Arbeiter:innenmacht

Pakistan in stürmischen Zeiten

Shahzad Arshad, Revolutionary Socialist Movement, Infomail 1013, 8. August 2018

Bei den Parlamentswahlen in Pakistan am 25. Juli gewann die „Pakistan Tehreek-e-Insaf“ (PTI; Pakistanische Bewegung für Gerechtigkeit) von Imran Khan Niazi 116 Sitze mit 16,8 Millionen Stimmen. Dies war jedoch weit von den 137 Sitzen entfernt, die für eine Mehrheit in der Nationalversammlung mit 342 Sitzen erforderlich waren, so dass die Partei Partner für eine Koalition finden musste. Dies wurde nun gelöst, vor allem durch die Unterstützung von „Muttahida Qaumi Movement-Pakistan“ (MQM-P) und Khan wird wahrscheinlich am 14. August als Premierminister vereidigt.

Viele Parteien im ganzen Land erhoben schwere Vorwürfe wegen der Versuche, die Wahl zu manipulieren, und machten die Wahlkommission Pakistans (ECP) dafür verantwortlich, dass sie nicht für eine freie und faire Wahl gesorgt hat. Die „Pakistanische Muslimliga (Nawaz)“ (PML-N), die ehemalige Regierungspartei und Hauptkonkurrentin der PTI, die mit 12,9 Millionen Stimmen 64 Sitze gewann, lehnte das Wahlergebnis vollständig ab und sagte, dass ein Mandat für Imran Khans Partei nicht akzeptabel sei. Dennoch stimmte die Partei zu, ihre Sitze in der Nationalversammlung einzunehmen.

Die nahezu gleichen Klagen wurden von allen anderen großen Parteien erhoben, die die Wahl angefochten haben, einschließlich der „Pakistanischen Volkspartei“ (PPP) der ehemaligen PremierministerInnen Zulfikar Ali Bhutto und Benazir Bhutto, die jetzt von Bilawal Bhutto Zardari angeführt wird und 43 Sitze mit 6,9 Millionen Stimmen erhielt. Gegenwärtig sind in einer Reihe von Wahlkreisen Nachzählungen angeordnet worden.

Auf Provinzebene war die PML (N) die größte Partei in Punjab (Pandschab), aber die PTI wird eine Koalition mit der PML-Q (Quaid-e-Azam-Gruppe) bilden. Die PTI wird auch die Regierung in Khyber Pakhtunkhwa (von 1901 – 2010 Nordwestliche Grenzprovinz) bilden, während die PPP an ihrer traditionellen Machtbasis in Sindh festhielt. Die ECP hat auch zwei verbotene islamische Parteien zur Wahlkandidatur zugelassen. Tehreek-e-Labbaik Pakistan (Hier-bin-ich-Bewegung Pakistan; TLP), eine klerikale faschistische Partei, die nach der Hinrichtung von Mumtaz Qadri wuchs, gewann 2,2 Millionen Stimmen und zwei Provinzversammlungssitze in Karatschi. Die Muttahida Majlis-e-Amal (Vereinter Aktionsrat ; MMA), ein traditionelles Bündnis religiöser Parteien, gewann ebenfalls 2,5 Millionen Stimmen.

Michael Gahler, Leiter der EU-Wahlbeobachtungsmission, sagte auf einer Pressekonferenz in Islamabad, sein 120-köpfiges Team habe am Wahltag selbst keine Manipulationen beobachtet, aber er hat ernsthafte Kritik an der Vorwahlzeit geübt. Er sagte, es habe Druck auf die Medien gegeben, „weitaus stärkere“ Bemühungen als üblich, WählerInnen und sogar KandidatInnen zum Parteienwechsel zu ermutigen, und dass „Justizverhalten“, d. h. die Verwendung von Korruptionsvorwürfen zur Verhinderung der Kandidatur, die Abstimmung negativ beeinflusst habe. „Wir haben festgestellt, dass es an Chancengleichheit mangelte“, sagte er und fügte hinzu, dass der Gesamtprozess „nicht so gut“ gewesen sei wie 2013, obwohl das Ergebnis seiner Meinung nach „glaubwürdig“ blieb.

