EU in der Krise – Soziales oder sozialistisches Europa?

Michael Pröbsting/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 35, Juli 2005

Das NON zur EU-Verfassung ist Ausdruck der Krise des Formierungsprozesses eines europäischen imperialistischen Blocks und hat diese zugleich vertieft. Das NON war ein schwerer politischer Rückschlag für die europäischen Bourgeoisien – vor allem für das französische und deutsche Kapital, die treibenden Kräfte hinter dem Vereinigungsprojekt.

Hinter dem NON stehen eine Reihe, miteinander verwobener krisenhafter Prozesse und bislang nicht überwundener innerer Widersprüche des Vereinigungsprozesses.

Ökonomische Krise

Die meisten kontinentaleuropäischen Ökonomien – insbesondere die deutsche – befinden sich seit Jahren in einer stagnativen Periode. Selbst die „Aufschwungsphasen“ der Konjunktur sind durch geringes Wachstum, Massenarbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung gekennzeichnet So betrug das jährliche durchschnittliche Wirtschaftswachstum in der Eurozone 2001 1,6%, 2002 0,9%, 2003 0,5% und 2004 1,8%. Für 2005 wird ein BIP-Wachstum in den Euro-Ländern von 1,5% prognostiziert.

Hinter dieser Krise steckt ein strukturelles Problem der kapitalistischen Weltwirtschaft – die Überakkumulation von Kapital und langfristig fallende Profitraten.

Dies sind notwendige, aus dem Akkumulationsprozess des Kapitals selbst hervortretende innere Widersprüche. Vermittelt über die Konkurrenz sind die großen Kapitale zu einer ständigen Umwälzung ihrer eigenen technischen Grundlagen, zu Rationalisierungen, Steigerung von Produktivität usw. gezwungen. Damit steigt aber auch der Anteil, der von den Unternehmen für Maschinen, Rohstoffe usw. aufgewandt werden muss im Verhältnis zu den Aufwendungen für Arbeitskräfte.

Da jedoch nur die lebendige Arbeit Mehrwert für das Kapital schafft und damit Quelle des Profits ist, sinkt die Profitrate für das Kapital in seiner Gesamtheit.

Natürlich sind auch in solchen Perioden die größeren Kapitale in der Lage, ihre Profite zu steigern – weil sie als fortgeschrittenere Kapitale, aufgrund von Monopolstellungen oder der Ausplünderung der „Dritten Welt“ in der Lage sind, sich Extraprofite anzueignen.

Dieser Prozess ist im kapitalistischen System angelegt. Es hilft daher nichts, sich eine „Marktwirtschaft“ ohne Akkumulation, Zentralisation, verschärfte Konkurrenz usw. vorzustellen. Innerhalb des Kapitalismus ist eine solche Entwicklung unvermeidlich – und sie führt notwendig zu Krisen, die im Rahmen dieses Systems nur durch eine Erhöhung der Ausbeutungsrate, Kapitalvernichtung und Neuaufteilung der Weltmärkte unter den großen Kapitalen und imperialistischen Nationen gelöst werden kann.

Vor diesem Hintergrund zeichnen sich ohne Zweifel wichtige Neuformierungsprozesse des europäischen Monopolkapitals und die Schaffung deutsch-französische geprägter Unternehmen oder Allianzen ab.

Die Formierung eines europäischen Kapitals und Imperialismus, der den USA als führende Weltmacht Paroli bieten kann, ist und bleibt daher das strategische Ziele der deutschen und französischen Kapitalistenklassen und ihrer politischen Exekutiven.

Die Bedeutung der EU-Verfassung

Aber das NON in Frankreich hat deutlich gemacht, wie weit diese Bourgeoisien noch davon entfernt sind.

Auch wenn die Annahme oder Ablehnung der Verfassung an vielen realen Aktionen der EU, an deren sozialen und politischen Zielen nichts ändert, so sollten die Referenden in Frankreich und anderen Ländern dazu dienen, der Verfassung die höheren Weihen des „Volkswillens“ zu  verpassen.

Die Verfassung hätte ein bestimmtes, vorläufiges Stadium der imperialistischen Vereinigung kodifiziert. Ganz sicher wäre aber auch sie – man denke nur an die eher bizarren Entscheidungsstrukturen – nur eine vorläufiges Endprodukt gewesen.

Vorläufig vor allem, weil hinter der Verfassung immer auch das Problem steht, dass die EU aus lange etablierten imperialistischen Mächten besteht, die jeweils auch spezifische, schwer vereinbare Interessen haben. Während sich die deutsche und französische Bourgeoisie dem imperialistischen Vereinigungsprojekt verschrieben haben, versucht die britische Kapitalistenklasse als Juniorpartner der USA zwischen Vereinigten Staaten und EU zu manövrieren.

