Arbeiter:innenmacht

„Empire“: Jenseits des Imperialismus?

Eine Kritik an Negris und Hardts „Empire“

von Rodney Edvinsson und Keith Harvey, Revolutionärer Marxismus 33, Frühjahr 2003

Warum wird eine verschwommene Beschreibung von Ökonomie, Politik und Kultur der gegenwärtigen Ära des globalen Kapitalismus zum Kassenschlager? Obwohl Antonio Negri und Michael Hardt ‚Empire‘ eigentlich als postmodernistische Studie über internationale Beziehungen präsentieren, bietet das Buch eine umfassende, wenn auch obskure Darstellung der Wirtschaft, Politik und Kultur der gegenwärtigen Periode. Tatsächlich ist sein Horizont so umfassend, dass es, ironisch gesprochen, als postmodernistische ‚Meta-Erzählung‘ bezeichnet werden kann. Weil es die Ursprünge, die Entwicklung von und den Widerstand gegen ein System von Ausbeutung und Unterdrückung diskutiert, ist es natürlicherweise von Interesse für Marxisten. Dies umso mehr angesichts des unerwarteten Widerhalls innerhalb der antikapitalistischen Bewegung.

Angesichts dieser Popularität wäre es falsch, ein solches Buch zu ignorieren, da es eine ernste Attacke auf den revolutionären Marxismus darstellt. Obwohl es für seinen Begriff von Imperialismus Unterstützung in marxistischen Darlegungen sucht und mit marxistischer Politökonomie kokettiert, um die Entwicklung des modernen Kapitalismus zu erklären, stellt es einen Großangriff auf den historischen Materialismus dar. Es verspottet den dialektischen Materialismus und behandelt Hegel mit speziellem Hass, seine Erkenntnistheorie (Epistemologie) und Seinslehre (Ontologie) seien völlig subjektivistisch. Die Autoren entleeren die Arbeitswerttheorie ihres wissenschaftlichen Inhalts und ersetzen sie durch idealistischen Klimbim.

Im Unterschied zum Marxismus stützt es sich bezüglich des Wesens des bürgerlichen Staates auf bürgerliche Soziologie (besonders Weber) und bedient sich bei den französischen Strukturalisten und Postmodernisten der 1960er Jahre, um die Mechanismen sozialer Kontrolle im Kapitalismus zu erklären. Es widersetzt sich nicht nur der Identifizierung des produktiven Kerns der Arbeiterklasse als des Subjekts sozialer Veränderung und leugnet, dass die organisierte Arbeiterbewegung das Zentrum des Widerstandsprozesses sein sollte. Es verwirft darüber hinaus komplett den Klassenbegriff und bevorzugt stattdessen die amorphe „Menge“ („Multitude“).

Das Empire-Buch richtet sich gegen alle Konzepte von repräsentativer Führung im politischen Kampf (z.B. die Partei) und vertraut auf eine spontaneistische Entwicklung vom politischem Bewusstsein der durch den Kapitalismus Ausgebeuteten und Unterdrückten. Schließlich verkündet es trotz des Radikalismus seiner Analyse nur ein reformistisches Minimalprogramm – in bewusster Opposition zu einem revolutionären und auf den Aufstand ausgerichteten Modell des Widerstands gegen den Kapitalismus.

Das 21. Jahrhundert war diesem Buch nicht günstig gestimmt. Es wurde im Jahr 2000 veröffentlicht, kurz bevor das Kapern der US-Präsidentschaftswahlen durch George W. Bush es der Lobby von Öl und Rüstungsindustrie erlaubte, eine innen- und außenpolitische Richtung einzuschlagen, die die zentrale These des ‚Empire‘ gründlich zerrieben hat.

Eine neue Weltordnung

Negri und Hardt behaupten, dass die Epoche des Imperialismus in den 1970er und 1980er Jahren zu Ende gegangen war und durch die Ära des ‚Empire‘ ersetzt wurde. Das Empire ist charakterisiert durch viele Eigenschaften, aber wesentlich dafür ist das Ende eines globalen Kapitalismus, der durch blanke imperialistische Expansion unter dem Banner von nationalem Eigeninteresse gekennzeichnet ist (1). An seine Stelle tritt ein neues System, kontrolliert durch multilaterale Institutionen des globalen Regierens.

„Unsere grundlegende Hypothese ist deshalb, dass Souveränität eine neue Form angenommen hat, sie eine Reihe nationaler und supranationaler Organismen umfasst, die eine einzige Herrschaftslogik eint. Diese neue globale Form der Souveränität ist es, was wir Empire nennen“ (S.10).

Dies beinhaltet den „Niedergang der Souveränität von Nationalstaaten“, die der Eckfeiler des Imperialismus (besonders des europäischen) war, der „über fremde Territorien Herrschaft ausübte“ (S.10).

Imperialismus wird dadurch definiert, dass er „eigentlich die Souveränität europäischer Nationalstaaten über deren eigene Grenzen hinaus aus (dehnte)“ (S.10), während „das Empire kein territoriales Zentrum der Macht (etabliert), noch auf von vorneherein festgelegten Grenzziehungen und Schranken (beruht)“ (S.11).

Die neuen Formen und Bewegungsmomente imperialer Politik sind untermauert durch die „Verwirklichung des Weltmarktes“ und dadurch einer „neuen Stufe in der kapitalistischen Produktionsweise“, in der das Modell, gemäß dem Staaten der „Ersten“ Welt die „Dritte“ beherrschen, durch eine Welt ersetzt wird, in der die „Erste“ in der „Dritten“ zu finden sei und umgekehrt.

In der Ära des Empire nach dem Kalten Krieg könne es keine imperialistische Macht mehr geben, die die Hegemonie über andere ausübt.

„Viele siedeln die letzte Entscheidungsgewalt, die über die Globalisierungsprozesse und die neue Weltordnung herrscht, in den USA an. (…) Mit unserer grundlegenden Hypothese, wonach eine neue, imperiale Form der Souveränität entstanden ist, widersprechen wir gleichwohl (…). Die Vereinigten Staaten bilden nicht das Zentrum eines imperialistischen Projekts, und tatsächlich ist heute kein Nationalstaat (dazu) in der Lage. Der Imperialismus ist vorbei. Keine Nation kann in dem Sinne die Weltführung beanspruchen, wie die modernen europäischen Nationen das taten“ (S.11-12). (2)

Sie fahren fort, „dass es wichtig wäre, festzustellen, wie das, was vormals Konflikte und Konkurrenz unterschiedlicher imperialistischer Mächte waren, in wesentlicher Hinsicht ersetzt wurde: durch eine Art einzige Macht, die alle überdeterminiert, ihnen eine gemeinsame Richtung und ein gemeinsames Recht gibt, das entschieden postkolonial und postimperialistisch ist. Das ist der Ausgangspunkt unserer Untersuchung: ein neues Rechtsverständnis oder vielmehr eine neue Art, wie Autorität auftritt, eine neue Weise, wie Normen und andere Zwangsmittel des Rechts geschaffen werden, um Vertragstreue zu garantieren und Konflikte zu lösen“ (S.25).

Dieses Buch wurde in der Periode nach dem Golfkrieg geschrieben und wurde beendet vor den Endstadien der Balkankriege der 1990er Jahre. Es ist stark von George Bushs Proklamation einer neuer Weltordnung von 1990 und dem ‚humanitären‘ ideologischen Touch von Clintons Intervention in Somalia beeinflusst.

Aber Negri und Hardt versuchen, diese Ideologien der US-Außenpolitik der frühen 1990er Jahre in einen viel größeren Rahmen zu setzen – den Ursprung und die Entwicklung der politischen und juristischen Konstitution der Vereinigten Staaten, angefangen mit der amerikanischen Revolution. So hoffen sie zu beweisen, dass die Ideologie der „Neuen Weltordnung“ zusammen mit den weitreichenden Veränderungen auf dem Weltmarkt seit den 1970ern eine logische Fortsetzung eines einzigartigen Konzepts von Politik, Demokratie und Staat ist, wie es in der nordamerikanischen Gesellschaft verwurzelt ist, das die USA besonders geeignet macht, um den Übergang vom Imperialismus zum Empire voranzutreiben.

Negri und Hardt verwenden einen großen Teil von ‚Empire‘, um die Herkunft und Entwicklung des Begriffs der ‚Souveränität‘ im bürgerlichen (modernen) politischen Denken zurück zu verfolgen. Sie argumentieren, dass – angefangen von der Renaissance – zwei sich widersprechende Formen von Souveränität beobachtet werden können. Die erste sieht die Souveränität in einer transzendenten Macht, die den Frieden über einer Gesellschaft des Kampfes jeder gegen jeden sichert (Hobbes) oder die Ordnung als Resultat eines Sozialvertrags innerhalb der Zivilgesellschaft aufrecht erhält, auf dessen Grundlage Macht aufwärts delegiert wird (Rousseau).

Die zweite Tradition, die bei den französischen revolutionären Demokraten vor dem Thermidor zu finden ist und auf die Gründungsväter der USA nach der Niederlage jener überging, brach mit „der Tradition der modernen Souveränität“ und leitete Souveränität stattdessen aus der republikanischen Form von Demokratie her. In diesem Arrangement entsteht Ordnung nicht dadurch, dass das Volk Macht einem Souverän überträgt, sondern „aus einem Arrangement innerhalb der Menge, aus einer demokratischen Interaktion der miteinander vernetzten Mächte“. Dies wird verkörpert in einer Verfassung, die die Gewaltenteilung und ein System von Kontrolle und Ausgleich sicherstellt und „die Macht in den Händen der Menge belässt.“ (S.173). Daher residiert Souveränität nicht allzeit an einem Platz, sondern „wird ausgeübt innerhalb eines weiten Horizonts von Aktivitäten“.

„Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung feiert diese neue Vorstellung von Macht ganz unverhohlen. Die menschliche Emanzipation von jeglicher transzendenten Macht gründet auf der Macht der Menge, sich eigene politische Institutionen zu geben und eine Gesellschaft zu bilden“ (S.177).

Darüber hinaus ist diese US-gemäße Form von Souveränität expansiv, umfassend und offen, was sie unterscheidet „von anderen, rein expansionistischen und imperialistischen Formen der Expansion“, die ausschließend sind und andere Mächte, die ihnen gegenübertreten, zerstören. „Diese imperiale Expansion hat weder etwas mit Imperialismus zu tun noch mit denjenigen Staatsgebilden, die auf Eroberung, Plünderung, Völkermord, Kolonisierung und Sklaverei ausgerichtet sind. Im Gegensatz zu solchen Imperialismen geht es dem Empire darum, das Modell der Netzwerkmacht auszuweiten und zu festigen.“ (S. 178)

Schließlich ist der Friede im Kern der Expansion des Empire nicht ein Friede, der einer Gesellschaft des Kampfes jeder gegen jeden aufgezwungen wird, sondern ein Friede, der der Gesellschaft immanent ist.

Was diese Beschreibung sehr klar enthüllt, ist die Unfähigkeit ihrer Autoren, zu unterscheiden zwischen der emanzipatorischen Begrifflichkeit der liberalen amerikanischen Revolutionäre mit ihrer Betonung von Gleichheit der Menschen, universellen Rechten und individueller Freiheit einerseits und andererseits den praktischen Realitäten der Politik einer im Entstehen begriffenen und noch fragmentierten Bourgeoisie, die aber schon ihr Führungsrecht über die neu formierte Nation als die Repräsentantin des ‚Volkes‘ beansprucht. Kurz: sie haben keinen Begriff von Liberalismus als Ideologie.

Weit entfernt davon, dass die US-Verfassung ein Ausdruck einer zweiten und ‚horizontaleren‘ Konzeption von Souveränität ist als das der Gesellschaftsvertragstheoretiker, ist sie eine systematische Anwendung der auf Gesellschaftsvertrag fußenden Theorie von der eingeschränkten Regierung, wie sie von John Locke als Rechtfertigung der ‚Glorious Revolution‘ in England von 1688 konzipiert wurde. Wo jedoch Locke den Kompromiss zwischen Krone und Parlament theoretisieren musste, im wesentlichen ein Kompromiss zwischen der neuen herrschenden Klasse und dem immer noch bedeutenden sozialen Gewicht der alten herrschenden Klasse, mussten Jefferson und Co. mit den Spannungen zwischen der Notwendigkeit einer zentralen Gewalt und den unterschiedlichen internen sozialen Strukturen der verschiedenen Teilstaaten fertig werden. Die spezifische Neuerung der resultierenden Verfassung, ihr Föderalismus, war das Ergebnis.

Wenn wir die Unabhängigkeitserklärung (1776), die ursprünglichen Artikel der Konföderation, die Verfassung von 1787, die sie ersetzen, und die Menschenrechtsdeklaration (Bill of Rights) von 1789, die sie ergänzen, vergleichen, sehen wir notwendigerweise Unterschiede von Betonung und Schwerpunktsetzung zwischen egalitären Ansprüchen, lokaler Autonomie, Graden der Repräsentation und den Imperativen einer geeinten Zentralregierung. Indem ihnen nicht nur das Konzept von Ideologie, sondern auch der Dialektik fehlt, sehen Negri und Hardt hier zwei verschiedene Verfassungsmodelle statt eines Modells, das die Widersprüche der zeitgenössischen politischen und sozialen Strukturen verkörpert.

Der folgende Nachvollzug der Entwicklung dieser zwei angeblich verschiedenen Modelle durch Negri und Hardt ist ein Zeugnis ihres „Einfallsreichtums“ in der Interpretation der unangenehmen Realitäten der US-Geschichte. Ihre Methode ist es im Wesentlichen, allen Augenschein, der ihrer Charakterisierung des ‚horizontalen‘ und ‚einschließenden‘ Wesens der US-Verfassung widerspricht, einfach als Ausrutscher zu behandeln.

Allerdings sind die Autoren nicht ignorant gegenüber der wirklichen Geschichte von US-Völkermorden gegenüber den amerikanischen Ureinwohnern, der hässlichen Geschichte der Sklaverei von Afro-AmerikanerInnen oder den blutigen Kriegen, die von US-Regierungen gegen andere Länder geführt wurden. Wie lässt sich dann diese Geschichte mit der ‚Idee‘ versöhnen?

Erstens mussten die UreinwohnerInnen Amerikas von der ursprünglichen Verfassung ausgeschlossen werden, weil sie nicht in das Verfassungskonzept absorbiert werden konnten, und eliminiert werden mussten, um den Raum zu öffnen; sie waren die „negative Begründung der Verfassung“ (S.182).

Während die Afro-AmerikanerInnen in die Verfassung eingeschlossen waren, wurden sie geringer bewertet als Weiße (wie an der Zahl von Schwarzen gesehen werden kann, die für gewählte Repräsentanten notwendig war gegenüber von Weißen). Dies erkennen Negri und Hardt als Widerspruch an, der „den ideologischen Anspruch auf offene Räume entwertet“, ganz zu schweigen von der „freien Zirkulation, Vermischung, und Gleichheit“ (S.183).

Die brutale staatliche Repression von Arbeiterklasse, der politischen Linken und der Gewerkschaften in der Periode zwischen 1890 und 1918 war ein weiteres Schließen des „offenen inklusiven Raums“ der Verfassung. (3)

Als Resultat dieses inneren Konfliktes mussten sich die USA am Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen zwei Orientierungen entscheiden. Entweder konnte sie den Weg in Richtung der völligen Übernahme des traditionellen Imperialismus nach europäischem Vorbild nehmen, wie dies Theodore Roosevelt vertrat, oder die Herangehensweise von Woodrow Wilson, dem Präsidenten während und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, die das Buch beschreibt als „internationalistische Friedensideologie, um die konstitutionelle Vorstellung von der Netzwerkmacht weiter zu verbreiten“ (S.186).

Beide Präsidenten verstanden, dass der heftige Klassenkrieg und die Macht der großen US-Trusts eine interne Lösung für das Schrumpfen des demokratischen Bewegungsspielraums verhinderten, so dass „sich der amerikanische Progressismus nach außen hin verwirklichen musste“ (S.186).

Aber während Theodore Roosevelt „die Barbaren zivilisieren“ wollte, erstrebte Wilson eine neue Weltordnung auf der Grundlage der Ausdehnung des konstitutionellen US-Projekts, mit der „Vision eines Friedens als Ergebnis eines neuen weltweiten Mächtenetzwerks“ (S.187). Negri und Hardt erkennen, dass dies seinerzeit ein utopisches Projekt war.

Konfrontiert mit dem fortwährenden Widerspruch zwischen der realen Geschichte und ihrer Idealisierung der US-Verfassung und der Tatsache, dass die Regierungspolitik gegenüber den amerikanischen UreinwohnerInnen, den Schwarzen, das Eintreten für die Monroe-Doktrin und die US-Handlungen während des Krieges in Vietnam dazu führten, dass „Länder auf der ganzen Welt (…) mittels imperialistischen Techniken beherrscht und ausgebeutet“ (S.190) wurden, machen Negri und Hardt einen gewissen Rückzieher:

„Vielleicht sollte man das, was wir als Ausnahmen von der Entwicklung imperialer Souveränität dargestellt haben, zusammengenommen als ganz reale Tendenz auffassen, als Alternative innerhalb der amerikanischen Verfassungsgeschichte“ (S.188 f.).

Natürlich nur vielleicht! Denn unbeirrt fahren sie fort: „aus Sicht der USA (…) lässt sich der Vietnamkrieg als letzter Moment der imperialistischen Tendenz betrachten und damit als Übergangspunkt hin zu einem neuen Verfassungsregime. Der Weg des Imperialismus europäischer Art war nun ein für allemal versperrt, und fortan würden die USA wieder zu einer angemessenen imperialen Herrschaft zurückkehren und zugleich eine solche neu entwerfen müssen“ (S.190).

Und die Macht, die diesen Wandel hervorgerufen hat, findet sich angeblich im Widerstand der Völker sowohl in Vietnam als auch in den USA, die kräftig die „Prinzipien der konstitutionellen Macht“ bejaht hätten. Dieser Übergang aus den 1970ern eröffnet die vierte Phase der US-Verfassungsgeschichte: das „globale Projekt der Netzwerkmacht“ (S.191), das im Ende des Kalten Krieges und dem Golfkrieg gipfelte.

„Die wirkliche Bedeutung des Golfkriegs liegt vielmehr in der Tatsache begründet, dass die USA die einzige Macht waren, die für internationale Gerechtigkeit sorgen konnte, und zwar nicht aus eigenen nationalen Erwägungen heraus, sondern im Rahmen des globalen Rechts“ (S.192).

Woodrow Wilsons Zeit ist gekommen, wenn auch in der eigentümlichen Verkleidung als George Bush senior. Eine kritische Facette der Herrschaft des Empire war in die US-Außenpolitik der 1990er eingebettet.

„Die imperiale Ordnung lässt sich jedoch nicht durch die bloße Wirksamkeit rechtlicher Sanktion und die zu deren Durchsetzung erforderliche militärische Macht legitimieren. Dies bedarf vielmehr der Setzung internationaler Rechtsnormen, welche die Macht des hegemonialen Akteurs dauerhaft und legal begründen“ (S.192).

George Bush erbte eine Ehrfurcht gebietende Aufgabe: „Nach dem Ende des Kalten Krieges sollten die USA diesen komplexen Entstehungsprozess einer neuen internationalen Rechtsordnung sichern und ihr Rechtswirksamkeit verleihen. (…) Noch einmal sei betont, dass (die US)- Verfassung imperial und nicht imperialistisch ist: sie ist imperial, weil sie im Gegensatz zum Imperialismus, der stets darum bemüht ist, seine Macht linear auf geschlossene Räume auszuweiten und die unterworfenen Länder zu besetzen, zu zerstören und der eigenen Souveränität zu unterwerfen, auf dem Modell beruht, einen offenen Raum neu zu organisieren und unablässig auf unbegrenztem Raum vielfältige und singuläre Netzwerkbeziehungen neu zu schaffen“ (S.193 f.).

So wurde am „Ende der Geschichte“ die Schlacht zwischen der wesentlich offenen, grenzenlosen, einschließenden und globalen Konzeption von politischer Souveränität aus der US-Verfassung und der hässlichen, gewalttätigen, nationalen und imperialistischen Praxis der US-Regierungen schließlich vom Geist der amerikanischen Gründungsväter gewonnen!

So wenig diese Argumentation überzeugt, so liegt die tatsächliche Widerlegung von ‚Empire‘ nicht so sehr in der Geschichte der US-Außenpolitik als vielmehr in deren Gegenwart. Die humanitäre Rhetorik und der Rückgriff auf UNO-Legitimation für US-Aktionen waren sehr kurzlebig. Der Gebrauch von supranationalen Institutionen, um US-imperialistische Interessen zu betreiben, erwies sich in der Mitte der 90er Jahre als zu problematisch und beschränkend und wurde letztlich nach dem 11. September aufgegeben, als die USA zu einer ungeschminkt unilateralen, nationalen Grundlage für ihre Außenpolitik zurückkehrten.

Weit davon entfernt, dass nationalstaatlich basierte imperialistische Ansprüche auf die äußere Welt überflüssig geworden wären, kehrten sie umso heftiger zurück. Die USA suchen keine koloniale Wiederinbesitznahme (‚Nationsbildung‘ im Sprachgebrauch des Weißen Hauses), aber sie vermeidet alle Versuche der Etablierung einer globalen juristischen Gewalt oder von Institutionen, um ihre Handlungen zu legitimieren, jeden Begriff von ‚globalem Recht‘, der nach Negri und Hardt das Herz des imperialen Projekts sei.

In ihrem globalen ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ verweigert das Weiße Haus tatsächlich die Anerkennung der Souveränität von Nationalstaaten – außer für sich selbst! Es überwindet nicht das Konzept der nationalstaatlichen Souveränität zugunsten einer Totalität von globalen Rechten, sondern reserviert sich einfach selbst das Entscheidungsrecht darüber, wie viel Souveränität welcher Staaten es als legitim anerkennt. Entsprechend erklärt es seine eigene Freiheit der Aktion, um in die Angelegenheiten aller anderen Staaten zu intervenieren mit der Begründung, seine eigenen ’nationalen‘ Interessen zu schützen.

Frances Fukuyama hat eine bessere Einschätzung der US-Verfassungsgeschichte als die Autoren von ‚Empire‘: „Die Amerikaner neigen dazu, keine andere Quelle von demokratischer Legitimität zu sehen als die des konstitutionellen demokratischen Nationalstaates“ (Los Angeles Times). Jede internationale Organisation kann in den Augen der USA nur dann Legitimität gewinnen, wenn die Machtbefugnisse nach oben hin verhandelt wurden und jederzeit einseitig annulliert werden können.

Wenn irgendwelche imperialistischen Mächte tatsächlich eine organische Tendenz dazu haben, Souveränität nach oben weg vom Nationalstaat zu delegieren, dann sind es die kontinentaleuropäischen. Ironischerweise sehen Negri und Hardt Europa als mit dem Kainsmal aggressiver Kolonisation auf der Stirn gebrandmarkt. Tatsächlich aber zwang die Erfahrung des Zweiten Weltkrieges die herrschenden Klassen von Deutschland und Frankreich dazu, einen weiteren interimperialistischen Krieg zu vermeiden, der auf Grundlage „der ungezügelten Ausübung von nationaler Souveränität“ entstehen könnte. In diesem Sinn ist das paneuropäische Projekt dieser Nationalstaaten zu verstehen, das tatsächlich ein Versuch ist, den Nationalstaat auf eine regionale Ebene zu heben. Aber das führte die europäischen Mächte dazu, weitaus aktiver als die USA an die ‚internationale Gemeinschaft‘ zu appellieren, um diplomatische oder militärische Aktionen zu legitimieren und zu versuchen, einen internationalen juristischen Rahmen für deren Durchführung aufzubauen.

