der Apparat ist mächtiger geworden gegenüber den Mitgliedern, die für die Funktionäre v.a. als BeitragszahlerInnen-Menge vorkommen. Der Apparat und damit die Spitzen der Bürokratie sind von der Aktivität ihre Mitglieder, von ihrem Druck unabhängiger als noch zur Jahrhundertwende. Die Versuche der bürokratisch inszenierten Mitgliederstimulierung, Werbung und Animation haben – selbst wenn sie im Namen der „Basisaktivierung“ wie z.B. beim „Organizing“ auftreten – daher immer etwas Manipulatives und unfreiwillig Komisches an sich.

Diese weitere „Selbstermächtigung“ des Apparats ist nicht trotz, sondern wegen der Niederlagen – welche die Bürokratie selbst mit verursacht hat – im letzten Jahrzehnts dramatisch vorangeschritten. Von ihr eine Regeneration der Gewerkschaften zu erwarten, wäre reine Utopie. Eine Erneuerung der Gewerkschaften, der betrieblichen Strukturen, eine Einbeziehung der Arbeitslosen, der Jugend, der Masse der MigrantInnen und „Prekären“ ist nur möglich in Verbindung mit einem Kampf für das Zerbrechen dieses Systems bürokratischer Kontrolle.

Wo stehen die Gewerkschaften heute?

Die Gewerkschaftsbürokratie reagierte auf die neoliberale Umstrukturierung der Gesamtwirtschaft von Beginn an defensiv. Zugleich versuchte sie, organisationspolitisch zu reagieren.

Unsere damalige Kritik am Fusionskurs der Bürokratien ist vollauf negativ bestätigt worden. Die Apparate wurden nach den Rationalisierungsmustern unternehmerischer Hierarchien effektiver gemacht, Verwaltung des Bestehenden stand generell vor – selbst bürokratischen – Strategien einer Ausdehnung des Einflusses der Gewerkschaften. Einflussmöglichkeiten der Basis wurden weiter reduziert, die Arbeitswelt des Apparats ist betriebsferner denn je.

Für eine Wende nach vorn müssten die DGB-Gewerkschaften nach Wertschöpfungsketten und mit dem Augenmerk auf Durchsetzungsfähigkeit neu zusammengesetzt werden – unter einem gestärkten Dachverband mit der Verpflichtung, Mitgliederkonkurrenz zwischen den Einzelgewerkschaften auszuschalten (Festlegung der Organisationszugehörigkeit gemäß der Ausrichtung nach dem Industrieprinzip) sowie dem Recht der Gliederungen, über Streiks selbst zu entscheiden, sei es im ökonomischen Kampf, sei es für politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik. Das Erstarken bestimmter Berufsgewerkschaften (GDL, Marburger Bund) ist auch ein Resultat der Basisferne der DGB-Apparate. Für eine Revitalisierung eines lebenskräftigen industriellen Einheitsgewerkschaftsprinzips müssen Kampfabkommen und Fusionsangebote an diese Organisationen gemacht werden.

Die IG Metall

Die IG Metall ist eindeutig nach rechts gerückt. Die Angleichung an die Linie der IG BCE erfolgte mit der Garnierung von Mobilisierungen, die aber umso mehr auf Wirkungslosigkeit ausgerichtet waren. Das ist die große Leistung der „Reformer“ unter Huber, dem die „Traditionalisten“ letztlich nichts entgegensetzen konnten und wollten. Im Apparat ist heute nirgendwo eine Kraft zu sehen, die sich dieser Linie ernsthaft widersetzt. Auch die exponierten AnhängerInnen der Linkspartei in der IG Metall (Urban, Ernst, Scharf, Hamm, Bender) begnügen sich mit einer etwas kämpferischeren Note, Initiativen in einzelnen Konflikten (Agenda, Leiharbeit, Rente 67), aber ohne jede politische Kritik an der Führung.

Ver.di bleibt ein Konglomerat mit geringen inneren Bindungskräften

Die Fusion mehrerer Branchengewerkschaften zu ver.di vor mehr als 10 Jahren erfolgte nicht entlang einer nach modernen Branchen ausgerichteten notwendigen Umstrukturierung im Verbund mit einem radikal umgekrempelten Dachverband DGB, sondern war eine bürokratische „Lösung“ angesichts schwindender Mitglieder, eine rein technische Verwaltungsmaßnahme. Es fand keine demokratische, konstitutionelle Debatte in allen DGB-Gewerkschaften mit dem Ziel verstärkter Aktions- und Streikfähigkeit statt. Ein Angestelltendachverband wie die DAG wurde nicht mit einem neu nach Wertschöpfungsketten strukturierten DGB fusioniert, sondern ihre Mitglieder – statt auf alle Branchen verteilt – in das Sammelsurium ver.di integriert.

Der DGB verlor weiter an Einfluss. Die Mitgliederkonkurrenz unter den Einzelgewerkschaften nahm zu. Der ITK- und Logistiksektor, zentraler neuralgischer Punkt im modernen Kapitalismus, verteilt sich auf verschiedene Einzelgewerkschaften: IG Metall, IG Bau, ver.di, Transnet/EVG. Streiks im zunehmend wichtiger werdenden Transportwesen wurden zusätzlich erschwert durch die Trennung zwischen privatem und öffentlichem Verkehrssektor, eine zunehmend nachteilige und überflüssige Schwächung potenziell gebündelter Kampfkraft.

Im Öffentlichen Dienst setzte ver.di noch eins drauf: Durch die Zustimmung zur Auslagerung von Betriebsteilen als Privatisierung oder zu verschiedenen Tarifverträgen unter einem Dach wie im Krankenhausbereich, durch Spartentarife und eine Vielzahl von Haustarifverträgen, unterschiedliche Laufzeiten der Tarifverträge selbst in gleichen Branchen, die Spaltung zwischen Bund, Ländern, Kommunen, die Ausgliederung diverser Unikliniken, Notlagentarifverträge, „Zukunftstarifverträge“ genannt, mit Berlin und Hessen verurteilten immer mehr Bereiche dazu, auf sich allein gestellt zu handeln. Die früheren Bastionen Abfallentsorgung und Energieerzeugung wurden (teil-)privatisiert und zu neuen Konzernen zusammengefasst. Gehören sie noch den Städten, so unter immer offener einzelkapitalistisch ausgerichteter Betriebsführung durch meist widerstandslose Akzeptanz der Änderung der Rechtsform.

Dass dies nicht notwendigerweise so kommen musste, zeigte der erfolgreiche Widerstand in Stuttgart, wo ohne den Widerstand der Gewerkschaft die Stuttgarter Abfallwirtschaft sicherlich privatisiert, das Klinikum eine GmbH, die Sozialen Dienste ausgegliedert und die Kindertagesstätten in einen Eigenbetrieb umgewandelt worden wären.

