Arbeiter:innenmacht

Marsch der Geflüchteten in Mittelamerika: Solidarität gegen rassistisches US-Grenzregime!

Tobi Hansen, Neue International 233, November 2018

Seit vielen Wochen sind sie unterwegs: Mehr als 7.000 Geflüchtete aus Honduras, Guatemala und El Salvador haben die Flucht gewählt, da sie in „ihrem“ Staat keine Perspektive mehr sehen und sind jetzt in Mexiko gelandet. Es sind Familien, jung und alt haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht. Auch dies ist weniger Ausdruck einer politischen Manifestation, sondern vor allem eine objektive Notwendigkeit. Sie flüchten gemeinsam, da sie sich so schützen können vor denjenigen, die an der Flucht verdienen wollen: SchleuserInnen, kriminellen Banden, die viele Geflüchtete für ihre Interessen benutzen wollen (Drogenhandel, Prostitution). Seit vielen Jahren nimmt die Flucht aus den zentralamerikanischen Staaten wie Costa Rica, Honduras, El Salvador und Guatemala zu – Ziel sind die USA. Allein im ersten Halbjahr 2018 haben diese und Mexiko mehr als 37.000 Geflüchtete wieder nach Honduras ausgewiesen – ein Kreislauf aus Flucht, Repression und Abschiebung.

Ihr Zielland, das „land of the free“, hat wegen der Geflüchteten bereits den „Notstand“ ausgerufen. Ca. 7.000 zusätzliche ArmeesoldatInnen sollen gemeinsam mit der Grenzschutzbehörde und der Nationalgarde die texanisch-mexikanische Grenze schützen. Präsident Trump droht täglich mit Gewalt.

Rassismus und Verschwörungstheorien

Die US-Administration sieht in den Geflüchteten eine „geplante“ Einmischung in die „midterm“-Wahlen am 6. November. Ein Teil der GouverneurInnen und SenatorInnen sowie das Repräsentantenhaus steht zur Zwischenwahl in der Halbzeit der Amtsperiode der/des PräsidentIn. Daher soll angeblich eine Allianz, die von der Regierung Venezuelas bis zum Milliardär Soros reicht, den Treck finanzieren und „linke Gangs“ und Kriminelle in die USA einzuschleusen beabsichtigen. Trump spekuliert bereits über die Kosten der Internierungslager, die gebaut werden müssten (höchstwahrscheinlich von sog. Hispanics). Deswegen kündigt der Immobilienspekulant „nette Zelte“ als Unterkunft an und wiederholt, er sei bereit, Waffengewalt einzusetzen.

Die katholische Kirche in Honduras, welche wie viele in Mittelamerika sich um die Armen vor Gott zu kümmern hat, deshalb vielleicht für die US-Administration auch zur „linken Verschwörung“ gehört, brachte die oft genannten Fluchtursachen ganz pragmatisch auf den Punkt: „…dass die massiven Fluchtbewegungen das Ergebnis einer seit Jahren anhaltenden Krise im Land und der ,schlechten Regierungsführung‘ seien, die sich in ,Armut, Ungleichheit und fehlenden Möglichkeiten‘ äußert und nun in einer ,menschlichen Tragödie‘ mündete. “ (Zitiert nach: https://amerika21.de/2018/ 10/215958/honduras-demonstration-fuer-fluechtende)

Die hier erwähnte schlechte Regierung unter Präsident Juan Orlando Hernández ist auch Tippgeberin, was die Hintergründe der Geflüchteten angeht. Diese sagt brav dem US-Imperialismus, was dieser hören will. Andererseits haben Honduras wie auch die angrenzenden Staaten bereits US-Finanzhilfen gekürzt bekommen, weil die Flüchtlinge nicht vor Ort gestoppt wurden. Diesen Druck erhöht die US-Administration jetzt auf Mexiko. Der noch amtierende Präsident Nieto (Obrador regiert ab dem 1.12.) offerierte jetzt, dass die Geflüchteten dort Asyl beantragen könnten, speziell „Frauen und Kinder“ würden bevorzugt behandelt. Bis auf wenige Hundert haben die Geflüchteten das abgelehnt. Sie wollen für ihr Recht auf ein besseres Leben ihren Marsch fortsetzen. In den Interviews stellen besonders die HonduranerInnen die schlechten Lebensbedingungen heraus, die sie zur Flucht bewegten.

Honduras galt lange als eine der „Bananenrepubliken“ des US-Imperialismus. Die entsprechenden Monopolkonzerne sind auch weiterhin die größten Großgrundbesitzer im Staat, wie auch die Landwirtschaft weiterhin 15 % des BIP erwirtschaftet, hauptsächlich über die Exportgüter Kaffee, Bananen und Tropenhölzer. Die Nationalökonomie ist abhängig von den Überweisungen der „ExilhonduranerInnen“, knapp 4 Mrd. US-Dollar kommen so jährlich in ein Land mit einem BIP von 23 Mrd. US-Dollar (2017). Alle ökonomischen Sektoren werden letztlich vom US-Imperialismus dominiert, so auch die Textilindustrie in Küstennähe oder Dienstleistungszentren der US-Konzerne für Mittelamerika. Gleichzeitig gab es in Honduras nie eine „Landreform“. Das fehlende Ackerland treibt die Bauern/Bäuerinnen in die Städte. Dort landen sie zumeist in den Slums, je nach Schätzung gelten 70-80 % der Bevölkerung als akut arm.