Angriff

Die ökonomische Krise und die europaweiten massiven Angriffe auf die Lohnabhängigen haben aber auch zu einer massiven Unzufriedenheit und einer Legitimitätskrise bürgerlicher Politik und des gesamten EU-Projekts geführt.

Gerade in Frankreich zeigt sich sehr deutlich, dass die Masse der Bevölkerung und hier vor allem die ArbeiterInnen, Angestellten und Erwerbslosen die EU-Verfassung als einen politischen Ausdruck der Angriffe auf das Bildungswesen, auf soziale Rechte, auf die 35-Stunden-Woche usw. betrachteten.

Die Massenstreiks vom Frühjahr 2005 hatten die Regierung Chirac/Raffarin in die Defensive gebracht und entscheidend zu einem Stimmungsumschwung gegen die EU-Verfassung beigetragen.

Auch wenn in anderen europäischen Ländern keine derartig beeindruckenden Kämpfe stattfanden, keine Massenbewegung gegen die Verfassung mit rund 1000 lokalen Komitees zu Aufklärung und  Mobilisierung der Bevölkerung existieren – so ist doch die Krise der Legitimität der EU allgemein.

Gleichzeitig steckt die Lissabon-Agenda selbst in der Krise. Ihr zufolge sollte die EU bis 2010 zur stärksten und dynamischsten wirtschaftlichen Macht auf der Erde werden. Davon ist sie heute genauso weit entfernt wie vor fünf Jahren.

Auch wenn Millionen Lohnabhängige, SchülerInnen, Studierende, RentnerInnen in den letzten Jahren massive Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen hinnehmen mussten – vom Standpunkt ihrer eigenen Zielsetzungen in der globalen Konkurrenz ist das für das europäische Kapital zu wenig.

Hinzu kommt, dass die Formierung eines europäischen Monopolkapitals eine aktive staatliche Intervention erfordert, die bisher v.a. von Frankreich und Deutschland kommt.

Schließlich zeigt das NON zur Verfassung aber auch, dass eine Art „europäisches Nationalbewusstsein“ bislang nicht existiert. Um einen europäischen imperialistischen Block zu formieren, muss aber auch eine vereinheitlichende Ideologie geschaffen werden, welche Mittelschichten, Kleinbürgertum und privilegierte Teile der Arbeiterklasse an das Projekt eines europäischen imperialistischen Blocks bindet.

Auswirkungen

Der Generalangriff auf die Lohnabhängigen wird in ganz Europa mit unverminderter, ja größerer Schärfe fortgeführt. Auch wenn es in einzelnen Ländern zu kurzfristigen taktischen Rückzügen der herrschenden Klasse aufgrund von Massenmobilisierungen kommen sollte, so nur, um bald noch heftigere Angriffe zu starten.

Ebenso werden die imperialistische Besatzungspolitik im Irak, am Balkan, in Afghanistan sowie die nationale und rassistische Unterdrückung in der EU bzw. an deren Außengrenzen fortgesetzt werden.

Die herrschenden Klassen werden bewusst einen neuen Anlauf zur Formierung eines imperialistischen Blocks nehmen. Auch wenn der genaue Modus (z.B. verstärktes Drängen auf ein „Kerneuropa“) offen ist, kann allgemein folgendes gesagt werden: Ähnlich wie bei bisherigen Krisen des kapitalistischen Vereinigungsprojektes (z.B. Krise des Wechselkurssystems 1992/93, auf die Maastricht und Einführung des Euro folgten) werden wir es auch hier nicht einfach mir einer Wiederholung des Verfassungsprojekts, sondern mit dem Versuch einer qualitativ weitergehenden Vereinheitlichung zu tun haben.

Dieses Geflecht an Widersprüchen und politischen Dynamiken stellt die klassenbewussten ArbeiterInnen und Jugendlichen Europas vor folgende Situation: Einerseits ist die europäische Bourgeoisie gezwungen, ihre schweren Angriffe fortzusetzen und andererseits ist diese fortgesetzte Offensive mit einem Aufschwung der Klassenkämpfe und einer verminderten politische Legitimität des imperialistischen EU-Projektes in den Augen der Unterdrückten konfrontiert. Daraus folgt ein enormes Politisierungspotential und eine gesellschaftliche Sprengkraft für die kommende Periode.

Die europäische Bourgeoisie bzw. die einzelnen Fraktionen können nur voranschreiten, indem sie den bestehenden, bisherigen Status quo der politischen Machtausübung in der EU über Bord werfen und ihre ideologische Rechtfertigung ändern. Bleibt die EU geeint und bleibt sie dabei, die EU-Verfassung oder ein ähnliches Projekt durchzupeitschen, nimmt sie massiven Widerstand der Massen und Risse im eigenen Lager in Kauf.

