Arbeiter:innenmacht

Berliner Schulen: Stoppt die Privatisierung!

Wilhelm Schulz, REVOLUTION, Neue Internationale 228, Mai 2018

Der rot-rot-grüne Berliner Senat plant die (Teil)Privatisierung der 798 Schulen des Landes. Mittels einer Privat-Public-Partnership (Öffentlich-Private-Partnerschaft = PPP) soll staatliches Eigentum schleichend unter die Interessen privatwirtschaftlicher InvestorInnen gestellt werden. Doch wieso?

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und der Linken aus dem Jahr 2016 kündigten diese massive Investitionen bis zum Jahre 2026 in den Neubau und die Sanierung von Berliner Schulen an. Von 5,5 Milliarden Euro war die Rede. Dringend notwendig wären diese allemal.

So sind sogenannte Container-Klassenräume, also in einem Stück gelieferte Klassenzimmer, die über- oder nebeneinander gestapelt werden, keine Ausnahme mehr. Diese Dauerprovisorien stehen symbolisch für Jahrzehnte der Austeritätspolitik. Sie sind oft schlecht isoliert, kurzfristig und teuer gemietet. Andere Schulen sparen an der Sanierung und Erneuerung des Bestandes und greifen schon mal auf Baugerüste vor Schuleingängen zurück, damit die SchülerInnen vor herunterfallendem Putz geschützt sind. Das ist schließlich kurzfristig billiger, als die ganze Fassade zu renovieren. Die Entlohnung der immer öfter nur befristet angestellten Berliner LehrerInnen passt zu diesen Zuständen. Das Land Berlin hat sich in dieser Hinsicht den letzten Platz aller Länder über Jahre wacker erkämpft.

Unter solchen Bedingungen müssen wir Berliner SchülerInnen leben und lernen. Da war bei einigen die Hoffnung groß, dass R2G etwas verbessern wird. Aber nach der alten Faustregel „Links blinken, rechts abbiegen“ erleben wir einen versteckten Angriff.

Sparprogramm und Schuldenbremse

Den Hintergrund für die geplante Privatisierung von fast 800 Schulen bildet die Zielsetzung der rot-rot-grünen Regierung, einen ausgeglichenen Haushalt zu gewährleisten. So kommt es, dass das Land seit knapp 6 Jahren eine Sparpolitik fährt, die versucht, die Neuverschuldung auf null zu halten. So kommt es auch dazu, dass die Investitionen des Landes im Jahresdurchschnitt nur um 0,5 % wachsen – also geringer als die Inflationsrate, die 2017 bei 1,6 % lag.

Den bundespolitischen Hintergrund für die geplanten Privatisierungen bildet die sogenannte Schuldenbremse. Gemäß dieser dürfen die Bundesländer und Kommunen ab 2020 keine neuen Schulden machen, somit keine Kredite mehr aufnehmen. Das bringt ein Investitionsverbot in bitter notwendige soziale Infrastruktur mit sich. In Berlin gibt es hierfür neben den Schulen noch das „klitzekleine Problem“ mit dem Wohnungsmangel und den dafür dringend erforderlichen massiven staatlichen Investitionen.

Die bürgerliche Politik, die die Schuldenbremse zu verantworten hat, verbindet mit dieser „Einführung griechischer Verhältnisse“ auch eine klare Zielsetzung. Wenn Länder und Kommunen nicht oder nicht ausreichend investieren dürfen, so müssen diese eben staatliches Eigentum verscherbeln. Dieser Ausverkauf soll Investitionsmöglichkeiten für das Kapital schaffen. Solcherart werden Milliarden billig verschleudert zum Nutzen der InvestorInnen, die sich über sichere und regelmäßig steigende Gewinne freuen dürfen.

Hierfür gibt es bereits ein bundesweites Pilotprojekt. Es stammt aus dem allgemein für seinen „überproportionalen“ Reichtum bekannten Offenbach. Offenbach ist in den letzten Jahrzehnten infolge der Deindustrialisierung der Stadt extrem verarmt. Der Landkreis hatte mittels einer PPP im Jahre 2004 die Grundstücke seiner 88 Schulen an die Baukonzerne Hochtief und Vinci vergeben. Seit dem Verkauf mietet die Stadt Grundstück und Schulen an. Die vereinbarte Jahresmiete belief sich ursprünglich auf 52 Millionen Euro. Im Jahre 2014 betrug sie jedoch schon 82 Millionen, und bei Vertragsende 2019 sollen es 95 Millionen sein. „Nachtijall, ick hör dir trapsen“, sagen wir dazu in Berlin.

