Brasilien: Stoppt Bolsonaro!

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 30. Oktober 2018, Neue Internationale 233, November 2018

Jair Bolsonaro, ein Halbfaschist, hat bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien 55 Prozent gewonnen, gegenüber 45 Prozent für Haddad/Manuela, den Kandidaten der ArbeiterInnenpartei, PT. Dieser Sieg wird ihm ein „demokratisches Mandat“ geben, um den Angriff auf die brasilianische ArbeiterInnenklasse, BäuerInnen, schwarze und indigene Bevölkerung, Frauen und LGBTIA+-Personen sowie auf die ArbeiterInnenparteien, Gewerkschaften und Massenorganisationen von StudentInnen, obdachlosen und landlosen ArbeiterInnen zu Ende zu führen.

Karneval der Reaktion

Nach der Siegeserklärung gingen seine AnhängerInnen triumphierend auf die Straße. Es war ein Karneval der Reaktion, ein offener Ausdruck ihres Klassenhasses, ihres Rassismus und Sexismus. Militär und Polizei schlossen sich ihnen an und fuhren durch die Straßen der Großstädte. Ihnen wurde von den rechten UnterstützerInnen von Bolsonaro Beifall gezollt, die die Situation nutzten, um die BewohnerInnen der Favelas, die städtischen Armen, einzuschüchtern, die sie als Kriminelle unter dem neuen Präsidenten, jetzt ohne jegliche rechtliche Zurückhaltung, ins Visier nehmen werden. Während seines Wahlkampfes haben seine rechten oder gar faschistischen AnhängerInnen mehrere seiner GegnerInnen, Schwarze oder AktivistInnen aus der LGBTIA+-Bewegung getötet. In der Wahlnacht wurde in Rio ein bekannter schwuler Aktivist getötet.

Ziel der neuen Präsidentschaft ist es, den im August 2016 vom derzeitigen Präsidenten Michel Temer und der Justiz im Namen der brasilianischen Bourgeoisie, der GroßgrundbesitzerInnen und des US-Imperialismus begonnenen Putsch zu vollenden. Der neoliberale Wirtschaftsberater von Bolsonaro, Paulo Guedes, wird für die brasilianische Wirtschaft verantwortlich sein und ein „Superministerium“ leiten. Er hat eine weitere „Rentenreform“ angekündigt, d. h. drastische Kürzungen, eine massive Privatisierung der größten staatlichen Unternehmen wie Petrobras. Er und Bolsonaro haben angekündigt, dass sie alle sozialen und ökologischen Restriktionen aufheben werden, um die Amazonasregion zu „modernisieren“, d. h. den Regenwald im Interesse der Rohstoffe abbauenden Industrie und des Agrobusiness zu zerstören.

Kein Wunder, dass Donald Trump seinem rechten Kollegen sofort gratulierte, und versprach, oder genauer gesagt, drohte, mit ihm „Hand in Hand“ zu arbeiten. Offensichtlich sind Temers Staatsstreich und jetzt der Sieg von Bolsonaro auch Siege für den US-Imperialismus, der seinen Einfluss in Brasilien erhöht und den größten Staat Lateinamerikas wieder zu einem festen US-Verbündeten macht. Andere imperialistische Mächte sind über diese Bekräftigung der amerikanischen Hegemonie „besorgter“, da sie befürchten, dass sie ihren Einfluss schwächen könnte. Sie alle erkennen jedoch die Legitimität des neuen Präsidenten an, obwohl er auf der Grundlage eines parlamentarischen und gerichtlichen Putsches gegen die frühere PT-Präsidentin Dilma Rousseff und durch dem Staatsstreich freundlich gesonnene RichterInnen gewonnen hat, die den früheren Präsidenten Lula gefangen genommen haben und ihm verbaten, bei den Wahlen anzutreten.