Macht sie einen Schritt zurück und unterlässt es, die Schritte der ökonomischen Integration durch entsprechende Maßnahmen auf der Ebene der politischen Integration zu begleiten, droht das Projekt der Herausbildung eines einheitlichen europäischen Blocks zu scheitern. Möglich ist auch der Weg, Teile der EU-Verfassung „durchzumogeln“ und ohne Referenden umzusetzen. Doch auch dieser Weg ist ohne ernsthafte öffentlich ausgetragene Konflikte innerhalb der Bourgeoisie und ohne Widerstand der Arbeiterklasse und der Jugend unwahrscheinlich.

Zerfällt die EU in zwei oder mehrere Blöcke – sagen wir einem unter deutsch-französischer Führung und einem pro-amerikanischen – wird dies mit Sicherheit zu enormen Spannungen innerhalb der Bourgeoisie führen und ebenso den Widerstand unter der Arbeiterklasse und der Jugend hervorrufen. In den kommenden Jahren sind daher in Europa massive politische Umbrüche und heftige Klassenkämpfe wahrscheinlich.

Die Legitimitätskrise der EU aufgrund der massiven Angriffe geht auch mit einer, vor allem in Westeuropa zu beobachtenden, Absetzbewegung der Arbeiterklasse von ihren „traditionellen“ Parteien – der Sozialdemokratie – einher. Auch wenn diese ArbeiterInnen und Angestellten nicht mit der reformistischen Ideologie an sich gebrochen haben, so stellt ihr Bruch eine massive Erschütterung lange etablierter Kontrollinstrumente über die Arbeiterklasse dar.

Neue Linke?

In vielen Ländern hat das auch zur Bildung neuer politischer Formationen geführt bzw. zur Schaffung europaweiter Allianzen. In Britannien zeigt sich das in der populistischen Wahlpartei RESPECT, in Deutschland in der Linkspartei.

Vor allem aber bildet sich in Frankreich und in vielen anderen europäischen Ländern um die „Europäische Linkspartei“, attac, Teile der Gewerkschaftsbewegung, Vertreter der Sozialforen sowie „revolutionärer“ Linker (LCR in Frankreich, VS in Europa) eine Bewegung für eine politische Alternative zum „neoliberalen Europa“ heraus.

Zweifellos bietet die Mobilisierung in Frankreich, bieten die „Komitees für das Nein“ eine große Chance, die Initiative in einem europaweiten Abwehrkampf gegen den Generalangriff zu ergreifen, dem Europa des Kapitals eine wirkliche politische Alternative – ein sozialistisches Europa – entgegenzusetzen. Sie bietet die Chance zur Formierung neuer Arbeiterparteien, in denen KommunistInnen und Anti-KapitalistInnen für eine revolutionäre, internationalistische Programmatik eintreten würden.

Die Pariser Versammlung

Eine ganz andere, diesem Ziele direkt entgegen gesetzte Stoßrichtung verfolgen jedoch die führenden politischen Kräfte der französischen NON-Kampagne. Für den 24. und 25. Juni traten in Paris auf Einladung der französischen Unterzeichner des „Aufrufs der 200“ rund 300 VertreterInnen europäischer linker Parteien, von Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Kampagnen zusammen. Rund die Hälfte kam aus Frankreich, die andere Hälfte aus 19 europäischen Ländern.

Aus der Europäischen Linkspartei waren neben der KPF die italienische Rifondazione Comunista, die PDS aus Deutschland, die griechische Partei Synaspismos stark vertreten. Auch die KKE (Griechische Kommunistische Partei) tauchte kurz auf. Von der europäischen „antikapitalistischen Linken“ war neben der LCR auch die DKP anwesend.

Von den Gewerkschaften Europas waren aus Frankreich die CGT, G 10 Solidaires, SUD vertreten, aus Italien CGIL und Cobas, aus Deutschland auch die IG Metall sowie die mazedonische Metallergewerkschaft. Attac wurde neben einer starken französischen Delegation von VertreterInnen aus mehreren europäischen Ländern repräsentiert.

Die Versammlung beschloss im „Konsens“, d.h. mit der überwältigen Mehrheit der anwesenden reformistischen Parteien, Gewerkschaften, attac und anderer Linker die Erklärung „Ein neues Zeitalter kann in Europa beginnen“.

Diese Erklärung beinhaltet eine knappe Zusammenfassung der politischen Ziele und Stoßrichtung eines sich formierenden, europäischen „neuen“ Reformismus: Der Grundgedanke besteht darin, dem „neoliberalen“ Europa ein „soziales, demokratisches, friedliches, feministisches, ökologisches, solidarisches Europa“ entgegenzustellen.

