Der Wind dreht am Hambacher Forst

Martin Suchanek, Infomail 1023, 8. Oktober 2018

Noch vor einigen Wochen überboten sich die CDU/FDP-Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, die Große Koalition und der größte Teile des politischen Establishments mit martialischen Drohungen gegen die BesetzerInnen des Hambacher Forstes. In den Chor stimmten nicht nur die reaktionäre Presse und die rechtspopulistische AfD, sondern natürlich auch SPD und IG BCE ein.

Auf Biegen und Brechen wollten Landesregierung und Polizei den Wald räumen lassen und nahmen dafür auch den Tod eines Fotografen und verletzte BesetzerInnen in Kauf. Der teuerste Polizeieinsatz in der Geschichte des Bundeslandes stand ins Haus.

Zugleich wuchs die Gegenbewegung. Seit Jahren haben AktivistInnen den Wald besetzt. In der Region haben sich Initiativen nicht nur gegen die Rodung, sondern auch gegen die Vertreibung der Bevölkerung organisiert. Tausende solidarisierten sich Woche für Woche bei Waldspaziergängen. Der „Hambi“ wurde zum Symbol – sowohl für die bornierte, klimafeindliche Politik von Kapital und Regierungen wie auch für den Widerstand aus der Bevölkerung.

Wenn Laschet & Co. schon sonst keine Argumente mehr hatten, so zogen sie sich auf das „Recht“ zurück. Dies stünde schließlich auf Seiten des Energiekonzerns RWE – und dessen Interessen hätten eben Vorrang. Dafür müsste nicht nur der verbliebene Rest des Hambacher Forstes abgeholzt werden, auch die verbliebenen BewohnerInnen jener Dörfer, die für den Braunkohletaegbau verschwinden sollen, sollten weiter weichen.

Am Freitag, den 5. Oktober, kippte diese Legende. Zuerst versuchten die Versammlungsbehörden, die Demonstration aus „Sicherheitsgründen“ zu untersagen. Sie scheiterten damit aber vor Gericht. Zum anderen stoppte das Oberverwaltungsgericht Münster die weitere Rodung, bis über eine Klage des BUND gegen die Abholzung entschieden würde, so dass keine irreversiblen Fakten geschaffen werden können.

Ein Teilsieg der Bewegung

Die Demonstration vom 6. Oktober, ursprünglich als Massenaktion gegen die drohende Rodung gedacht, wurde so unverhofft zur Feier eines Teilsieges der Bewegung für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung. Mit 20.000 Menschen hatten die OrganisatorInnen gerechnet – 50.000 kamen. Die Kundgebung in der Nähe des Forstes hatte zum Teil den Charakter eines Familienfestes. Alle Altersgruppen, tausende AnwohnerInnen und solidarische Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet waren vor Ort.

Politisch dominiert und geprägt wurde die Kundgebung vor allem von den Umweltschutzorganisationen, BUND, NABU, Naturfreunde, Greenpeace. Von den politischen Parteien hatten die Grünen sicher die stärkste Präsenz und wohl auch den größten Anhang – und wohl auch das meiste Geschick, die faulen Kompromisse, die sie als Regierungspartei mit der Kohleindustrie geschlossen hatten, vergessen zu machen. Klar, die SPD hat es hier schwerer, auch wenn sie die Chuzpe hatte, sich als „Kohlegegnerin“ zu präsentieren – und auch die Linkspartei verteidigt in Brandenburg den Braunkohletagbau (geht es nach dem SPD-Ministerpräsidenten Woidke, bis in die 2040er Jahre!). Gleichwohl waren auch DIE LINKE recht sichtbar vertreten sowie einige Organisationen der „radikalen Linken“ wie die SAV, das Bündnis „Ende Gelände“, das Bonner Jugendbündnis, die Interventionistische Linke oder die MLPD. ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION waren ebenfalls vor Ort. Wir verteilten das Flugblatt „Welche Strategie gegen die Kohlekonzerne“ und beteiligten uns am „Spaziergang“ in den Hambacher Forst, der gewissermaßen wiederbesetzt wurde. Insgesamt war die Präsenz der „radikalen Linken“ jedoch schwach. Nur vergleichsweise wenige Organisationen traten sichtbar in Erscheinung.