Doch es wird immer schwieriger, sie gemeinsam in den Streik und unter einen Tarifvertrag zu bekommen, u.a. auch wegen des Festhaltens an der überkommenen Spaltung zwischen Öffentlichem Dienst und Privatwirtschaft.

Die Gewerkschaftslinke

Die „Initiative für eine Vernetzung der Gewerkschaftslinken“ (IVG) ist nach links gegangen und hat dabei die stärker am Apparat orientierten Kräfte verloren, ohne aber neue Kräfte – z.B. aus der Anti-Agenda-Bewegung – dauerhaft zu gewinnen. Zusätzlich existieren die „Arbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft“ der Linkspartei, die Reste des SAV-ver.di-Netzwerks, die NRW-ver.di-Linke um Kräfte der isl sowie das Betriebsumfeld der MLPD (Betriebsgruppen, Auto-Ratschlag, Dortmunder Erklärung).

Der (Anarcho)-Sydikalismus wurde teilweise gestärkt: einerseits durch gewisse Betriebsarbeit (FAU, Wildcat), anderseits durch einen Block für das bedingungslose Grundeinkommen (Labournet, Reste der Anti-Hartz-IV-Bewegung). Andere, eher reformistisch-syndikalistische Kräfte wie „Jour fixe“ Hamburg oder die Zeitung EXPRESS haben sich aus dem Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie gänzlich verabschiedet.

Die politischen Organisationen

Eine Betrachtung der Entwicklung der Gewerkschaften wäre freilich ganz und gar unvollständig, würde sie nicht eine Betrachtung der politischen Kräfteverhältnisse einschließen. Die Gewerkschaftsführung, der größte Teil des Apparats und schließlich auch ein großer Teil der Mitglieder – allen voran ein großer Teil der Arbeiteraristokratie – sind nach wie vor politisch und historisch eng an die SPD gebunden. Sie stellen die soziale Basis des politischen Reformismus in der BRD und sichern, dass die SPD weiter als besondere bürgerliche Partei, als bürgerliche Arbeiterpartei existiert.

Die Serie grundlegender Angriffe, v.a. die  Agenda 2010, hat diese enge Bindung jedoch gelockert und zeitweilig erschüttert.

WASG/Linkspartei schwächen das SPD-Monopol in den Gewerkschaften

Die Gründung der späteren WASG durch zwei Initiativen aus dem IG Metall- und dem ver.di-Apparat stellt ein Novum in der Nachkriegsgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung dar. Bis dahin waren alle Versuche gescheitert, links von der SPD eine Kraft aufzubauen, die eine Verankerung in der Arbeiterbewegung hat. Es war natürlich der Angriff der SPD auf historische Errungenschaften der Arbeiterklasse, der es für einen Teil des unteren und mittleren Gewerkschaftsapparates unmöglich machte, diese Politik weiter zu verteidigen.

Diese Apparat-Kräfte versuchten von Beginn an, dem neuen Parteiprojekt eine reformistische Ausrichtung zu geben. Dennoch waren sie gezwungen, eine relative offene Sammlungsbewegung zu organisieren. RevolutionärInnen mussten eine solche Chance nutzen, um mit der Avantgarde der Klasse, die sich in einem solchen Projekt einfindet, in eine offene Debatte über Programm und Perspektive einzutreten. Wir haben das getan und letztlich mit dem Netzwerk Linke Opposition (NLO) auch eine kleine, aber kurz befristete Gruppierung um uns geschaffen. Andere Teile der Linken (DKP, MLPD, RSB und die autonome/anarchistische Szene) haben sich diesem Kampf verweigert, um im Nachhinein lediglich das reformistische Endprodukt als solches zu konstatieren. Äußerst rechte Zentristen (Funke, ISA) verblieben am Beginn sogar bei ihrem Entrismus in der SPD!

Auch wenn die WASG von Beginn an eine reformistische Organisation war, so hatte sie in ihrer ersten Phase ein relativ hohes Aktivitätslevel und vermochte es, auch untere Schichten der Arbeiterklasse – manche sprachen nicht zu Unrecht von einer „Arbeitslosenpartei“ – anzuziehen.  Hinzu kam, dass sich die Gegensätze zwischen Apparat und Basis verstärkten, was sich nicht zuletzt in der Gründung des NLO und im eigenständigen Antritt der Berliner WASG gegen die (mit)regierende PDS ausdrückte.

Mit der bürokratischen Fusion mit der PDS zur Linkspartei war der Kuchen dann gegessen. DIE LINKE wurde von Beginn an – unabhängig von einzelnen Parteitagserfolgen des linken Flügels – eine sehr normale, wenn auch linkere reformistische Partei, die ganz und gar vom Apparat dominiert wird und deren Arbeit ganz und gar auf Parlamente und kommunale Wahlgremien ausgerichtet ist. Das „Parteileben“ ist v.a. durch die Passivität der Mitglieder geprägt. Nur eine Minderheit ist wirklich aktiv. Wie zuvor in der SPD sind viele der unteren und mittleren Gewerkschaftsfunktionäre, die in der LINKEN sind, in der Partei selbst inaktiv.

Eintritt und Verbleib in der Linkspartei waren taktisch unsinnig geworden angesichts geringer Basisaktivität, die eine reale Verknüpfung von linker Opposition und nach links gehenden AktivistInnen unmöglich machte. Dessen ungeachtet haben sich isl und DIDF, später der Funke, die SAV mit Zickzacks und Linksruck (heute Marx21) tw. sogar unter formeller Auflösung der eigenen Strukturen darin integriert.

Weil die LINKE im Grunde ebenso wie die SPD ein bürgerlich-reformistisches Programm vertritt (10), ist sie von Widersprüchen geprägt, die durch eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zum Platzen der Partei führen können. Letztlich unterscheidet sich der Reformismus der LINKEN nur dadurch von dem der SPD, dass er etwas mehr auf Verbalradikalität und Mobilisierung setzt. In Regierungsfunktionen setzt die Partei eins-zu-eins SPD-Politik um. So bleibt die LINKE sowohl Orientierungspunkt als auch Fessel für die Arbeiteravantgarde.

Insbesondere innerhalb der IG Metall, bis auf Ausnahmen auch in ver.di, ordnen sich die Kader der Linkspartei den sozialdemokratischen Apparaten in den Gewerkschaften unter. Lediglich Kräfte um Riexinger wollten die Partei, aber auch Bündnisse und die Gewerkschaftslinke nutzen, um die Gesamtpolitik des Gewerkschaftsapparats nach links zu schieben.

Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden nimmt Riexinger nun aber eine andere Rolle ein. Mit Kipping bildet er die Führung, die mehr als jede andere Führung der Partei zuvor, offen den politischen Schulterschluss mit Rot/Grün propagiert. Praktisch gesehen, könnte die Riexinger/Kipping-Führung die LINKE sogar weiter nach rechts führen als jede andere Spitze, welche PDS, WASG oder Linkspartei je hatten. Einer Koalition auf Bundesebene stehen heute nur wenige Hindernisse im Weg – vielmehr sind es schlechte Umfragen und die „Unversöhnlichkeit“ der SPD, die die Linkspartei weiter auf die Oppositionsbank zwingen.

Die SPD als weiterhin bürgerliche Arbeiter-Partei

Die Durchsetzung der Agenda 2010 zwang auch die Spitzen der Gewerkschaften, sich etwas von der SPD abzusetzen. In der zweiten Hälfte der Dekade haben sich die Spitzenapparate dann wieder angenähert und den alten Schulterschluss vollzogen, was auch durch den Rechtsruck des IGM-Apparates erleichtert wurde. So gilt unsere alte Analyse weiter, dass sich die Verbindung der SPD zur Arbeiterklasse auf die Vermittlung durch die DGB-Gewerkschaften stützt.

Diese Verbindung ist dennoch schwächer geworden, da sich im mittleren und unteren Apparat die LINKE breitgemacht hat und die rechtesten Apparat-Größen wie Huber sich im Notfall von der SPD absetzen, um an die CDU in der Regierung heranzurücken. In der SPD ist die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) unterhalb der Landesebene nicht mehr existent, die Schicht von reformistischen Kadern, die sich sowohl im Betrieb wie in der Partei engagieren, ist entweder im Ruhestand oder bei der Linkspartei gelandet. Diese Schwächung muss aber durchaus nicht dauerhaft sein, wie Beispiele aus der Geschichte u.a. Ländern zeigen.

Zugleich offenbart sich aber auch, dass sich die SPD als Oppositionspartei wieder leicht regeneriert hat. Allein die Tatsache, dass die SPD nach Jahren neoliberaler Regierungspolitik unter Rot-Grün und einer Großen Koalition in manchen Bundesländern – allen voran in Nordrhein-Westfalen – wieder Boden gut machen konnte, verdeutlicht, wie tief erstens die historischen Bindungen der Arbeiterklasse an diese Partei sind; zeigt zweitens aber auch, wie leicht die Linkspartei wieder an Boden verliert, wenn sich die SPD als „sozial“ geriert.

Etliche Zentristen wie SAV, RSB und alle (Ex)-Maoisten haben mit ihrer falschen Einschätzung der SPD als rein bürgerlicher Partei nach wie vor Probleme mit ihrer Gewerkschaftsarbeit, lediglich in Revieren der LINKEN kommen sie damit besser klar. Ansonsten bezahlen sie entweder mit Isolation, unnötiger Repression oder peinlichem Opportunismus.

Anti-Krisen-Bündnisse

Die Bewegung gegen die Agenda hat zu Aktionskonferenzen und -bündnissen geführt, wie sie vorher in der BRD unbekannt waren. Sie sind Produkte der Antiglobalisierungsbewegung bzw. entspringen den gleichen Quellen. Nach der Erfahrung der weltweiten Niederlage der Arbeiterbewegung zu Beginn der 90er, waren die verbliebenen Linken eher bereit, theoretische und historische Differenzen zurückzustellen, um überhaupt wieder wirksam werden zu können. Auf der anderen Seite drängten Jugendliche, Autonome aller Art und neue Schichten in die Aktion und setzten so auch Teile der LINKEN und der unteren Apparat-Kräfte unter Druck.

5. Veränderte Klasse – veränderte Anforderungen

Die Veränderungen der Arbeiterklasse in Deutschland haben – wie wir dargelegt haben – nachhaltige Spuren hinterlassen. Diese Veränderungen sind selbst Resultat der Angriffe der imperialistischen Bourgeoisie Deutschlands und ihres Staates vor dem Hintergrund einer bis in die 1970er Jahre zurückgehenden Phase der strukturellen Überakkumulation des Kapitals, eines dementsprechend verschärften Konkurrenzkampfes zwischen Unternehmen und zwischen den imperialistischen Staaten.

Wie wir gesehen haben, wären diese Angriffe nicht so leicht durchsetzbar gewesen, hätten sich die Herrschenden nicht auf die Unterstützung durch SPD und Gewerkschaften verlassen können.

Bei allen wichtigen Angriffen des letzten Jahrzehnts hat sich die Bürokratie als williger Helfer „ihres“ Staates, „ihrer“ Unternehmen, kurz des deutschen Kapitals und des nationalen Standorts erwiesen.

Sie hat dabei nicht nur ideologisch Vorschub geleistet. Sie hat auch aktiv gegen entstehende Bewegungen gearbeitet. Sie hat aktiv und reaktionär gewirkt: Sie hat die Mobilisierungen gegen die Agenda 2010 so gut es ging sabotiert; sie hat offen die Montagsdemos verleumdet, die unter allen sozialen Bewegungen des letztes Jahrzehnts einer spontanen proletarischen Massenbewegung am nächsten kamen; sie hat den Metaller-Streik um die 35-Stunden-Woche im Osten verraten und zur kampflosen Kapitulation getrieben; sie hat am Höhepunkt der Krise 2008/09 für Regierung und Kapital die Kastanien aus dem Feuer geholt, indem sie für Ruhe in den Betrieben sorgte und alle wesentlichen Maßnahmen der Regierung zur Rettung des Großkapitals auf Kosten der Allgemeinheit unterstützte (Bankenrettung; Abwrackprämie; Kurzarbeitergeld, Europapolitik der Regierung). Maximal „begleitete“ sie diese mit der Forderung nach einigen Verbesserungen und symbolischen Aktionen.

Diese Politik hat mit zu einer Serie schwerer Niederlage der Arbeiterklasse und zum Niedergang der Gewerkschaften selbst beigetragen. Die Klasse ist heute zweifellos schwächer als noch vor 10 oder 15 Jahren.

Die Niederlage hat aber auch zu einer Stärkung des Apparates beigetragen, der v.a. im industriellen Sektor enger mit den Unternehmen verbunden ist denn je.

Zugleich sind und bleiben die Gewerkschaften in Deutschland aber die Massenorganisationen der Arbeiterklasse schlechthin. RevolutionärInnen und erst recht jede Organisation, die sich revolutionär nennt, hat daher die Pflicht, eine Arbeit in den Gewerkschaften und in den betrieblichen Strukturen zu entwickeln. Alles andere bedeutet – ob gewollt oder ungewollt – die Dominanz, die Kontrolle über die Masse der Beschäftigten dem bürokratischen, politisch gesehen dem sozialdemokratischen Apparats zu überlassen.