Kapitalistische Offensive und der Staat

Bolsonaro und sein Kabinett stehen nicht nur für eine bösartige kapitalistische Offensive. Sie stellen auch eine autoritäre, bonapartistische Form der Herrschaft dar. Niemand sollte sich von seinem Treueeid zur Verfassung täuschen lassen. Abgesehen davon, dass die verfassungsmäßigen Institutionen der brasilianischen „Demokratie“ selbst ein wesentlicher Bestandteil des Putsches gegen Dilma und die PT waren, sollte niemand die Drohungen von Bolsonaro vergessen, das Land von den „Roten“, also der ArbeiterInnenbewegung, zu säubern.

Um diese Drohungen Realität werden zu lassen, will Bolsonaro die Kräfte der Reaktion gegen die ArbeiterInnenbewegung und die Unterdrückten entfesseln. Mindestens drei Ministerien sollen von Führungskadern der Armee geleitet werden; nicht nur die Verteidigung, sondern auch das Innere und die Bildung! Im Moment werden er und seine Regierung bestrebt sein, sich bei der Erfüllung ihrer reaktionären Aufgaben in erster Linie auf den Staatsapparat zu verlassen. Er wird der Polizei und dem Repressionsapparat freie Hand lassen, um seine GegnerInnen in den linken Parteien, in den Gewerkschaften und unter den Armen in den Favelas anzugreifen oder gar zu töten. Bereits im vergangenen Jahr wurden rund 5.000 Menschen von der Polizei umgebracht, davon 80 Prozent farbige Menschen. Diese „legalen“ Morde dürften zunehmen.

Gleichzeitig wird eine spezielle und militarisierte Polizei gegen die BäuerInnen, die Armen und ArbeiterInnenaktionen eingesetzt, wobei die bereits unter Temer eingeführte gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung genutzt wird. Darüber hinaus werden die Staatsorgane und GroßgrundbesitzerInnen insbesondere bei ihren Razzien gegen die landlosen und armen BäuerInnen auch paramilitärische Banden einsetzen, von denen einige faschistischen Sturmtruppen ähneln.

Die Landlosenbewegung MST dürfte eines der ersten Ziele des neuen Systems sein. Während seines Wahlkampfes drohte Bolsonaro damit, sie als „terroristische Organisation“ zu verbieten. Er hat ein Ende des „Flirts mit Sozialismus, Kommunismus, Populismus und Linksextremismus“ gefordert und im Stil von Trump behauptet, Brasilien „wieder groß zu machen“.

Während des Wahlkampfs, in dem Bolsonaro sich mit seiner typischen abscheulichen rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Demagogie hervortat, drohte er wiederholt mit der Zerstörung der ArbeiterInnen-, Landlosen- und Eingeborenenbewegungen und mit der Rücknahme der Rechte, die Frauen seit dem Ende der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre gewonnen haben.

Er bedrohte die FührerInnen und AktivistInnen der ArbeiterInnenpartei PT: „Entweder sie gehen ins Ausland oder ins Gefängnis. (…) Diese roten Gesetzlosen werden aus unserer Heimat verbannt. Es wird eine Säuberung sein, wie sie in der brasilianischen Geschichte noch nie stattgefunden hat.“ Er hat auch versprochen, die Führung der PT und des Gewerkschaftsverbandes CUT sowie anderer Massenorganisationen wegen „Korruption“ zu säubern und vor Gericht zu stellen. In Wirklichkeit werden alle diese Anschuldigungen nur ein Vorwand sein, um die ArbeiterInnenbewegung zu schwächen und zu enthaupten, um ihre Organisationen wie eine Salami Stück für Stück zu zerschneiden.

Jetzt handeln!

Der Aufstieg der Rechten und der Niedergang der PT können nicht verstanden werden, ohne das Schicksal der brasilianischen Wirtschaft zu betrachten. In den ersten fünf Jahren von Lulas Präsidentschaft 2003 – 2008 wurden zwanzig Millionen BrasilianerInnen aus der Armut geholt, aber dann brach 2008 die Große Rezession aus. Kaum hatte sich das Land davon erholt, als es 2012 in den zweiten Einbruch katapultiert wurde, ausgelöst durch die Sparforderungen des IWF und der US-KreditgeberInnen. Dies dauerte bis ins Jahr 2016 und war die Grundlage für Massenmobilisierungen gegen Dilma und die PT und im August desselben Jahres für den Putsch von Temer, Führer der erzbürgerlichen Partei PMDB.

