Seebrücke-Demonstration in Berlin: Baut Brücken, keine Mauern

Jürgen Roth, Infomail 1017, 3. September 2018

Unter diesem Motto einer europäischen Initiative zur Seenotrettung zogen am Sonntag, dem 2. September, mehrere Tausend Menschen durch die Straßen Berlins, Hamburgs und anderer Städte. In Berlin waren es 2.500, die vom Molkenmarkt beim Roten Rathaus zum Brandenburger Tor aufbrachen. In Hamburg lief der Zug mit 16.000 TeilnehmerInnen von den Landungsbrücken über das Stadion des FC St. Pauli am Millerntor, wo sich viele Fußballfans anschlossen, zum Rathaus.

RednerInnen forderten die Senate auf, für sichere Fluchtwege nach Europa zu sorgen, offensiv Geflüchtete aufzunehmen und so einen „sicheren Hafen“ für diese darzustellen.

Mit Ausnahme der SAV, des „Funken“ und der Gruppe ArbeiterInnenmacht waren in Berlin leider keine VertreterInnen der radikalen Linken zu sehen. DIE LINKE „glänzte“ durch weniger als eine Handvoll Fahnen. SPD und Gewerkschaften wurden erst gar nicht gesichtet.

Dabei sollte es doch eigentlich selbstverständlich sein, solche humanitären Initiativen zu unterstützen, auch wenn dies kein Ersatz für den politischen Kampf gegen Rassismus und Flüchtlingselend sein kann. Und wie wollen wir denn mit unserer Propaganda für dieses Anliegen größere Menschenmassen erreichen, wenn wir solchen Ereignissen den Rücken kehren?

So war die Demonstration in Berlin nur halb so groß wie die vergleichbare Anfang Juli des Jahres, doch der Rechtsruck in Europa, v. a. die jüngsten Ereignisse in Chemnitz, fanden eine viel deutlichere und ablehnende Ansprache als vor 2 Monaten. Das Thema der zunehmenden sozialen Spaltung zwischen Unten und Oben zog sich wie ein roter Faden durch mehrere Redebeiträge, die auf den Zusammenhang zwischen dieser und dem Rechtsruck hinwiesen. Ebenso deutlich wurde die AfD bezichtigt, den neoliberalen Verelendungskurs der Regierung für ihre rassistische und sexistische Demagogie auszunutzen und die FaschistInnen hoffähig zu machen. Antifaschistische kämpferische Parolen wurden lauthals skandiert. Ein Redner auf der Abschlusskundgebung am Brandenburger Tor meinte, die Linke und die „Mitte“, als deren Angehöriger er sich verstand, müsse viel radikaler als bisher gegen AfD und die offen braune Brut vorgehen. Dies zeigt, dass sich radikale Schlussfolgerungen selbst in diesen Kreisen der „anständigen“ bürgerlichen DemokratInnen oder ReformistInnen aufdrängen können kann. Wir müssen ihnen aufzeigen, dass ihr moralisches Anliegen am besten in einer ArbeiterInneneinheitsfront aufgehoben ist. Deren Zustandekommen kann beweisen, dass nur die Klasse der Lohnabhängigen über das ausreichende nötige Kampfpotenzial gegen Rassismus und Faschismus verfügt (Streiks, Massenselbstschutz), dass es einzig und allein in ihrem objektiven Klasseninteresse liegt, nicht nur für die volle staatsbürgerliche, sondern auch soziale Gleichstellung der MigrantInnen, Flüchtenden und anderen MitbürgerInnen nichtdeutscher Nationalität einzutreten. Damit ist sie die einzige Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft, die die Axt an die Wurzeln des Rechtsrucks legen und auch den „ehrlichen“ MittelschichtsdemokratInnen eine radikale Perspektive bieten kann. Dass auch in diesen Schichten nach mehr praktischem Engagement gegen den Rechtsruck gerufen wird – das sollten wir nicht ignorieren!