Die Tatsache, dass die Gewerkschaften nicht erst in den letzten Jahren, sondern im Grunde während der ganzen imperialistischen Epoche dazu tendieren, immer enger mit dem Herrschaftsapparat des Kapitals zu verschmelzen, ändert daran nichts. Im Gegenteil!

„Aus dem Vorhergehenden folgert ganz klar, daß trotz fortschreitender Degeneration der Gewerkschaften und trotz ihres Verwachsens mit dem imperialistischen Staat die Arbeit innerhalb der Gewerkschaften nicht nur nichts von ihrer Wichtigkeit einbüßt, sondern als eine Notwendigkeit nach wie vor bestehen bleibt und in gewissem Sinne für jede revolutionäre Partei sogar noch wichtiger denn je wird. Die Sache, um die es nach wie vor geht, ist hauptsächlich der Kampf um den Einfluß auf die Arbeiterklasse. Jede Organisation, Partei oder Fraktion, die sich den Gewerkschaften gegenüber eine ultimatistische Stellungnahme erlaubt, das heißt, der Arbeiterklasse im Wesen den Rücken zuwendet, bloß weil ihr deren Organisationen nicht gefallen, ist zum Untergang bestimmt. Und es muß gesagt werden, sie verdient den Untergang.“ (11)

Die Frage besteht unserer Meinung nach im Kern also nicht darin, ob, sondern wie und mit welchem Ziel RevolutionärInnen in den Gewerkschaften arbeiten sollen und müssen. Wir wollen daher zum Abschluss einige Kernpunkte skizzieren, um die sich die Arbeit in den Gewerkschaften und Betrieben, unter „normal“ Beschäftigten, Prekären und Erwerbslosen gruppieren soll und muss.

Ein Programm des Klassenkampfes gegen die Krise

Selbst die ver.di-Bürokratie hat in einem ihre letzten Rundschreiben anerkannt, dass die Konjunktur wieder nach unten geht, dass mit der „Schuldenbremse“ weiterer sozialer Kahlschlag und massenhafte Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen drohen – also doppelte Verschlechterung für die Arbeiterklasse, einmal als Beschäftigte, die dann für weniger Geld und mit weniger Personal „echte“ Gewinne für ihren zukünftigen Unternehmer machen sollen; zum anderen für die „KonsumentInnen“ der Leistungen, die in der Regel höhere Preise für schlechteren Service zahlen sollen.

Die Gewerkschaftsbürokratie reagiert auf solche politischen Angriffe in der Regel „unpolitisch“. Mit Betriebsvereinbarungen, „Bestandssicherungen“ usw. sollen helfen. Arbeitskämpfe und Streiks gelten als „schwer durchführbar“ und gegenüber der Öffentlichkeit als „schwer vermittelbar“. Also läuft alles auf einen faulen Kompromiss hinaus, der in absehbarer Zeit von staatlichen Organen und/oder Unternehmern wieder in Frage gestellt wird.

Diese Strategie, die durchaus logisch auf dem „traditionellen“ Gewerkschaftertum aufbaut, ist ein Weg in die politische und gewerkschaftliche Sackgasse.

Es ist ein Kampf auf einer schieben Ebene, wo jedes Zugeständnis, jeder Kompromiss, zu einer verschlechterten Ausgangslage führt und damit zur nächsten Zumutung, zum nächsten Zugeständnis …

Eine solche, vorgeblich rein tarifliche, Politik bedeutet natürlich nicht, dass die Gewerkschaften keine Politik hätten, sondern nur, dass sie die politischen Vorgaben von Regierung, öffentlicher (also bürgerlicher) Meinung und die „Sachzwänge“ des kapitalistischen Systems unausgesprochen oder auch offen akzeptieren.

Wenn alles nur gewerkschaftlich oder tariflich oder gar nur betrieblich geregelt werden soll, kommt der „Rest“ der Klasse leicht unter die Räder. Kompromisse zielen auf einen enger werdenden und auch noch fragmentierten Mitgliederbestand. Die „LeiharbeiterInnen“ fallen da natürlich leicht runter. Die Interessen des „eigenen“ Standorts erscheinen unvermittelt als die Interessen der Belegschaft am Standort usw. usf.

Hier zeigt sich mit aller Konsequenz, dass reines Gewerkschaftertum wie auch reformistische Gewerkschaftspolitik letztlich immer bürgerliche Politik sind, weil sie die Vorgaben des Gesamtsystems akzeptieren, als Rahmen von Gewerkschaftspolitik – vom rein sozialpartnerschaftlichen bis hin zum militanten Reformismus – bestimmen. Das tun sie natürlich umso nachhaltiger und offensichtlicher in einer Krisenperiode, wo eine Politik der Umverteilung zwischen Klassen, eine Politik des Klassenkompromisses keine Chance auf längerfristige Umsetzung hat.

Es geht daher nicht nur darum, was wir für heute vorschlagen oder fordern, sondern auch darum, wie und mit welcher strategischen Zielsetzung das umgesetzt werden soll.

Kampf der Arbeitslosigkeit, Kampf allen Entlassungen!

Arbeitslosigkeit und Entlassungen sind unvermeidliche Folgen der „Krisenpolitik“ der herrschenden Klasse. Selbst in einem Land wie Deutschland, das momentan zu den Krisengewinnern gehört, sind Millionen verarmt. Selbst in Phasen des Aufschwungs ist die Arbeitslosigkeit kaum zurückgegangen. Ein zentrales Mittel muss der Kampf für eine gesetzlich Arbeitszeitverkürzung sein:

  • Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Verbot von Überstunden! Effektiver Renteneintritt mit 60 – ohne Abschläge!
  • Kontrolle dieser Maßnahmen durch die Gewerkschaften!

Große Teile der Lohnabhängigen müssen für ein Entgelt arbeiten, das unter ihren Reproduktionskosten liegt, mit denen selbst die Wiederherstellung der eigenen Arbeitskraft kaum möglichst ist, geschweige denn Alterssicherung, Versorgung der Kinder usw.

Daher halten wir einen gesetzlichen Mindestlohn von 13,50 Euro/Stunde brutto (etwa 11 Euro netto) für notwendig. Das ist zugleich auch eine Schlüsselforderung zur Bekämpfung von Niedriglohn, Outsourcing und Leiharbeit.

Für Arbeitslose fordern wir die Reintegration in den Produktionsprozess durch Arbeitszeitverkürzung und ein Programm gesellschaftlich nützlicher öffentlicher Arbeiten unter Arbeiterkontrolle.