Negri und Hardt nehmen die US-Rhetorik von der ‚Neuen Weltordnung‘ beim Wort. Aber als die 1990er voranschritten, vergrößerte sich auch der Abstand zwischen der ökonomischen und politischen Macht der USA und der ihrer Rivalen. Mit der Zeit gab ihr dies das Vermögen, die Notwendigkeit von multilateralen Antworten auf die Probleme der Zeit nach dem Kalten Krieg beiseite zu fegen.

Immer öfter werden die Vereinten Nationen übergangen, sogar lächerlich gemacht und andere imperialistische Mächte eingeschüchtert oder ignoriert. Konflikte in Bezug auf Handels- und Umweltregulierungen haben sich vermehrt, nicht verringert. Auch wenn einige konfliktlösende Institutionen intakt bleiben (WTO), sind sie Schauplätze wachsender Antagonismen, während andere an den Rand gedrängt (z.B. UNO) oder neue abgelehnt werden (ICC, der internationale Strafgerichtshof).

Diese Entwicklungen sind insbesondere wichtig, als sie die zentrale Idee der Konstitution des Empire widerlegen, den Übergang „vom traditionellen internationalem Recht, das festgelegt wurde durch Vereinbarungen und Verträge, hin zur Definition und Konstitution einer neuen souveränen, supranationalen Weltmacht.“ (4)

Negri und Hardt glauben, dass die juristische Legitimation für diese imperiale Macht nicht einfach in den globalen multilateralen Institutionen wie den Vereinten Nationen liegen kann oder, wenn sie dies momentan tut, so ist dies nur Teil eines Übergangs zu einer neuen imperialen Ordnung des Rechts. Dies muss so sein, nachdem diese Organisationen selbst vertragsbasierte Mechanismen sind, die auf dem System des Nationalstaates beruhen. Dagegen wäre:

„Der Ursprung der imperialen Normativität (…) aus einem neuen Apparat entstanden, einem wirtschaftlich-industriell-kommunikativen Apparat – kurz: einem globalen biopolitischen Apparat“ (S.54).

Daher würden gesellschaftliche Produktion und juristische Legitimation nicht getrennte Dinge sein, die eine die Basis und das andere der Überbau, sondern beides wäre vermischt: Ökonomie und Politik in Kombination. In ‚Empire‘ ist nicht klar, wie die spezifischen ideologischen oder legalen Komponenten des imperialen Rechts aussehen werden. Aber klar ist, dass es in Richtung supranationale Ideologien geht. Nachdem der globale Kapitalismus ’nahtlos‘ zusammengefügt ist, die Unterschiede zwischen „Erster“ und „Dritter“ Welt hinfällig sind und der Nationalstaat bedeutungslos geworden ist, kann es keine Frage nach Legitimation für Gewalt oder Intervention durch Bezug auf partikulare, egoistische oder beschränkte Interessen mehr geben. Dies würde bedeuten, die Tatsache zu verkennen, dass es im Empire keine ‚externe‘ Welt mehr gibt, in die hinein sich eine andere Entität selbst projizieren kann.

Aber schon vor dem 11. September war klar, dass der US-Imperialismus immer mehr Abstand von einer Welt nahm, die auf multilateralen Verträgen basiert und einen globalen, quasi juristischen Rahmen für seine Handlungen und die anderer Staaten anzuerkennen sich weigerte. Schon beim Amtsantritt zog Bush die Unterstützung der Verträge von Kyoto zurück, die auf eine globale Regulierung von Emissionen abzielten. Seine Regierung fuhr fort, die Vereinten Nationen durch Verweigerung von Beitragszahlungen zu erpressen. Das Weiße Haus intrigierte erfolgreich, um den Vorsitzenden der internationalen Kommission für die Inspektion von Chemiewaffen aus dem Amt zu drängen.

Nach dem 11. September brach die Bush-Administration sogar noch entschiedener mit dem Multilateralismus. Eine neue Doktrin der ‚Prävention‘ wurde ausgerufen, die besagt, dass die USA sich das Recht nehmen, souveräne Staaten zu besetzen und ihre Regierungen zu stürzen, wenn sie sie als feindlich gegenüber US-Interessen ansehen.

Alle früheren größeren Interventionen durch US-Streitkräfte im Ausland waren noch gerechtfertigt worden als basierend auf dem Prinzip der ‚kollektiven Selbstverteidigung‘, z.B. durch regionale Organisationen wie die Südostasienpaktorganisation (SEATO) oder die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Die geplante Invasion im Irak stellt eine noch nie da gewesene Zurückweisung von internationalen legalen Konventionen dar, die solche amerikanischen Präsidenten wie Woodrow Wilson, Franklin Roosevelt und andere unterzeichnet hatten und die von Negri und Hardt als Beispiele für die Doktrin des Empire angeführt werden.

Während des Sommers 2002 erzeugte die Bush-Administration enormen Druck, um Dutzende von Regierungen dazu zu bringen, gegen Maßnahmen nach Artikel 98 zu opponieren, um zu verhindern, dass irgendwelche beschuldigten US-Bürger an den internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert werden könnten. Ein neues Gesetz, das American Servicemembers‘ Protection Act, ermächtigt zum Gebrauch von militärischer Gewalt, um Beschuldigte aus den USA oder von Verbündeten aus der Haft durch den Gerichtshof, der sich in Den Haag, in den Niederlanden, befindet, zu befreien!

Tatsächlich war diese Weigerung einer Hegemonialmacht, ihre Bürger dem Recht anderer Länder zu unterwerfen, auch ein Kennzeichen des römischen Imperiums und des britischen Empire. (5)

Kürzlich erklärten die USA, dass sie beabsichtigten, die Verhandlungen über den UNO-Plan, eine Konvention gegen Folter durchzusetzen, neu zu eröffnen. Internationale Beobachter sind O.K. im Irak oder in China, aber das Protokoll, das momentan diskutiert wird, könnte einer internationalen Kommission auch erlauben, US-Praktiken zu untersuchen. Auch US-Gefängnisse könnten dann einer internationalen Inspektion unterzogen werden.

Schließlich ist das Pentagon besorgt darüber, dass die Terrorismusverdächtigen, die ohne Gerichtsverfahren und Rechte auf dem Marinestützpunkt Guantanamo und in Afghanistan gefangen gehalten werden, durch eine internationale Menschenrechtskommission besucht werden könnten. Tom Berry bemerkte dazu: „Dieses Protokoll würde nicht nur unsere souveränen Rechte verletzen, Gefangene hart anzufassen oder zu foltern, sondern würde das Recht dazu auch für unser 50- Staaten-System einschränken. Wenn Amerika eine neue außenpolitische Initiative konzipiert, beruft man sich gewöhnlich auf die gottgegebenen US-geschützten Rechte von Freiheit und Freizügigkeit, aber niemandem, wie auch immer, wird es erlaubt sein, uns zur Rechenschaft zu ziehen“.

Berry hat kürzlich die Gesamtheit der Bush-Doktrinen treffend zusammengefasst in der Formel ‚Amerika zuerst‘. Dieses Credo ist zugleich isolationistisch und „internationalistisch“ in dem Sinn, dass die USA einerseits frei gehalten werden von verwickelten Verträgen und Verpflichtungen und andererseits, dass die Administration notwendigerweise ihren großen Prügel und die große Brieftasche im Ausland ausspielen muss, weil ihre nationalen Konzerninteressen weltumspannend sind.

„Amerika zuerst bedeutet die Ausübung von Macht uneingeschränkt von Gesetzen oder Normen. Amerika ist der selbst ermächtigte Exekutor, der ultimative Richter von gut und böse, der einsame Polizist. Als Supermacht gewährleisten wir nicht, dass Gesetze aufrechterhalten werden. Vielmehr stehen wir selbst über dem Gesetz.“ (6)

Unglücklicherweise für Negri und Hardt ist der Übergang zu einer Weltordnung auf der Grundlage von supranationalen Institutionen zum Stillstand gekommen bzw. hat sich ins Gegenteil verkehrt. Die USA projizieren sich immer mehr in eine externe Welt, um ihre eigenen beschränkten Prioritäten und Interessen einer Welt aufzuzwingen, die sehr verschieden von ihr selbst ist. (7)

Wir sind unmittelbar Zeuge der Verallgemeinerung der besonderen Beziehung, die die USA in den letzten 150 Jahren mit Lateinamerika hatte. Seit Präsident Monroe erklärt hatte, dass die Region der ‚Hinterhof‘ der USA sei, fühlte sich Washington berechtigt, anderen imperialistischen Mächten jegliche Einflussnahme zu untersagen, die nationale Souveränität beiseite zu schieben durch Invasionen (z.B. Kuba, Nicaragua, Haiti, Grenada) gewählte Regierungen zu unterminieren oder zu stürzen – in Zusammenarbeit mit reaktionären einheimischen Kräften (z.B. Guatemala, Chile).

Heute meinen die USA, was gut für Lateinamerika ist, sei gut für den ganzen Planeten. Das Weiße Haus sieht keine Notwendigkeit, die Einflusssphären anderer imperialistischen Mächte oder die Souveränität anderer Nationen zu respektieren. Die vernünftige Erklärung dafür ist „nationales (d.h. Monopol-) Interesse“. Sahen sich die USA unmittelbar nach dem Kalten Krieg noch als ‚erste unter gleichen‘, sehen sie sich jetzt als etwas Besseres als der Rest.

Es ist die Methode von Negri und Hardt, die sie zu verstehen hindert, wie das Partikularinteresse eines einzelnen Nationalstaates sich für die ganze Welt verallgemeinern kann. Für sie wird der Nationalstaat irrelevant durch die „Vollendung des Weltmarktes“, während tatsächlich vor allem ein Nationalstaat vor allen anderen die treibende Kraft hinter dieser ‚Vollendung des Weltmarktes‘ war.

Mit Hilfe der Dialektik können wir verstehen, wie der Weltmarkt sowohl mehr ist als die Summe seiner einzelnen nationalstaatlichen Teile, wie er gleichzeitig eine Funktion von Konkurrenz und Konflikt zwischen Nationalstaaten sein kann, in der einige mehr prosperieren als andere.

Kurz gesagt: Negri und Hardt hätten die fruchtbare Methode der ungleichen und kombinierten Entwicklung verwenden sollen, um die gegenwärtigen internationalen Beziehungen zu studieren!

Imperialismus als Weltwirtschaft

Verfehlen es Negri und Hardt, die Existenz eines postimperialistischen Modells von globaler politischer Souveränität zu beweisen, was ist dann mit ihrem Versuch der Herleitung einer postimperialistischen politischen Ökonomie?

Hier übernehmen sie am meisten Bruchstücke des Marxismus, aber unglücklicherweise plündern sie die falsche marxistische Quelle – Rosa Luxemburg.

Sie stimmen der Marx`schen Theorie des Kapitalismus zu, weil sie richtigerweise den inneren Zusammenhang zwischen dem Kapital und der ihm innewohnenden Tendenz zur Ausdehnung und Überwindung von Grenzen betont. Sie argumentieren dann aber fälschlicherweise, dass Marx den Impuls zu dieser Expansion in der Unfähigkeit gesehen habe, den gesamten produzierten Mehrwert innerhalb des Kapitalkreislaufs selbst zu realisieren. Sie meinen, Marx ginge davon aus, dass die „einzig wirksame Lösung für das Kapital darin besteht, außerhalb des eigenen Bereichs zu suchen und nichtkapitalistische Märkte zu entdecken, auf denen Waren zu tauschen sind und deren Wert realisiert werden kann“ (S.236).

Ihrer Meinung nach lieferte Rosa Luxemburg den theoretischen Rahmen dafür in ihrer Theorie des Imperialismus. Luxemburg ging von einer Kritik an den Marx’schen Reproduktionsschemata im Band II von ‚Das Kapital‘ aus, von denen sie behauptete, dass sie die gefährliche Illusion begünstigten, dass ein stabiles gleichgewichtiges Wachstum in einer geschlossenen kapitalistischen Wirtschaft möglich wäre. Bemerkenswert an ihrer Präsentation von Luxemburg ist, dass Negri und Hardt nicht die Kritik dieser Theorie in Betracht ziehen, die durch Bucharin, Grossmann und viele andere seither geleistet wurde.

Man muss Rosa Luxemburg zugute halten, dass sie nach 1902 versuchte, die revisionistische Behauptung zurückzuweisen, Band II von Marxens Kapital würde beweisen, dass der Kapitalismus endlos zu reproduzieren fortfahren könnte, solange die richtigen Proportionen zwischen den verschiedenen Abteilungen der kapitalistischen Produktion beachtet würden; kurz, dass es keine inhärente Tendenz des Kapitalismus zum Zusammenbruch gäbe.

Sie beharrte darauf, dass der Kapitalismus zum Untergang verurteilt ist, dass der Imperialismus das letzte Stadium des Kapitalismus sei, aber um dies zu „beweisen“, ging sie davon aus, mit ihren revisionistischen Gegnern darin überein zu stimmen, dass Band II tatsächlich das bewiese, was diese behaupteten. Anders als sie schloss sie jedoch, dass Marxens Reproduktionsschemata falsch wären und lehnte sie deshalb als ‚blutleere Fiktionen‘ und ‚leblose Abstraktionen‘ ab, die von logischen Fehlern durchdrungen seien.

Sie begann ihre Kritik an Marx, indem sie sich dieselbe Frage stellte wie Marx selbst in Band II: Wie kann der gesamte produzierte Mehrwert realisiert werden; kurz, wo ist der Markt für die Waren, die diesen Gesamtmehrwert verkörpern, der akkumuliert wird und in die erweiterte Akkumulation eingeht?

Sie behauptete, dass es in Marxens Schemata, in denen nur Arbeiter und Kapitalisten vorkamen, keinen Markt für und keine Konsumenten derjenigen Waren geben könne, die den Teil des Mehrwerts verkörpern, der nicht für die individuelle Konsumtion der Kapitalistenklasse, sondern für Kapitalakkumulation vorgesehen ist (d.h. für die Beschäftigung von mehr Arbeitskraft und Maschinen im nächsten Zyklus der Produktion). Daher beschuldigte sie Marxens Schemata, eine ‚blutleere theoretische Fiktion‘ zu sein, da, wenn der Kapitalismus keinen Markt für seine erweiterte Reproduktion (die das Wesen des Kapitalismus ist) herstellen könne, es einen nichtkapitalistischen Markt geben müsse, was der Ursprung von Imperialismus und seiner Expansion sei.

Aber Luxemburg lag hier falsch. Marx entwarf seine Schemata, um die Möglichkeit zu demonstrieren, dass Kapitalisten und Arbeiter einen ausreichenden Markt für die Realisation des Gesamtmehrwerts liefern, einschließlich des Teils, der für die Akkumulation bestimmt ist. Die Antwort von Marx auf die Frage von Luxemburg war einfach: die Kapitalistenklasse stellt den Markt für die zusätzlichen Mittel von Produktion und Konsumtion direkt und indirekt selbst her, die in Abteilung I (Produktionsmittel) und Abteilung II (Konsumtionsmittel) produziert werden.

Die Unternehmer der Abteilung II brauchen und kaufen zusätzliche Produktionsmittel aus der Abteilung I, die Kapitalisten der Abteilung I nutzen das so erzielte zusätzliche Surplus teilweise, um mehr Arbeitskräfte zu kaufen. Die ArbeiterInnen geben ihre Löhne für zusätzlich in Abteilung II hergestellte Verbrauchsgüter aus.

Alles, was notwendig ist, damit dies funktioniert, ist, dass das korrekte Verhältnis zwischen dem Output von Abteilung I und II gewahrt wird. Luxemburg kannte die Antwort von Marx, aber lehnte sie ab, weil sie sagte, dass dies das Problem bloß in die Zukunft verschob und dadurch behauptete, dass der Kapitalismus unbegrenzt vorangehen könne. Sie verstand nicht Marxens dialektische Methode und was dabei die spezielle Rolle von Band II ist. Luxemburg und die Revisionisten verwechselten Marxens Schemata mit dem real existierenden Kapitalismus. Die Revisionisten hielten sie für eine korrekte Beschreibung, Luxemburg für eine leblose Fiktion, die die tatsächliche Entwicklung des Imperialismus nicht beschreiben könne.

Dagegen waren sie ein unverzichtbarer theoretischer Schritt in seiner Analyse zum konkreten Kapitalismus hin, ein Schritt, den Marx nie für eine genaue Darstellung des Kapitals in der Totalität seiner konkreten Bewegung gesehen hat. Er wollte die Möglichkeit von erweiterter Reproduktion unter allen konkreten Umständen demonstrieren, aber nicht ihre Unvermeidbarkeit.

Marx abstrahiert in seinen Schemata von all denjenigen konkreten Elementen, die zum unvermeidlichen Zusammenbruch der Akkumulation führen – besonders vom Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals und dem tendenziellen Fall der Profitrate, was er nicht vor Band III mit einbezog.

Tatsächlich war Luxemburgs eigene Erklärung für die Expansion des Kapitalismus in keiner Weise eine Antwort, wie Bucharin nachwies. Sie behauptete, dass die nichtkapitalistischen Produzenten erst ihre Güter an die Kapitalisten verkaufen müssten, um ihrerseits die Waren von ihnen kaufen zu können, die den für die Akkumulation bestimmten Teil des Mehrwerts verkörpern; kurz, es muss Tausch zwischen Kapitalisten und Nichtkapitalisten vorliegen. Aber in diesem Fall ändert der nichtkapitalistische Charakter dieser ‚dritten Personen‘ nichts am Problem, da auf der Ebene der Zirkulationssphäre, auf der sich das Problem stellt, der kapitalistische oder nichtkapitalistische Charakter des Käufers irrelevant ist. Tatsächlich endet Luxemburg dabei, zuviel zu beweisen. Weil die Existenz eines nichtkapitalistischen Markts das Problem, das sich ihr stellte, nicht löste, musste ihre Schlussfolgerung sein, dass kapitalistische Akkumulation überhaupt nicht funktionieren kann!

Warum kramen Negri und Hardt eine im Marxismus längst diskreditierte Imperialismus-Theorie wieder hervor, um ihre Argumentation zu begründen? Nicht, weil sie ein Fünkchen logischer oder empirischer Konsistenz besäße, sondern in ihr eigenes Schema passt: dass der Imperialismus sich externalisiert, bis er alles erreichbare „Andere“ aufgesogen hat, indem er für sein Überleben die Verwandlung der nichtkapitalistischen Länder in kapitalistische betreiben muss. An diesem Punkt muss sich eine Metamorphose des Imperialismus in etwas anderes ereignen.

Für Luxemburg war dieses Andere entweder Sozialismus oder Barbarei, entweder eine fortschrittliche Überwindung der Widersprüche auf der Basis der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, oder ein Rückfall.

Für Negri und Hardt dagegen werden die Widersprüche der imperialistischen Stufe auf der Basis des Privateigentums überwunden und führen daher zu einer fortschrittlicheren, postimperialistischen Form des Kapitalismus.

„Gleichwohl muss man doch sagen, dass die Errichtung des Empire einen Schritt nach vorn markiert…Das Empire ist also in dem Sinne besser, in dem Marx darauf bestand, dass der Kapitalismus besser sei als die Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen, die ihm vorausgingen…Entsprechend können wir heute sehen, wie das Empire die grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich dabei das Potenzial der Befreiung verstärkt“ (S.57). (8)

Folgerichtig lehnen Negri und Hardt die Verteidigung von Nationen ab, selbst wenn dies ein „Instrument der Verteidigung gegen die Beherrschung durch ausländisches und/oder globales Kapital“ (S.58) ist. Sie sehen die Verteidigung des ‚Lokalen‘ als bedeutungslos an, angesichts der Durchdringung des ‚Globalen‘, die diese Unterscheidung irrelevant macht. Offensichtlich sind sie auch in diesem Punkt ‚Luxemburgisten‘. Man kann dem Empire nur von innen widerstehen – mit einer Totalisierung des Widerstandes. Daher ist die Unterscheidung zwischen unterdrückten und unterdrückenden Staaten in einem qualitativen Sinn ausgelöscht worden. (9)

Die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen Kapitale verschwinden ebenfalls. Eine wirklich globale Macht formiert sich, im Unterschied zum alten Imperialismus, der auf der Souveränität von Nationalstaaten beruht. Lenins Prinzip, dass Imperialismus zum Weltkrieg führt, der die Welt an den Rand der Barbarei bringt, gilt nicht mehr im Empire. Dieses könne eine friedlichere Beziehung zwischen den alten imperialistischen Mächten herstellen. Auch wenn Gewalt und kleinere Kriege eine fortgesetzte Rolle spielen, um die Unterdrückten der Herrschaft des Empire zu unterwerfen, so sind dies eher Polizeiaktionen als Kriege zwischen vergleichbar starken Mächten.

Dieses ganze Szenario beruht jedoch auf der falschen Ausgangstheorie von Luxemburg. Ohne diese haben unsere Theoretiker nichts, womit sie die innere Natur und Widersprüchlichkeit der imperialistischen Etappe des Kapitalismus ‚erklären‘ könnten; nichts, was auf eine postimperialistische Etappe des globalen Kapitalismus hinweisen könnte. Sie versäumen es, zu beweisen, dass der Kapitalismus über den Imperialismus hinausgehen muss, um zu überleben, weil sie mit Luxemburg bei einem Scheinproblem aussteigen. Wenigstens versuchte Luxemburg, die Zusammenbruchstheorie (letztes Stadium des Kapitalismus) gegen revisionistische Versuche zu beweisen, dass der Kapitalismus unendlich fortschreiten könnte, aufrecht zu erhalten. Negri und Hardt dagegen stimmen letztlich mit den Revisionisten darin überein, dass sich der Kapitalismus endlos reproduzieren könne.

Was für sie passiert, ist, dass das ‚Äußere‘ erobert wurde. Alles ist heute ‚innerhalb‘ des Kapitalismus. Der Kapitalismus löst die Widersprüche, die durch das Aufsaugen der Welt entstanden sind, durch Akkumulation auf einer intensiveren Ebene. Hier treffen sie (S. 237 f.) eine Unterscheidung zwischen formaler und realer Subsumtion der Arbeit, eine von Marx übernommene Begrifflichkeit. Die formelle Subsumtion der Arbeit besteht in quantitativer Ausdehnung von Arbeit, einem Prozess, der vor allem die Form der Ausdehnung der Grenzen des kapitalistischen Marktes annimmt, d.h. einer Form der extensiven Akkumulation. Reale Subsumtion dagegen resultiert aus einer Intensivierung der Kapitalakkumulation. Für Negri und Hardt macht es den Übergang von Imperialismus zu Empire aus, wenn die reale Subsumtion die dominierende Rolle zu spielen beginnt. Sie erläutern jedoch nicht genau, wie denn dies erklären kann, dass das Empire das überwinden kann, was nach ihnen die Krise des Imperialismus ausmacht – das Fehlen eines nichtkapitalistischen Sektors.