Auch international gibt es ähnliche Beispiele. So wurden unter Margaret Thatcher Ende der 1970er Jahre große Teile der Wasserversorgung verkauft. Heute gibt es in Großbritannien Haushalte, die im Keller eine Art Münzeinwurf haben, um Zugang zu Wasser zu erhalten. Auch wenn wir an dieser Stelle glücklicherweise darauf hinweisen können, dass Thatcher tot ist, so blieb uns ihr neoliberales Vermächtnis leider erhalten. Es bleibt hier zu sagen, dass in all diesen Fällen die versprochenen Investitionen von Kapitalseite ausblieben. Warum sollte es auch anders sein? Sie investiert gemäß der Logik der Gewinnmaximierung, nicht zur Sicherung des Gemeinwohls. So steht die Bundesrepublik aktuell im Rechtsstreit mit der Telekom, Vinci und Daimler im PPP der Autobahn-Maut wegen Minderleistungen von 7 Milliarden Euro!

Was genau plant das Land?

Der Senat will der Berliner Wohnungsbaugesellschaft HOGOWE GmbH mittels Erbpacht die Gebäude der 798 Berliner Schulen übertragen. Dies soll durch eine Tochtergesellschaft, im Arbeitstitel Schul-GmbH genannt, geschehen. Auch wenn rot-rot-grün nun den Namen der Gesellschaft neu „überdenken” will, so bleibt das Problem das gleiche.

Die Wohnungsbaugesellschaft ist eine teilstaatliche, d. h. sie verwaltet formal staatliches Eigentum, jedoch unter privatwirtschaftlichen Rentabilitätskriterien. Das Land kann zwar Verhaltensweisen des Konzerns kritisieren, jedoch nicht eingreifen. So auch bereits 2010 geschehen, als die HOGOWE ohne Ausschreibung Großaufträge vergab. Die Kritik war zwar groß, der Auftrag blieb jedoch. Vor allem ist davor zu warnen, da das Land Berlin zu Beginn der 2000er Jahre viele städtische Wohnungsbaugesellschaften bereits vollständig privatisierte.

Diese Schul-GmbH soll zukünftig alle schulspezifischen Aufgaben koordinieren, also Bau, Sanierung, inneren Betrieb außerhalb des Bildungsauftrags wie HausmeisterInnen, Grünpflege, „Sicherheit“, Instandhaltung, „Gas, Wasser, Scheiße“ usw. usf. Hierfür zahlt das Land die bereits angesprochene Miete. Auch kann es zu zeitlichen Begrenzungen des Nutzungsrechts kommen. So kann es sich beispielsweise tagsüber um eine Schule und abends um ein AfD-Schulungszentrum handeln oder ein „Hotel der anderen Art“ in den Schulferien – mal als fiktive Beispiele.

Solche Verträge laufen 25 Jahre. Somit hat das Land für diesen Zeitraum kein wirkliches Recht, hiergegen Sturm zu laufen. Hier werden also gerade die Weichen für die nächsten Jahrzehnte gestellt und das mit dem „Versprechen“ zu investieren. Zur Gewinnsteigerung sind hier dann auch alle möglichen anderen Tricksereien vorstellbar. Beispielsweise könnten sie Tür und Tor für kommerzielle Werbung an den Schulen öffnen. Dann darf nicht mehr „nur“ die Bundeswehr für ihr sogenanntes „Werben fürs Sterben“ in Schulen touren. Nein, wie wär’s mit einer Turnhalle, „powered by McFit“, oder einer Kantine, „präsentiert von Pizza Hut“? Kurzum, eine allgemeine Öffnung des Bildungswesens fürs Kapital mag sich hier anbahnen.

Was bleibt?

Szenarien wie diese könnten nicht nur den Schulbereich betreffen. Sie könnten in den kommenden Jahren auch in anderen staatlichen Einrichtungen bevorstehen, z. B. die Privatisierungen von Bäderbetrieben, Stadtwerken, Rathäusern, Hochschulen, Müllabfuhren. Das Personal dieser könnte durch billigere Arbeitskräfte und LeiharbeiterInnen ersetzt werden, getragen durch private DienstleisterInnen.