Hartz-IV und alle anderen Hartz-Gesetzen müssen weg! Solange jemand arbeitslos ist, müssen auch die Reproduktionskosten gedeckt werden. Daher fordern wir ein Mindestniveau des Arbeitslosengelds von 1600,- Euro/Monat und ein ebensolches Mindesteinkommen für RentnerInnen, Azubis, PraktikantInnen etc.

Die zunehmenden Lohn- und Einkommensdifferenzen in der Klasse müssen bewusst bekämpft werden durch: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – Ost/West, Männer/Frauen, MigrantInnen/Deutsche! Garantierter, tariflich entlohnter Ausbildungsplatz für alle – mit Recht auf unbefristete Übernahme! Nein zu prekären Beschäftigungsverhältnissen! Verbot der Leiharbeit  Umwandlung aller befristeten, prekären Beschäftigungsverhältnisse in unbefristete!

Soziale Sicherung, Bildung

Die Gewerkschaften dürfen sich nicht auf die Beschäftigten und Arbeitsuchenden begrenzen, sie müssen auch politisch für RentnerInnen, für soziale Vorsorge, für ein staatlich finanziertes, ausreichendes Bildungs- und Ausbildungssystem kämpfen. Das ist unerlässlich, um der weiteren Spaltung der Klasse entgegenzutreten.

Für alle Maßnahmen, die wir oben skizzierten, müssen die Kapitalisten zur Kasse gebeten werden! Daher fordern wir eine massive, progressive Besteuerung der Unternehmer, Vermögensbesitzer und hohen Einkommen. Unternehmen, die mit Entlassung, Schließung oder Tarifbruch drohen, müssen entschädigungslos unter Arbeiterkontrolle verstaatlicht werden!

Effektive Tarifkämpfe erfordern Reorganisation

Dass die Gewerkschaften in den letzten Jahren bei Tarifkämpfen oft so erbärmlich dastanden, hat zu einem großen Teil die Bürokratie zu verantworten. Diese Verantwortung trifft sie nicht nur, weil sie Tarifforderungen oft schon im Voraus den Vorgaben des Kapitals unterordnet, sondern auch, weil die Gewerkschaften selbst immer weniger den Branchenstrukturen einer veränderten Ökonomie entsprechen. In manchen Betrieben ist „gewerkschaftsfreie“ Zone, während sich in anderen mehrere (auch mehrere DGB-Gewerkschaften) tummeln oder in anderen Brachen (z.B. Verkehr) mehrere Spartentarife nebeneinander existieren.

Wir treten für die Reorganisation der Gewerkschaften entlang von Branchen, von Produktions- und Vertriebsketten ein, also für das Prinzip „Eine Branche – eine Gewerkschaft“, um so erst das Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“ wiederherzustellen und eine effektive branchenweite Organisierung zu ermöglichen. In diese Gewerkschaftsstrukturen wären selbstredend auch die LeiharbeiterInnen und PraktikantInnen in diesen Bereichen wie auch Erwerbslose einzugliedern.

In den Tarifkämpfen treten wir für Festgeldforderungen ein, um die Differenzen zwischen den unteren und oberen Lohngruppen nicht weiter zu erhöhen, sondern die unteren und durchschnittlich verdienenden KollegInnen stärker in den Kampf einzubeziehen.

Kämpfe unter Kontrolle der Kämpfenden!

Um diese Forderungen durchzusetzen, um Tarifkämpfe – und erst recht politische Kämpfe – effektiv zu führen, müssen die Aktionen, die Erstellung der Forderungen, Verhandlungen, die Festlegung von Streik- u.a. Kampftaktiken den Händen der „SpezialistInnen“, also letztlich besonderen Abteilungen des Gewerkschaftsapparates entrissen werden. Die Gewerkschaftsmitglieder, ja alle an Kämpfen beteiligten, müssen das Sagen haben.

Daher treten wir für Vollversammlungen ein, um über Forderungen und die Führung von Kämpfen zu entscheiden. Wir schlagen die Wahl von Aktions- und Streikkomitees zur Führung dieser Auseinandersetzungen vor, die über den Betrieb hinaus auf lokaler, regionaler und bundesweiter Ebene zentralisiert werden können. In ihren Händen, nicht in Verhandlungsgremien, die letztlich vom Apparat bestimmt sind, muss die Führung von Kämpfen liegen. Diese Aktions- oder Streikkomitees müssen den Belegschaften rechenschaftspflichtig, wähl-, und abwählbar sein.

Es darf keine Zustimmung zu Verhandlungsergebnissen, kein Abbruch oder Aussetzen von Aktionen ohne vorherige Zustimmung der Belegschaften geben.

Solche Komitees wären nicht nur sehr viel demokratischere und repräsentativere Kampforgane als der Apparat, sie hätten auch den Vorteil, dass sie problemlos alle Beschäftigten in einem Betrieb, die mitkämpfen wollen – ob nun „fest“ angestellt oder LeiharbeiterIn, ob nun in der Gewerkschaft oder nicht – in einer gemeinsamen demokratischen Struktur vereinen könnten. Sie könnten so auch viel leichter und besser ArbeiterInnen aktivieren und ihre Selbsttätigkeit fördern.

Keine Beschränkung auf Betrieb und Gewerkschaft

Ohne Zweifel werden auch die kämpferischsten Gewerkschaften einen wichtigen Teil ihrer Aktivität in Tarifkämpfen finden, in der tagtäglichen Vertretung von KollegInnen gegen die  Zumutungen der KapitalistInnen. Aber wir müssen das mit einer politischen Ausrichtung der Gewerkschaften verbinden, damit die Gewerkschaften sich nicht nur auf die Vertretung der ArbeiterInnen im Rahmen des Lohnarbeitssystems beschränken, sondern auch dieses System selbst in Frage stellen, den Kampf um die Befreiung der Arbeiterklasse selbst zu ihrem Ziel machen können.

Das heißt, dass die Gewerkschaften und ihre betrieblichen Strukturen selbst aktiv Teil des Kampfes gegen die Krise werden, dass sie aktiv KollegInnen zu antifaschistischen und antirassistischen Aktionen mobilisieren; dass sie sich als Teil einer europaweiten, gemeinsamen Kampfbewegung verstehen – in Solidarität mit den ArbeiterInnen Südeuropas, im Kampf gegen das Europa des Kapitals, für ein Europa der ArbeiterInnen.

Praktisch heißt das, dass GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsgruppen, Betriebsräte oder VertreterInnen von Belegschaften aktiv am Aufbau von Aktionsbündnissen im Stadtteil, am Aufbau einer Anti-Krisenbewegung u.a. Bündnisse teilnehmen.