Bewusst findet sich kein Wort über den imperialistischen Charakter des gegenwärtigen Europa. Nicht der Kapitalismus, nicht eine bestimmte Produktionsweise und Gesellschaftsordnung, sondern nur eine „falsche“, neoliberale Politik wird als das eigentliche Problem hingestellt.

Als Subjekt der Mobilisierung sieht man nicht die Arbeiterklasse – überhaupt kommen Klassen im Text ebenso wenig wie Kapitalismus und Imperialismus vor – sondern „die Bürger“, „das Volk“, kurz eine Allianz verschiedener Klassen. So heißt es in dem von verschwommenen Phrasen triefenden Text: „Gemeinsam wollen wir eine breite bürgerliche Bewegung auf europäischer Ebene ins Leben rufen, um in Solidarität mit allen Völkern der Erde eine politische und soziale Dynamik von der örtlichen bis zur europäischen Ebene für eine anderes Europa zu entfalten“.

Das „andere Europa“ soll ein Europa mit anderer, „gerechter“ Verteilung des Reichtums sein. Das Monopol der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln und der imperialistische Charakter des bestehenden Europa werden in keiner Weise angetastet.

Vielmehr ist der Forderungskatalog eine Mischung altbekannter keynesianischer Rezepte, die mit versteckten protektionistischen Phrasen zum Schutz europäischer Nahrungsmittelproduktion garniert werden („ein europäisches Handeln zugunsten der Nahrungsmittelhoheit als ein Grundrecht der Völker“).

Besonders deutlich wird das in der internationalen Politik. Statt sich auf eine gemeinsame Mobilisierung gegen Aufrüstung, Besetzung des Iraks, Afghanistans usw. zu verständigen, wird davon schwadroniert, die „Logik des Krieges und der Militarisierung der Europäischen Union abzulehnen, ein Europa zu schaffen, das zugunsten einer anderen Welt handelt.“

Solche Phrasen sind nichts als reaktionäre pazifistische Floskeln, die erstens zu nichts verpflichten (anders als z.B. eine Aktion gegen die Besetzung des Irak) und zweitens unterstellen, dass eine kapitalistische EU anders als imperialistisch sein und handeln könnte.

Wer wirklich ein Europa schaffen will, das zugunsten einer anderen Welt handelt, muss für ein sozialistisches Europa kämpfen, muss offen die Notwendigkeit einer europäischen Revolution, der Machtergreifung der Arbeiterklasse und der Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa aussprechen.

Niemand sollte sich irgendwelchen pazifistischen Illusionen hingeben: Europa hat nur dann eine sozialistische Zukunft, wenn der Kapitalismus durch eine europaweite proletarische Revolution zerstört wird. Eine solche Revolution ist weder ein Gesetzesantrag, noch kommt sie durch friedlichen Druck auf der Straße zustande. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer Kette von scharfen, revolutionären Klassenkämpfen, bewaffneten Aufständen und der erfolgreichen politischen Machtergreifung der Arbeiterklasse. Das bewusste Ausstreuen von bzw. im Unklaren lassen über Illusionen in einen parlamentarischen, durch bloßes Druck ausüben auf die Herrschenden, friedlichen Weg zum Sozialismus ist nichts anderes als schädliches, gefährliches Treiben der Reformisten und ihrer zentristischen Helfershelfer.

Doch für die neuen europäischen ReformistInnen geht es nicht um den Klassenkampf gegen den weiter laufenden Generalangriff, sondern um eine Kampagne für einen „alternativen Verfassungsentwurf“.

Nachdem in Frankreich Hunderttausende gegen die Angriffe der Regierung gestreikt haben, Millionen über die Komitees mobilisiert wurden, schlägt die Pariser Versammlung keine Vertiefung und Erweiterung des Abwehrkampfes, keine Schaffung einer europäischen Koordinierung aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, sozialistischen, kommunistischen Organisationen vor – sondern „eine Petition (…), die eine grundlegende Änderung der europäischen Politik“ von Chirac, Schröder/Merkel und Blair fordert.

Diese Strategie soll, ausgehend von Paris, auch dem Europäischen Sozialforum verpasst werden. Sie wäre für die sozialen Bewegungen in Europa, für die Arbeiterkämpfe, für den Widerstand gegen Sozialraub, Entlassungen, Krieg und Rassismus fatal.