Rückschlag für traditionelle Parteien

Das Ergebnis ist ein großer Rückschlag für die traditionellen Parteien, die jahrzehntelang die Politik dominierten. Die PTI ist eine relativ neue Partei, deren wichtigste Parolen sich gegen Korruption richteten und, wie die Reichen und Mächtigen von der staatlichen Schirmherrschaft profitieren. In Wirklichkeit ist sie eine bürgerliche rechtspopulistische Partei und voll von Milliardären, Großgrundbesitzern und korrupten Beamten, aber sie hat große Unterstützung von den Mittelschichten erhalten.

Schon Kurz nach der Wahl reklamierte Imran Khan den Sieg für sich: „Wir waren erfolgreich und erhielten ein Mandat“. Er sprach davon, dass seine Partei in der Regierung das Leben der Armen verbessern, die Korruption bekämpfen, die Gesundheitsversorgung und Bildung verbessern, sich auf die menschliche Entwicklung konzentrieren, eine dynamische Wirtschaft aufbauen, in den nächsten fünf Jahren zehn Millionen Arbeitsplätze schaffen und fünf Millionen Häuser bauen würde. Er versprach auch einen „islamischen Wohlfahrtsstaat“, lobte Chinas Wirtschaftspolitik und Erfolge und bezeichnete den chinesisch-pakistanischen Wirtschaftskorridor, CPEC, als „Game changer“, das Lieblingsschlagwort seiner Vorgänger.

Alle diese Versprechungen sind natürlich beliebt, stehen aber in krassem Widerspruch zur wirtschaftlichen Situation in Pakistan. Das Land hat jetzt ein Leistungsbilanzdefizit von 18 Milliarden US-Dollar. Das sind 45 Prozent mehr als im Vorjahr. Noch vor zwei Jahren waren es 4,9 Milliarden US-Dollar. Das jährliche Haushaltsdefizit beträgt 2,2 Billionen Rupien und Pakistans Währung, die Rupie, hat gegenüber dem Dollar 20 Prozent ihres Wertes verloren. Die Inflation steigt und die Devisenreserven sind alarmierend zurückgegangen, so dass man jetzt nur noch mit der Deckung von Importen für zwei Monate rechnet. Exporte wie z. B. Textilien sind von billigeren Produkten regionaler Wettbewerber, darunter auch China, betroffen.

AnalystInnen sagen, dass sich die neue Regierung fast sofort an den Internationalen Währungsfonds, den IWF, wenden muss, um eine Rettungsaktion in Höhe von 12 Milliarden US-Dollar durchzuführen, die zweite seit 2013. Sie erwarten auch, dass harte Entscheidungen zur Eindämmung der Ausgaben in einer Regierung, die Khan beherrschen kann, einfacher sein werden. Asad Umar, der von der PTI für das Amt des Finanzminister vorgesehen ist, hat nicht ausgeschlossen, an die Türen des IWF zu klopfen, aber es gibt andere Optionen wie die Vereinbarung von Krediten mit China und Saudi-Arabien, obwohl sie sich wahrscheinlich als begrenzt und teurer erweisen werden.

Eine Rettungsaktion für Pakistan wird durch den Kampf zwischen den USA und China auf globaler Ebene erschwert. Die Vereinigten Staaten haben damit gedroht, jede Rettungsaktion zu blockieren, es sei denn, es kann garantiert werden, dass kein Geld zur Rückzahlung von Krediten aus China verwendet wird.

Politische AnalystInnen plädieren für eine Reform der Wirtschaft und die Umsetzung der IWF-Agenda von Ausgabenkürzungen und Privatisierungen und sagen, dass Imran Khan den Willen haben muss, die Wirtschaft in einer Weise umzustrukturieren, wie es den vorhergehenden Regierungen nicht möglich war. Sie meinen, dass die Nawaz-Regierung nach dem massiven Widerstand der ArbeiterInnen in der Energiewirtschaft, der WAPDA, und der nationalen Fluggesellschaft PIA nicht in der Lage war, den öffentlichen Sektor zu privatisieren. Die PTI mag für einen islamischen Wohlfahrtsstaat plädieren und die Massen stärken und die Armut beseitigen wollen, aber in Wirklichkeit wird es weitere massive soziale Angriffe auf die Massen im Namen einer guten Regierung und des „nationalen Interesses“ geben.

