Neustrukturierung von Ver.di – Sinnvolle Reform oder bürokratische Flickschusterei?

Helga Müller, Neue Internationale 229, Juni 2018

Seit Jahren entwickelt ver.di neue Projekte, um dem Mitgliederschwund und der schwindenden Bindung der Gewerkschaft in den Branchen entgegenzuwirken. Die letzte nannte sich „ver.di wächst“. Als die Pilotphase in Bayern vor ca. einem Jahr gerade abgeschlossen wurde und die Umsetzung in den diversen Landesbezirken anlief, kam dann der Bundesvorstand am 23. Juni 2017 mit einem neuen Papier daher. Es trägt die Überschrift: „Position des Bundesvorstandes zur Zukunft der Fachbereiche in ver.di“.

Veränderungen

Alle bisherigen Projektvorhaben sind mehr oder weniger kläglich gescheitert. Nicht in allen, aber in vielen Fachbereichen stagnieren Mitgliederzahl und damit auch Beitragseinnahmen weiterhin, von denen wiederum die Finanzierung des Apparates abhängt. Dies hat unterschiedliche Ursachen: Im bisherigen ver.di-Fachbereich 8, in dem vor allem die bei Medien Beschäftigten organisiert sind, liegt es u. a. auch an der ständigen Umstrukturierung der Branche, verändertem Mediennutzungsverhalten der LeserInnen, Abbau von Überkapazitäten im Druckbereich und Konzentrationsprozessen, die für den Kapitalismus charakteristisch sind.

Aber ver.di umfasst im Gegensatz z. B. zur IG Metall auch Branchen wie den Erziehungs- und Pflegebereich, die traditionell nicht gut organisiert sind. Das hat sich aber in den letzten Jahren radikal verändert, weil der Druck auf die Beschäftigten enorm zugenommen hat. Traditionell gut organisierte Bereiche wie die Müllabfuhr sind privatisiert und damit zersplittert worden und entsprechend auch die Tarifverträge. Statt eines großen gemeinsamen Tarifvertrages wie den BAT – gibt es jetzt viele kleine Spartentarifverträge, die unterschiedliche Laufzeiten haben.

Aber auch die Tarifpolitik von ver.di trägt maßgeblich dazu bei, wie dies auch die letzten Tarifrunden im öffentlichen Dienst gezeigt haben. Kampagnen wie für die Entlastung in den Krankenhäusern setzten nicht auf die vollständige Kampfkraft und den Kampfeswillen der Beschäftigten, um die Forderungen der KollegInnen z. B. nach mehr Personal durchzusetzen, sondern endeten immer wieder in faulen Kompromissen mit den Geschäftsführungen, was selbst eine auslaugende Wirkung auf die Arbeitenden hat.

Projekt des Bundesvorstandes

Der Bundesvorstand möchte in dieser Situation, dass aus bisher 13 Fachbereichen vier etwa gleich große entstehen. Vor allem der neue Fachbereich A (Arbeitstitel) ist sehr umstritten. Dieser soll aus den bisherigen Fachbereichen 1 (Finanzdienstleistungen), Fachbereich 2 (Ver- und Entsorgung), Fachbereich 8 (Medien und Industrie) und Fachbereich 9 (Telekommunikation) bestehen. Der ursprünglich auch für einen neuen Fachbereich A vorgesehene Bereich 5 (Bildung, Wissenschaft und Forschung) hat entschieden, sich dem neuen Fachbereich B anzuschließen. Vor allem die ehrenamtlichen KollegInnen des Fachbereichs 8 befürchten, in diesem neuen großen Gebilde unterzugehen und an Fachkompetenz zu verlieren, was gerade in diesem Bereich für die Gewinnung neuer Mitglieder sehr wichtig ist aufgrund der Konkurrenz zu anderen Gewerkschaften. Auch der neue Fachbereich B, der hauptsächlich aus denen des öffentlichen Dienstes neu entstehen soll, ist in der Gesamtorganisation umstritten, da bei Entstehung von ver.di die ehemalige ÖTV auf verschiedne Fachbereiche verteilt wurde, damit sie nicht zu viel (tarif-)politische und finanzielle Macht in ver.di erhält.

Der neue Fachbereich C, der aus den bisherigen Fachbereichen 10 (Postdienste, Spedition, Logistik) und 12 (Handel) entstehen soll, wird wohl nicht zustande kommen, da der Fachbereich 12 die Art und Weise des Umstrukturierungsprozesses ablehnt. Allein der bisherige Fachbereich 3 (Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen) bleibt als neuer Fachbereich D bestehen, da dies der einzige ist, der neue Mitglieder gewinnt und nach Einschätzung des Bundesvorstandes gute Zukunftschancen hat.

Die Art und Weise und auch der Vorschlag des Neuzuschnitts sind in den meisten Fachbereichen auf heftigen Widerstand gestoßen – vielleicht mit Ausnahme derer aus dem öffentlichen Dienst, die jetzt die Chance haben, wieder als einer zu agieren, was sicherlich auch sinnvoll ist. Gerade im Fachbereich 8 wird kritisiert, dass zu wenig Zeit ist, um über den Vorschlag zu diskutieren und Änderungen einzubringen. So kritisiert der Bezirksvorstand des ver.di-Bezirks München und Region in einem Schreiben an den Bundesvorstand und den Gewerkschaftsrat vom 26.7.17, dass „eine neue Fachbereichsstruktur vorrangig nach Branchen-, Betriebs- und Konzernstrukturen, entlang der Wertschöpfungsketten und gemäß der tarifvertraglichen Zusammenhänge zu gestalten“ sei.