Diese Strategie entspricht den politischen Zielen und Bedürfnisse des „linken“ Flügels der Arbeiterbürokratie und eines Teils der Mittelschichten. Nachdem einem Teil der Gewerkschaftsapparate die „alte SP“ verloren ging, Teile der Sozialdemokratie mit den offen neoliberalen Angriffen ihrer Parteien unzufrieden sind, bemühen sich diese Strömungen und Formationen wie RC, KPF, PDS/WASG darum, nach links gehende ArbeiterInnen mit alten, im Grunde sozialdemokratischen Rezepten zu integrieren.

Dabei geht es ihnen nicht nur darum, die Ziele der Bewegung in das Korsett eines rein reformistischen Programms zu zwängen, sondern auch eine weitere Klassenmobilisierung zu hintertreiben.

Kein Wunder, denn viele dieser Helden eines „sozialen“ Europas bereiten sich auf die Regierungsbeteiligung in den Nationalstaaten des bestehenden Europas vor. In nächster Zukunft wird das vor allem auf die italienische Rifondazione zutreffen, die Teil des klassenübergreifenden, volksfrontartigen Olivenbaum-Bündnisses ist, dessen Spitzenmann der ehemalige EU-Kommissionspräsident Prodi ist, der für den Verfassungsentwurf und die Lissabon-Agenda mitverantwortlich war!

Hier zeigt sich auch, dass in der politischen Realität das Gezeter gegen das „neoliberale Europa“ oder die „Amerikanisierung“ des Kontinents nur als politische Rechtfertigung zum Eintritt in bürgerliche Regierungen dient, die vorgeblich ein anderes politisches „Modell“ vertreten würden.

Während solche politischen Konzepte durchaus in der politischen Tradition von KPF und anderen reformistischen Parteien stehen, spielen Organisationen wie die LCR eine besonders beschämende und schädliche Rolle, weil sie nicht gegen die reformistische Orientierung ankämpfen, sondern diese selbst euphorisch mittragen.

Die Aufgaben von RevolutionärInnen bestehen jedoch darin, der Strategie der ReformistInnen auf verschiedenen Ebenen entgegenzutreten:

• Der Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes

• Die Einigung Europas durch die Arbeiterklasse, also die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

• Die Notwendigkeit neuer Arbeiterparteien und einer neuen, Fünften Internationale.

Europaweiter Abwehrkampf

Die Notwendigkeit eines europaweiten, koordinierten Abwehrkampfes gegen den fortgesetzten Generalangriff von EU, europäischen Kapitalisten und nationalen Regierungen; eines koordinierten Abwehrkampfes gegen die rassistische Spaltung in Europa, gegen die „Festung Europa“ wie gegen die imperialistische Aufrüstung und Besatzungspolitik ergibt sich zwingend aus den aktuellen und zu erwartenden Angriffen des Kapitals.

Wir dafür ein, dass eine europaweite Koordinierung für den Abwehrkampf auf allen Ebenen geschaffen wird. Diese Forderung richtet sich an alle Organisationen der Arbeiterbewegung, Parteien, die gegen Krieg und Neo-Liberalismus zu kämpfen vorgeben usw., alle Gruppierungen der Anti-Globalisierungsbewegung, die Anti-Kriegsbewegung, Immigrantenorganisationen, Jugendorganisationen, Schüler- und Studentenvertretungen, Antifa-Gruppen.

Zur Koordinierung dieser Aktionen treten wir für den Aufbau von Akionskomitees, Sozialforen- und Bündnissen auf allen Ebenen – lokal, regional, landesweit ein.

Diese Forderung muss auf den kommenden europäischen, nationalen wie lokalen Treffen, bei Sozialforen wie jenem vom 21.-24. Juli in Erfurt offensiv vertreten werden. Die reformistischen Führungen müssen dazu aufgefordert werden, einen solchen Abwehrkampf zu unterstützen und praktische Schritte zur Etablierung einer solchen Koordinierung zu schaffen.

Zweifellos wird die Möglichkeit, sie dazu zu zwingen, von der Mobilisierung der Basis, von der Militanz der AktivistInnen entscheidend abhängen. In jedem Fall kann und soll sie dazu dienen, die Notwendigkeit eigener Mobilisierungsstrukturen zu verdeutlichen.

Die Versammlung der Sozialen Bewegungen beim Sozialforum in Athen im Jahr 2006 müsste daher auch in den Mittelpunkt des Europäischen Sozialforums rücken, um dort verbindliche, gemeinsame Aktionen zu vereinbaren.

Abwehrkampf gegen die sozialen Angriffe!

Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Armut treffen Millionen und Abermillionen in Ost- und Westeuropa. Als vereinheitlichenden Schlüsselforderungen im Abwehrkampf schlagen wir vor:

• Europaweite Einführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!

• Ein Mindestlohn, der von der Arbeiterbewegung des jeweiligen Landes festgelegt wird.