Dabei zeigten die Kundgebung, Sprechchöre und zahlreiche Gespräche mit den TeilnehmerInnen auch, dass nicht nur die BesetzerInnen und die radikaleren antikapitalistischen AktivistInnen mehr als nur ein Stück Wald retten wollen. Ganz sicher haben sie keinen Bock auf einen ewig langen „Ausstieg“, der sich – geht es nach KohlelobbyistInnen wie Woidke – am besten bis zur wirtschaftlichen Erschöpfung der Vorkommen erstrecken soll. Auch wenn der Rodungsstopp zu Recht als Teilerfolg gefeiert wurde – beendet ist die Auseinandersetzung noch lange nicht. So sollen nicht nur „tote“, also schon umgesiedelte Dörfer dem Braunkohleabbau zum Opfer fallen – es stehen auch noch weitere Vertreibungen der AnwohnerInnen an.

Die Massenaktion und die Niederlagen der Landesregierung und von REW vor Gericht haben zweifellos zu einem Stimmungsumschwung geführt. Ein großer Teil der Bevölkerung und sicher auch eine Mehrheit der ArbeiterInnenklasse sprechen sich nicht nur für einen möglichst raschen Ausstieg aus – dieser erscheint nun auch möglich, durchsetzbar.

Aus diesem Grund treten die bürgerliche Politik und insbesondere die Große Koalition – allen voran CDU-Ministerpräsident Laschet und SPD-Bundesumweltministerin Schulze – jetzt für eine „Nachdenkpause“ ein und rufen zur „Besinnung“ auf. Im Klartext: Die Bewegung soll zu Hause bleiben, damit die sog. „Kohlekommission“ in „Ruhe“, also ungestört vom Druck und Unmut der Bevölkerung, tagen kann.

Der Hambacher Forst wird zwar vorerst den AktivistInnen überlassen. Die Masse von 50.000 Menschen soll jedoch demobilisiert werden. Die Schikanen bei der Anreise durch den Zusammenbruch des Nahverkehrs haben die Menschen am 6. Oktober sicher nicht entmutigt – sie zeigen aber, dass Staat und Regierungen mit allen möglichen Mitteln agieren, um die Formierung einer Bewegung zu erschweren. Das ist nicht gelungen und auch das Zurückrudern der bürgerlichen Politik, der vom Gericht verhängte Rodungsstopp stellen vor allem einen Erfolg des langjährigen Protestes und Widerstandes dar. Ohne diesen hätte es keinen gegen REW gerichteten Gerichtsentscheid gegeben, wäre auch der letzte Rest des Hambacher Forstes im Braunkohletagebau verschwunden.

Wie weiter?

In der aktuellen Situation setzen die Herrschenden auf „Beruhigung“. Hinter verschlossenen Türen soll ein „Kompromiss“ rauskommen, der die Bewegung befrieden soll. Dieser mag einige kleinere Zugeständnisse enthalten. RWE und die anderen Konzerne werden am Verhandlungstisch für jedes Zugeständnis, jeden Quadratmeter Wald „Entschädigungen“, also die Bezahlung ihrer kalkulierten Gewinne durch die Besteuerung der Massen fordern.

Während die Industrie die Sicherung des Braunkohleabbaus bis in die 2040er Jahre fordert, also bis viele Vorkommen ohnedies erschöpft wären, schlagen die Grünen und die Umweltverbände offen oder unter der Hand Kompromisslinien bis 2030 vor: Klimaschacher statt Klimaschutz heißt die Devise!

Es zeigt sich einmal mehr, dass die Kapitalinteressen der Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschheit entgegenstehen. Daher ist eine vernünftige Lösung der Umweltprobleme, ist eine nachhaltige Energieversorgung, eine ökologische Umstellung der Industrieproduktion unmöglich, ohne das Privateigentum und die Profitinteressen in Frage zu stellen. Die großen Energiekonzerne müssen enteignet werden – und zwar unter ArbeiterInnenkontrolle, also der der Beschäftigten wie der VertreterInnen der lohnabhängigen Bevölkerung in ihrer Gesamtheit. Die ökologische Umstellung der Energieversorgung, der Ausbau erneuerbarer Energien, die Umstellung des Verkehrs- und Transportsektors können nur gegen die Profitinteressen, nicht durch einen „Ausgleich“ am Verhandlungstisch durchgesetzt werden. Nur so ist eine planwirtschaftliche Reorganisation der Produktion gemäß den Bedürfnissen der Massen und der Umwelt möglich.

Die Protestbewegung gegen den Hambacher Forst wird zur Zeit zwar politisch von bürgerlichen, kleinbürgerlichen oder reformistischen Umweltschutzorganisationen und Parteien dominiert. Aber die Frage des Zusammenhangs von Umweltschutz und Kapitalismus beschäftigt nicht nur den linken Flügel der Bewegung, sondern auch Tausende, die in den letzten Wochen aktiv wurden. Es ist unsere Aufgabe, sie für eine sozialistische und internationale Antwort auf die sog. „Umweltfrage“ zu gewinnen.