Die Erholung ist seitdem schwach ausgefallen, nicht zuletzt, weil auch die Regierung Temer die Schrauben bei den Staatsausgaben angezogen hat. Die sozialen Folgen waren nicht nur zunehmende Armut, grassierende Ungleichheit und Massenarbeitslosigkeit, sondern auch ein Anstieg der Gewaltkriminalität, der Kampf zwischen Drogenbanden und mit der Polizei in den Armenvierteln. Die Arbeitslosenquote, die 2013 auf einen Tiefstand von 6,05 Millionen gesunken war, lag im August 2018 bei 12,7 Millionen. Mehr als fünfzig Millionen BrasilianerInnen, fast 25 Prozent der Bevölkerung, leben unterhalb der Armutsgrenze.

Die Tatsache, dass Dilma im Amt war, als die zweite Krise zuschlug, und dass sie den IWF-Forderungen nach sozialen Einsparungen nachgab, erlaubte es den rechten Medien, den evangelikalen Kirchen und den rechtsgerichteten DemagogInnen, die die sozialen Medien nutzten, alles auf die PT zu schieben. Sie wurde als korrupt identifiziert und der Verschwendung von Geldern an die Armen bezichtigt, die sie nicht verdient haben. Dies verstärkte die Krisen- und Abstiegsgefühle innerhalb der Mittelschicht und der ArbeiterInnenaristokratie. Auf dieser Grundlage gewann eine Kampagne des bösartigen Hasses gegen die Armen, die Gewerkschaften, die schwarzen und indigenen Teile der Bevölkerung an Fahrt, während Teile der Bevölkerungsbasis der PT durch die Kürzungen bei den unter Lula geschaffenen Wohlfahrts- und Sozialdiensten, demoralisiert wurden.

Wenn es Bolsonaro und dieser Regierung gelingt, ihr Programm und ihre Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse, BäuerInnen und Unterdrückten umzusetzen, wäre dies eine historische Niederlage für die Bewegung nicht nur in Brasilien, sondern auch international. Dieser Erfolg liegt jedoch noch vor ihm, und es ist wichtig, dass keine Zeit mehr mit der Mobilisierung verloren geht, um ihn aufzuhalten.

Haddad hat angekündigt, dass er die Demokratie „verteidigen“ wird, aber weder er noch die FührerInnen des wichtigsten Gewerkschaftsbundes, der CUT, haben einen Aktionsplan nach dem Wahlkampf ausgearbeitet. Diese reformistischen FührerInnen befürchten, dass jeder Aufruf zu Massenaktionen die Reaktionskräfte entfesseln und ihre Organisationen zerschlagen oder illegalisieren könnte.

Die Passivität gegenüber den Bedrohungen wird jedoch die Herzen von Bolsonaro oder seinen AnhängerInnen nicht erweichen; ganz im Gegenteil, sie wird sie nur ermutigen, noch wilder zu sein.

Deshalb sind jetzt entschlossene Maßnahmen erforderlich. Es gibt natürlich Millionen, nicht zuletzt die 45 Millionen, die für Haddad gestimmt haben, die nicht wollen, dass ihre Organisationen oder ihre sozialen Errungenschaften von Bolsonaro und den Kräften hinter ihm zerstört werden. Während des Wahlkampfes entstand eine Frauenmassenbewegung, die Millionen gegen Bolsonaro sammelte. Guilherme Boulos, ein Führer der Obdachlosenbewegung MTST und der Partei des Sozialismus und der Freiheit, PSOL, hat Protestaktionen und die Bildung von „frente amplia“, einer breiten Front, gegen die Vertiefung des Putsches und für Massendemonstrationen am 30. Oktober als Ausgangspunkt gefordert.