• Kampf gegen Privatisierung des Öffentlichen Dienstes und Massenlassungen!

• Für eine Programm gesellschaftliche nützlicher öffentliche Arbeiten unter Kontrolle der Beschäftigen, Arbeitslosen und KonsumentInnen!

• Progressive Besteuerung der Unternehmen und der Reichen zur Finanzierung diese Maßnahmen.

Der europaweite Aktionstag gegen die geplante Dienstleistungsrichtlinie der EU (auch als Bolkestein-Richtlinie bekannt) am 15.Oktober sollte als erster Schritt zur gemeinsamen koordinierten Aktion genutzt werden – für Massendemonstrationen und Streiks in allen größeren europäischen Städten! Das wäre auch ein Ausgangspunkt für europaweite politische Massenstreiks bis hin zum Generalstreik gegen die Angriffe des Kapitals und der EU-Kommission.

Kampf dem Rassismus!

Die Spaltung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten entlang nationaler und ethnischer Linien ist ein zentrales Problem für einen gemeinsamen Abwehrkampf. Bewusst werden die Spaltungslinien durch die EU und die nationalen Bourgeoisien und Regierungen vertieft. ArbeiterInnen aus Osteuropa und aus den halb-kolonialen Ländern außerhalb der EU werden aus dem westlichen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, institutionalisiert als Beschäftigte zweiter Klasse behandelt oder in die Illegalität gedrängt, wo sie als Billiglöhner zu miesesten Bedingungen schuften müssen.

In der EU werden nationalen und ethnischen Minderheiten wie den Basken oder den Roma ihre demokratischen Rechte verwehrt. Moslemische, türkische oder arabische MigrantInnen sind systematische Hetze und Unterdrückung ausgesetzt. Faschistische und rassistische Kräfte verbreiten das Gift des Anti-Semitismus.

Dagegen kämpfen wir für:

• Gleiche und volle soziale und politische Recht, für alle, die in Europa leben.

• Wir kämpfen gegen alle Einreisekontrollen.

• Für Selbstverteidungsorganisationen der rassistische oder national Unterdrückten gegen faschistische oder rassistische Angriffe auf!

• Weg mit allen reaktionären „Antiterrorgesetzen“!

Gegen Krieg und Besatzung!

Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind offene oder verdeckte Unterstützer der Besetzung des Irak und der US-Kriegsdrohungen gegen andere „Schurkenstaaten“.

• Für den sofortigen Rückzug aller Truppen aus dem Irak!

• Wir unterstützen den legitimen Befreiungskampf des irakischen Widerstandes gegen die Besatzer und den Widerstand der PalästinenserInnen.

Die EU-Staaten sind nicht nur passive Unterstützer der USA. Bosnien, Kosovo, Mazedonien sind praktisch Kolonien der EU. Deutschland führt die Besatzung Afghanistans mit an, Frankreich interveniert regelmäßig in Afrika.

• Nein zu allen EU-Intervention – egal ob unter US-Führung, EU oder UN-Flagge.

• Abzug aller im Ausland stationierten Truppen!

Eine Bewegung gegen den Krieg darf sich dabei nicht auf symbolische Aktionen beschränken. Um die Kriegstreiber der imperialistischen EU zu stoppen und erfolgreich zu bekämpfen, sind Massenaktionen und Streiks notwendig, um die Kriegsmaschinerie und die Nachschublinien zu blockieren.

Die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Die Alternative zur EU-Verfassung eines imperialistischen Europas ist weder die reaktionäre Rückkehr zum „unabhängigen“ Nationalstaat und die Wiedereinführung von DM, Franc und anderer nationaler Währungen, noch die eines „sozialen“, in Wirklichkeit sozialchauvinistischen Europa.

Die kapitalistische Vereinigung Europa, die Herausbildung europäischer Monopole und Unternehmensallianzen kann nicht bekämpft werden, indem man den reaktionären und utopischen Versuch unternimmt, das Rad der geschichtlichen Entwicklung zurückzudrehen.

Vielmehr geht es darum, die Formierung eines europäischen Imperialismus und europäischer Monopole zu bekämpfen, indem die Arbeiterklasse selbst eine politische Antwort auf das Problem europäischer Einigung auf allen Ebenen gibt. Das bedeutet den Kampf für eine Verfassungsgebende Versammlung, um die Empörung über den un-demokratischen Charakter der kapitalistischen Einigung zu bündeln, vor allem aber den Kampf für Vereinigte Sozialistische Staaten, die für die Weltrevolution kämpfen.