In Lenins Imperialismustheorie, seiner Definition in fünf Punkten, ist der nichtkapitalistische Sektor weder notwendige Voraussetzung von Kapitalismus noch von Imperialismus. Kapitalismus kann als geschlossenes System existieren. Imperialismus kann eine Beziehung zwischen Kapitalismus und einem nichtkapitalistischen Wirtschaftssystem sein, aber er kann sich auch manifestieren im Zusammenprall von einem stärkeren und einem schwächeren Kapitalismus. Imperialismus ist kein Weg, das Problem der Realisierung des Mehrwerts zu lösen, sondern neue Felder der Kapitalakkumulation zu finden, vor allem in der Form des Kapitalexports.

Kapital kann auf Kosten nichtkapitalistischer Organismen expandieren, aber auch auf Kosten anderer Kapitale oder durch deren Einverleibung; daher läuft die Tendenz zu Konzentration und Zentralisation parallel zum Prozess der Zerstörung der nichtkapitalistischen Formen. Imperialismus ist eine Kombination dieser beiden Phänomene. Ob dies mit Hilfe militärischer Eroberung erreicht wird oder ob es möglich ist, formal unabhängige Länder auszubeuten, was Lenin ‚Halbkolonien‘ nennt, hängt völlig von den Umständen und Mächtegleichgewichten ab.

Das Argument, dass der Kapitalismus zu einem Stadium der intensiveren Akkumulation übergegangen sei, weil er die ganze Welt erobert hat, ist ebenso anzweifelbar. Der Zusammenbruch des Stalinismus hat ein Drittel der Welt für eine weitere extensive Akkumulation geöffnet und viele kapitalistische Länder der „Dritten“ Welt dazu gezwungen, sich weiter für imperialistisches Kapital zu öffnen. Das ganze Niveau von Kapitalexport aus den imperialistischen Ländern in nichtimperialistische Gebiete hat sich in den 1990ern dramatisch erhöht, also gerade in dem Zeitraum, in dem angeblich das Empire geboren wurde. In diesem Sinne wäre es richtiger davon zu sprechen, dass die 1930er, 1950er oder 1960er Jahre Perioden geringerer extensiver Akkumulation waren als die 1990er!

Es gibt keine Notwendigkeit, dem von ‚Empire‘ empfohlenen Weg zu folgen, um die Veränderungen und Sprünge in der Entwicklung des Imperialismus der letzten 100 Jahre zu erklären. Die Schlussfolgerung von Negri und Hardt, dass der Imperialismus sich in das Empire verwandeln musste, das auf der Basis von multilateralen Agenturen einer ‚protoweltweiten Regierungsfähigkeit‘ herrscht und interimperialistische Widersprüche unterdrückt, fließt aus ihrer vereinfachenden Gleichsetzung von Imperialismus mit dem altmodischen europäischen Kolonialismus.

Wenn man ihre Analyse verwirft, so heißt dies nicht, dass keine wichtigen Veränderungen innerhalb des Imperialismus vor sich gegangen wären. Nach der Wirkung von zwei Weltkriegen und einer tiefen Depression in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurden bestimmte Merkmale des Imperialismus sicherlich abgeschwächt. Es gab eine gewisse Verringerung der Hegemonie des Finanzkapitals gegenüber Industrie und Handel, zwischenimperialistische Rivalitäten ließen nach und es kam zu einer langen Boomphase. All dies war das Ergebnis gewaltiger Kämpfe und des Zwangs zur Veränderung, wenn das kapitalistische System überleben sollte. Während dieser Periode erlangte der US-Imperialismus offensichtlich eine Vormachtstellung gegenüber den niedergehenden europäischen Imperialismen. Er fand es aber trotzdem notwendig, seine Ziele durch den Aufbau globaler Agenturen zur Überwachung von Weltmarkt und Weltpolitik zu verfolgen: GATT, IWF, Weltbank, die UNO und ihre Unteragenturen. Wenn das Empire je nahe daran war, realisiert zu werden, dann war dies in der Periode zwischen 1945 und 1973.

Was wir seither unter dem Namen Globalisierung erleben, ist nicht der Übergang in eine postimperialistische Periode, sondern ein Sich wieder geltend machen zahlreicher wesentlicher Merkmale des Imperialismus, wie sie im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert erschienen waren, aber in der Periode nach dem 2. Weltkrieg ausgesetzt oder untergeordnet waren.

Globalisierung ist eine Phase innerhalb des Imperialismus und eine Intensivierung davon. Es ist die jüngste Phase der imperialistischen Epoche und reicht zurück in die 1980er, als die USA eine politische und ökonomische Offensive mit dem Ziel starteten, ihre Hegemonie über die „3. Welt“ und ihre imperialistischen Rivalen wiederherzustellen. Sie wurde charakterisiert durch eine Verbreiterung und Vertiefung der Dominanz des Finanzkapitals auf dem ganzen Planeten. Sie verbreiterte die imperialistische Herrschaft, indem nichtkapitalistische Regionen wie UdSSR, Osteuropa, China, die vorher ihrem Zugriff entzogen waren, durchlässig wurden und nach 1989 wieder einverleibt werden konnten.

Es war eine Vertiefung insofern, als die Beschränkungen für die Mobilität und die Formen des Finanzkapitals, wie sie aus der Periode zwischen 1928 und 1945 ererbt wurden, Schritt für Schritt und grundlegend verändert werden; die Hindernisse für Handel und Investitionen im Süden für die multinationalen Konzerne des Nordens wurden niedergerissen; bestehende internationale Wirtschaftsinstitutionen (IWF, Weltbank) wurden endgültig transformiert in reine Zwangsvollstreckungsagenturen, neue wurden gebildet (WTO), um die aggressiven Feldzüge der Multis für ihre Privateigentumsansprüche zu unterstützen; der Einfluss des Big Business auf Regierungen wurde enorm gestärkt; schließlich waren Aktienboom und Schuldenausdehnung die Achse von ‚Wohlstandsschöpfung‘ und der Motor einer fieberhaften Runde von Konzentration und Zentralisation des Kapitals.

Es ist eine legitime Frage, wie die neue Phase des Imperialismus am besten zu kennzeichnen sei. Eine Möglichkeit wäre, den ‚alten‘ Imperialismus, wie ihn Lenin beschrieben hatte, als einen auf Nationalstaaten basierten zu beschreiben, im Gegensatz zu einer neuen Phase eines ‚globalisierten Imperialismus‘. Natürlich ist dies, wie bei jedem Schlagwort, eine Verkürzung, da der Nationalstaat weiterhin eine zentrale Rolle spielt, und andererseits die Globalisierung kein neues Phänomen ist. Trotzdem lässt es sich nicht leugnen, dass die alte Periode eher eine der Expansion des Nationalstaates war, während heute eher die Tendenz zum Entwachsen aus der nationalstaatlichen Form zu sehen ist, wie z.B. bei der Europäischen Union, ohne dass sich tatsächlich so etwas wie ein globaler Staat herausbilden würde. Die Schlüsselrolle, die hierbei der US-Imperialismus spielt, ist zum Teil gerade dadurch begründet, dass die USA selbst eine modernere Staatsformation waren, die nie auf ‚Nationalität‘ beruht hat, und deren historisches Wachstum über einen ganzen Kontinent nur mit episodischen Konflikten mit anderen, vorher existierenden Staaten verbunden war.

Die Phase des globalisierten Imperialismus kann durch folgende Merkmale charakterisiert werden, die teilweise eine Aktualisierung der 5-Punkte-Definition des Imperialismus durch Lenin sind:

• Vertiefung der Kapitalisierung und Industrialisierung der Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens – gesellschaftliche Reproduktion, Zirkulation, Informationsverarbeitung, Reproduktion von menschlichem Leben und Fähigkeiten etc., vorangetrieben durch eine Revolution der Informations- und Kommunikationstechnologien (IT). Dies ist die sog. dritte industrielle Revolution, zu deren Auswirkungen auch ein signifikanter Anstieg weiblicher Beschäftigung, ergo eine Erosion patriarchaler Strukturen und eine Privatisierung des öffentlichen Sektors gehören. Der industrielle Sektor bleibt jedoch der Motor der Ökonomie, da der Kapitalismus nicht zu einer vollständigen Kapitalisierung der dem menschlichen Leben eigenen Produktivkräfte – Kenntnis und Geschick – fähig ist.

• Tendenz zu einer vertieften Globalisierung der Produktivkräfte und Verwischung von Grenzen. Diese ‚zweite Welle der Globalisierung‘ nach der ersten zu Beginn des Imperialismus wurde gesellschaftlich durch eine größere Deregulierung des Kapitalflusses und technologisch durch die IT-Revolution möglich, die es der globalen Ökonomie erlaubt, in Realzeit zu funktionieren, als eine de facto Produktionseinheit. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Öffnung der „3. Welt“ für das imperialistische Kapital sind Konsequenzen einer gescheiterten Strategie der Entwicklung ‚abgeschottet‘ von der Weltwirtschaft, was seinerseits dem Imperialismus ermöglichte, den Rest der Welt zu dominieren. Jedoch ist Globalisierung nur eine Tendenz. Eine vollständig globalisierte kapitalistische Ökonomie wird aufgrund der Widersprüche im Kapitalismus nie erreicht werden. Eine Konsequenz davon ist, dass parallel dazu eine Regionalisierung abläuft, die ihrerseits die Globalisierung zum Teil unterminiert.

• Bewegung weg vom Fordismus, wie er unter dem nationalstaatlich basierten Imperialismus vorherrschte, zu einer flexibleren Arbeitsorganisation, zur ‚lean production‘, und dazu, den Arbeitern sowohl mehr „Autonomie“ zu geben als auch ausgeklügeltere Formen der Kontrolle über sie zu entwickeln. Fordismus verschwindet nicht komplett, besonders in den neu industrialisierten Gebieten, aber mit der immer umfassenderen Automatisierung von Routinearbeit stirbt er langsam ab. Die Tendenz zu stets gesteigerter materieller Konzentration von produktivem Kapital im Großbetrieb kommt zum Stehen, ebenso wie die Dequalifizierung der ArbeiterInnen, zumindest in den entwickelten Teilen der Weltwirtschaft. Auslagerungen und eine größere Betonung spezialisierter Qualifikation sind zwei der Konsequenzen. Gleichzeitig stehen dem vertiefte Zentralisation des Kapitals auf globaler Ebene, eine Fusionsmanie, nachdem die IT-Technologie die Kontrolle über den Arbeitsprozess ermöglicht, wo immer er ausgeführt wird, und die Formung solcher globalen Einheiten kostengünstig durchführen lässt, in Nichts nach. Schließlich verwickelt sich dieser Prozess durch die Anarchie des Marktes in Widersprüche, die das Potenzial von Flexibilität und Verantwortungsdelegation an die Arbeitenden unterminieren. Die menschlichen Fähigkeiten lassen sich nicht vollständig kapitalisieren.

• Das Monopolkapital entwickelt sich weg von einer Phase, in der es vor allem auf die Monopolisierung nationaler Märkte gegründet war, zu einer, wo die Monopolstellung auf ganzen Kontinental-, ja sogar weltweiten Märkten, unverzichtbar wird. Die großen globalen Konzerne entkoppeln sich teilweise vom angestammten nationalen Markt, sind in der Lage, einen Staat gegen den anderen auszuspielen und unterminieren so die alte Form des keynesianischen ‚Staats-Monopol-Kapitalismus‘, zumindest periodisch, solange zwischenimperialistische Rivalitäten nicht eskalieren.

• Bankenkapital, Kapitalexport, Aktienmärkte, Versicherungen, Anleihemärkte, Pensionsfonds und andere Formen des Finanzkapitals der verschiedenen Nationalwirtschaften fusionieren in einem globalisierten Finanzmarkt, der die verschiedenen Formen und Ursprünge des Kapitals verwischt. Auch hier waren Deregulierung und IT-Technologie entscheidend. Ein solcher Finanzmarkt erlaubt die Mobilisierung von Kapital auf einer globalen Ebene und eine vertiefte Durchdringung der imperialisierten Welt durch imperialistisches Kapital. Gleichzeitig erhöhen diese Märkte die Instabilität der gesamten Weltwirtschaft und erzeugen das Gespenst eines globalisierten Finanz-GAUs.

• Schwächung des Nationalstaates, Tendenz zur Formierung von kontinentalen und globalen Organen zur Kontrolle der Weltmärkte, im Gegensatz zu alten Formen des Imperialismus, der vor allem auf der Ausdehnung von Nationalstaaten der herrschenden Mächte gegründet war. Zwischenimperialistische Rivalitäten dagegen werden auf eine höhere Ebene gehoben und unterminieren die Möglichkeit der Formierung eines globalen Staates. Sie verschieben sich von Konflikten zwischen Nationalstaaten zu solchen zwischen Kontinentalblöcken oder supranationalen Staatsgebilden. Aufgrund der vielfach gesteigerten Destruktivkräfte bedeutet ein moderner ‚globaler Krieg‘ im Gegensatz zu den zwei ‚Weltkriegen‘ die Bedrohung der Auslöschung der Menschheit als ganzer.

Die Beziehung von Negri und Hardt zur Postmoderne

‚Empire‘ ist ein Werk des Postmodernismus, aber eines, das sich auf den Marxismus bezieht, sobald die Autoren meinen, dass postmoderne Gedanken sich als ungenügend erweisen. In ihrer grundlegenden Behandlung der Frage der Macht in einer kapitalistischen Gesellschaft sind sie jedoch eindeutig Schüler von Foucault. Dessen Werk bezeichnet den Weg von der ‚Disziplinargesellschaft‘ in die ‚Kontrollgesellschaft‘. Erstere ist eine Gesellschaft, in der Herrschaft über Apparate ausgeübt wird, die Verhalten regeln. Dies schließt Institutionen wie Gefängnisse, Fabriken und Schulen ein.

Die ‚Kontrollgesellschaft‘ ist eine, in der die Mechanismen von Herrschaft immer demokratischer werden, aber ebenso in den Köpfen und Körpern der Beherrschten internalisiert sind. Kontrolle ist „immer stärker immanent und auf die Köpfe der Bürger verteilt“ (S.38) und beruht weniger oder gar nicht auf extern auferlegten Normen. „Machtausübung findet durch maschinische Systeme statt, die direkt auf die Köpfe wirken (Kommunikationssysteme, Informationsnetzwerke etc.), die Körper organisieren (Sozialsysteme, kontrollierte Aktivitäten etc.) und einen Zustand autonomer Entfremdung (vom Sinn des Lebens, vom Wunsch nach Kreativität) herbeiführen“ (S.38).

Das ist es, was Negri und Hardt unter der biopolitischen Natur von Macht verstehen. „Biomacht ist eine Form, die das soziale Leben von innen heraus Regeln unterwirft, es verfolgt, interpretiert, absorbiert und schließlich neu artikuliert. Die Macht über das Leben der Bevölkerung kann sich in den Maß etablieren, wie sie ein integraler und vitaler Bestandteil eines jeden individuellen Lebens wird, den die Individuen bereitwillig aufgreifen und mit ihrem Einverständnis versehen weitergeben“ (S.38 f.). (10) In der Kontrollgesellschaft sind alle wechselseitigen Beziehungen des Kapitalismus – wirtschaftlich, politisch, kulturell – vollständig realisiert und kombiniert. Daher ist die Zivilgesellschaft im Staat aufgesogen. Alle Zwischenformen der Verhandlung oder Vermittlung von Macht und Gewinnung von Legitimation (z.B. kontraktbasierte Regeln) sind zum Untergang verurteilt. „Die Legitimierung der internationalen Ordnung stellt sich nicht mehr durch Mediatisierung her, sondern muss unmittelbar durchgesetzt werden, inmitten der Vielfalt“ (S.40).

Negri und Hardt meinen jedoch, dass Foucault es nicht verstand, die Biomacht in der Produktion zu begründen. Während er versuchte, „Auffassungen des historischen Materialismus…hinter sich zu lassen, die das Problem der Macht auf der Ebene des Überbaus behandelten, von der realen Basis, von der Produktion getrennt“ (S.42), hatte Foucault ihrer Ansicht nach keinen Begriff davon, was das System als Ganzes antreibt; als Strukturalist betrachte er nicht die Dynamik im Systemganzen. Er verharre im ‚Diskurs‘ und sehe keine Notwendigkeit der Aufdeckung eines von der Erscheinung verschiedenen Wesens.

Negri und Hardt behaupten, dass spätere Postmodernisten wie Deleuze und Guattari in dieser Hinsicht Foucault auf eine Art verbesserten, die „materialistische Positionen erneuert und mit der Frage nach der Produktion des gesellschaftlichen Lebens fest verbunden ist“ (S.43). (11) Aber auch ihre Sicht von Produktion und sozialer Reproduktion ist immer noch ‚chaotisch, unbestimmt‘. Ein besseres Verständnis der Beziehung von Biomacht und gesellschaftlicher Produktion würden wir bekommen „mit Arbeiten einer Reihe zeitgenössischer marxistischer Autoren aus Italien, die die biopolitische Dimension als neues Moment der produktiven lebendigen Arbeit und ihrer Entwicklung in der Gesellschaft behandeln. Sie verwenden Begriffe wie ‚Massenintellektualität‘, ‚immaterielle Arbeit‘ und das Marx’sche Konzept des ‚allgemeinen Intellekts‘ „ (S.43).

Diese Autoren erkennen eine Tendenz, dass Arbeit immer mehr immateriell wird. „Die zentrale Rolle bei der Produktion des Mehrwerts, die früher der Arbeitskraft der Fabrikarbeiter, dem ‚Massenarbeiter‘, zukam, spielt heute überwiegend die intellektuelle, immaterielle und kommunikative Arbeit“ (S.43). Trotzdem bleiben für Negri und Hardt „wesentliche Verkürzungen“, weil in diesen Theorien die Begriffe auf einer abstrakten Ebene bleiben. „In diesen Arbeiten wird das Eingelassensein der Produktion in den biopolitischen Kontext fast ausschließlich als Problem der Sprache und der Kommunikation präsentiert“ (S.44).

Negris und Hardts Bestreben ist es, alle drei Aspekte der immateriellen Arbeit zu integrieren: „als kommunikative Arbeit in der industriellen Produktion, die neuerdings in Netzwerken der Information verknüpft ist; als interaktive Arbeit im Umgang mit Symbolen und bei der Lösung von Problemen; und als Arbeit bei der Produktion und Manipulation von Affekten“ (S.44).

Auf diesem Weg kommen Negri und Hardt bei ihrem Verständnis des globalisierten Kapitalismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als dem produktiven Herz der biopolitischen Welt an: „Die großen transnationalen Konzerne schaffen in gewisser, entscheidender Weise das grundlegende Geflecht von Verbindungen in der biopolitischen Welt“ (S.46). Dabei ist die Kommunikationsindustrie entscheidend, denn „Kommunikation ist nicht nur ein Ausdruck der Globalisierung, sondern organisiert deren Lauf“ (S.47). (12)

In dieser Weltsicht sind Macht und Legitimation der Weltordnung nicht ‚außerhalb‘ der Produktion angesiedelt. Sie entstehen nicht aufgrund von „vormals existierenden internationalen Vertragswerken, noch ersten, embryonal entwickelten supranationalen Organisationen…“ (S. 47 f.), sondern „zumindest teilweise aus der Kommunikationsindustrie, also der Transformation der neuen Produktionsweise in eine Maschine: ein Subjekt, das sein eigenes Bild der Autorität produziert“ (S.48). Diese Legitimation „beruht auf nichts außerhalb seiner selbst“ (S.48).

So weit kombinieren Negri und Hardt also eine postmodernistische Sicht der Macht mit einem ‚marxistischen‘ Versuch, diese in der Natur des modernen Kapitalismus zu begründen, statt die Analyse auf der Ebene von ‚Zeichen‘ und ‚Diskursen‘ über diese Zeichen zu belassen. Wir werden später sehen, wie erfolgreich ihr Versuch ist, die Natur des modernen Kapitalismus zu erklären. Hier sollten wir nur bemerken, dass sie in allen anderen Aspekten ihres Werks dem Marxismus und seiner Methode gegenüber feindlich eingestellt sind.

Sie reservieren einen besonderen Hass für die Dialektik und versuchen, den ‚Materialismus‘ davor zu ‚retten‘. (13)

Sie begrüßen den postmodernistischen „Angriff auf die Dialektik als der zentralen Logik von moderner Herrschaft, Ausschließung und Kommandierung sowohl durch ihre Verbannung der Vielzahl von Unterschieden durch Reduktion auf binäre Entgegensetzungen als auch ihre darauf folgende Subsumtion dieser Gegensätze in einer monistischen Einheit…Das postmodernistische Projekt muss nicht-dialektisch sein.“ (14) Die philosophische Hauptkritik des Postmodernismus am Marxismus ist dessen Eintreten für die Dialektik. Die Attacke auf die Dialektik wird auf zwei Ebenen geführt. Erstens gegen die Dialektik als Methode zum Verständnis einer Welt im Prozess ihrer Veränderung; zweitens gegen die Sicht, dass Dialektik eine innere Eigenschaft der objektiven Welt ist, außerhalb des Denkens. Wie sie sagen: „Wirklichkeit und Geschichte…sind nicht dialektisch, und keine noch so idealistischen rhetorischen Verrenkungen können sie der Dialektik anpassen“ (S.144).

Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten die ‚Revisionisten‘, Marx von Hegel und dessen Dialektik zu säubern und an dessen Stelle Kant zu setzen. Negris und Hardts postmarxistisches Projekt versucht dasselbe mit Spinoza anstelle von Kant. Was in beiden Fällen bekämpft wird, ist der dialektische Begriff von notwendigen inneren Widersprüchen des Kapitalismus, die, wenn zugespitzt, dazu tendieren, das System von innen her zur Explosion zu bringen.

Spinoza ist vor allem wegen seiner pantheistischen Idee, dass Gott überall, ‚immanent‘ in der Welt ist, bekannt. Es gibt nur eine Substanz auf der Welt, Gott oder Natur sind nur verschiedene Attribute derselben Substanz. Dies kann als primitive Form des Materialismus gesehen werden, da es annimmt, dass die Natur durch sich selbst erklärt werden kann und nicht durch etwas Transzendentes, über ihr stehendes. Dies war natürlich in der Zeit, in der Spinoza lebte, eine revolutionäre Idee – im 17. Jahrhundert!

Was viele gegenwärtige Autoren, die vom Postmodernismus beeinflusst sind, an Spinoza anzieht, sind die Ideen von Immanenz und Unmittelbarkeit. In ihrer Lesart von Spinoza hat das Subjekt einen unmittelbaren Zugang zur objektiven Realität; tatsächlich sollte kein Unterschied gemacht werden zwischen Natur und Subjekt. Das Subjekt ist die Natur und umgekehrt. Daher kann das Subjekt auch kein ‚falsches Bewusstsein‘ seiner Bedingungen haben: Was du siehst, ist, was es gibt. Sie lehnen den Versuch ab, hinter die Erscheinung auf eine tiefere, zugrunde liegende Realität zu blicken, was diese Unmittelbarkeit zwischen Subjekt und Natur widerlegen würde. Materialistische Dialektik leugnet nicht, dass Ideen, Subjekte und die objektive Welt zur selben materiellen Realität gehören. Aber dies heißt nicht, dass es keine Unterschiede innerhalb dieser Welt, z.B. verschiedene Ebenen von Existenz und Priorität zwischen Subjekt und Objekt gibt.