Eine Einheitsfront, bestehend aus PT, CUT, MST, MTST und allen linken, sozialistischen, indigenen und Frauen-Organisationen, ist von entscheidender Bedeutung. Sie sollte nicht nur auf einer Vereinbarung über Aktionen zwischen den Führungen beruhen, sondern auch in Aktionsräten an den Arbeitsplätzen, in den Büros, in den ArbeiterInnenvierteln und den Favelas, in den Schulen und Universitäten, in den Städten und auf dem Land verankert sein. Auf dieser Grundlage könnten die ArbeiterInnen, die BäuerInnen, die rassistisch Unterdrückten, die Frauen und die Jugendlichen auf den Ansturm von Bolsonaro mit einem gemeinschaftlich vereinten Klassenkampf reagieren. Wenn beispielsweise Bolsonaro die MST tatsächlich illegalisiert, müssen sich alle zur Unterstützung zusammenschließen, nicht nur mit Massendemonstrationen, sondern auch mit einem politischen Generalstreik.

Ein solcher Streik würde jedoch den Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten ab der ersten Minute erfordern, um die streikenden ArbeiterInnen, die Armen in den Favelas oder die Landlosen gegen die polizeilichen, paramilitärischen oder faschistischen Banden zu verteidigen. Eine solche Einheitsfront müsste an die Wehrpflichtigen in der Armee appellieren, nicht gegen die ArbeiterInnen und BäuerInnen missbraucht zu werden, sondern sich an die Seite der Bevölkerung zu stellen und SoldatInnenausschüsse und -räte zu bilden.

Um die konterrevolutionäre Bedrohung durch Bolsonaro zurückzuwerfen und zu beseitigen, müssen die ArbeiterInnenklasse und all die Unterdrückten revolutionäre Mittel einsetzen: den Generalstreik, die Bildung von Aktionsräten und deren Zentralisierung, den Aufbau von Selbstverteidigungsorganen als ersten Schritt zu einer ArbeiterInnen- und Volksmiliz.

Die revolutionären und linken Kräfte müssen dies erkennen und den reformistischen ArbeiterInnen erklären. Bolsonaro kann nur durch entschlossenes Handeln gestoppt werden, aber das bedeutet, die Frage der Macht an die ArbeiterInnenklasse und die Linke selbst zu stellen. Ein unbefristeter politischer Generalstreik wird seinerseits die Frage der Bildung einer ArbeiterInnenregierung auf der Grundlage der Streikorgane, der Aktionsräte und Selbstverteidigungsorgane aufwerfen, die im Laufe des Kampfes in ArbeiterInnenräte (Sowjets) und Milizen umgewandelt würden.

Eine solche ArbeiterInnenregierung müsste den repressiven Apparat des brasilianischen Staates zerbrechen und die konterrevolutionären, reaktionären Kräfte entwaffnen. Sie würde alle reaktionären Gesetze streichen und die Gleichberechtigung der rassistisch unterdrückten, der indigenen Bevölkerung, der Frauen und der sexuell unterdrückten Menschen sicherstellen. Sie würde Großkapital und Land unter der Kontrolle der Werktätigen verstaatlichen, einen Notfallplan einführen, um den brennenden Bedürfnissen der ArbeiterInnen und der Armen gerecht zu werden und die Wirtschaft nach den Bedürfnissen der Menschen und der ökologischen Nachhaltigkeit neu zu organisieren.

Internationale Solidarität jetzt!

Der Sieg von Bolsonaro wird den mächtigen Rechtsruck in Europa, Nordamerika und sogar rund um den Globus beflügeln und fördern. Das tatsächliche Ausmaß und die Auswirkungen der potenziellen Katastrophe, vor der eine der stärksten ArbeiterInnenbewegungen der Welt steht, müssen der internationalen Bewegung unserer Klasse nahegebracht werden.

Die Gewerkschaften, die sozialdemokratischen und Labour-Parteien sowie alle linken Parteien müssen die Solidarität auf den Straßen organisieren. Sie müssen die Freilassung von Lula und anderen inhaftierten PT-FührerInnen fordern, gegen alle Maßnahmen der neuen Regierung gegen unsere Bewegung protestieren und Ressourcen und direkte Aktionen wie ArbeiterInnenboykotte mobilisieren, während die Angriffe von Bolsonaro auf unsere GenossInnen in Brasilien niederprasseln.