Die Frage der EU-Verfassung ist eine demokratische Frage. Es geht dabei um die Verfasstheit einer zukünftigen Föderation. Bislang hat die herrschende Klasse das über eine undemokratische oder plebiszitäre Weise zu tun versucht.

Auch alle zukünftigen Versuche der herrschenden Klasse werden einen ähnlichen Charakter haben, ja aufgrund der inneren Gegensätze der nationalen Kapitalistenklassen haben müssen. Die Frage der Verfassung und der Demokratie kann und muss unter diesen Umständen zu einem Mittel der Mobilisierung der Massen gegen die herrschenden Klassen gemacht werden – nicht indem eine „andere“ bürgerliche Verfassung im luftleeren Raum reformistischer Tagträume entworfen wird, sondern indem eine konsequente demokratische Form des Vereinigungsprozesses eingefordert wird – eine Konstituierende Versammlung, von allen EinwohnerInnen der EU wie der Staaten, die einem Vereinigten Europa beitreten wollen, gewählt wird.

Eine solche Losung hat einen revolutionär-demokratischen Charakter, wenn sie als Mittel der Mobilisierung betrachtet wird, als Mittel, die bürgerlich-demokratischen Hoffnungen und Illusionen gegen die Herrschenden zu bündeln.

Keineswegs muss oder soll die Einberufung einer solchen Versammlung als notwendiger Schritt vor einer sozialen Revolution, vor der Machtergreifung der Arbeiterklasse oder gar als die Lösung der Frage verstanden werden, wie ein zukünftiges Europa gestaltet sein soll.

Sie muss vielmehr als Mittel zur Mobilisierung verstanden werden und als demokratische Forderung, die wahrscheinlich erst nach einer sozialen Revolution verwirklicht werden kann (ähnlich wie die Forderung der Konstituante in der russischen Revolution 1917 in der Mobilisierung der Massen lag und nicht darin, dass vor der Machteroberung durch die Sowjets stattgefunden hätte).

Sollte – wieder erwarten – eine Verfassungsgebende Versammlung vor eine sozialen Revolution einberufen werden, so wäre das nur durch den massiven Druck der Massen möglich und eine solche Versammlung der Kampf darum würden automatisch zum Austragungsort des Kampfes zwischen verschiedenen sozialen Perspektiven, jener des Kapitals und jener der Arbeiterklasse werden müssen.

Die fortschrittlichen Potenzen internationaler Produktion können nur in einer zukünftigen, sozialistischen Gesellschaft wirklich realisiert und gemäß den Bedürfnissen der Menschen entwickelt werden. Daher setzen wir der kapitalistischen EU die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen, die für die Weltrevolution kämpfen.

Wir treten bewusst für ein sozialistisches Europa ein und lehnen die Losung eines „sozialen Europas“ ab. Diese Formel lässt – bestenfalls – offen, welche Klasse in einem solchen Europa herrschen soll. Doch wer das offen lässt, belässt es im Grunde nur dabei, dass jene, die heute herrschen, auch zukünftig herrschen. Das „soziale“ Europa läuft also auf nichts anderes als auf ein sozialdemokratisches, das heißt bürgerliches und imperialistisches Europa hinaus.

Einem solchen Europa können KommunistInnen, können RevolutionärInnen nie ihre Zustimmung geben! Ein solches Europa wäre nur „sozial“ für eine mehr oder weniger große Minderheit der Mittelschichten und besser gestellten ArbeiterInnen, die auf Kosten der Masse der Lohnabhängigen in der EU und den Milliarden auf der Welt einen „Sozialkompromiss“ mit den Herrschenden aushandeln würden. Ein soziales Europa wäre ein sozialchauvinistisches Europa!

Die Formel des „sozialen“ Europa dient aber als Deckmantel für Reformisten und Gewerkschaftsführer, die den europäischen Imperialismus und Kapitalismus nicht in Frage stellen wollen. Statt das imperialistische Europa beim Namen zu nennen und dagegen zu kämpfen, wollen sie es mit sozialer, ökologischer und sonstiger Tünche streichen. Damit wird natürlich kein Kapitalist, kein bürgerlicher Ideologe getäuscht – wohl aber werden die Ausgebeuteten über den Charakter der EU und des Kapitalismus in die Irre geführt.

Ein kapitalistisches Europa ist imperialistisch oder gar nicht. Es kann nicht „sozial“, „ökologisch“, „friedlich“ oder gar „anti-rassistisch“ sein. Ein solches imperialistisches Staatsgebilde kann ebenso wenig wie der deutsche Staat wegreformiert werden. Es muss zerschlagen und durch die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ersetzt werden.

Diese würden die Voraussetzungen schaffen für eine ausgewogene Reorganisation der europäischen und Weltwirtschaft auf Grundlage demokratischer Planung.