Entsprechend der Dialektik hat das Subjekt die Möglichkeit zur Erkenntnis des Objekts. Sie steht damit im Gegensatz zu Kant, der es für sinnlos hielt, über das ‚Ding an sich‘ zu sprechen, da wir es nur erkennen können, so wie es uns erscheint.

Doch diese Zurückweisung Kants bedeutet nicht, dass das Subjekt einen unmittelbaren Zugang zum Objekt oder anderen Subjekten hat. Nur durch einen dialektischen Prozess der Vermittlung kann das Subjekt einem genauen Verständnis des Objekts näher und näher kommen, indem die erste Wahrnehmung gegen die Realität getestet wird, durch weitere Untersuchung ein entwickelterer Begriff der Wirklichkeit erreicht und wieder an der Realität getestet wird. Diese Herangehensweise wird in der Naturwissenschaft leicht verstanden, wo die Sinne künstlich erweitert werden und die Modelle in der Realität im Experiment getestet werden. Dieser Prozess der Approximation in der Erkenntnis des Objekts kann jedoch leicht auf andere Bereiche übertragen werden, ohne zu glauben, dass eine vollständige Erkenntnis, eine volle Übereinstimmung von Subjekt und Objekt je erreicht wird. Dies ist unmöglich in einer Welt, die durch beständige Veränderung gekennzeichnet ist. Ein Ding ist niemals sich selbst gleich, auch wenn wir so handeln müssen, als sei dies so.

Die von Spinoza inspirierten Postmodernisten dagegen beschuldigen die Dialektik, dass sie im Subjekt etwas der Natur transzendentes, nicht immanentes sehen, den Menschen an die Stelle Gottes zu setzen. Während ein Neo-Kantianer sagt, dass wir nichts hinter der Erscheinung erkennen können, also kein „Ding an sich“, meint der Neo-Spinozist, dass die Realität die Erscheinung ist, dass das „Ding an sich“ dasselbe sei wie das „Ding für uns“. In beider Sicht wird ein wesentlicher Aspekt der Dialektik als bedeutungslos verworfen: die Anerkennung einer verborgenen ontologischen Tiefe in der Realität, einer widersprüchlichen Logik unterhalb der Oberfläche.

Wir können sehen, wohin dies bei Negri und Hardt politisch führt: sie sind zufrieden damit, eine zusammenhanglose Vielzahl von Prozessen zu betrachten, ohne irgend einen Zusammenhang darin aufzeigen zu können, der sie befähigen würde, eine allgemeine Strategie zur Veränderung der Welt zu formulieren. (15)

Eine andere Quelle der Konfusion, die aus dieser Beweihräucherung der Erscheinung herrührt, ist ihre Weigerung, klare Unterscheidungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wie auch zwischen ökonomischer Basis und gesellschaftlichem Überbau zu treffen. „Gesellschaftliche Produktion und Legitimation dürfen deshalb nicht als primär und sekundär, noch als Momente von Basis und Überbau angesehen werden. Sie stehen vielmehr in einem Verhältnis absoluter Parallelität und Vermischung, sie entsprechen einander in einer biopolitischen Gesellschaft“ (S.55).

Dieses Durcheinanderwürfeln von Basis und Überbau führt sie z.B. dazu, zu sagen: „Das Empire ist also in dem Sinn besser, in dem Marx darauf bestand, dass der Kapitalismus besser sei als die Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen, die ihm vorausgingen“ (S.57). Auch wenn sie hier Marx anführen, um ihre Behauptung zu unterstützen, gibt es hier einen klaren Unterschied zu seiner Methode. Marx sah die kapitalistische Produktionsweise als progressiver als frühere, eben weil es eine neue Produktionsweise war. Er fand, dass die kapitalistische Produktionsweise notwendig war, um die neuen Produktivkräfte der industriellen Produktion zu entwickeln, unabhängig von den grausamen Handlungen der entstehenden herrschenden Klasse oder des Staates, der der neuen Produktionsweise zur Entstehung verhalf.

Die neue Weltordnung, die sich in den 1990ern gebildet hat, ist keine neue Produktionsweise, sondern eine Fortsetzung der kapitalistischen. Eine Parallele könnte höchstens zur Analyse des Imperialismus gezogen werden, die Lenin und Luxemburg jedoch offensichtlich nicht als eine fortschrittlichere Gesellschaftsformation ansahen, auch wenn sie fortschrittliche Elemente in der Entwicklung der Produktivkräfte und der verstärkten Vergesellschaftung der Produktion sahen, die die Transformation in den Imperialismus begleiteten.

Der einzige Weg, hier Verwirrung und apologetisches Herangehen an den Kapitalismus zu vermeiden, ist, klar herauszuarbeiten, was progressiv und was reaktionär ist. Dies ist nur durch klare Unterscheidung zwischen den Entwicklungen auf der technologischen Ebene und den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen möglich – eben das, was Negri und Hardt leugnen.

Die Informationsrevolution

Hardt und Negri schreiben: „Es hat sich heute allgemein durchgesetzt, die Aufeinanderfolge ökonomischer Paradigmen seit dem Mittelalter in drei unterscheidbare Abschnitte zu unterteilen, von denen jeder durch die Dominanz eines Wirtschaftssektors geprägt ist: ein erstes Paradigma, in dem Landwirtschaft und die Gewinnung von Rohstoffen die Ökonomie beherrschten, ein zweites mit der Industrie und der Herstellung haltbarer Güter in herausragender Stellung, das gegenwärtige Paradigma, in dem das Anbieten von Dienstleistungen und der Umgang mit Information im Zentrum der ökonomischen Produktion stehen. Die dominante Position geht demnach vom primären über den sekundären zum tertiären Sektor der Produktion über. Ökonomische Modernisierung bezeichnet den Übergang vom ersten zum zweiten Paradigma, von der Vorherrschaft der Landwirtschaft zur Dominanz der Industrie. Modernisierung heißt Industrialisierung. Den Übergang vom zweiten zum dritten Paradigma, von der Herrschaft der Industrie zur beherrschenden Stellung von Dienstleistungen und Information, kann man als Prozess ökonomischer Postmodernisierung oder besser Informatisierung bezeichnen“ (S.291). (16)

Für Hardt und Negri ist das Netzwerk – als neue organisatorische Form – das Herzstück der ‚Informatisierung‘. „Die erste räumliche, geografische Auswirkung des Übergangs von der industriellen zur informatisierten Ökonomie besteht in einer dramatischen Dezentralisierung der Produktion (…) Stückzahl und Effizienz stehen nicht mehr in direktem Verhältnis zueinander; tatsächlich wurde das Denken in großen Stückzahlen in vielen Fällen ein Hindernis (…) Informationstechnologien machen Entfernungen immer weniger entscheidend. Arbeiter in ein und demselben Produktionsprozess können von isolierten Orten aus wirkungsvoll kommunizieren und kooperieren, ohne Rücksicht auf die Entfernung. Die Kooperation der Arbeiten im Netzwerk bedarf keines territorialen oder physischen Zentrums (…) Die Dezentralisierung und globale Diffusion von Produktionsprozessen und Standorten, die die Postmodernisierung oder Informatisierung der Ökonomie kennzeichnen, sind von einer Zentralisierung der Kontrolle über die Produktion begleitet. Die zentrifugale Bewegung der Produktion gleicht ein zentripetaler Trend des Kommandos aus“ (S. 306 ff.)

Hierin gibt es sicherlich wahre Elemente, aber das Ende der industriellen Gesellschaft zu erklären, wäre bei weitem zu voreilig. Natürlich hat sich die Gesellschaft in bestimmten Aspekten über den „Industrialismus“ hinaus bewegt, aber es sollte doch zwischen dem ersten und letzten Monat der Schwangerschaft unterschieden werden. Es gibt tatsächlich viel Verwirrung darüber, was solche Begriffe wie ‚Dienstleistungsgesellschaft‘ oder ‚Wissensgesellschaft‘ bedeuten.

Für einige bedeutet ‚Dienstleistungsgesellschaft‘, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte im tertiären Sektor beschäftigt ist. Tatsächlich ist der Dienstleistungssektor in den letzten 30 Jahren beachtlich gewachsen. Dies jedoch hauptsächlich, da das Kapital in Gebiete expandiert ist, die bisher vor allem durch den bürgerlichen Staat, die patriarchale Familie oder kleinbürgerliche Betriebe organisiert wurden. Die Welle der Privatisierungen muss im Zusammenhang gesehen werden mit der Notwendigkeit für das Kapital, neue Gebiete für seine Akkumulation zu finden. (17)

Eine andere Erklärung für die Ausweitung des Dienstleistungssektors ist die Tendenz zum Outsourcing. Aufgaben, die früher innerhalb des Industriebetriebes integriert waren – Einkauf, Finanzverwaltung, Werbung, Datenverarbeitung, Reparaturen, Beratung, juristische Dienste, etc. – und die daher in die Beschäftigung des industriellen Sektors eingingen, werden nun in formell unabhängigen, als Dienstleistung klassifizierten Betrieben ausgeführt.

Großkonzerne bilden heute oft Finanzholdings, deren einzige Aufgabe es ist, das Eigentum an Hunderten von Beteiligungsfirmen zu verwalten – eine Aufgabe, die im Rahmen der ‚Finanzdienstleistungen‘ klassifiziert wird. Daher wurde der Sektor der ‚Geschäftsdienstleistungen‘ in den letzten Jahrzehnten enorm aufgeblasen; in den USA wuchs sein Anteil an der Gesamtbeschäftigung von einem Prozent 1960 auf sieben Prozent im Jahr 2000 und ist hier einer der am schnellsten wachsenden Bereiche. (18)

Außerdem beinhaltet der Begriff ‚Dienstleistungen‘ einen ziemlich unscharfen Bereich von Tätigkeiten. Es ist in gewisser Weise eine Art Rest-Kategorie, die alles umfasst, was nicht Agrikultur oder Industrie ist. Einige Länder, wie die USA, fassen Reparaturen, die Versorgung mit Gas, Strom und Wasser unter ‚Dienstleistungen‘, während diese anderswo als ‚Industrie‘ gelten. Auch sind Sektoren wie Groß- und Einzelhandel, Gebäudebereitstellung, Hoteldienste und Vermietung tatsächlich Ausdehnungen des industriellen Sektors, bearbeiten in bestimmten Bereichen physische Produkte, auch wenn es ebenso Elemente der Reproduktion sozialer Verhältnisse durch Übertragung von Eigentumsrechten darin gibt.

In den USA ist der Anteil des industriellen Sektors zusammen mit industriellen Dienstleistungen wie Handel, Finanzen, Versicherungen, Business Services, Transport und Kommunikation an der Gesamtbeschäftigung im Jahr 2000 derselbe im Jahr 1960, nämlich leicht über 60 %.

Wenn wir die Frauen mit in die Erwerbstätigenzahl einschließen, die im eigenen Haushalt arbeiten (hier grob kalkuliert als Zahl der männlichen Erwerbstätigen minus der Zahl der weiblichen; der Rest sind Hausfrauen), dann ist der Anteil des Sektors Industrie plus industrienahe Dienste tatsächlich in derselben Zeit von 45 % auf 55-60 % gestiegen. (19)

Auch der Versuch, den wachsenden Dienstleistungssektor als eine Konsequenz der Abwanderung von industrieller Produktion von der „Ersten“ in die „Dritte“ Welt zu erklären, ist in der Hauptsache unkorrekt. (20) Die Expansion des industriellen Sektors in Teilen der „Dritten“ Welt muss vielmehr vor allem durch deren Übergang von deren agrikulturellen Ökonomien zu industriellen erklärt werden. (21)

Auch wenn es richtig ist, dass sich die Arbeit in der Industrie geändert hat, mehr Betonung auf der Bearbeitung von Informationen liegt, muss andererseits gesehen werden, dass große Teile des ‚Dienstleistungssektors‘ tatsächlich eine Art Industrialisierungsprozess durchmachen. Viele Dienstleistungen werden heute mit Hilfe von fordistischen Prinzipien organisiert oder sogar vollständig automatisiert und durch Maschinen ersetzt, wie viele irritierte Kunden feststellen, wenn Firmen lieber wollen, dass Computer persönliche Berater ersetzen. Heute ist es der Dienstleistungssektor, der mehr wie der traditionelle industrielle Sektor aussieht. Auch die Methoden des Klassenkampfes und die gewerkschaftliche Organisierung aus dem industriellen Sektor ziehen in diesen Sektor ein.

Die dritte industrielle Revolution

Ungeachtet der relativen Größe des industriellen Sektors und wie man den ‚Dienstleistungssektor‘ definiert, behaupten Hardt und Negri, dass es der letztere sei, der die Wirtschaft vorantreibt, dass „jede ökonomische Tätigkeit heute dazu tendiert, von der Informationsökonomie beherrscht und von ihr qualitativ verändert zu werden“ (S.299).

Betrachtet man jedoch „informationelle Revolution“ und Globalisierung genauer, so wird klar, dass, obwohl diese Phänomene die Basis der Informationsverarbeitung verändert haben, nicht Information als solche die treibende Kraft ist, sondern die enorme technologische Entwicklung in der Computer- und Telekommunikationsindustrie. Daher ziehen es einige Wirtschaftsgeschichtler vor, von einer ‚Dritten Industriellen Revolution‘ zu sprechen statt von einer informationellen.

Die Ausdehnung von Handel und Kapitalexport betrifft vor allem den industriellen Sektor und finanzielle Operationen, während Dienstleistungen nicht im selben Umfang globalisiert werden. Die Ausnahme Transportsektor ist selbst ein stark industrialisierter Sektor. Die größten Monopole gibt es immer noch im industriellen Sektor. So wurden 1977 76% der Wertschöpfung durch US-Multis im industriellen Sektor erzielt, 1998 waren es immer noch 61%, während der Rest hauptsächlich auf den Bereich der industriellen Dienstleistungen entfällt.

Hardt und Negri sind auf festerem Boden, wenn sie behaupten, dass Wissen und Erziehung die moderne Ökonomie vorwärtstreiben. Viele bürgerliche Ökonomen haben dies erkannt und neue Modelle von Wirtschaftswachstum konstruiert, in denen Investitionen in Erziehung, sog. ‚Humankapital‘, und Wissen als genauso wichtig eingestuft werden wie in physisches Kapital. Dies spiegelt tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen wider – Erziehung und Wissen spielen heute eine wichtigere Rolle als früher. Aber Erziehung, Wissen und Kommunikationstechnologie waren schon immer ein Schlüsselfaktor hinter der ökonomischen Entwicklung. Die gesamte Geschichte des Kapitalismus ist eine der wachsenden Bedeutung von Bildung und wissenschaftlicher Forschung, um die Akkumulation voranzubringen.

Nachdem im 19. Jahrhundert der Telegraf erfunden war, wurde viel darüber geschrieben, dass dies die Welt vereinen, Nationen einander näher bringen und damit Krieg unmöglich machen würde. Und war nicht die Erfindung der Schrift überhaupt eine Voraussetzung für die Herausbildung der ersten Klassengesellschaften und Staaten? War nicht Gutenbergs Druckpresse Grundlage aller weiteren ökonomischen Entwicklung? Wir erleben weder die erste Revolution auf dem Gebiet von Informationsverarbeitung und -vermittlung noch die erste Welle von übertriebenen Behauptungen, was dies für die Welt bedeuten würde.

In Wahrheit sind Bildung und Wissen der Industrie untergeordnet und nicht umgekehrt. Innerhalb der Universitäten werden deshalb auch die angewandten Wissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Jura mit den meisten Ressourcen bedacht, und deren Inhalt wird immer mehr den Bedürfnissen der großen Firmen untergeordnet.

Kommunismus im Mutterleib des Kapitalismus?

Negri und Hardt behaupten, dass die Entwicklung neuer Organisationsformen, der ‚Netzwerke‘, und die stärkere Betonung von Wissen und Information, eine teilweise Realisierung des Kommunismus darstellen:

„Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird (…) nicht von außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent (…) Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit“ (S.305).

Es war Adam Smith, der als erster systematisch die Vorteile der Kooperation für den Kapitalismus untersucht hat. Durch die Teilung des Produktionsprozesses in eine Folge einfacher Tätigkeiten und die entsprechende Spezialisierung der Arbeiter hat die Kooperation die Arbeitsproduktivität dramatisch gesteigert. Diese Kooperation im kapitalistischen Arbeitsprozess intensiviert die Entfremdung der Arbeiter von ihrer Arbeit, zerstört ihre Beziehung zum Endprodukt genauso wie zum gesamten Arbeitsprozess.

Darauf beziehen sich die Autoren, wenn sie von einer Kooperation sprechen, die „von außen organisiert wird“. Wie ändert sich das mit der immateriellen Arbeit? Wie wird die Kooperation der Arbeit ‚vollständig immanent‘ zur Arbeitsaktivität, also nicht entfremdend?

Die Tatsache, dass der Kapitalismus heute gezwungen ist, in bestimmten, eingeschränkten Feldern den Arbeitern mehr Autonomie zu geben, um ihre intellektuellen Fähigkeiten besser ausbeuten zu können, heißt doch nicht, dass dies eine Art von ’spontanem und elementarem Kommunismus‘ wäre. Wenn sie die vollständige Kontrolle über die Maschinen, mit denen sie arbeiten, hätten, wenn sie das Tempo ihrer Arbeit selbst bestimmen und über das Endprodukt verfügen könnten, dann würden sie tatsächlich aufhören, Lohnabhängige zu sein – aber sie würden eine kleinbürgerliche Nische im Kapitalismus darstellen und nicht eine Form des Kommunismus.

Bestimmte Arbeiter, die qualifizierte ‚Arbeiteraristokratie‘, haben immer ein höheres Maß an Autonomie im kapitalistischem Arbeitsprozess genossen und dadurch ihre Position in der Aushandlung der Verkaufsbedingungen ihrer Arbeitskraft gestärkt und damit der vollständigen Unterwerfung unter die Tyrannei der Arbeitsdisziplin widerstehen können. Aber die Arbeiteraristokratie ist kleiner geworden, nachdem Maschinen die Abhängigkeit von Qualifikation, der Verkörperung von Produktionswissen und -erfahrung bestimmter Individuen, verringert haben. Softwareprogrammierung wird heute von qualifiziertem Personal ausgeführt, das schwankt zwischen Selbstständigkeit und Arbeiteraristokratie. Aber als Arbeitsprozess ist sie denselben Zwängen unterworfen wie alle anderen.

Sobald eine Krise ausbricht, verschwindet die Autonomie, die irgendwelche Arbeiter zeitweise genießen, sofort; die Beschäftigten werden gezwungen, entweder härter zu arbeiten oder sie werden ‚gesund geschrumpft‘. Tatsächlich können Autonomie und Dezentralisation wirksame Mittel sein, damit die Arbeiter ’sich selbst die Peitsche geben‘, um eine denkwürdige Bemerkung Rosa Luxemburgs zu verwenden, um wie Kapitalisten gegen sich selbst zu agieren und die Entscheidung, wo einzusparen sei, selbst zu übernehmen. Daran ist kein Kommunismus zu finden. Kommunismus ist kein isoliertes Phänomen, dass in den Poren der kapitalistischen Gesellschaft existieren könnte, sondern eine Produktionsweise, die sich nur global und nach einer Übergangsperiode entwickeln kann, in der es eine massive Expansion der Produktivkräfte gegeben hat.

Der Widerspruch von ‚menschlichem und wissensmäßigem Kapital‘

Es bestehen außerdem eindeutige Schwierigkeiten für den Kapitalismus beim Übergang von der Akkumulation ‚physischen Kapitals‘ zur Akkumulationsstufe des ‚menschlichen und wissensmäßigen Kapitals‘. Diese beiden Konzepte enthüllen wiederum innere Widersprüche:

• Im Kapitalismus wird die Kontrolle über die Arbeit durch den Besitz an physischen Produktionsmitteln und nicht durch das Eigentum an den arbeitenden Menschen ausgeübt. Was menschliches Kapital genannt wird, ist ähnlich einer erlernten Arbeitsweise leiblich untrennbar von dem Arbeitenden selbst, es ist Bestandteil der Arbeitskraft (d.h. der Fähigkeit zu arbeiten) und demzufolge gar kein Kapital. Der Kapitalist kauft die Nutzung dieser Arbeitskraft für einen bestimmten Zeitraum, nicht die Arbeitskraft selbst.

• Wissen und Sprache waren als Teil der kollektiven Arbeitskraft seit der Frühzeit der Menschheit immer wesentliche Produktivkräfte. Die Frage ist, ob sich heute etwas so grundlegend Neues ergeben hat, dass die Handhabung von Information nunmehr die beherrschende Produktivkraft darstellt. Offenkundig sind Tendenzen in diese Richtung wirksam, aber andererseits blockiert der Kapitalismus genau die volle Verwirklichung einer solchen Wirkweise. Wissen gehört zur kollektiven Arbeitskraft und unter den Bedingungen der freien Konkurrenz hat jeder Kapitalist Zugang dazu. Wissen ist seinem Wesen nach universell und sogar schwieriger in Besitz zu nehmen und zu kontrollieren als Einzelpersonen.

In der bürgerlichen Ökonomie bedeutet ‚Ausschließlichkeit‘ die Macht, die Anwendung einer gewünschten Nutzbarkeit zu verhindern, ‚Rivalität‘ bedeutet, dass die Konsumtion der Nutzbarkeit durch eine Person anderen Personen weniger überlässt und ‚Transparenz‘ stellt den Grad des freien Zugangs zu Information über die Folgen alternativen Marktverhaltens dar. Mikroökonomische Theorien besagen, dass die für den Kauf bzw. Verkauf auf dem Markt geeignetsten Waren genau die ausschließbaren, konkurrenzbehafteten und transparenten Güter sind.

Das Problem an der Information ist, dass sie nicht ausschließbar ist, denn es ist kaum möglich, Leuten den Zugang zur Information zu verbieten, wenn sie auf dem Markt verkauft worden ist. Sie ist auch ’nicht konkurrenzbedingt‘, zumal die Nutzung von Information durch eine Person in der Regel ihren Nutzwert auch für andere steigert, und sie ist ’nicht transparent‘ wegen der Unsicherheit und Vielschichtigkeit bei der Produktion und dem Verkauf von Information. Obwohl menschliche Fähigkeiten miteinander in Wettbewerb treten, können sie nicht von den Leuten getrennt werden, die sie verkörpern. Sie verkaufen lediglich die Nutzung dieser Fähigkeiten für einen bestimmten Zeitraum. Investitionen in die Ausbildung eines Angestellten können sich dann leicht als wertlos erweisen, wenn derjenige das Beschäftigungsverhältnis kündigt und – da die kapitalistischen Gesetze die Sklaverei verbieten – der Staat kann nicht einschreiten, um solche ‚Investitionen‘ zu schützen.

Der einzige Weg, Wissen und menschliche Fähigkeiten zu kapitalisieren, führt über ihre Verdinglichung, Entmenschlichung und Industrialisierung, aber das widerstrebt völlig dem Wesen dieser Erscheinungen.

Patentgesetze und langfristige Arbeitsverträge sind Teillösungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten. Aber Patente bedeuten eine Monopolstellung, und das ‚Wissenskapital‘ nimmt die Form des Monopolkapitals an, das andere Kapitalisten trifft, weil es sie von der freien Nutzung bedeutsamer Information ausschließt. Patentgesetze behindern die technologische Entwicklung. Markenartikel stellen einen teilweisen Versuch dar, die Hirne von Verbrauchern in Besitz zu nehmen, oder genauer, zu täuschen, aber auf diesen ‚Besitz‘ ist wenig Verlass, denn Verbraucher können ihren Geschmack ändern. Auch Marken sind eine monopolistische Erscheinung. Das Vorgehen des US-Staates gegen Microsoft, die Freie-Software-Bewegung und die Erfolge von Linux, beide unterstützt von vielen Firmen, zeigen [trotz des Teilsieges von Bill Gates; Red.] die Toleranz- und Realisationshemmschwelle solcher Monopolisierungsversuche von Kenntnissen im Kapitalismus.