Auch Wikipedia muss zur sozialen Lage Folgendes konstatieren: „Mehr als die Hälfte der Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze, ein Fünftel sind Analphabeten. Unter- und Fehlernährung sind weit verbreitet. Die medizinische Versorgung auf dem Land ist miserabel.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Honduras)

In Interviews mit den Geflüchteten sagten viele: „Wir wollen Jobs, wir wollen Land und Brot“, eine Perspektive für die Kinder, die sie in Honduras nicht bekommen, in den USA aber dank besserer Jobs und Löhne zu erhalten hoffen. Dort gehören sie dann zur Gruppe der „Hispanics“, welche größtenteils in der Land-, Bauwirtschaft und den „einfachen“ Dienstleistungen ausgebeutet wird und als Niedriglohnprekariat täglicher Diskriminierung und Rassismus ausliefert ist. Ebenfalls sind sie dort den rassistischen Banden außerhalb des Weißen Hauses ausgesetzt. Viele von diesen paramilitärisch Organisierten wollen jetzt den Grenzschutz in die eigenen Hände nehmen.

Der Kampf gegen Rassismus und für offene Grenzen

Diese Situation zeigt deutlich, wie wichtig der Kampf für offene Grenzen, für Bewegungsfreiheit der Geflüchteten ist. Steht die internationale ArbeiterInnenbewegung im Abseits bei dieser Frage, bezieht sie sich positiv auf die „Relikte“ nationalstaatlicher Ordnung, dann verweigern wir die Solidarität gegenüber den Geflüchteten! Wenn selbst alle bürgerlichen Medien die Zusammenhänge zwischen Marktbeherrschung und dortiger Fluchtbewegung herstellen können, dass nämlich jede Produkt der imperialistischen Dominanz ist, dann müssen auch die ArbeiterInnenorganisationen sich aktiv in den Kampf gegen die rassistischen Grenzregime einbringen.

Wir dürfen den Trumps, Salvinis, dem gesamten rassistischem und nationalistischem Abschaum nicht den Umgang mit den Flüchtenden überlassen. Diese werden sie letztlich genau wie die israelische Besatzung im Gaza-Streifen sehenden Auges an den Grenzen sterben lassen bzw. den Schießbefehl geben. Während die Ökonomie der imperialistischen Staaten die Halbkolonien der Welt ausbluten lässt, werden die MigrantInnen, die keine Perspektive in ihren Staaten besitzen, zum Opfer des Rechtsrucks, des staatlichen Rassismus an den Grenzen.

Für die Geflüchteten muss es jetzt um eine politische Perspektive ihres Protestes, ihres Recht auf Bewegungsfreiheit gehen. Dafür brauchen sie die Unterstützung der mexikanischen und der US-amerikanischen ArbeiterInnenbewegung.

Gerade wenn ein US-Präsident eine Mauer an der Grenze errichten will, steht dieser Flüchtlingstreck für den Kampf gegen imperialistische Willkür. Wenn die US-Konzerne im Hinterhof Lateinamerika die Lebensbedingungen von Millionen ruinieren, dann ist es deren Recht, diese Staaten zu verlassen. Dafür brauchen sie die internationale Solidarität.

Vor Ort wäre es wichtig, das eben die mexikanische Gewerkschaftsbewegung, die Studierenden, die Widerständigen aus Oaxaca und Chiapas die Geflüchteten nicht allein zur waffenstarrenden Grenze laufen lassen, sondern diesen Marsch unterstützen und mit Zehn-, Hunderttausenden zur Grenze ziehen.

Trump stoppen

Es darf nicht zugelassen werden, dass die Geflüchteten interniert, sie den Grausamkeiten bis zum Tod ausgeliefert werden. Dazu wäre eine Mobilisierung auf der „anderen“ Seite der Grenze hilfreich gegen die paramilitärischen Milizen einerseits, aber auch für das Recht der Geflüchteten einzureisen, wie es laut der Freiheitsstatue ja vor allen den Ärmsten der Armen gestattet sein soll. Eine Masssenmobilisierung, eine Menschenmauer des Willkommens für die verarmten Klassengeschwister aus Mittelamerika wäre dazu nötig, um sie vor Trumps Truppen und den Paramilitärs zu schützen! Jene Städte, die bisher Geflüchteten Schutz boten (sanctuary cities) und die Umsetzung der Politik Trump verweigerten, könnten dafür ein guter Ausgangspunkt sein- und müssten zugleich gegen drohende Repression durch die US-Regierung verteidigt werden.

Darüber hinaus muss die US-amerikanische ArbeiterInnenbewegung politische Demonstrationen und Streiks gegen das Grenzregime „ihrer“ Regierung, für volle Staatsbürgerrechte aller im Lande Lebenden und gegen alle Einwanderungsbeschränkungen durchführen. Die Verlegung von Truppen und Nachschub an die Grenze zu Mexiko muss blockiert und boykottiert werden.

Es handelt sich um einen Marsch, einen Exodus der Verzweiflung an der Willkür des Imperialismus, gegen seine Grenzen, seinen Rassismus – als solchen müssen wir auch den Kampf für offene Grenzen verstehen und führen, sei es im Mittelmeer oder an der US-amerikanischen Grenze!

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