Das schließt auch ein, dass die Gewerkschaften und betriebliche Strukturen zu Kräften werden, die politische Aktionen auch im Betrieb führen. Die reaktionäre Gesetzgebung (inklusive der besonders undemokratischen Setzungen durch Gerichte) legt der politischen Betätigung im Betrieb wie auch dem Streikrecht zahlreiche Hürden in den Weg. Es ist daher ein unverzichtbarer Bestandteil revolutionärer Gewerkschaftspolitik, für die Abschaffung all dieser Einschränkungen demokratischer Rechte zu kämpfen – für das Recht auf volle politische Betätigung, gegen alle Einschränkungen der politischen Rechte von „AusländerInnen“ wie auch des Streikrechts. Zugleich dürfen sie sich nicht vom fatalistischen Legalismus vieler GewerkschafterInnen und Betriebsräte anstecken lassen. Alle wichtigen Forderungen, die wir oben vorgeschlagen haben, werden sich letztlich nur durch politische Massenkämpfe, durch Besetzungen, politische Massenstreiks – bis hin zum Generalstreik – erzwingen lassen. Jeder Teilkampf, jede Teilauseinandersetzung ist letztlich ein Mittel zur Vorbereitung solcher Großkämpfe, die nicht nur massive Angriffe abwehren können, sondern zugleich auch die Machtfrage in der Gesellschaft aufwerfen.

Das heißt aber auch, dass sich alle klassenkämpferischen KollegInnen in den Gewerkschaften und in den Betrieben dazu organisieren müssen, den Kampf für andere Gewerkschaften aufzunehmen.

Klassenkämpferische und demokratische Gewerkschaften!

Alle von uns vorgeschlagenen Maßnahmen und Forderungen richten sich an den Interessen der Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit aus, nicht nur an den gerade gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen und Angestellten, nicht nur an den Beschäftigten, sondern ebenso an den Arbeitslosen.

Die Gewerkschaftsbürokratie setzt hingegen – wenn überhaupt – auf die kurzfristigen und zumeist kurzsichtigen Interessen der „besser gestellten“ FacharbeiterInnen: der Arbeiteraristokratie.

Das geht fast „unwillkürlich“ damit einher, dass alles dem Standort oder der Wettbewerbsfähigkeit untergeordnet wird, dass selbst Forderungen nach Verbesserungen immer noch damit begründet werden, dass auch die Unternehmer von gesteigerter Kaufkraft oder zufriedenen Malochern profitieren würden.

Zugleich bleiben bei diesem System die „Randschichten“ der Klasse auf der Strecke. Kein Wunder, dass nur eine Minderheit der Lohnabhängigen in Gewerkschaften organisiert ist, wenn die „Randschichten“ doch die deutliche Mehrheit der Klasse ausmachen.

Das beginnt mit den Frauen. Sie stellen – betrachten wir die Arbeiterklasse in ihrer Gesamtheit – rund die Hälfe der Klasse. Unter den Beschäftigten sind sie unterrepräsentiert, dafür finden sich heute überproportional viele unter befristeten, prekär Beschäftigten und im Niedriglohnbereich – Tendenz steigend. Bis heute erhalten Frauen weniger Lohn für dieselbe Arbeit.

Nehmen wir die MigrantInnen. Diese sind ein wachsender Teil der Arbeiterklasse. Ihr Einfluss in den Gewerkschaften geht jedoch weiter zurück. Die Masse von Jugendlichen, von prekären arbeitenden MigrantInnen wird immer weniger erfasst. Auch die Jugend, die noch einen Ausbildungsplatz hat, wird bei allen Tarifverhandlungen regelmäßig zum Gegenstand von Zugeständnissen.

Auch die Beschäftigten im Osten sind bis heute Gewerkschaftsmitglieder zweiter Klasse, von den „Prekären“, von LeiharbeiterInnen oder BilliglöhnerInnen ganz zu schweigen.

Zweifellos wird niemand von der Gewerkschaften fordern oder auch nur erwarten, dass sie die Spaltungslinien der Gesellschaft, die sich in der Krise und unter den Angriffen von Kapital und Kabinett weiter vertiefen, tariflich und betrieblich überwinden könnten. Es wäre in der Tat utopisch zu hoffen, dass im kapitalistischen Unternehmen Unterdrückungsverhältnisse überwunden werden könnten, während in der Gesellschaft die Ungleichheit zunimmt.

Der einzige Weg, die sich vertiefende Spaltung in der Klasse zu verringern, tendenziell zu überwinden, ist der Klassenkampf. Das heißt aber nicht nur, Forderungen für besonders unterdrückte Teile und Schichten des Proletariats zu erheben, es heißt v.a. auch, ihre Selbstorganisation vorzubringen. Dazu sind die Gewerkschaften in ihrer gegenwärtigen Form ungeeignet.

Der Kampf für die Öffnung der Gewerkschaften, für gezielte Kampagnen zur Gewinnung von Frauen, Prekären, MigrantInnen, Jugendlichen muss damit verbunden werden, dass sich diese wirklich unabhängig von bürokratischer oder chauvinistischer Bevormundung organisieren können. Die Fachgruppen u.a. Institutionen in den Gewerkschaften werden diesem Ziel nicht gerecht, weil sie letztlich selbst an der Bürokratie kleben. Auch die Organizing-Kampagnen finden ihre Grenzen mit schöner Regelmäßigkeit in dem Problem, dass die organizten neuen KollegInnen keinen Platz in den bürokratischen Strukturen finden. Aus der Sicht des Apparats sind sie nicht „organisationstauglich“.

Tatsächlich kann man nicht erwarten, dass diese Teile der Arbeiterklasse notwendigerweise in den Gewerkschaften ihr erstes und anziehendstes Betätigungsfeld finden. Es wird vielmehr notwendig sind, dass Gewerkschaften eine Unterstützung von Kampagnen, Bewegungen, Strukturen von Erwerbslosen, von MigrantInnen, von proletarischen Frauen auch außerhalb der Gewerkschaften und Betriebe leisten.

So – indem Kämpfe, Organisierungsversuche usw. – unterstützt werden, können auch die Gewerkschaften umgekrempelt werden und die Unterdrückten dabei eine besonders aktive Rolle spielen. Das schließt aber auch ein, dass diese innerhalb der Gewerkschaften das Recht haben müssen, sich für ihre besonderen Anliegen zu organisieren, gesonderte Treffen abzuhalten usw., um sich erstens dafür einzusetzen, dass ihre Anliegen im Kampf nicht hintangestellt werden und zweitens auch organisiert gegen Chauvinismus, Sexismus, Homophobie, ja Rassismus in den Gewerkschaften und Betrieben vorzugehen.

Dieser Kampf für die besonders unterdrückten Teile der Klasse ist selbst Teil des Kampfes um eine Reorganisation der Gewerkschaften zu Organen des Klassenkampfes.