Da der Kapitalismus auf freier Konkurrenz zwischen Kapital und frei verhandelbarer Arbeitskraft beruht, widerspricht die Monopolisierung von Wissen und menschlichem Leben der kapitalistischen Produktionsweise und kann deshalb nur teilweise durchgesetzt werden. Der Kapitalismus wird niemals zu einer surrealen Stufe gelangen, wo bspw. alle Sprachen privatisiert sind und jeder bei Gebrauch eines Wortes eine Gebühr an die ‚Eigentümer‘ dieser Wörter zu entrichten hat. Eine voll entfaltete Kapitalisierung von Wissen und menschlichen Fähigkeiten würde schließlich den Kapitalismus als eine besondere Produktionsweise verneinen und ihn in eine Art auf diktatorischer Sklaverei beruhende Klassengesellschaft verwandeln.

Das erklärt auch, warum Bildung und Wissenschaft im Allgemeinen (mit Ausnahmen wie USA) in den meisten kapitalistischen Ländern vom Staat organisiert werden. Andere Versorgungsleistungen wie Gesundheitswesen, Kindererziehung, Beförderungsmittel, Infrastruktur und gesellschaftliche Reproduktion werden in vielen Ländern vom Staat bereitgestellt, weil sie das menschliche Leben betreffen und kollektive Güter sind, die sie nicht sonderlich brauchbar für den Markt erscheinen lassen. Die Kapitalisten werden sich jedoch immer Tendenzen zu einem zu starken Staat widersetzen, wie die gesamte neoliberale Offensive in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts gezeigt hat. Der Nationalstaat kann stark in Ausbildung und Wissenschaft investieren und damit die Akkumulation von ‚menschlichem und wissensmäßigem‘ Kapital in kollektiver Form für seine nationale bürgerliche Klasse sichern, aber dieser Prozess wird heute durch die Globalisierung untergraben.

Damit haben wir ein Beispiel für folgende These, die Marx schon 1859 aufstellte:

„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein.“ (22)

Im Kapitalismus bleibt die Produktion von Gegenständen entscheidend, gerade weil physische Waren sich besitzen und kontrollieren lassen. Natürlich ist auch die Kontrolle der Köpfe der Arbeiterklasse wichtig für den Kapitalismus, sowohl ideologisch, um die ausgebeutete Klasse in das System einzubinden, wie auch ökonomisch, um die Produktivität durch besser ausgebildete Arbeitskräfte steigern zu können. Aber hier müssen wir wieder darauf achten, was vor- und was nachrangig ist. Marxisten haben immer den ideologischen Klassenkampf betont, aber er ist dem ökonomischen und politischen Klassenkampf untergeordnet.

Der Kapitalismus kann nicht mit hauptsächlich ideologischen Mitteln besiegt werden. Solche Ideen führen zu zentristischen oder reformistischen Schlussfolgerungen, dass der Kapitalismus allmählich reformiert werden könne oder dass eine friedliche Revolution möglich sei. Der Kapitalismus ist in einer industriellen Logik befangen, und diese Logik bestimmt auch die Regeln des Kampfes gegen das System.

Wir haben uns diese Bedingungen nicht ausgesucht. Wer hätte nicht lieber eine friedliche Evolution zum Sozialismus, wenn das objektiv machbar wäre? Nur unter dem Kommunismus werden Wissen, Kommunikation, Sprache und Sinnlichkeit die Hauptarena der Konflikte bilden, weil erst dann die Konflikte nicht mehr an die materiellen Bedingungen der Menschen gekettet sind, sondern die materiellen Bedürfnisse aller befriedigt werden und somit die Auseinandersetzung um materielle Vorräte und die Notwendigkeit, ein menschliches Wesen einem anderen zu unterwerfen, wegfallen wird. Nur unter solchen Voraussetzungen können Auseinandersetzungen auf einer völlig vorurteilsfreien Ebene gelöst werden. Erst dann werden Wissen und Information zu den herrschenden und treibenden Produktivkräften der Gesellschaft.

Nur der Kommunismus kann die wahre Wissens- und Informationsgesellschaft zustande bringen, was Habermas einmal ‚kritisches Wissen‘ nannte, wo Zusammenarbeit und Kommunikation frei von Verzerrungen sind, die daraus erwachsen, dass Tatsachen einer Situation einigen oder allen Beteiligten verborgen bleiben.

Arbeit und der Charakter des Proletariats im Empire

Wie wir gesehen haben, herrscht im Empire die kooperative, gefühlsmäßige und immaterielle Arbeit vor. Die Grenzen zwischen Leben und Produktion lösen sich auf. Alle Arbeit beherrscht vom Kapital, gleichgültig ob in Tätigkeit oder nicht, ist gleich. Das ist das neue Proletariat.

„Die Klassenzusammensetzung des Proletariats hat sich gewandelt, und das müssen wir nachvollziehen. Wir verwenden einen weiten Begriff von Proletariat und fassen in dieser Kategorie all jene, deren Arbeitskraft direkt ausgebeutet wird und die in Produktion und Reproduktion kapitalistischen Normen unterworfen sind.“ (S.66)

Negri und Hardt zufolge war die produktive industrielle Arbeiterklasse nur ein Moment in der Evolution des Proletariats. Ihre Vorrangigkeit dauerte bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Wandlung erfolgte als Antwort auf die kapitalistischen Krisen der späten 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Als der lange Boom endete, zeigten die Unterdrückung der Massengewerkschaften und anderer Kämpfe nur bedingte Wirkung, und eine bloße Beibehaltung der alten tayloristischen und fordistischen Methoden der industriellen Massenproduktion hätte die Entwicklung der Produktivkräfte und die Dynamik der Arbeit nur erstickt. Es folgte also ein technologischer Wandel mit dem Ziel einer deutlichen Veränderung der Zusammensetzung des Proletariats.

Auf diese Argumentation stützen sie ihre Behauptung, dass heute die industrielle Arbeiterklasse „aus dem Blick verschwunden“ (S.66) ist. Das ist kompletter Unfug! Während der Anteil der Arbeiter an der Warenproduktion in den verflossenen 100 Jahren als Folge gestiegener Arbeitsproduktivität in diesem Bereich gesunken ist, blieb die Anzahl der Industriearbeiter auf der Welt gleich (23) oder ist sogar angestiegen. Außerdem hat sich der Anteil am gesamten Produktionsausstoß durch die Industriearbeiterschaft in den letzten 50 Jahren erhöht.

Hier ist noch mehr als der Umfang und die zentrale Bedeutung der Industriearbeiterklasse im Spiel. Der Schlüssel zu ihren Irrtümern über den Charakter der Arbeiterklasse im globalen Kapitalismus liegt in ihrem Verständnis des Charakters der Arbeit selbst. In ‚Empire‘ sagen sie:

„Im biopolitischen Kontext des Empire fallen die Produktion von Kapital und die Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens immer stärker zusammen; es wird somit immer schwieriger, die Unterscheidungen zwischen produktiver, reproduktiver und unproduktiver Arbeit aufrechtzuerhalten. Arbeit – materielle oder immaterielle, geistige oder körperliche – produziert und reproduziert gesellschaftliches Leben und wird dabei vom Kapital ausgebeutet.“ (S.409)

Hier wird also Arbeit als praktische, zweckgebundene Aktivität innerhalb der Gesellschaft definiert, nichts anderes als das Marx’sche Konzept ‚allgemeiner Arbeit‘. Marx argumentiert, dass Arbeit in diesem Sinne den Kern unserer Menschlichkeit, unsere artspezifische Daseinsform innerhalb von Vorklassen- wie Klassengesellschaften darstellt. So verwendet verliert dieser Begriff jeglichen geschichtlichen Bezug, der eine Unterscheidung, wie sich eine solche ‚allgemeine Form der Arbeit‘ in den verschiedenen Gesellschaften der Menschheitsgeschichte niedergeschlagen hat, erst ermöglicht. Der Unterschied zwischen konkreter und abstrakter Arbeit verschwindet natürlich, damit aber auch jegliche begriffliche Bedeutung von Lohnarbeit und vom Kapital selbst.

Das muss so sein, denn Lohnarbeit und Kapital formen eine Einheit im Widerspruch: jeder Begriff wäre bedeutungslos ohne den anderen. Negri und Hardt sind bei ahistorisch abstrakten Aussagen gelandet und geben dies auf ihre Art auch zu: „Die Linien der Produktion und diejenigen der Repräsentation überschneiden und vermischen sich. In diesem Zusammenhang lösen sich auch die Unterscheidungen, welche die zentralen Kategorien der politischen Ökonomie bestimmen, allmählich auf. Produktion lässt sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden; die Produktivkräfte verschmelzen mit den Produktionsverhältnissen; fixes Kapital findet sich zunehmend innerhalb des zirkulierenden Kapitals, in den Köpfen, Körpern und in der Kooperation der Produktionssubjekte“ (S.392).

Kurz: die Grenzen zwischen variablem und konstantem Kapital lösen sich auf genau wie jene zwischen verschiedenen Arten der konkreten Arbeit.

Negri und Hardt fällt anscheinend gar nicht auf, dass Kapital nur als geronnene vorausgegangene Arbeit existieren kann, sich in der Geldform bewegt und benutzt wird, andere Arbeit in Gang zu setzen. ‚Kapital‘ beutet nicht ‚Arbeit im allgemeinen‘ aus, sondern nur Lohnarbeit. Konkret gesprochen kann Kapital nur Profit machen durch die Beschäftigung einer Person, die eine bestimmte Aufgabe erledigt.

Aber wenn es kein Kapital ohne Lohnarbeit geben kann, wie steht es dann um den Charakter der Gesellschaft des Empire? Negri/Hardt haben ihre Analyse in dem Glauben begonnen, dass durch die Offenlegung der Mechanismen des globalisierten Kapitals, das sich auf nichtmaterielle Arbeit stützt, ’nur‘ ein neues postfordistisches Akkumulationsmodell des Kapitals zu Tage tritt. Sie waren von dem Wunsch beseelt, dem Postmodernismus etwas Marxismus beizugeben, weil der Postmodernismus sich außerstande sah, Sprache und Kommunikation mit der Produktion zusammen zu bringen. Aber das Ergebnis ist völlig unzusammenhängend. Trotz allen Geschwätzes über einen Kampf gegen ‚die Vorherrschaft des Kapitals‘ und ihres Glaubens, dass sie das jüngste (End?) Stadium des globalen Kapitalismus analysieren, führt ihre Argumentation doch zu der Schlussfolgerung, dass es Kapital gar nicht gibt. Demzufolge stellt der Übergang vom imperialistischen Kapitalismus zum Empire eigentlich den Wandel zu einer Form von ‚bürokratischem Kollektivismus‘ dar.

Zu Anfang des Buches schreiben sie: „Die großen Industrie- und Finanzmächte produzieren entsprechend nicht nur Waren, sondern auch Subjektivitäten. Sie produzieren Agenzien innerhalb des biopolitisches Zusammenhangs: Bedürfnisse, soziale Verhältnisse, Körper und Intellekt – sie produzieren mithin Produzenten“ (S.47). Das kann nur bedeuten, dass es keine unabhängige Klasse von Lohnarbeitern gibt, die in freien Austausch mit den UnternehmerInnen treten; die ProduzentInnen sind dem Wesen nach Sklaven.

Solche Theorien, zuerst in der Zwischenkriegsperiode unter dem Einfluss des Faschismus und Stalinismus auf die Arbeiterklasse entwickelt, waren allgemein zutiefst pessimistisch und postulierten die Existenz einer Sklavenklasse, die gegen eine totalitäre Diktatur aufbegehrt. Hardt und Negri beschreiben eine gutartigere, optimistischere Gesellschaft, aber das ist letzten Endes zweitrangig. Die ‚Masse‘ mag aus glücklichen SklavInnen bestehen, aber gedanklich sind sie befangen in einer Welt der kooperativen Arbeit unter Vorherrschaft einer erdumspannend herrschenden Klasse. Diese Klasse leitet ihren Reichtum nicht aus der Auspressung von Mehrwert her. Die Verfasser sind sich darüber klar, dass es keinen Wertmaßstab im Empire geben kann.

Selbst wenn wir großzügig annehmen, dass die herrschende Klasse im Empire sich auf irgendeine Weise ein Mehrprodukt aneignet (wo beginnt es und wo endet die notwendige Arbeit, wenn es keinen Wertmesser gibt?), lässt das nur vermuten, dass eine (neuartige) Form von Klassengesellschaft besteht, aber keine kapitalistische.

Die Krise des Kapitalismus unter dem Empire

Hardts und Negris Theorie der kapitalistischen Krise unterscheidet sich vollständig von der marxistischen. Sie gründet sich nicht auf objektive, sondern ausschließlich subjektive Annahmen. Die Krise ist kein notwendiges Ergebnis der inneren Bewegungsgesetze des ökonomischen Systems unabhängig von den Handlungen der Unterdrückten, sondern es erscheint als eine Funktion von ‚Korruption‘.

Vom Marxismus kann behauptet werden, zwei grundlegende objektive Widersprüche innerhalb des Kapitalismus entdeckt zu haben. Zunächst zeigt der Kapitalismus eine Neigung zu schrankenloser Ausbreitung, abgeleitet aus seinem besessenen Drang zur Akkumulation. Aber die Welt ist nicht schrankenlos. Dieser Widerspruch beweist die Unmöglichkeit der ewigen Existenz des Kapitalismus. Der andere grundsätzliche Widerspruch ergibt sich aus seiner Neigung zur Vergesellschaftung der Produktion und seinem System der stets privaten Aneignung der Produktion. Dieser Widerspruch deutet auf die materielle Entwicklung einer höheren Produktionsweise im Schoß des Kapitalismus, d.h. den Kommunismus, hin.

Die expansionistische Tendenz erzeugt unweigerlich Widersprüche im System auf verschiedenen Ebenen. Der ständige Drang zur Akkumulation im Kapitalismus bedingt den Wertanstieg des Kapitalbestandes im Verhältnis zum zugesetzten Wert, was die Profitrate mindert, da der Profit sich aus dem zugesetzten Wert speist – der sog. tendenzielle Fall der Profitrate.

Der ständige Drang zur Ausweitung von Anlage und Produktion führt zu Krisen der Überakkumulation und Überproduktion. Diese Krisen werden gelöst durch eine massive Zerstörung von Kapital, sowohl in Gestalt von fixem Kapital wie auch von Lagerbeständen unverkaufter Waren, was wiederum eine neue Phase der Expansion einleitet, aber sehr langfristig kann das System auf einer solchen Grundlage nicht überleben.

Auf ähnliche Art schlägt sich die sozialisierende Tendenz in mehreren unterschiedlichen Widerspruchsformen innerhalb des Systems nieder. Marx bestreitet z.B. das Saysche Gesetz, das von einem stetigen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage ausgeht. Says Sichtweise wird immer noch von neoliberalen Ökonomen befürwortet, die eine perfekte Konkurrenz annehmen und sagen, der Kapitalismus würde keine Krisensymptome entsprießen lassen, wenn man ihn seinem eigenen Wirken überließe. In Wirklichkeit aber halten sich Angebot und Nachfrage nicht die Waage, da der Verkäufer nicht notwendigerweise als Käufer auftritt, sondern bspw. Geld ansparen kann, statt es sofort auszugeben. Das ermöglicht Unterkonsumtion, die sich verschärfen kann, wenn die Kapitalisten dazu übergehen, Arbeiter zu entlassen und die Löhne zu drücken, denn auch die Arbeiter sind Verbraucher. Verschiedene Sektoren können im Verhältnis zu anderen ein unterschiedliches Wachstum aufweisen und so Engpässe bewirken. Das ist Folge dessen, dass der Kapitalismus ein irrationales und ungeplantes System auf komplexem Niveau ist.

Der Imperialismus versucht, einige der inneren Widersprüche des Kapitalismus zu umgehen, verlagert dabei aber die bestehenden Widersprüche nur auf eine höhere Ebene und erzeugt sie weltweit neu. Die Expansion des Finanzkapitals löst teilweise die Verwertungsprobleme, indem Kredite die Nachfrage ankurbeln können, auch wenn die gegenwärtigen Einkommen gleich bleiben oder gar sinken. Wie Marx sagte, gestattet das Kreditsystem die Abschaffung des Kapitalismus innerhalb der kapitalistischen Gesetze selbst. Aber dadurch schlagen die Produktionskrisen in Finanzkrisen um, wenn die Schuldner ihre Gläubiger nicht mehr bezahlen können.

Durch den Prozess von Verschmelzungen und Aufkäufen vermag die Großindustrie Lieferanten und Hersteller in einer Form von betriebseigener Planung miteinander zu verbinden und vermeidet damit einige Wesenszüge des anarchischen Kapitalismus. Der Export von Kapital wird angeheizt und erzeugt damit die Nachfrage nach Waren aus den Kapital exportierenden Ländern. Letzten Endes werden die Widersprüche aber nur verschoben, nicht aufgehoben! Die Anarchie der Marktverhältnisse zwischen den weniger großen privaten Monopolen verstärkt sich (z.B. bei den Computer- und Chipherstellern). Die Konkurrenz zwischen den bestehenden Oligopolen verschärft sich mit zerstörerischen Auswirkungen (bspw. im weltweiten Telekommunikationssektor nach 2000). All diese Zusammenstöße rühren aus dem Grundproblem einer wachsenden Überakkumulation von Kapital und überschüssigen Kapazitäten in den meisten Industriesparten her.

Diese rein ökonomischen Konflikte zwischen industriellen Sektoren lösen von Zeit zu Zeit auch Konflikte zwischen Staaten aus, zumal die hauptsächlichen multinationalen Konzerne in den jeweiligen Ländern erfolgreich für vorbeugende oder Vergeltungsmaßnahmen gegen die Konkurrenten aus anderen Ländern eintreten. Der Stahlkrieg zwischen Europa und den USA ist ein Beispiel. Das Bestreben der USA, Krieg gegen den Irak zu führen, ist großenteils ein Versuch des Großkapitals, die Ölvorräte zu kontrollieren oder die OPEC (Gemeinschaft Erdöl fördernder Länder) zu zerstören und damit den Bedarf an billigem Öl für die multinationalen Konzerne der USA zu sichern. Innerimperialistische Kriege stellen die höchste Form der Verschärfung all dieser Widersprüche dar.

Hardt und Negri erkennen diese Grundwidersprüche des Kapitalismus nicht, oder wo dies doch der Fall ist, glauben sie, dass sie unter dem Empire, „wo der Weltmarkt vollendet ist“, überwunden worden sind. Für sie hat das Empire den Kapitalismus in eine universalistische, sozialisierte und globalisierte Phase überführt und so die Gegensätze zwischen verschiedenen imperialistischen Staaten und Kapitalfraktionen aufgehoben. Die Kapitalakkumulation ist von extensiver auf eine intensive Form übergegangen, von formaler zu realer Subsumtion, von der Expansion in eine physische Welt zur Penetration einer virtuellen Realität, da das ‚Äußere‘ ‚internalisiert‘ wird, oder wie sie auf S. 266 schreiben: „Prozesse der reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital stützen sich nicht länger auf ein Außen; sie bedeuten nicht die gleiche Art von Expansion.“

Warum dies gerade nicht „die gleiche Art von Expansion“ einschließt, geht aus ihrem Buch nicht hervor. Die Autoren haben keine Erklärung, welche inneren Schranken es oder ob es überhaupt innere Schwanken für die Ausdehnung von Kapital gibt.

Eine mögliche Lesart besteht darin, dass das Kapital unbeschränkte Möglichkeiten der Ausweitung von Akkumulation hat, weil eine Scheinwelt keine Grenzen kennt. Ein anderer Erklärungsversuch wäre, dass das neue Feld der Akkumulation und Ausbeutung, die abstrakte Kooperation zwischen Arbeitenden, nicht mehr quantifizierbar oder bewertbar ist, weil es „immer schwieriger“ wird, „an der Fiktion irgendeines Maßes für den Arbeitstag fest zu halten“ (S.409).

Infolgedessen wirken die alten Widersprüche, die auf einem messbaren Verhältnis der Ausdehnung zu den Grenzen dieser Ausdehnung des Arbeitstages fußen, nicht mehr fort, da Negri und Hardt festlegen, dass Messbarkeit von Arbeitszeit und demzufolge Wert und Mehrwert verunmöglicht werden. (24) Anstelle eines Modells einer objektiven strukturellen Krise des Kapitalismus im imperialistischen Zeitalter setzen Negri und Hardt ein rein subjektivistisches. Sie schreiben: „Man könnte sogar davon sprechen, dass die Entwicklung des Empire und seiner globalen Netzwerke eine Antwort auf die verschiedenen Kämpfe gegen die modernen Machtmaschinen ist, insbesondere auf den Klassenkampf, angetrieben durch den Wunsch der Masse nach Befreiung. Die Menge hat das Empire ins Leben gerufen“ (S.57). „Globalisierungsprozesse existierten nicht oder kämen zum Stillstand, würden sie nicht fortwährend durch diese Explosionen der Menge behindert und vorangetrieben“ (S.72).

Sie stehen kritisch zu der Meinung, „die Krise der 1970er Jahre nur einfach als Moment eines objektiven und unabwendbaren Zyklen der Kapitalakkumulation“ aufzufassen, „statt als Ergebnis des proletarischen und antikapitalistischen Angriffs in den herrschenden und beherrschten Ländern gleichermaßen. Die Akkumulation dieser Kämpfe war der Antrieb der Krise, und sie bestimmten die Bedingungen und die Gestalt der kapitalistischen Restrukturierung“ (S.251).

Eine solche Theorie enthält weitreichende Folgerungen. Erstens ist der Kapitalismus nicht objektiv durch seine Widersprüche dem Untergang geweiht, und demzufolge kann die Notwendigkeit des Sozialismus nicht wissenschaftlich abgeleitet werden, sondern bleibt eine moralische Option, die aus einem bestimmten philosophischen Standpunkt erwächst. Zweitens verhält sie sich bestenfalls neutral im Hinblick auf die Frage: „Reform des bestehenden Unterdrückersystems oder Revolution zu dessen Sturz“ ? (26)

Die Theorie unterstellt, dass, wenn die Arbeiterklasse nicht kämpft, der Kapitalismus auch nicht in die Krise gerät. Wenn wir den Kapitalismus also sich selbst überlassen, neigt er dazu, seine Schwierigkeiten von selbst zu lösen. Sagen das nicht auch die Anhänger der neoliberalen Richtung? Wenn der Kampf dann eine Frage der Wahl ist, warum dann nicht die Möglichkeit wählen, nicht zu kämpfen? Zumindest könnten wir dann doch die Krisen vermeiden, die durch unseren Kampf entstehen. Das ist zwar nicht die Schlussfolgerung von Negri und Hardt, aber die Logik ihrer Ideen ist offen für solche Konsequenzen.