Wir können uns auch weitere Schritte in Richtung einer autoritäreren Herrschaftsform erwarten, was bedeutet, dass auch die demokratischen Rechte weiter angegriffen werden. Eine jüngste Erklärung des Obersten Richters des Obersten Gerichtshofs zeigt, wie weit die herrschende Klasse zu gehen bereit ist. Er sagte, wenn die Verfassung dies zulasse, würde er die Gewerkschaften verbieten, weil sie „für viele Probleme verantwortlich seien“.

Linke Gruppen und Parteien kandidierten für 50 Sitze der National- und Provinzversammlungen, aber sie erhielten zusammen nicht mehr als 50.000 Stimmen bei den Parlamentswahlen. Dies zeigt die wahre Schwäche der ArbeiterInnenbewegung in Pakistan. Die einzige gute Nachricht bei der Wahl war der Sieg von Ali Wazir, einer führenden Persönlichkeit der PaschtunInnen-Verteidigungsbewegung und Mitglied der Gruppe „Kampf“, der seinen Sitz mit mehr als 16.000 Stimmen gewann.

Angriffe

Es besteht kein Zweifel, dass die neue Regierung wenig Zeit verlieren wird, bevor sie ihre Angriffe auf den Lebensstandard und die demokratischen und ArbeiterInnenrechte starten wird. Obwohl es, wie auch frühere Regierungen erfahren mussten, Widerstand seitens der ArbeiterInnenklasse und der Armen geben wird, wird gegen eine neu gewählte Regierung mehr als entschlossener Widerstand in einzelnen Unternehmen oder Branchen erforderlich sein, um Erfolg zu haben. Was wir brauchen, ist eine Einheitsfront von Organisationen der ArbeiterInnenklasse, die bereit sind, den Kampf zu koordinieren und zu vereinen.

Mindestens ebenso wichtig ist, dass die pakistanische Linke, die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen sich mit der Notwendigkeit einer politischen Alternative zu allen bürgerlichen Parteien befassen müssen. In den letzten Jahren ist es der Linken nicht gelungen, eine kämpferische Alternative aufzubauen, eine Partei des Kampfes gegen jede imperialistische Herrschaft, nationale und soziale Unterdrückung und zur Verteidigung der demokratischen Rechte sowie zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme der ArbeiterInnen und zur Stärkung der Gewerkschaften.

Die chronische Schwäche und Zersplitterung der ArbeiterInnenbewegung kann nur überwunden werden, wenn es einen gemeinsamen Widerstand gegen die Angriffe der Regierung, des Staates, der ImperialistInnen und der rechten islamistischen Kräfte gibt. Es besteht ein dringender Bedarf für alle AktivistInnen und KämpferInnen in den Gewerkschaften, den linken Organisationen, den Massenbewegungen wie der PaschtunInnen-Verteidigungsbewegung, den StudentInnen- und Frauenorganisationen, die dies anerkennen, in die Diskussion für eine neue ArbeiterInnenpartei einzutreten, die einen solchen vereinten Kampf anführen könnte.

Unserer Organisation, die „Revolutionäre Sozialistischen Bewegung“ (RSM) vertritt die Auffassung, dass die Partei auf einem Programm beruhen sollte, das diese unmittelbaren Probleme mit dem Kampf für eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenregierung und eine sozialistische Revolution in Pakistan verbindet.

Die Angriffe der nächsten Regierung und die anhaltende tiefe Krise des pakistanischen Kapitalismus werden sicherlich die Notwendigkeit und die Chance für einen vereinten Widerstand und Gegenwehr erhöhen. Aber das wird nur zustande kommen, wird nur gelingen, wenn die Führungskrise der ArbeiterInnenklasse angegangen und gelöst wird. Die Wahlen zeigen, dass die Linke viel Zeit und Boden verloren hat. Dies muss dringend rückgängig gemacht werden.

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