So wie in den Kämpfen arbeiterdemokratische Strukturen notwendig sind, um die Wähl- und Abwählbarkeit der Funktionäre zu sichern, so ist das erst recht in den Gewerkschaften notwendig. Die Funktionäre müssen ihren Mitgliedern rechenschaftspflichtig sind, sich regelmäßigen Wahlen und der möglichen Abwahl durch ihre Mitglieder stellen. Die Ernennung von SekretärInnen von oben, durch Vorstände, muss abgeschafft werden. Eine lebenslange Jobgarantie kann es hier nicht geben.

Das ist eine Maßnahme, um die Verfestigung des Apparates und der Führungen zu einer bürokratischen Kaste, die alles beherrscht, aufzubrechen. Die andere besteht darin, die Privilegien der Funktionäre abzuschaffen. Kein Funktionär – ob in der Gewerkschaft oder im Betriebsrat – darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt verdienen. Ein „Arbeitervertreter“, der meint, dass es unter seiner Würde wäre, für „so wenig“ zu arbeiten, entlarvt sich selbst als Parasit, der seine Tätigkeit v.a. als Mittel zur Verbesserung des eigenen Lebens betrachtet.

Nicht nur die Hauptamtlichen, alle Ausgaben der Gewerkschaften, die (Teil)privatisierung von Gewerkschaftshäusern, unsinnige Geldverschwendung für Prestigeobjekte bei gleichzeitiger Einsparung von Mitgliederbetreuung in der Fläche oder in schwer zu organisierenden Bereichen – all das muss auf den Prüfstand! Die Finanzen und die Planung müssen der Basis offengelegt werden – und diese muss über die Prioritätensetzung der Ausgaben entscheiden.

Eine Demokratisierung der Gewerkschaften schließt auch ein, dass die gewerkschaftlichen Grundstrukturen wieder belebt werden müssen. De facto sind in vielen Betrieben die Betriebsräte zur „Grundstruktur“ geworden, während Vertrauensleutekörper zu ihren Laufburschen und -mädchen wurden. Betriebsgruppen gibt es oft gar nicht mehr.

Das ist kein „dummer Zufall“, sondern nur die andere Seite der zunehmenden Allmacht des Apparats. Die Mitglieder wurden über Jahre entmündigt und mürbe gemacht. Wo Vertrauensleute oder betriebliche Opposition gegen Betriebsratsfürsten oder die Bürokratie entstanden, wurde diese massiv bekämpft – gerade im industriellen Bereich. Dabei zeigt sich, dass die Bürokratie auch nicht davor halt macht, traditionelle Kernbereiche der kämpferischen Arbeiterschaft, die über Jahre und Jahrzehnte das Rückgrat der traditionellen Tarif- und Gewerkschaftspolitik bildeten, wo auch überdurchschnittlich viele MigrantInnen eine aktive, ja zentrale Rolle spielten, zu verraten. Wo diese Auseinandersetzungen verloren gingen, ging das auch oft mit einer Entmutigung, ja Demoralisierung der Beschäftigten einher.

Sind diese Strukturen oder gar oppositionelle Gruppierungen und Listen verschwunden, setzt nach der Niederlage oft auch noch die zynische Legendenbildung der Bürokratie ein – dass es keine Strukturen gebe, liege eben an „unpolitischen“ KollegInnen, die trotz gewerkschaftlicher und betriebsrätlicher Animiation zum „Mitmachen“ nichts zuwege brächten, so dass den armen BürokratInnen gar nichts übrig bliebe, als weiter Stellvertreterpolitik zu betreiben. Diese Einstellung ist nicht nur zynisch – sie entspricht vollkommen der verkehrten Weltsicht jeder Bürokratie, nämlich sich selbst als aktives, bewegendes Moment von Veränderung darzustellen. In Wirklichkeit ist die Bürokratie das konservativste, starrste Element, das die gesamte Entwicklung – einschließlich der realen Veränderungen in den Betrieben wie im Verhältnis zwischen den Klassen – verzerrt vom Blickwinkel der Selbsterhaltung der eigenen Vermittlertätigkeit, der eigenen Kaste betrachtet.

Die Wiederbelebung, ja der Aufbau gewerkschaftlicher Basisstrukturen ist in dieser Situation eine zentrale Aufgabe einer Opposition, einer klassenkämpferischen Strömung in den Betrieben – vom bürokratischen Apparat kann sie nicht erwartet werden. Im Betrieb würde das einen Kampf mit dem Kapitalisten erfordern und eine Unterminierung des Machtmonopols des Betriebsrates.

Für den Gewerkschaftsbürokraten ist das nur dann kurzfristig interessant, wenn er seine Macht gegen den Betriebsrat durchsetzen will – und dort endet dann auch die etwaige Unterstützung der betrieblichen Strukturen. Sobald Basisstrukturen über die Grenzen hinauszugehen versuchen, die ihnen die Bürokratie setzt – und das ist heute eher früher als später der Fall – können sie nur gegen den Apparat durchgesetzt werden.

Als RevolutionärInnen müssen wir daher für wirkliche Unabhängigkeit solcher Strukturen vom Apparat kämpfen, für ihr Recht, eigene Zeitungen, Flugblätter, Websites zu machen; für ihr Recht, selbst Entscheidungen zu treffen und über ihr eigenes Budget zu verfügen.

Die Macht der Bürokratie kann aber auch nur gebrochen werden, wenn die politische Dominanz der Sozialdemokratie über die deutschen Gewerkschaften gebrochen wird. Die Gründung der Linkspartei hat diese zwar geschwächt, andererseits hat die Linkspartei aber selbst deutlich genug gemacht, dass sie wie dereinst die DKP keinen organisierten politischen Kampf gegen die SPD und erst recht nicht gegen die Gewerkschaftsbürokratie führen will. Sie will vielmehr ihren Teil vom Kuchen. Attraktiv sein will sie in erster Linie nicht für die einfachen Mitglieder, sondern für die Funktionäre. Diese haben sich über Jahre in der Sozialdemokratie an eine Arbeitsteilung gewöhnt, die sie auch in der Linkspartei beibehalten wollen. Die „Partei“ ist für Politik (Wahlen, Parlamente, eventuell auch für eine vorübergehende Bewegung) zuständig, die Gewerkschaft für Löhne und Arbeitsbedingungen. Einmischung oder gar „Vorschriften“ machen, ja selbst das kritische Nachfragen sind tabu. So wie der Gewerkschafter oder Personalrat über die parlamentarischen Machenschaften „seiner“ Abgeordneten nicht allzu viel wissen muss, verbietet er sich genauere Nachfragen über Verhandlungen mit „seinem“ Chef inklusive so mancher üblen Kompromisse. Kein Wunder, dass solche Bürokraten keinen Kampf gegen die Bürokratie entfachen wollen oder können, ja sie treten nicht einmal offen gegen das sozialdemokratische Meinungsmonopol in den Gewerkschaften auf.