Wenn der Widerstand gegen den Kapitalismus sowohl die Krise in der imperialistischen Zeit und im Empire selbst hervorruft, dann ist die Krise im Empire laut Negri und Hardt allgegenwärtig (immanent). Die Krise ist natürlicher Bestandteil der Bestrebungen des Empire, sich selbst zu reproduzieren. Der Charakter des globalisierten Kapitalismus, der sich auf kooperative und immaterielle Arbeit stützt, auf Sprache und Kommunikation als innerem Kern des Kapitalismus, bedingt dies, weil die Masse ständig den Versuch des Empire angreift, die Kommunikation zu monopolisieren und die Masse zu spalten, damit es verhindert, dass diese ein kollektives, autonomes Subjekt wird. Solche Krisen brechen immer an allen Punkten des Systems aus.

Die Triebkraft der Krise ist die Fähigkeit der Masse, sich beständig zu reproduzieren, ihre Schöpferkraft und Selbständigkeit in einer Welt zu bewahren, worin Politik, Ökonomie und die Gesellschaft sich vermischen und nicht mehr trennbar sind. Negri und Hardt nennen diesen Vorgang ‚Generation‘. Dem wird ‚Korruption‘ gegenüber gestellt. Korruption trachtet danach, die Generation zu verneinen und aufzulösen und ist „Eckpfeiler und Schlüssel von Herrschaft“ (S.396). Ob in Aktionen der politischen Interessenverbände, Mafiabanden, aufstrebender gesellschaftlicher Gruppen oder Kirchen, Korruption steckt überall. Das klingt traditionell.

Aber Korruption ist mehr als das. Wenn sie schreiben, dass „Kapitalismus qua Definition ein Korruptionssystem ist“ (S.397), ist das nicht bloße dichterische Freiheit. Negri und Hardt meinen damit mehr. „Denn wenn der Kapitalismus sein Verhältnis es keinen Maßstab für Arbeit mehr gibt,“ dann „bleibt kein anderes Wesensmerkmal des Kapitalismus zum Wert verliert (und zwar als Maß individueller Ausbeutung wie als Norm des kollektiven Fortschritts), erscheint er ummittelbar als Korruption“ (S.397). Wenn Ausbeutung nicht mehr die Auspressung von Mehrwert bedeutet, sondern nur die Aneignung von kooperativer Arbeit der Masse, kann dadurch Korruption greifen, weil sie danach trachtet, die Masse aufzuteilen.

Macht und die Theorie des kapitalistischen Staates

Als Postmodernisten sehen Hardt und Negri nicht nur eine Machtstruktur, sondern behaupten, dass sich Macht überall findet und dass es eine Vielfalt von Machtstrukturen gäbe, ohne dass eine davon dominant wäre, oder wie es Ian Craib ausdrückt: „Die Welt ist als Kaleidoskop von Machtkämpfen zu sehen, die nie ausgeblendet werden können. Es kann nur der Widerstand angeregt werden, wo sich Macht offenbart.“ (27) Die Schaffung einer kollektiven Identität würde diese Komplexität innerhalb der jeweiligen sozialen Gruppe ignorieren und am Ende zu Repression führen. Anstelle eines überlagernden -ismus, der die verschiedenen Kämpfe gegen den Kapitalismus eint, wollen die Poststrukturalisten eine Unzahl von -ismen setzen – Ökologismus, schwarzer Nationalismus, Feminismus, Immigrantismus, Veganismus, Drittweltismus, Homosexualismus usw. – jeweils eine Theorie und ein Programm, das sich mit einer Form von Unterdrückung beschäftigt und keine Verbindung hat mit anderen Repressionsformen.

Diese Zerfaserung von Macht und Widerstand ist verbunden mit dem angeblichen Emporkommen der Informationsgesellschaft, wo die Macht in den vielfältigen Strukturen von Sprachcodes liegt, die unser Denken bestimmen. In diesem Sinne Castell:

„Macht (…) ist nicht mehr in Institutionen (des Staates), Organisationen (der Konzerne) oder symbolischen Kontrolleuren (Medienkörperschaften, Kirchen) konzentriert (…) Die neue Macht steckt in den Informationscodes und in den Bildern von Repräsentation, um die die Gesellschaften ihre Institutionen organisieren und Leute ihr Leben einrichten und ihr Verhalten ausrichten. Der Sitz dieser Macht ist der Geist der Menschen…

Deshalb sind Identitäten so wichtig und letztlich so mächtig in dieser sich ständig verändernden Machtstruktur, weil sie Interessen, Werte und Projekte um Erfahrung herum formen (…)

Wer sind unter diesen Bedingungen nun die Subjekte des Informationszeitalters? (…) Soziale Bewegungen aus dem kommunalen Widerstand gegen Globalisierung, kapitalistische Erneuerung, organisatorische Netzwerke, unkontrolliertes Informationswesen und Patriarchalismus, und das sind zur Zeit Ökologisten, Feministinnen, religiöse Fundamentalisten, Nationalisten und Lokalpatrioten, sie sind die potenziellen Subjekte des Informationszeitalters.“ (28)

Hardts und Negris Konzept des Empire steht grundsätzlich in dieser Tradition des Postmodernismus und will Macht nicht als zentralisierte Kraft ansehen. Empire ist vielmehr ein Bündel von Machtstrukturen. Empire wird eine kollektive Subjektivität abgesprochen. Zusammengehalten wird Empire durch die ‚Logik‘ eines Informationsnetzwerks von Sprachcodes und nicht durch einen zentralisierten Staat.

Obwohl sie sich bemüßigt gefühlt haben, bei der Behandlung der Politökonomie des Empire auch auf Marx einzugehen, hat die Sicht von Hardt und Negri auf den kapitalistischen Staat vor dem Empire wenig mit Marxismus zu tun. Wie Max Weber sehen sie die Rolle des Staates als eines Disziplinierungsinstruments, das ‚von außen‘ auf die Gesellschaft einwirkt und ein Monopol auf die Ausübung legaler Gewalt hat. Dieser Staat ist national der Form nach und thront ‚über der Gesellschaft‘.

Die marxistische Staatstheorie lokalisiert die Absonderung einer ausgeprägten Verwaltungs- und Bürokratieschicht in der Bildung des Privateigentums und der Notwendigkeit einer öffentlichen Kraft, die über den widerstreitenden Klassen wacht, die aber danach trachtet, die Bedingungen für die Erzeugung von Mehrarbeit, also die Ausbeutung, zu sichern. Diese allgemeine Festlegung dient zu Herausarbeitung der Wesensmerkmale aller Klassenstaaten. Das kapitalistische System braucht ebenfalls einen Staat, um seine Interessen als ganzes zu verteidigen und den ‚kollektiven Willen des Kapitals‘ zu vereinheitlichen.

In der Geschichte hat jede Klassengesellschaft auch eine Entwicklung in Form und Inhalt des Klassenstaates durchlaufen. Die Trennung von Wirtschaft und Politik erreicht erst unter dem Kapitalismus ihren Höhepunkt. Hier erscheint der Staat als wahrhaft unabhängig von den engen Klasseninteressen der wirtschaftlich herrschenden Klasse, denn immerhin sind unter der kapitalistischen Demokratie alle BürgerInnen gleich und keine Stimme eines Wählers zählt formell mehr als die eines anderen. Auch die Zwangsmittel liegen nicht einfach in Händen der wirtschaftlich überlegenen Klasse, sondern werden durch besondere Einrichtungen wahrgenommen. Der Form nach erhebt sich der Staat über die Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, dem Inhalt nach aber fungiert er, um die vertraglich geregelten Eigentumsverhältnisse festzuschreiben, v.a. die zwischen UnternehmerInnen und LohnabeiterInnen. Da diese Gesetze die Rahmenbedingungen gewährleisten, unter denen diese Verträge frei ausgehandelt werden, begünstigt der Staat selbstverständlich die Unternehmer in ihrer Zielsetzung, das letzte Quentchen an Arbeitskraft aus ihren Belegschaften herauszuquetschen. Kurz, es herrscht ein strukturelles Ungleichgewicht in den Grundlagen des Staates, der auf dem kapitalistischen Privateigentum beruht. Die Versuche, Druck auf diesen Staat auszuüben, damit er diese ‚Schieflage‘ begradigt, stellen in der Tat die politische Geschichte der Arbeiterbewegung dar.

Davon aber finden wir nichts im Empire. Mit Blick auf den ‚modernen Staat‘ tischen uns Negri und Hardt bürgerliche Soziologie auf, die Gesellschaft und Staat starr gegenüberstellt (der moderne Staat steht über der Gesellschaft und besitzt ein Monopol auf legitime Gewalt). Über den imperialen Staat äußern sie: „Die Postmodernisierung und der Übergang zum Empire führen zu einer wirklichen Konvergenz der Bereiche, die man üblicherweise als Basis und Überbau zu bezeichnen pflegte“ (S.391).

Scheinbar einander entgegengesetzt sind bürgerliche Soziologie und Postmodernismus wirklich in ihrem undialektischen Herangehen an Basis und Überbau vereint. Der Marxismus allerdings kann die formale Gegenüberstellung von Gewalt des Staates und Gewalt der bürgerlichen Gesellschaft nicht hinnehmen. Der Marxismus erkennt im Staat die Fähigkeit, die Gewalt auch von nicht staatlichen Kräften der Zivilgesellschaft zu billigen, sofern sie die Ziele der herrschenden Klasse absichern. Hitler sanktionierte bspw. den faschistischen Werkschutz, um die deutsche Arbeiter in den 30er Jahren zu terrorisieren. Im heutigen Kolumbien arbeiten Todesschwadronen als Subunternehmer des Staates, um GewerkschafterInnen zu ermorden. Obgleich für MarxistInnen natürlich Staat und Gesellschaft klar abgegrenzt und unterschieden sind, gibt es aber keinen platten, nackten Gegensatz zwischen diesen, sondern sie durchdringen sich gegenseitig und wirken aufeinander ein.

Negris und Hardts Untersuchungsmethode ist vergleichsweise steril: entweder stehen Staat und Zivilgesellschaft in formalem Gegensatz zueinander, jeder mit seinen ausschließlichen Bereichen von Befugnissen und Herrschaft, oder die Unterscheidung ist wie im Empire bedeutungslos und nicht vorhanden. Wenn wir Negri und Hardt weiter in ihrer Auffassung vom imperialen Staat folgen, entdecken wir, dass sich für sie die Angleichung von Staat und Gesellschaft aus dem Sieg des Kapitals über den Staat ergibt. Denn während sich der moderne Staat „über die Gesellschaft und die Menge“ (S.334) erhebt, wirkt „das Kapital hingegen auf einem Immanenzfeld, durch Staffelungen und Netzwerke von Herrschaftsbeziehungen, ohne auf ein transzendentes Machtzentrum zu bauen“ (S.334).

„Durch die gesellschaftliche Entwicklung des Kapitals werden die Mechanismen der modernen Souveränität (…) Schritt für Schritt durch eine Axiomatik ersetzt: das heißt, eine Reihe von Gliederungen und Verhältnissen, die unmittelbar und gleich, auf unterschiedlichem Terrain, ohne Referenz auf vorgegebene festgeschriebene Definitionen oder Größen, Variablen und Koeffizienten determinieren und kombinieren“ (S.335).

Einfacher ausgedrückt: Geld löst die Kraft aller anderen politischen Fesseln und verlässt sich auf seine eigenen inneren Gesetze zur Reproduktion seiner hauptsächlichen Verhältnisse. Wenn dies für gesellschaftliche Verhältnisse in einem Land gilt, muss es ebenso international zutreffen.

„… und selbst die Beschränkungen des Nationalstaats beginnen in dem Moment in den Hintergrund zu treten, da das Kapital sich auf dem Weltmarkt realisiert.

Die Transzendenz moderner Souveränität tritt dergestalt mit der Immanenz des Kapitals in Konflikt. Historisch war das Kapital auf die Souveränität und die Unterstützung durch deren Rechts- und Machtstrukturen angewiesen, doch die gleichen Strukturen widersprechen, ihrem Prinzip nach, dem Wirken des Kapitals und behindern es in der Praxis, bis sie schließlich seine Entwicklung verhindern“ (S.336).

Wenn man den Autoren Glauben schenken will, muss das Kapital immer die Hindernisse überwinden, die ihm der Staat in den Weg stellt. Aber während in der vor dem Empire liegenden Ära des Kapitalismus die Zivilgesellschaft zwischen Kapital und Staat erfolgreich vermittelte, beginnt die Gesellschaft nun zu bröckeln. Gewerkschaften, Familie und Schulen befinden sich in einer Todeskrise und damit werden auch ihre Wirksamkeit und Unterschiedlichkeit zerstört. Somit fallen zivile Gesellschaft und Staat ineinander zusammen. (29)

Negri und Hardt kehren hier zunächst die wirkliche Geschichte der Beziehung von Kapital und Staat um. Der Staat war ein Werkzeug, um die Zerstörung der feudalen Fesseln zu bewerkstelligen und ein Heer von ‚freien‘ Arbeitskräften zu schaffen, die durch das Kapital ausgebeutet werden konnten. Dies geschah dadurch, dass die Bauern der Möglichkeit beraubt wurden, ihren Unterhalt auf dem Land zu schaffen, durch Verabschiedung von Gesetzen gegen Nichtsesshaftigkeit und viele andere Maßnahmen, um das Proletariat in die Fabriken zu pferchen. In der Entwicklung des Kapitalismus wurden auch Gesetze beschlossen, die die Bildung von ‚Arbeitsverbünden‘, also Gewerkschaften, erschwerten, so dass die Arbeiter die Bedingungen für den Verkauf ihrer Arbeitskraft nicht verbessern konnten.

Im Übergang vom Kapitalismus der freien Konkurrenz, als die Arbeiterklasse an Stärke gewann und das allgemeine Wahlrecht einer Kapitalistenklasse nach der anderen aufgezwungen wurde, schwollen die Bürokratie und das Militärwesen des kapitalistischen Staates ungeheuer an, während die wahre Macht von den Parlamenten auf die vollziehende Gewalt überging; alles geschah, um das Kapital vor den Forderungen der Arbeiterklasse zu schützen.

Der Gedanke, dass der Staat ‚dem Wesen nach‘ immer danach gestrebt hätte, das Kapital an der Entfaltung zu hindern, ehe das Kapital sich dann selbst unter dem Empire befreit, ist lächerlich. Wer hat denn die Schranken für die Bewegungsfreiheit des imperialistischen Kapitals in den vergangenen 90er Jahren niedergerissen? Niemand anders als die Nationalstaaten von Europa und die USA durch Drohung und Bestechung! Wer unterdrückt die Massenbewegungen gegen das weltweit handelnde Kapital? Niemand anders als der Staat der Kapitalisten!

Negri und Hardt glauben, dass an die Stelle des Unterdrückerstaates, der kapitalistischen Zwang auf die Massen ausübt, eine Art innerer Selbstzwang rückt: „Disziplin ist nicht äußere Stimme, die über uns stehend uns unser Handeln diktiert, uns überwölbt, wie Hobbes sagen würde, sondern Disziplin ist eher eine Art innerer Antrieb, der von unserem Willen ununterscheidbar, unserer Subjektivität immanent und ihr also untrennbar verbunden ist“ (S.338). Das Gefängnis beherrscht also nicht die Insassen, sondern bedeutet eigentlich einen Raum, innerhalb dessen sich die Insassen selbst disziplinieren (S.339). In der Tat sind Betriebs, Schul- und Gefängnisdisziplin verwoben in einer „hybriden Produktion von Subjektivität“ (S.339).

Die unterschiedlichen Rollen der Mutter, des Arbeiters und des Schülers werden aufgebrochen und miteinander vermischt, denn sie wurden ein Hindernis „für die weitere Entwicklung von Mobilität und Flexibilität“ (S.340). Auch in diesem Beispiel steckt wenig mehr als ein postmodernes philosophisches Vorurteil, das die gesellschaftlichen Strukturen im Kopf aufzulösen versucht, während sie aber weiterwirken auf gesellschaftlicher Ebene. Im Gegenteil: diese sozialen Identitäten bleiben, auch wenn sie sich im Lauf der Zeit fortentwickeln. Selbstredend können sich die verschiedenen ‚Rollen‘ in einer Person paaren, sie sind nicht so gegenseitig ausgeschlossen wie sie es einmal waren. Eine Mutter, die in einem Callcenter Teilzeitarbeit verrichtet und nebenher für einen Hochschulabschluss studiert, ist demnach Mutter, Arbeiterin und Studentin zugleich. Das heißt nicht, dass diese Unterschiede damit ausgelöscht sind, sondern vielmehr, dass der Einzelne ein Leben lebt, in dem vielfältige statt ‚hybride Identitäten‘ vorkommen können, die möglicherweise jedoch schwer miteinander in Einklang zu bringen sind. Wiederum zeigt sich, dass die Schreiber Gegensätze nur gegenüber stellen oder in ihren Köpfen auflösen können, während das wirkliche Leben sie in einer Auseinandersetzung verbindet und weiter treibt.

Wenn der Staat sein übernatürliches Wesen nach innen verloren hat, vervollständigt das für Negri und Hardt den „Niedergang der Nationalstaaten (…), die durch Grenzen die Aufteilung der globalen Herrschaft markieren und organisieren“ (S.341). Multinationale Unternehmen „arbeiten daran, aus Nationalstaaten bloße Instrumente zu machen, die die Waren-, Gelder- und Bevölkerungsströme überwachen, die sie selbst in Bewegung gesetzt haben“ (S.46). Der Niedergang der Nationalstaaten sei „strukturell und irreversibel“ (S.345).

„Der tatsächliche Niedergang dieser Struktur kann am Entwicklungsgang einer ganzen Reihe von globalen juridisch-ökonomischer Körperschaften verfolgt werden, also etwas an dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT), der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Die Globalisierung der Produktion und Zirkulation und ihr Rückhalt durch dieses supranationale Rechtsgerüst tritt an die Stelle nationaler juristischer Strukturen“ (S.345).

Das ist eine wirklich bemerkenswerte Behauptung! In den genannten Körperschaften handeln unabhängige Nationalstaaten ihre unterschiedlichen Interessen mit unterschiedlichem Erfolgsgrad je nach ihrer relativen nationalen Macht aus. Die aufkommenden Spuren von staatenübergreifender Bürokratie (z.B. die Schlichtungsausschüsse bei der WTO oder der Europäischen Kommission) bleiben schwach.

Negri und Hardt liegen falsch in ihrer Sicht der Nationalstaaten als passive Opfer des Prozesses einer wirtschaftlichen Globalisierung durch das Kapital der multinationalen Konzerne. Sie waren die ersten Auslöser davon. Schon in den 70er Jahren waren sich die Regierungen der USA und Britanniens im Bündnis mit den Hauptbereichen von Finanz und Industrie einig, dass ihren nationalen Interessen am besten damit gedient wäre, wenn sie alle anderen Länder dazu zwingen könnten, ihnen ihre Finanzmärkte zu öffnen. Sie waren ‚Marktführer‘ bei den meisten Finanzleistungen und gedachten, aus ihren Konkurrenzvorteilen erheblichen Profit zu schlagen. Sie waren die Vorreiter und zwangen alle anderen Märkte, ihrem Beispiel zu folgen oder noch mehr Marktanteile bei diesen Finanzleistungen zu verlieren.

Außerdem verkennen Negri und Hardt das Ausmaß von Regierungsmaßnahmen während der letzten 10 Jahre, um die negativen Auswirkungen der zügellosen Kapitalbewegungen einzudämmen. Nationale Regierungen griffen natürlich ein, um die Folgeschäden der Kapitalbewegungen zu lenken und zu begrenzen. Als Antwort auf den 500 Mrd. $ Verlust der Banken in Japan nach dem Zusammenbruch des Vermögensmarkts 1989 hat die japanische Regierung sofort der Deregulierung ihrer eigenen Finanzmärkte entgegengewirkt und gedrosselt. (30)

Anfang der 90er Jahre griff die US-Regierung ein, als die Spar- und Darlehenskrise im Anschluss an die Rezession von 1989 einsetzte. Als 1992 der Europäische Währungsverbund (ERM) zusammenbrach, führten Portugal, Spanien und Irland kurzerhand Kapitalhandelskontrollen ein, um ihre Währungen zu schützen. 1994 griff die US-Regierung stark ein, um zur Hauptsache Schatzbriefinhaber aus den USA vor dem Verlust von 50 Mrd. $ zu bewahren, die durch den Zusammenbruch des mexikanischen Peso entstanden waren.

Der erfolgreiche Anlauf für die einheitliche europäische Währung 1999-2002 ist auch ein Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen von kleineren EU-Staaten, die plötzlichen ökonomischen Auswirkungen des vereinheitlichten Marktes auf Finanzleistungen fernzuhalten, ein Schachzug, der wie beabsichtigt v.a. dem britischen und deutschen Finanzkapital zugute kam. Diese Öffnung wurde nur unter der Bedingung gestattet, dass den kleineren Staaten Kontrollbefugnisse über die Finanzpolitik der einheitlichen, föderalen europäischen Bank (EZB) zugebilligt wurden. Hier hat der ‚Nationalstaat‘ die Form eines alleuropäischen ‚Staates‘ angenommen, aber der Mechanismus der grenzübergreifenden Kontrollen ist nicht frei vom entscheidenden Einfluss einzelner Nationalstaaten; für sie ist das nur ein Werkzeug.

Das verweist auf einen weißen Fleck in der ‚Empire‘-Erklärung. Negri und Hardt übergehen die Tatsache, dass der wirkliche Widerspruch zwischen Nationalstaat und globalem Kapital jetzt und für absehbare Zeit Regionalisierung der internationalen Ökonomie und übernationale politische Entwicklungen schafft.

Ihre Auffassung vom ‚überflüssigen‘ Nationalstaat unterschätzt ferner die Tatsache, dass die multinationalen Konzerne mit weltweitem Wirkungsfeld ein Rechtssystem an ihrem Stammsitz brauchen, das ihre Interessen verteidigen kann. Wir brauchen uns dazu nur die Regulierung des Internetgeschäfts anzuschauen. Es gibt wenig mehr echte Weltunternehmen als in den Bereichen Computertechnik, Pharmazie, Musikindustrie und Internet. Aber die Abhängigkeit der Großkonzerne von ‚ihrem‘ Staat schimmert durch, wenn ihre Ansprüche in der Weltwirtschaft gegenüber den Konkurrenten durchgesetzt werden sollen.

Im Februar 2001 wurde in den USA vom Berufungsgericht ein früheres Urteil gegen die Musiktauschbörse Napster bestätigt, wonach dieses daran gehindert worden war, ihren Nutzern weiterhin das illegale Herunterladen von Musikstücken auf PC zu ermöglichen und damit gegen geistige Urheberrechte zu verstoßen. Im selben Monat verteidigten Glaxo, Smith & Kline erfolgreich ihr Patent auf ein Aids-Bekämpfungsmittel gegen Versuche aus Brasilien, dieses Mittel als Nachahmerpräparat billiger herzustellen. Im Jahr 2000 wurde das Unternehmen Yahoo durch Beschluss französischer Gerichte zum Rückzieher gezwungen, pornografische Webseiten über französische Internetprovider unzugänglich zu machen.

Verständlicherweise dauert es einige Zeit, ehe sich die Gesetzeslage auf diese neuen Entwicklungen im Weltkapitalismus einstellen und die Konkurrenz zwischen verschiedenen Kapitalsektoren regeln kann. Aber die großen multinationalen Konzerne sind in den mächtigsten Nationalstaaten verwurzelt, und diese verfügen über ein ganzes Arsenal von Handelssanktionen und diplomatischen Manövern, um den Einklang mit ihren Interessen sicher zu stellen.