Offene Fragen

Viele Fragen sind noch offen. So ist bis heute unklar, was aus der sogenannten 4. Ebene wird,. Das sind die Ortsvorstände oder Betriebsgruppen, die die untersten Organe der Gewerkschaft darstellen und in denen sich einfache Mitglieder organisieren können. Unklar ist auch, wie in den verschiedenen Fachbereichen die Tarifpolitik ausgerichtet werden soll. So gibt es beim Fachbereich 8 noch Branchentarifverträge, die aber stark unter Druck geraten, da die „Arbeitgeber“verbände vor allem im Medienbereich kein großes Interesse daran weiter haben. Im Fachbereich 9 dominiert der Konflikt bei der Telekom die Tarifauseinandersetzung – was nichts anderes als ein Haustarifvertrag ist. Die anderen Betriebe und Konzerne der Telekommunikation spielen hier kaum eine Rolle. Wenn sich in dem neuen Fachbereich A diese Orientierung durchsetzt, würde das in ver.di größere Probleme heraufbeschwören und bestehende nur in einer neuen Form reproduzieren.

Nach den Vorstellungen des Bundesvorstandes sollen der Prozess der Neustrukturierung der Fachbereiche bis 2023 abgeschlossen und die neuen Strukturen bei den Organisationswahlen 2022/23 bereits umgesetzt sein.

Im Jahr 2017 wurde zwar die Diskussion auf der Ebene der Bezirke und Landesbezirke geführt – durchaus sehr kritisch auch mit Mitgliedern aus dem Bundesvorstand, aber bis auf wenige kosmetische Änderungen an dem Zuschnitt hat sich an den Vorhaben, wie im Papier des Bundesvorstandes skizziert, nichts geändert. Kein Wunder, dass der anfängliche Widerstand gegen dieses Projekt bei den ehrenamtlichen Mitgliedern in Resignation umgeschlagen ist. Mittlerweile sind die Diskussion und Entscheidung auf die Gremien der Bundesebene verlagert worden. Einfache aktive Mitglieder haben keine Chance mehr, an dem Prozess etwas zu ändern.

Echtes Problem – bürokratische Antwort

Es spricht nichts dagegen, dass sich der Bundesvorstand 17 Jahre nach Gründung von ver.di Gedanken macht, wie ihre „Geburtsfehler“ geändert werden und sich die Strukturen mehr an die neuen Gegebenheiten anpassen können . Im Grunde sind die Fachbereiche nichts anderes als die Widerspiegelung der in ver.di eingegangenen Gewerkschaften mit Ausnahme der ÖTV, die auf verschiedene Fachbereiche aufgeteilt wurde. Genauso wenig spricht etwas dagegen, dass sich der Bundesvorstand Gedanken machen muss, wie man die Mitgliederbeiträge stabilisiert, wenn sie ständig zurückgehen und der Apparat auf dieser Grundlage nicht mehr zu finanzieren ist. Auch spricht nichts dagegen, dass sich eine Gewerkschaft neu strukturiert, wenn sich die sogenannte Wertschöpfungskette ändert oder neue technische Entwicklungen wie die im Papier des Bundesvorstandes viel zitierte Digitalisierung Auswirkung auf den Zuschnitt von Branchen haben.

Im Gegenteil, in einer solchen Situation ist es sogar dringlich notwendig, dass sich eine Gewerkschaft neu strukturiert und aufstellt, um ihre gewerkschaftliche Kampfkraft und Durchsetzungsfähigkeit zu erhalten. Wir meinen auch, dass dies eine Aufgabe wäre, die sich ver.di stellen müsste. Dies würde aber nicht nur ver.di selbst betreffen, sondern auch andere Gewerkschaften. Z. B. im Bereich der Logistik ist die IG Metall seit längerem relativ erfolgreich, ver.di zu verdrängen. Notwendig wäre es also, sich im gesamten DGB-Bereich Gedanken zu machen, wie sich die neuen technischen Entwicklungen und die Wertschöpfungskette insgesamt, dazu gehört die Digitalisierung vorrangig (s. auch die ganze Diskussion um Industrie 4.0), auch in den Strukturen der Gewerkschaften niederschlagen und diese entsprechend neu ausgerichtet werden können.

Letzten Endes ging es beim Vorhaben des Apparates aber nie wirklich um die Neuausrichtung der Gewerkschaften aufgrund neuer Branchenzuschnitte und technischer Entwicklungen, sondern darum, wie am besten bei den hauptamtlichen FunktionärInnen der unteren und mittleren Ebene eingespart werden kann. Gerade in den Bezirken fehlen aber ausreichend GewerkschaftssekretärInnen, um die Betriebe und tarifpolitischen Auseinandersetzungen sinnvoll betreuen zu können, geschweige denn, um verloren gegangene Betriebe wieder in die gewerkschaftlichen Strukturen zu integrieren oder gar neue Betriebe und Branchen für die Gewerkschaft zu erschließen.

Im Grunde hat sich in den 17 Jahren Existenz von ver.di nichts geändert: War die Gründung von ver.di schon aus der Not geboren, da die kleinen Gewerkschaften wie die IG Medien aufgrund ihres Mitgliederrückgangs gezwungen waren, sich in einen größeren Verband einzubringen, um nicht unterzugehen, stellt auch der neue Vorschlag des Bundesvorstandes nichts anderes dar. Anstatt auf die Ursache des Mitgliederschwundes zu reagieren, wird ein rein technokratisches Programm – vier ungefähr gleich große Fachbereiche mit einer ähnlichen Personalausstattung – durchgeführt, um die Probleme oberflächlich zu beheben.

Hier rächt sich, dass es in ver.di keine starke sichtbare politische Kraft gibt, die auf einer klassenkämpferischen Basis in der Lage ist, eine Alternative für eine neue und notwendige Neustrukturierung von ver.di und der gesamten Gewerkschaftsbewegung aufzuzeigen.