Zentrale Probleme wie die Massenarbeitslosigkeit können nur auf dieser Grundlage wirklich gelöst werden. Nur auf dieser Grundlage wäre auch die Überwindung langjähriger nationaler und rassistischer Unterdrückung möglich. Ein sozialistisches Europa würde z.B. das Selbstbestimmungsrecht der Basken verwirklichen, es würde die Möglichkeiten einer Überwindung des nationalen Haders am Balkan schaffen, indem es einerseits den verschiedenen Nationen ihr Selbstbestimmungsrecht, andererseits die Möglichkeiten eines freiwilligen Zusammenschlusses schaffen würde, ohne dass die Profitinteressen der imperialistischen Kapitale wie der nationalen Bourgeoisien dazwischenkommen.

Dazu muss die Macht des europäischen Imperialismus und des Kapitals durch eine europaweite proletarische Revolution gebrochen und durch die Räteherrschaft der Arbeiterklasse ersetzt werden!

Dem Streben der Bourgeoisie, Europa unter ihrem Diktat zu einen, halten wir die Worte des marxistischen Revolutionärs Leo Trotzki entgegen

In der Person der Opposition (der trotzkistischen Opposition, d. Red.) erklärt die Avantgarde des europäischen Proletariats seinen gegenwärtigen Herrschern: Um Europa zu vereinigen, ist es zu aller erst notwendig, die Macht euren Händen zu entreißen. Wir werden das machen. Wir werden Europa vereinigen. Wir werden es gegen die feindliche kapitalistische Welt vereinigen. Wir werden es in eine machtvollen Exerzierplatz des militanten Sozialismus verwandeln. Wir werden es zu einem Eckpfeiler der Sozialistischen Weltföderation machen.“ (Leon Trotsky: Disarmament and The United States of Europe, October 4, 1929)

Neue, Fünfte Internationale

Eine revolutionäre Perspektive ist unmöglich durchzusetzen, ohne eine revolutionäre, kommunistische Partei.

Eine solche Partei kann jedoch nicht einfach proklamiert werden, noch wird sie durch das lineare Wachstum kleiner kämpfender Propagandagruppen entstehen. Dazu ist es notwendig, aktiv in den Ablösungsprozess einer Vorhutschicht der Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie, die wachsende Unzufriedenheit von GewerkschafterInnen und kämpfenden ArbeiterInnen, in die Mobilisierungen der Jugend aktiv einzugreifen. Aktiv eingreifen, heißt dabei vor allem mit einer Perspektive, mit einem Programm, einer Strategie von Übergangsforderungen und einer politischen Taktik zu intervenieren.

Auf ihre Art versuchen die PDS, WASG, KPF, RC, attac, der linke Flügel mancher „traditioneller“ Sozialdemokratie (SPÖ) eine politische Antwort auf dieses „Vakuum“ zu geben und die Radikalisierung der Basis einzufangen und zur Formierung eines „europäischen“ Reformismus zu nutzen.

Einem solchen Projekt loser „Vernetzung“ national-staatlich orientierter Parteien, deren wichtigstes politisches Ziel nach wie vor die Teilnahme an nationalen, bürgerlichen Regierungen ist, stellen wir die Losung einer neuen Internationale entgegen, die sich nicht als Pressuregroup für wiedergekäute, reformistische und sozialchauvinistische Konzepte, sondern als proletarische Kampforganisation gegen Imperialismus und Kapitalismus und für die sozialistische Weltrevolution versteht.

In Deutschland, Frankreich und Britannien bedeutet das, für den Aufbau neuer Arbeiterparteien der Klasse, die nicht Spielball reformistischer Apparate und populistischer Demagogen, sondern Kampfmittel der ArbeiterInnen, der Jugend, der sozialen Bewegungen im Kampf gegen den Kapitalismus sind, einzutreten.

In Ländern wie Italien bedeutet es für den Bruch „linker“ reformistischer Parteien wie RC mit allen Koalitionen mit bürgerlichen Parteien zu kämpfen.

In allen Fällen ist eine solche Taktik dazu da, dass sich RevolutionärInnen in der Aktion, in der politischen Auseinandersetzung mit jenen reformistischen ArbeiterInnen und Jugendlichen zusammenschließen können, die zwar die Notwendigkeit des Kampfes gegen die sozialen und politischen Angriffe, aber noch nicht die Notwendigkeit des Sturzes des Kapitalismus anerkannt haben.

Eine solche Taktik – egal ob die Beteiligung an einer sich neu-formierenden Partei oder die Arbeit in einer bestehenden reformistischen Partei wie RC – muss daher immer mit einem einhergehen: dem offen Kampf für ein revolutionäres Aktionsprogramms.