Die augenfälligste Art, wie der Nationalstaat im Sinne des nationalen Kapitals handelt, offenbart sich in der Kontrolle über die Arbeit. Darunter fallen z.B. Gesetze zu arbeitsrechtlichen Regelungen oder zum Wirkungskreis von Gewerkschaften. Ob in brutalen Überfällen auf Streikende, in der Einkerkerung von Gewerkschaftsführern wie in Nigeria oder in den einschneidenden gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen Britanniens – der Staat ist überall noch eine lebenswichtige Einrichtung für das Kapital.

Drittens legen Negri und Hardt nicht genügend Gewicht auf die Rolle der Nationalstaaten bei der Vergabe von Aufträgen an die Großkonzerne, um deren Profite hoch zu halten. Der außergewöhnliche Anstieg von Aufträgen an die US-Rüstungsindustrie in den 90er Jahren ist das schlagkräftigste Beispiel hierfür.

Die politische Funktion (‚Administration‘) der imperialistischen Staaten besteht den Autoren zufolge darin, die Masse zu segmentieren und zu teilen. Das galt allerdings auch für alle Klassengesellschaften vor dem Empire. Damals wurde diese Aufgabe durch lineare Integration von Konflikten und unterstützt durch einen kohärenten Repressionsapparat bewältigt. Im Empire tendiert das Management politischer Ziele dazu, getrennt von demjenigen der Repression zu verlaufen, während der moderne Staat sie zu koordinieren versucht und die ganze Operation entlang einer Kette von Prinzipien rationalisieren will, die auf der Universalität und Gleichheit seiner Aktionen basiert.

Da die Administration nicht für die politischen Ziele des Staates agiert, wird sie in ihren Verhandlungen autonom gegenüber Arbeiter- und Unternehmergruppen. Sie trachtet nicht danach, sie zu integrieren, sondern sie zu differenzieren. Der Staat verhält sich aus diesem Grund separat zu den verschiedenen sozialen Gruppen. Er behandelt sie alle direkt und separat. Negri und Hardt fragen, wie in diesem Fall der Staat funktionieren kann. Die Antwort lautet: „Die vereinheitlichende Grundlage wie der oberste Wert imperialer Regierung ist ihrer lokale Wirksamkeit“ (S.350).

Mit diesem Konzept vergleichen Negri und Hardt den imperialen Staat mit den Feudalherren oder der Mafia. Beide würden zeigen, dass „die Selbständigkeit lokaler Regierungskörperschaften nicht im Widerspruch zur imperialen Regierung“ (S.351) stehen.

„Lokale Autonomie ist die grundlegende Bedingung, die conditio sine qua non in der Entwicklung des imperialen Regimes“ (S.351).

Dann sagen sie jedoch, dies könne „keine Sicherheit vor möglichen Gefahren, etwa riots, Aufständen, oder Revolten bieten, nicht einmal vor ganz normalen Konflikten zwischen unterschiedlichen lokalen Fraktionen“ (S.351). An dieser Stelle tritt Kommando oder Repression in Kraft. Das Empire braucht die Garantie eines Oberkommandos wie alle anderen Staaten, aber es bezieht sie nicht aus der Notwendigkeit, eine Krieg führende Gesellschaft zu befrieden oder aus der Notwendigkeit, Verträge durchzusetzen.

„Das imperiale Kommando wird nicht mehr durch die Disziplinarmechanismen des modernen Staates ausgeübt, sondern folgt den Modalitäten biopolitischer Kontrolle“ (S.352).

Es gibt kein ‚Volk‘ mehr, dessen Macht auf eine souveräne Körperschaft übertragen werden kann, die dann über das Volk herrscht. Stattdessen wandelt sich die ‚Menge‘ ständig; sie kann nicht vom Staat von oben beherrscht werden, sondern nur intern, wo sie in Produktion, Kultur und Kommunikation operiert. Das imperiale Kommando muss die Zusammenkunft dieser Masse in Autonomie unterbinden, sie aber nicht zerstören; es muss ein generelles Gleichgewicht des Systems garantieren. Wie geht das vor sich? „Das imperiale Kommando besitzt drei globale und unumschränkte Instrumente: die Atombombe, das Geld und den Äther“ (S.353).

Nuklearwaffen negieren die Idee, dass der souveräne Staat ein Monopol auf legitime physische Gewalt hat, schreiben Negri und Hardt. Die Konzentration auf diese Waffen in wenigen Händen nimmt dem Staat die Fähigkeit, Entscheidungen über Krieg oder Frieden zu treffen und macht den Krieg zwischen Staaten „immer weniger denkbar“. Jeder Krieg wird auf einen begrenzten Konflikt reduziert, Bürgerkrieg, schmutziger Krieg, ‚eine Polizeioperation‘.

Das ist eine abwegige Verallgemeinerung. Zuerst einmal sind diese Waffen genau ‚territorialisiert‘ und werden eifersüchtig durch die jeweiligen Nationalstaaten bewacht. Die sie besitzen, sitzen am längeren Hebel gegenüber denen, die sie nicht haben. Wo sich eine Auseinandersetzung zwischen Staaten anbahnt, kann die Verfügungsgewalt über Atomwaffen entweder das Ausmaß des militärischen Konflikts aus Angst vor den Auswirkungen begrenzen (z.B. bei Indien gegen Pakistan) oder Stellvertreterkonflikte entstehen lassen, die zwischen Staaten ausgetragen werden, die Verbündete einer Atommacht sind (wie im Kalten Krieg).

Das Vorhandensein von Atomwaffen macht Kriege zwischen Staaten eindeutig nicht ‚immer weniger denkbar‘, wie sich im Lauf der 90er Jahre herausgestellt hat; vielmehr hat das erdrückende Übergewicht in allen Waffengattungen zur Massenvernichtung die USA sicher gemacht, dass sie ungestraft gegen andere Staaten Krieg führen können.

Der zweite Weg, auf dem das imperiale Kommando wirkt, soll über die „Auflösung nationaler und/oder regionaler Regimes monetärer Regulierung“ (S.354) führen. Negri und Hardt meinen, dass „nationalstaatliche Geldstrukturen Kennzeichen von Souveränität einbüssen“ (S.354) und das Finanzkapital sie beherrsche. Dies ist wiederum eine Einsicht, die bis zum Bruchpunkt ausgedehnt wird. Niemand bezweifelt die Macht der Finanzmärkte, die nationale Währungen entwerten können. Britannien wurde 1992 aus dem ERM durch die vereinten Anstrengungen der Spekulanten hinausgedrängt, die die Devisenvorräte des Landes angezapft hatten. Die finanziellen Zusammenbrüche von Mexiko 1994, Ostasien 1997 und Argentinien 2001 waren alle den Spekulationen der Finanzmärkte geschuldet, die die festgesetzten Wechselkurse der nationalen Währungen zum US-Dollar für überbewertet hielten.

Es gibt aber solche und andere nationale Währungen. Es ist zwar richtig, dass es keine neue allgemeine Währung gibt, aber wir haben nicht nur Geld im Allgemeinen, das „weder einen festen Ort noch einen transzendenten Status“ (S.354) besitzt. Das lässt die herausragende Rolle außer Acht, die der US-Dollar in der Welt spielt. Über die Hälfte aller Dollars ist außerhalb der USA in Umlauf. Internationale Finanzleute leihen und verleihen in der US-Währung, und der internationale Handel nutzt den Dollar selbst dort, wo keine US-Amerikaner beteiligt sind. Wie die Zeitschrift ‚The Economist‘ es ausdrückt, hat „kein Wert seit dem Gold sich einer solch weit verbreiteten Gültigkeit als Tauschmittel und Wertanlage erfreut.“ (31) Heute ist der Dollar zum Standard geworden. Er sichert den internationalen Geldverkehr und den Welthandel, solange die US-Preise stabil bleiben und andere Länder bereit sind, die negative Außenbilanz der USA mitzutragen. (32)

Die letzte Komponente des imperialen Kommandos ist ‚Äther‘. Für Negri und Hardt löst sich das Management der Bildung, Kommunikation und Kultur durch Nationalstaaten unter dem Empire auf. Souveränität wird der Kommunikation untergeordnet, die weder fassbar noch verortbar ist. „Die Kommunikation ist die Form kapitalistischer Produktion, in der es dem Kapital gelang, die Gesellschaft insgesamt und global seinem Regime anzupassen und alle anderen Wege abzuschneiden“ (S.355).

Sie fahren fort: „Möglicherweise kann man dem Gewaltmonopol und der Geldregulierung in mancher Hinsicht Territorien zuschreiben, bei der Kommunikation geht das nicht. Die Kommunikation ist das zentrale Moment, auf dem die Produktionsverhältnisse gründen, sie dirigiert die kapitalistische Entwicklung und transformiert selbst die Produktivkräfte“ (S.355).

Hier unterschätzen die Autoren als erstes die Fähigkeit der Nationalstaaten zur Kontrolle und Territorialisierung von Kommunikation (z.B. durch nationale Telekommunikationsanbieter, national begrenzte Entwicklung des Fernsehsystems, beschränkt durch Bandbreiten, Sendesysteme und natürlich durch Gebührenauflagen für kontrollierten Zugang zum Internet durch Unternehmen und Regierungen).

Zweitens ist die Zahl der Nutzer in der Welt mit Zugang zu Massenkommunikationssystemen sehr gering. Mittlerweile haben sich die Nationalstaaten unbeschränkten Zugriff auf die Daten (als Bilddaten oder in anderer Form) ihrer Bürger verschafft; zu diesen Informationen ist den Massen der Zutritt verwehrt. Drittens stellen sie nicht in Rechnung, dass Konzentration, Zentralisation und Kommerzialisierung der Information zeitlich und räumlich durch politisches Diktat und Geld gebunden sind.

Zusammengefasst verträgt sich Negris und Hardts Sicht vom Staat an keinem einzigen Punkt mit der beobachtbaren Wirklichkeit. Sie sehen ihn essentiell als Hindernis für die Entwicklung des Kapitals statt als Förderer von dessen Vorherrschaft. Für sie liegt das Wesen des Staates in der Kontrolle von Differenzen, nicht in der Repression. Die erstgenannte Aufgabe ist die politische Rolle des Staates (‚imperiale Administration‘), die autonom von der repressiven Funktion (‚imperial command‘) existiert. Mittlerweile lokalisieren sie die repressive Funktion nicht im nationalen Staatsapparat (da der Nationalstaat machtlos ist), sondern im globalen Effekt von Geld, Kommunikation und Nuklearwaffen auf die ‚Menge‘, damit diese sich mit der Herrschaft des Kapitals arrangiert.

Der Staat zentralisiert also nicht die Interessen und Aufgaben der herrschenden Klasse (d.h. als Exekutivkomitee), sondern zersplittert und löst sich auf unter dem Druck der unkontrollierbaren globalen Kräfte, die sich über seine repressive Macht hinwegsetzen und seine politische Kohärenz fragmentieren.

Widerstand gegen das Empire oder „die ununterdrückbare Leichtigkeit und Freude, Kommunist zu sein“

Der ultimative Test für jede politische Analyse besteht in ihrer Fähigkeit, ein Programm zu schaffen, das benutzt werden kann, um ihre Ziele und Prinzipien zu verwirklichen. Wie voraussagbar, steht in ‚Empires‘ letztem Abschnitt, der die heutigen Kämpfe und den Weg nach vorn behandelt, die Überheblichkeit ihres Anspruchs auf theoretischen Radikalismus in scharfem Kontrast zur simplen Banalität ihrer Vorschläge.

Laut ‚Empire‘ sind die Kämpfe des modernen Proletariats sehr verschieden von denen, die von 1968 bis zum Fall der Berliner Mauer reichten, „einem internationalen Kampfzyklus, die auf der Ausbreitung und Übersetzung gemeinsamer Ziele in der Revolte der lebendigen Arbeit beruhte“ (S.67).

Laut Negri und Hardt ist an deren Stelle eine neue Kampfbereitschaft entstanden; Beispiele in den 1990er Jahren beinhalten Los Angeles (1992), Chiapas (1994), Frankreich (1995) und Südkorea (1996). Diese Kämpfe würden sich jedoch grundlegend von früheren unterscheiden.

„Jeder dieser Kämpfe hatte Besonderheiten und basierte auf unmittelbaren regionalen Gegebenheiten, so dass aus ihnen auf keinen Fall ein globaler Zusammenhang, eine Kette von Kämpfen werden konnte. Keines dieser Ereignisse löste einen Kampfzyklus aus, weil die darin zum Ausdruck kommenden Wünsche und Bedürfnisse sich nicht in unterschiedliche Kontexte übersetzen ließen. Mit anderen Worten: Die (potenziellen) Revolutionäre in anderen Teilen der Welt hörten die Ereignisse in Peking, Nablus, Los Angeles, Chiapas, Paris oder Seoul nicht, konnten sie nicht unmittelbar als ihre eigenen Kämpfe erkennen“ (S.67).

Aber warum? Diese merkwürdige Behauptung fließt aus dem Standpunkt der Autoren, dass der moderne Kapitalismus, der nicht auf Industrieproduktion fußt, sondern auf immaterieller Arbeit, seinen zyklischen Charakter eingebüßt hat, der auf intern erzeugten Akkumulations- und Überproduktionskrisen beruht. Die objektive Begründung für proletarischen Internationalismus ist verschwunden, weil er in der Existenz von in Nationalstaaten fußenden Arbeiterbewegungen wurzelte. Heutige Kämpfe verbreiten sich wie schlechter Wein.

Aber nicht alles ist verloren! Was diese Auseinandersetzungen an Kommunizierbarkeit eingebüßt haben, gewinnen sie an Intensität, weil sie – die scheinbar isoliert und unverknüpft sind – gezwungen sind, „in einer vertikalen Bewegung sofort die globale Ebene zu berühren“ (S.68). Obwohl der Übelstand der Bauern in Chiapas von einer Geschichte des örtlichen Ausschlusses aus Staat und Gesellschaft Mexikos seinen Ausgang nimmt, stehen sie tatsächlich z.B. unmittelbar mit dem Charakter und der Funktionsweise der NAFTA in Verbindung (S.55). Zudem sind alle erwähnten Kämpfe „gleichzeitig wirtschaftlich, politisch und kulturell“ (d.h. biopolitisch).

Wieder besteht die beste Widerlegung dieser Ansicht der Auseinandersetzungen nach dem Kalten Krieg in jüngsten Entwicklungen in der wirklichen Welt. Es gibt keine Erwähnung oder einen Hinweis auf die Antiglobalisierungs- oder antikapitalistische Bewegung in ‚Empire‘. Das Buch war zweifellos zum Druck gebracht worden, kurz bevor die folgenschweren Ereignisse in Seattle am Ende des 20. Jahrhunderts das Auftauchen dieser globalen Bewegung in das Gedächtnis aller fortschrittlichen Menschen einprägten.

Obwohl in Keimform in verschiedenen Auseinandersetzungen seit Mitte der 1990er gegenwärtig, wurde die antikapitalistische Bewegung in den Demonstrationen gegen das Ministertreffen zu Seattle volljährig und kündigte die Entstehung einer neuen ‚Subjektivität‘ an – einer bewussten, weltweit organisierten Widerstandsbewegung gegen globales Kapital, seine Regierungen und multilateralen Agenturen.

In Anbetracht der Bezugnahme des Buchs auf Chiapas führt ironischerweise eine ganze Reihe der antikapitalistischen Bewegung ihre Wurzeln auf die ersten internationalen Massenversammlungen zurück, die von der EZLN in Mexiko organisiert wurden, um eine internationale, von den Zapatistas inspirierte Widerstandsbewegung zu koordinieren. (33) Diese Tatsache allein straft die Behauptung Negris und Hardts Lügen, das Haupthindernis dieser postmodernen Kämpfe sei „das Fehlen eines erkennbaren gemeinsamen Gegners, gegen den sich die Kämpfe richten“ (S.70).

Die antikapitalistische Bewegung ist auf der Erkenntnis ‚gegründet‘, dass, was die landlosen Bauern von Chiapas, die Arbeiter des französischen Öffentlichen Dienstes und die Südkoreas, die gegen die Sparkonzepte des IWF zu Felde ziehen, gemein haben, ein Kampf gegen das verwobene Netz der Großkonzerne und ihrer Wächter in IWF, Weltbank und WTO wie auch einer Myriade an untergeordneten Pakten und Agenturen ist.

Mehr noch: in dem Maße, wie die Bewegung reift, subjektiv revolutionärer wird, sehen viele den Zusammenhang zwischen Konzernglobalisierung und der neuen Welle imperialistischer Militarisierung und Aggression sowie dem Kampf der PalästinenserInnen gegen zionistische Unterdrückung. (34)

Aber wenn Negri und Hardt den Grad unterschätzen, in dem aktuell Kämpfe miteinander verflochten sind, überschätzen sie auch den, bis zu dem jeder für sich eine ‚unmittelbare‘ und direkte Herausforderung für ‚das virtuelle Zentrum des Empire’ präsentiert. Das folgt natürlich aus ihrem falschen Glauben, dass in der Welt des Empire keine Moderation von Auseinandersetzungen existiert; lokale, wirtschaftliche Missstände und weltweite politische Belange sind unmittelbar kombiniert und es gibt keine Gesellschaftsmechanismen, die bewirken können, den Widerstand zu zerstreuen – schließlich hat die Gewerkschaftsbürokratie an Kraft verloren und Parteien sind verfallen. Von daher führt der philosophische Standpunkt der ‚Unmittelbarkeit‘ zur Anbetung der Spontaneität und willkürlicher Blindheit vor den wirklichen sozialen Apparaten, die Gegenwehr blockieren, entgleisen lassen und ersticken.

Die Bilanz der antikapitalistischen Bewegung widerlegt ‚Empires‘ Aussagen völlig. Sie unterstreicht nur, wie steril seine Unterscheidung zwischen ‚horizontalen‘ und ‚vertikalen‘ Kämpfen ist und erweist seine Todesanzeige für den ‚proletarischen Internationalismus‘ als verfehlt. Fakt ist, dass die Auswirkung der weltweiten kapitalistischen Krisen auf verschiedene Nationalstaaten erste Antriebskraft für Auseinandersetzungen der Arbeiterklasse und Bauern sind und diese durch ein Netzwerk von Gewerkschaften, Parteien und antikapitalistischen Gruppen zusammengehalten werden.

Ein weiterer, noch reaktionärerer Irrtum, dem das Buch verfällt, ist seine Gegnerschaft gegen „falsche und schädliche“ Widerstandsstrategien, die gegen die Resultate der weltweiten Kapitalbewegungen im Namen der Bewahrung des Lokalen, Regionalen oder Nationalen anzugehen sucht. Es argumentiert, das Örtliche sei umgrenzt, partikularistisch und rückständig und das Globale führe nicht immer zum Aufpfropfen von Einförmigkeit und Ausradieren von Unterschieden. Dies zeigt nur zu klar, wie ihre Methode sie verblendet gegen das, was Sache ist.

Sind die Anstrengungen der kolumbianischen Gemeinden gegen die Vorgehensweise des Ölmultis BP nicht fortschrittlich? Sie bekämpfen die Zerstörung ihres Landes und die Beraubung ihrer Umwelt. Sie mögen auch Arbeit in den Anlagen suchen, aber mit gewerkschaftlichen Rechten und anständiger Bezahlung. Es mag stimmen, dass ihre schlimmsten Feinde die örtlichen und nationalen Agenten der kolumbianischen Regierung und ihre besten Verbündeten die ArbeiterInnen in der ausländischen Petroleumindustrie sind, aber das stellt nicht notwendigerweise einen Gegensatz zwischen lokalen und internationalen Kämpfen dar. „Globalisierung von unten“ (d.h. ein Geflecht international gesteuerten Aufbegehrens gegen das weltweite Kapital) und Verteidigung von Rechten vor Ort, selbst in dem Umfang, das Vorgehen des globalen Kapitals an den Örtlichkeiten abhängig von der Anerkennung demokratischer und gewerkschaftlicher Rechte und eingeborener Kulturen zu machen, schließen einander nicht aus. Nur vorurteilsbehaftete PostmodernistInnen wie Negri und Hardt können in der Existenz von Nationalstaaten und Identifizierung mit der Heimat vor Ort ein reaktionäres Hindernis für den Fortschritt entdecken, weil sie ‚Grenzen‘ festlegen.

Die letzten Buchkapitel befassen sich damit, wie das Empire gezwungen werden kann, einer anderen Gesellschaft Vorfahrt zu gewähren. Weil politische Konflikte einander ohne Vermittlungsleistung konfrontieren, verfügt das Empire über größeres Revolutionspotential; die Menge steht in direktem Gegensatz zu ihm. Aber was macht diese Menge aus? Sie ist eine Eigenheit, nicht die Summe aller Bestandteile; sie entsteht infolge kooperativer, unmittelbarer, autonom produzierender Arbeit. (35) Die vielfältige Masse wird zunächst von Arbeitswanderung geprägt. „Mittels Zirkulation macht sich die Menge den Raum wieder zu eigen und konstituiert sich als handelndes Subjekt“ (S.404). (36)

Diese Bewegung ist aber noch keine politische Organisation. Während das Empire Massenmigration braucht, muss es die Wanderarbeiter zu hindern versuchen, politische Legitimation zu erlangen; so kriminalisiert es sie und trachtet, sie zu isolieren. Nationalismus kann gegen sie eingesetzt werden; Unterdrückung ist im Schwange. „Das Handeln der Menge wird zuallererst dann politisch, wenn es sich unmittelbar und in angemessenem Bewusstsein gegen die zentralen Unterdrückungsaktionen des Empire richtet“ (S.406).

Während die Autoren darauf bestehen, dass man noch nicht sagen könne, welche konkreten Praktiken dies beinhalten werde, glauben sie doch, über ein grobes politisches Programm zu verfügen, das die Herausforderung des Empire zusammenfasst.

Das Buch endet mit der Anregung dreier Forderungen, die vermutlich gegenwärtige Konflikte verknüpfen und den Kapitalismus konfrontieren sollen. Es sind Forderungen, die entworfen wurden, um die Fähigkeit des Empire in Frage zu stellen, die Menge zu segmentieren. Deshalb das Bedürfnis auf das Recht Aller zu wandern und nicht räumlich getrennt zu werden; oder das jeder Person auf gemeinsamen Lohn und von daher die Weigerung, entlang wirtschaftlicher Linien gespalten zu werden; und schließlich das Recht der uneinheitlichen Masse auf gemeinsame Kontrolle über Produktion/Kommunikation und ihre Zusammenarbeit nicht vom Kapital gezügelt und für es in Kraft gesetzt zu sehen. (37)

Die erste Forderung lautet darum „Recht auf eine Weltbürgerschaft“, „dass allen Arbeitern die vollen staatsbürgerlichen Rechte gewährt werden“, und die „auf dem grundlegenden modernen Verfassungsprinzip, das Recht und Arbeit miteinander verbindet“ (S.407) beruht. Noch genauer erweist sie sich als Forderung der Menge, dass „jeder Staat die Migrationen, die für das Kapital nötig sind, rechtlich anerkennt“ (S.407). So erweist sich diese „Weltbürgerschaft“ als – die Forderung nach nationalem Staatsbürgertum.