Hiergegen gilt es, Widerstand zu organisieren! Dafür müssen wir nicht abwarten, bis das umgesetzt wird oder bis wir viele schlechte Erfahrungen gesammelt haben. Wir dürfen uns auch nicht davon einlullen lassen, dass der Senat geringfügige Modifikationen machen will, um den KritikerInnen Wind aus den Segeln zu nehmen, oder so tut, als wäre die Privatisierung keine, weil ja alles unter Kontrolle der HOGEWO stünde.

Was wir brauchen, ist der gemeinsame Kampf von Gewerkschaften, Jugendorganisationen und Kräften, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, gegen diesen Angriff. Das bedeutet auch, dass wir die Hand in Richtung der Basis von SPD und Die Linke ausstrecken müssen und sie auffordern, mit der Politik ihrer Parteien aktiv zu brechen und für eine Aufhebung dieser Gesetzesvorhaben zu kämpfen. Diese werden von ihnen als alternativlos bezeichnet und zur „kreativen“ Umschiffung von Problemen schöngeredet, die auf Bundesebene geschaffen wurden, einer Bundesebene, auf der in den vergangenen 4 Jahren die SPD im Schulterschluss mit CDU/CSU regiert hat. Rot-Rot-Grün unterläuft die Schuldenbremse und deren Folgen nicht „kreativ“, sondern macht sich vielmehr zum Erfüllungsgehilfen einer neo-liberalen Politik, die den Reichen Milliarden bringt, Leistungen für die Masse verteuert und verschlechtert.

Widerstand regt sich

Der Widerstand hiergegen regt sich bisher im Kleinen. So gibt es die Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“, die unter anderem zu diesem Thema arbeitet. Sie plant eine Volksinitiative. Bis Mitte des Jahres sammelt sie Unterschriften, damit es hierzu eine öffentliche Abstimmung geben kann. Dies halten wir für eine begrenzte, jedoch begrüßenswerte Maßnahme und fordern zur Unterstützung dieser auf. Genaueres findet Ihr auf ihrer Internetseite (https://www.gemeingut.org/volksinitiative-unsere-schulen-unterschreiben-wie-geht-das/).

Wir halten die Maßnahmen des Senats nicht für alternativlos. Nein, es sind selbstgemachte Probleme. Es sind Eingriffe, die vor allem der Stärkung des deutschen Kapitals dienen. Sie ermöglichen in Zeiten zunehmender Konkurrenz und wirtschaftlicher Unsicherheit „sichere“ Gewinne, für die die Allgemeinheit, also vor allem die lohnabhängige Bevölkerung zu zahlen hat. Zugleich verlagern sie das Problem der fehlenden staatlichen Einnahmen infolge von Jahrzehnten der Steuergeschenke an die Reichen, an Kapital- und VermögensbesitzerInnen. Die Sanierung der Schulen wird nicht aus der Besteuerung der Reichen oder Gewinne und Großvermögen finanziert, sondern „ausgelagert“. Der „linke“ Senat will so gleich zwei politischen und gesellschaftlichen GegnerInnen ausweichen. Einmal den KapitalbesitzerInnen und privaten InvestorInnen, die rasche Gewinne wittern, zum anderen der Bundesregierung, die die Schuldenbremse durchziehen will. Statt den Kampf gegen dieses Gesetz und dessen Umsetzung zu führen, ziehen die HeldInnen aus dem Abgeordnetenhaus lieber ihre WählerInnen und AnhängerInnen über den Tisch.

Das Land mag dann zwar schuldenfrei sein, dafür zahlen die SchülerInnen bzw. deren Eltern mehr. Solche „Haushaltssanierung“ trifft diejenigen, die sich die privatwirtschaftlichen „Angebote“ nicht leisten können. Dieser massive Angriff zeigt eindeutig, auf welche Seite sich die rot-rot-grüne Landesregierung stellt, auf die Seite des Kapitals. Dagegen müssen wir kämpfen!

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3 thoughts on “Berliner Schulen: Stoppt die Privatisierung!”

  1. asisi1 sagt:

    es ist doch heute vollkommen egal, ob kinder zur schule gehen oder nicht!
    die besten Beispiele sind doch bei den Politikern zu finden. vollkommen verblödet und ohne irgendwelche abschlüsse ziehen sie reihenweise in die Parlamente ein. um uns dann zu drangsalieren und befehligen, was zu tun ist. irrer geht’s nimmer!

  2. IW sagt:

    auh die Cariete ist schon längst auf dem Weg der Privatisierung, beginnend mit organisatorischen Abspaltungen, Auslagerungen. für die Tätigen mit bisherigem Status im Öffentlichen Dienst eine starke berufliche Verunsicherung.

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