Dieses kommt in Deutschland besonders verlogen unter der Parole der „Politischen Neutralität“ der Gewerkschaften daher. Dieser Bürokratenlegende nach zähle die Parteizugehörigkeit in den DGB-Gewerkschaften nichts, auch wenn – wie durch ein Wunder – das Gros der Funktionäre mit SPD-Parteibuch dasteht, wenn in den Großkonzernen die Betriebsratsgremien nach wie vor von der SPD dominiert sind, wenn die SPD nach wie vor mit Abstand die stärkste Partei unter den gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen ist.

In Wirklichkeit ist die „politische Neutralität“ wie auch die Beschwörung der DGB-Gewerkschaften als scheinbar über allen Parteien stehende „Einheitsgewerkschaften“ ein reaktionärer Mythos. In Wahrheit sind die DGB-Gewerkschaften seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges praktisch sozialdemokratische Richtungsgewerkschaften. Die anderen politischen Kräfte wurden in dieses System mit Versorgungsposten und Alibifunktionen inkorporiert, um den Schein zu wahren.

Eine revolutionäre, klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik muss – anders als so manche Linke – aufhören, selbst noch kindische Mythen wie jene der „politischen Neutralität“, die es im Kapitalismus letztlich ohnedies nie geben kann, oder die Beschwörung der „Einheitsgewerkschaft“ zu reproduzieren.

Statt dieses politischen Versteckspiels treten wir dafür ein, dass alle politischen Strömungen (außer faschistischen und offen rassistischen) in den Gewerkschaften eigene Fraktionen bilden können, die um politische Mehrheiten kämpfen. Wir treten für das Recht ein, dass diese auch in Betrieben offen auftreten und für ihre Politik werben können.

Das steht – wie das Beispiel der Gewerkschaften Anfang der 20er Jahre zeigt, als SPD, KPD und USPD als Fraktionen agieren konnten – der Einheit im Kampf, also einer gemeinsamen Gewerkschaftsbewegung, keineswegs entgegen.

Um für solche, grundlegend anderen Gewerkschaften erfolgreich zu kämpfen, schlagen wir heute die Bündelung, die Zusammenfassung aller oppositionellen, anti-bürokratischen und klassenkämpferischen Kräfte zu einer klassenkämpferischen Basisbewegung in den Betrieben und Gewerkschaften vor.

Eine solche Bewegung wäre heute ein Zusammenschluss von betrieblichen Oppositionellen und Betriebsgruppen und von linken Gruppierungen. Sie müsste versuchen, sowohl traditionelle kämpferische Kernschichten, als auch die Unterdrückten zu vereinen und zu organisieren.

Im Gegensatz zur Linkspartei oder zum linken Flügel des Apparats dürfte sie sich aber keinesfalls auf Reformen der gegenwärtigen Gewerkschaften und das Erringen von mehr Einfluss im Funktionärskörper konzentrieren. Der entscheidende Punkt ist vielmehr der Aufbau einer bundesweiten Strömung, die für ein anderes Programm, eine andere, klassenkämpferische Politik und für die Ersetzung der aktuellen Führung durch eine klassenkämpferische eintritt.

In der aktuellen Krisenperiode, wo wir in den nächsten Monaten und Jahren vor weiteren entscheidenden Kämpfen stehen, kann eine solche Perspektive nicht nur auf die Gewerkschaften beschränkt sein. Eine klassenkämpferische Basisbewegung muss Antworten nicht nur auf gewerkschaftliche, sondern auch auf alle großen politischen Fragen geben.

Dazu muss sie sich mehr und mehr bewusst werden, dass sie auch für eine politische Alternative zu den reformistischen Parteien kämpfen muss – für den Aufbau einer neuen, revolutionären Arbeiterpartei.

Fußnoten

(1) Zu unserer Analyse von Entstehung und Zusammenbruch des degenerierten Arbeiterstaates DDR vergleiche auch unsere Broschüre: Entstehung und Untergang der DDR, Berlin, 2009, auf unserer Website unter: http://www.arbeitermacht.de/broschueren/ddr/vorwort.htm

(2) Vergleiche dazu: Martin Suchanek, Der deutsche Imperialismus heute, in: Revolutionärer Marxismus 33, S. 57-88, Berlin/Wien März 2003, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm33/ deutsch.htm und Martin Suchanek, Der aufhaltsame Aufstieg des deutschen Imperialismus, in: Revolutionärer Marxismus 37, S. 55 – 71, Berlin/Wien Juni 2007, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm37/deutscherimperialismus.htm

(3) 1995 schlug der damalige IGM-Vorsitzende Klaus Zwickel der Regierung Kohl erstmals ein „Bündnis für Arbeit“, in dem die Gewerkschaften – zuerst die IG Metall, kurz danach alle DGB-Gewerkschaften – Regierung und Unternehmen Lohnverzicht im Gegenzug zur Sicherung von Arbeitsplätzen anboten. Auch wenn das erste Angebot nur wenige Monate hielt (wegen Kohls Angriff auf die Lohnfortzahlung), so war ein Damm gebrochen, weil die Gewerkschaften die Argumentation der Kapitalisten akzeptierten, dass höhere Löhne Ursache von Arbeitslosigkeit wären. Bis zu diesem Zeitpunkt war das jedenfalls in offiziellen Positionierungen von IG Metall und den meisten anderen DGB-Gewerkschaften zurückgewiesen worden.

(4) Zur Analyse der Wurzeln der Ideologie des „Dritten Wegs“ und der „Neuen Mitte“ siehe: Martin Suchanek, Where is European reformism going?, in: Trotsykist International 26, Dezember 1999

(5) EU 2004 Sozialabbau und Weltmachtkurs, ISW-report 57, München April 2004, S. 1

(6) Süddeutsche Zeitung 19.7.11

(7) welt-online 5.12.11

(8) Als Burgfrieden wurde der Verzicht auf jegliche gewerkschaftliche Aktion seitens der deutschen Gewerkschaften während des Ersten Weltkrieges bezeichnet.

(9) Zitiert nach: Schröders Reformkeule, Neue Internationale 79, April 2003, http://www.arbeitermacht.de/ni/ni79/angriff.htm

(10) Hannes Hohn/Martin Suchanek, Die Krise der Linkspartei und ihre Wurzeln, in: Revolutionärer Marxismus 43, S. 58 – 94, Berlin/Wien 2011, http://www.arbeitermacht.de/rm/rm43/linkspartei.htm

(11) Leo Trotzki, Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs, http://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1940

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