Die Autoren scheinen die Ironie zu ignorieren. Dass die Postmoderne lediglich in der Lage sein soll, eine ‚modernistische‘ Variante einer Losung der bürgerlichen Revolution auszubrüten, eine Erweiterung des Staatsbürgerkonzepts, ist sicher sehr destruktiv für ihre Sache. Dass sie gezwungen sein sollten, Forderungen an den Nationalstaat zu richten, den sie 400 Seiten lang für vom Empire und dem Weltmarkt überflüssig gemacht bewiesen haben, fordert Gelächter geradezu heraus.

Sie argumentieren aber, dass ‚volles‘ weltweites Bürgerrecht nur bedeutsam ist, wenn Individuen das Recht erlangen, ganz wie sie wollen zu bleiben oder sich an eine andere Stelle zu begeben. Aber dies bedeutet keinen Weltstaat oder setzt ihn voraus; es ist tatsächlich nicht mehr als die traditionelle Parole moderner marxistischer RevolutionärInnen – eine Beendigung der Einwanderungskontrollen in jedem Staat – und eine, das muss gesagt werden, die die immer noch von der Existenz des Nationalstaats ausgeht.

Ihre zweite Forderung ist „das Recht auf einen sozialen Lohn“. Das wird mit Verweis auf das postmoderne Konzept von Zeit gerechtfertigt, demzufolge es keine objektive Zeitmessung in der postmodernen Welt gebe – ein ‚Vor‘ und ein ‚Nach‘. Zeit ist das Eigentum der kollektiven Erfahrung der differenzierten Menge. Vergangenheit und Zukunft sind in eine ewige Gegenwart hinein aufgelöst worden, die in der Erfahrung der Menge besteht. Folglich gibt es keinen Arbeitszeitmaßstab, noch sind die Unterschiede zwischen Arbeitstypen aussagekräftig (innerhalb oder außerhalb der Fabrik, produktiv oder unproduktiv). Alles was bleibt, ist eine gemeinsame Zusammenarbeit unter der Vorherrschaft des Empire.

„In dem Maße, in dem die Arbeit die Fabrikgebäude verlässt, wird es immer schwieriger, an der Fiktion irgendeines Maßes für den Arbeitstag fest zu halten und somit, die Produktionszeit von der Reproduktionszeit bzw. die Arbeitszeit von der Freizeit zu trennen. Auf dem Feld biopolitischer Produktion gibt es keine Stechuhren; das Proletariat produziert in seiner gesamten Gemeinsamkeit überall den ganzen Tag lang“ (S.409).

Auf dieser Grundlage erhebt sich der Ruf „nach einem sozialen Lohn und nach einem garantierten Einkommen für alle“.

Die mögliche Kette reaktionärer Schlussfolgerungen, die aus dieser absurden Sophisterei abgeleitet werden kann, ist so grenzenlos wie die mutmaßliche Verfassung des Empire. Kein Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit? Nun, ein paar Überstunden in der Fabrik oder im Schacht sind dann eine feine Sache? Keine Unterschiede zwischen irgendwelchen Arten konkreter Arbeit? Gleicher Lohn für Alle – aber wer soll in der existierenden Welt über dessen Höhe entscheiden? Wie wird sie berechnet, wenn es keinen Wertmaßstab gibt? Bedeutet das Lohneinbußen für FacharbeiterInnen? Trifft das auf parasitäre Aktionäre wie auf jeden anderen zu? Das wäre alles lächerlich, ginge es nicht um die Tatsache, dass die Leute etwas zu essen haben müssen.

Das bringt uns zur nächsten Forderung – dem „Recht auf Wiederaneignung“. (38) Das bedeutet „freien Zugang zu und Kontrolle über“ die Produktionsmittel. (39) Es ist „autonome Eigenproduktion“ (S.413). Negri und Hardt sagen uns nicht, wie diese Autonomie von denen, die gegenwärtig die Produktionsmittel kontrollieren und besitzen, erreicht und dann vor Angriffen verteidigt werden soll. Sie sind sich der Existenz der Unterdrückungskräfte und über deren Ruf im Klaren, schweigen aber dazu, wie die Menge Stellung zu ihnen beziehen, geschweige denn sie besiegen soll.

Später erzählen sie uns: „Die Produktionsweise der Menge eignet sich den Reichtum des Kapitals wieder an“. In der Moderne war Privateigentum oftmals über Arbeit legitimiert, aber diese Gleichung wird, wenn sie denn überhaupt jemals stimmte, heute allmählich völlig annulliert (S.417). Bedeutet dies, Enteignung vorzuschlagen? Denn Kontrolle über den Produktionsprozess „annulliert“ nicht aus sich selbst heraus „den Eigentumstitel“. Dafür wird eine alternative Macht gebraucht – ein Staat -, der den existierenden Staat, der das Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln anerkennt und erzwingt, gewaltsam umstürzen kann. Am Ende des Buchs beobachten die Autoren: „Gewiss muss ein Augenblick kommen, an dem Wiederaneignung und Selbstorganisation eine Schwelle erreichen und zu einem realen Ereignis werden“ (S.417) und „An diesem Punkt hört die moderne Republik auf zu existieren und das postmoderne posse (ital.: Können, Vermögen; d. Red.) hebt sich“ (S.417). Sie können uns aber nicht weismachen, wie dies „reale Ereignis“ aussehen wird oder wie das in einer „nahtlosen Welt“, in der Zivilgesellschaft und Staat schon miteinander verquickt sind, überhaupt passieren kann.

Am Ende kann keine dieser Forderungen das kapitalistische System in Frage stellen. Marxisten unterstützen das Recht auf Bewegungsfreiheit der lebendigen Arbeit und auf Einbürgerung, aber keines sprengt die Grundlagen des Kapitalismus; tatsächlich finden beide Unterstützer bei Teilen der Kapitalistenklasse. (40) Nur das Recht auf Produktionskontrolle stellt einen lebenswichtigen Aspekt von Kapitalismus in Frage und selbst dies wird unzureichend aufgestellt.

Schließlich reflektieren Negri und Hardt, wie die Masse ein gemeinsames Bewusstsein entwickelt, so dass diese sich über ihren Auftrag der Vernichtung des Empire klar wird. An einem Punkt stellen sie die Frage so:

„Wie kann produktive Arbeit, zerstreut in mannigfaltigen Netzwerken, einen Mittelpunkt finden? Wie kann die materielle und immaterielle Produktion der Hirne und Körper der Menge vernünftig werden und eine Richtung nehmen, genauer wie kann das Bemühen, die Distanz zwischen der sich zum Subjekt organisierenden Menge und der Konstitution eines demokratischen politischen Dispositives zu überbrücken, seinen Fürsten finden?“ (S.78) Ihre Antwort: „Die Form, in der das Politische heute seinen Ausdruck finden kann, ist jedoch überhaupt nicht klar“ (S.78).

Offensichtlich unbeeindruckt von der Unfruchtbarkeit ihrer ganzen Analyse sind sie nichtsdestotrotz einer Sache sicher – welche Form diese Subjektivität nicht annehmen darf:

„Dieses Werden kann sich einzig und allein in der Erfahrung und im Experimentieren der Menge zeigen. Damit hat sich die Macht der Dialektik, nach der sich das Kollektiv eher durch Vermittlung denn durch Konstitution herausbildet, endgültig aufgelöst“ (S.412). Kurz, es kann keine politische Partei der buntscheckigen Menge oder innerhalb ihrer geben, die sie oder Schichten von ihr (z.B. Avantgarden) repräsentiert.

Anstelle von Räten, Parteien und Massengewerkschaften der Arbeiterklasse zu verschiedenen Zeitabschnitten im Kapitalismus haben wir das ‚posse‘. „Posse bildet den Standpunkt, von dem aus wir die Menge als singuläre Subjektivität am besten erfassen können: posse konstituiert ihre Produktionsweise und ihr Sein“ (S.415). Sie fahren fort: „…die neue Militanz wiederholt nicht einfach die Organisationsformeln der alten revolutionären Arbeiterklasse. Heute kann der Militante nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, repräsentativ zu handeln, nicht einmal mehr für die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse der Ausgebeuteten. Revolutionäre politische Militanz muss heute im Gegenteil das wiederentdecken, was schon seit jeher die ihre eigene Form war: nicht repräsentative, sondern konstituierende Tätigkeit“ (S.419).

Heute gibt es kein Außen, nur ein Innen: die Welt „kennt nur ein Innen, eine lebendig und unvermeidliche Beteiligung an den gesellschaftlichen Strukturen, die sich nicht mehr transzendieren lassen“ (S.419/420).

Vielmehr: „Das einzige Ereignis, auf das wir noch immer warten, ist dasjenige der Errichtung oder genauer: der revolutionären Erhebung einer mächtigen Organisation. (…) und somit warten wir nur noch darauf, dass die politische Entwicklung des posse zur Reife gelangt. Feste Modelle haben wir für dieses Ereignis nicht zu bieten. Erst die Menge wird im praktischen Experiment diese Modelle bereitstellen und darüber bestimmen, wann und wie das Mögliche Wirklichkeit wird“ (S.418).

Wenigstens an diesem Punkt sind sie konsequent. Die ganze Stoßrichtung ihres Buchs besteht exakt darin, aufzuweisen, dass es keine Generalstrategie geben kann, innerhalb derer der Kampf gelenkt werden könne. Das würde bedeuten, sich selbst über die Massen zu ‚erheben‘, sie folglich im Grunde genommen zu unterdrücken und zu übersehen, den Kampf auf einem innewohnenden Niveau innerhalb der Massen selbst steuern zu müssen.

Widerspruchsfreiheit ist in diesem Fall aber keine Tugend, da Negri und Hardt uns mit nichts als Spontaneismus und Abenteurertum zurücklassen. Im modernen globalisierten Kapitalismus ist die Arbeiterschaft im Gegensatz zur Annahme der Autoren entlang nationalen, politischen, ethnischen und anderen Linien gespalten. Diese ‚Riefelung‘ ist mit dem ‚Abschluss des Weltmarktes‘ nicht verschwunden. Der Zweck einer internationalen Partei der Revolution besteht darin, ein wissenschaftliches Programm zu entwickeln, dass die wirklichen Interessen der Gesamtklasse verkörpert, das kollektive Gedächtnis der Klasse darstellt und Lehren aus ihren Kämpfen zieht. Sie systematisiert dies in einer Aktionsanleitung für die Erringung der Staatsmacht. Es ist eine große Verleumdung von Anarchisten und anderen, zu behaupten, eine revolutionäre Partei stelle sich gegen die Arbeiterklasse, sie sei ein ‚Äußeres‘. Parteien werden aus der Arbeiterschaft gebildet, ihre Kader sind Teil von ihr und leben unter ihr.

Wieder entdecken Negri und Hardt nur einzelne Übereinstimmungen oder formale Gegensätze und Hass auf Schranken, die inhärent unterdrückerisch sind. Sie können nicht in Betracht ziehen, wie Mitglieder einer revolutionären Partei zu ein und derselben Zeit sowohl Teil der Arbeiterviertel, in denen sie leben, wie Repräsentanten ihrer revolutionären Minderheit sind. Sie können nicht erkennen, wie eine Partei schöpferisch zu laufenden Kämpfen beitragen und doch gleichzeitig die Lehren der Vergangenheit verinnerlichen wie die Hauptwegweiser in eine revolutionäre Zukunft aufstellen kann.

MarxistInnen sind über Schranken zwischen Avantgarde und Masse nicht erschrocken, weil sie ungleich den Postmodernisten nichts als fixiert, unabänderlich begreifen. Aus diesem Grund sehen sie sich auch nicht als repressiv. Es gibt eine Demarkationslinie zwischen Vorhut und Massen, aber eine schöpferischer Spannung. Alles, was Negri und Hardt im Gegensatz zu bieten haben, ist platte, stromlinienförmige Unmittelbarkeit.

 

Anmerkungen und Fußnoten

(1) „Entsprechend können wir heute sehen, wie das Empire die grausamen Regime moderner Macht wegwischt“ (S.57).

(2) „…sollten wir aber gleich zu Beginn ausschließen…(die Auffassung) die Ordnung sei das Diktat einer einzelnen Macht und folge jenseits globaler Kräfteverhältnisse einer einzigen zentralen Rationalität, welche die verschiedenen geschichtlichen Entwicklungsphasen gemäß ihrem bewussten und alles überschauenden Plan lenkt…“ (S.19).

(3) Auch von der Zwischenkriegszeit 1918-38 gilt, „dass sie (die USA) vielmehr zu Hause wie in der Ferne unmittelbar imperialistische Projekte verfolgten“ (S.188).

(4) Dieser juristische Begriff von Empire umfasst „den gesamten Raum dessen, was es als Zivilisation betrachtet“ und präsentiert diesen Begriff als andauernd und ewig. Der Einsatz militärischer Gewalt, um imperiale Rechte durchzusetzen, wird ebenfalls durch eine ganze Reihe neuer Charakteristika gekennzeichnet. Diese werden durch Negri und Hardt im Begriff „Interventionen“ zusammengefasst. Doch diese Interventionen sind nicht solche „in rechtlich unabhängige Territorien, sondern es sind Maßnahmen einer herrschenden Ordnung der Produktion und Kommunikation innerhalb einer vereinheitlichten Welt“ (S.49).

(5) „So wie in den alten Tagen der Römer sich nicht unwürdig behandeln ließ, wenn er sagen konnte Civis Romanum sum, so soll sich jeder britische Bürger, in welchem Land er auch sei, sicher fühlen, dass das wachsame Auge und der starke Arm Englands ihn gegen jede Ungerechtigkeit und falsche Behandlung schützen wird“ (Lord Palmerston, Juni 1850).

(6) Tom Berry ist ein führender Vertreter des ‚Interhemispheric Resource Center (IRC)‘ und Co-Direktor von ‚Foreign Policy in Focus‘.

(7) Die Autoren sind sich bewusst, dass in der Zeit nach dem Kalten Krieg „Militärinterventionen immer seltener auf Entscheidungen innerhalb der alten internationalen Ordnung oder sogar von UNO-Strukturen zurückzuführen sind. Häufiger werden sie einseitig von den USA diktiert, die sich den ersten Einsatz vorbehalten und in der Folge ihre Verbündeten um Mitwirkung in einem Prozess bitten, der dem aktuellen Feind … entgegentreten soll“ (S.51).

(8) Ironischerweise kontrastiert ihr Lob für die „gesunde und klare Abneigung gegenüber dem Pfäffischen und den starren Hierarchien, die der kapitalistischen Gesellschaft vorausgingen“ mit ihrer späteren Denunzierung des Marx’schen ‚Eurozentrismus‘ in seinen Schriften zu Indien!

(9) Die Autoren behaupten, dass „Zentrum und Peripherie, Norden und Süden nicht länger eine internationale Ordnung bilden“ und dass die globalen Ungleichheiten zwischen Ländern „nicht mehr grundsätzlicher Art, sondern solche der Quantität“ seien (S.345 f.). Dies hat wesentliche Auswirkungen für die Frage der antiimperialistischen Strategie. Oder wie es Juan Chingo und Gustavo Dunga in ihrer Rezension des Buches darlegen: „Negris und Hardts positivistische Operation, zusammen mit ihrer Ablehnung der Dialektik, verwischt die tatsächliche Struktur des Weltsystems und der daraus fließenden Widersprüche, d.h. die verschiedenen Hierarchien von Ländern innerhalb der kapitalistischen Welt sowohl im Zentrum wie in der Peripherie, dem Kampf um Hegemonie zwischen rivalisierenden Mächten im Zentrum, die weltweite Scheidung zwischen unterdrückenden und unterdrückten Ländern und die Verwobenheit der Arbeiterkämpfe und derer der nichtbürgerlichen Klassen in letzteren mit denen der Massen in den imperialistischen Kernländern“.

(10) Macht „durchdringt das Bewusstsein und den Körper der Individuen“ (S.39).

(11) „Maschinen produzieren. Das permanente Funktionieren sozialer Maschinen, ihre verschiedenen Apparate und Funktionszusammenhänge produzieren, gemeinsam mit den Subjekten und Objekten, die sie konstituieren, die Welt“ (S.43).

(12) „Sprache, indem sie kommuniziert, produziert Waren und vor allem Subjektivitäten, setzt sie in Beziehung, gibt ihnen Ordnung“ (S.47).

(13) Dies hat eine lange Tradition in Italien. Lucio Colletti versuchte in den 1960ern und 1970ern, den Marxismus von seinen Hegelianischen ‚Vulgaritäten‘ zu ‚retten‘, und argumentierte wie Negri für eine Rückkehr zu Spinoza.

(14) Als Teil ihres Angriffs auf die Dialektik versuchen die Autoren bewusst, die Kategorien durcheinander zu bringen. Sie verstehen das Buch auch als postmodernistische Analyse im Feld der internationalen Beziehungen. Während ‚moderne‘ Theorien die Macht von Nationalstaaten, staatlich legitimierte Gewalt, territoriale Integrität etc. betonen würden, verweigert der Postmodernismus den Fokus auf Grenzen, weil dies Macht und Unterdrückung unterstützen oder legitimieren würde.

(15) Sie leugnen sogar explizit, dass Strategie und Taktik in einer postmodernen Welt noch Sinn machen (siehe S.70 f.).

(16) Eine ähnliche Idee wird durch Castells vertreten, dem Cheftheoretiker derjenigen, die uns im ‚Informationszeitalter‘ wähnen. Er behauptet dass die ’neue Ökonomie‘ auf drei Säulen beruhe: (i) Information anstelle von Industrie, (ii) Globalisierung anstelle von Inter-Nationalisierung, (iii) einer organisatorischen Form basierend auf Netzwerken anstelle des Fließbands des Fordismus. Castells erklärt den Zusammenhang von Globalisierung und Informationstechnologie folgendermaßen:

„Eine Weltwirtschaft – d.h. eine Ökonomie, in der Kapital rund um den Globus akkumuliert wird – gibt es im Westen mindestens seit dem sechzehnten Jahrhundert, wie uns Braudel und Wallerstein gelehrt haben. Eine globale Ökonomie ist etwas anderes: es ist eine Ökonomie mit der Fähigkeit als Einheit in Realzeit, oder in gesetzter Zeit, auf planetarischer Ebene zu arbeiten. Während Kapitalismus durch seine ununterbrochene Expansion, sein dauerndes Überwinden von Grenzen in Raum und Zeit gekennzeichnet ist, tritt erst am Ende des 20. Jahrhunderts so etwas wie eine wirklich globale Ökonomie auf, auf der Grundlage einer Infrastruktur von Informations- und Kommunikationstechnologien und mit der entscheidenden Hilfe einer Politik der Deregulierung und Liberalisierung, wie sie von Regierungen und internationalen Institutionen durchgeführt wird… Aber nicht alles ist global in der Wirtschaft: tatsächlich wird ein Großteil der Produktion, der Beschäftigung, der Firmen lokal und regional bleiben… Aber wir können von einer globalen Ökonomie sprechen, weil die Ökonomien rund um den Globus von der Performance ihres globalisierten Kerns abhängen. Dieser globalisierte Kern umfasst Finanzmärkte, internationalen Handel, transnationale Produktion und bis zu einem gewissen Grad, Wissenschaft und Technologie und spezialisierte Arbeit“ (M. Castells, ‚The Rise of the Network Society‘, 2. Auflage, Blackwell Publishers, 2000, S.101; aus dem englischen Original übersetzt, Red.).

(17) Ein Großteil des Beschäftigungsanstiegs im Servicesektor kann erklärt werden aus der steigenden Beteiligung von Frauen an den Belegschaften. Früher im Haushalt ausgeführte Aufgaben werden heute oft als Geschäft betrieben. Die amtlichen, geschlechtsblinden Statistiken jedoch nehmen keine Notiz von der Hausarbeit; sie registrieren nur die Aktivität im Marktbereich. So neigen diese Statistiken zu einer Überschätzung des Wachstums der Dienstleistungsbranchen.

Während in den USA die Beschäftigung im Dienstleistungsbereich von 58 % 1960 auf 76 % 2000 angestiegen ist und der Industriesektor von 35 % auf 22 % abnahm, stieg der Anteil von Frauen an der Erwerbstätigenbevölkerung im gleichen Zeitraum von 32 % auf 47 %, was das Gros an Zuwachs im Dienstleistungsgewerbe erklärt.

(18) In den USA ist der Anteil von Handel, Finanzen und Versicherungen an der Gesamtbeschäftigung ähnlich von 22 % im Jahr 1960 auf 32 % im Jahr 2000 angestiegen.

(19) In Schweden ist eine Untersuchung des Unternehmerverbandes zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen, nämlich dass sich der Anteil der Industrie am BIP von ca. 50 % zwischen Ende der 1960er Jahre und 1990 nicht verändert hat, wenn der Bereich der industriellen Dienstleistungen miteinbezogen wird. Dies wird erörtert bei L. Magnusson, ‚Den tredje industriella revolutionen‘, 2000, S.26).

(20) Wäre dies der Fall, würden Exporte industrieller Produkte aus der „Dritten“ in die „Erste“ Welt tendenziell die andere Richtung übersteigen, was bei weitem nicht zutrifft, obwohl der Industriegüteranteil an allen Ausfuhrprodukten aus der „Dritten“ Welt gestiegen ist.

(21) In Bezug auf die USA hat die Behauptung allerdings Relevanz, da sie fast doppelt soviel Waren einführt wie ausführt, während sie noch bis in die 1970er hinein Nettoexporteur war. Im Jahr 2000 machte das Handelsbilanzdefizit 5 % ihres BIP aus, was heißt, dass 6-7 Mill. Menschen außerhalb der USA dafür arbeiteten, dieses Land mit Industriegütern zu versorgen. Dies ist eher ein Anzeichen für die Tendenz zur Ausbreitung des Coupon-Schneidens in der vorherrschenden imperialistischen Macht. Dies erklärt auch z.T., warum Länder wie Japan und die BRD mit Handelsüberschüssen einen weitaus größeren industriellen Sektor als die USA aufweisen.

(22) Vorwort zur ‚Kritik der politischen Ökonomie‘, MEW 13, S. 9

(23) Vgl. Charlie Post: „Empire and Revolution“, in International Viewpoint, Juni 2002, S.32. Laut Weltbank gab es 1997 weltweit 2,8 Mrd. Lohnabhängige, davon 550 Mill. in der Industrie.

(24) Hier besteht eine klare Analogie zwischen Hardts und Negris Anschauung vom Übergang des Imperialismus zum Empire einerseits und Bernsteins Haltung zum Übergang vom Konkurrenzkapitalismus zum Imperialismus vor 100 Jahren. Bernstein dachte, dass die dominanten Tendenzen im Kapitalismus – Monopolisierung, Dominanz des Finanzkapitals und imperialistischer Expansionismus – schließlich zur Fähigkeit des Staates, Krisen zu regulieren und vorzubeugen, führen würden.

(25) Sie behaupten sogar, dass die „kapitalistische Krise nicht eine Funktion der Kapitaldynamik selbst“ ist, „ihre Ursache ist unmittelbar der proletarische Kampf“ (S.272).

(26) Dies geht auch klar aus folgendem Interview mit Hardt hervor: „Die Unterscheidung Reform – Revolution ist nicht sehr nützlich, vielleicht gebrauchen wir deswegen das Wort (Revolution) nicht. Eine Befreiung muß gleichzeitig einen revolutionären Prozess beinhalten, aber es ist nicht möglich, vorherzusagen, wie ein solcher aussehen wird, etwas, das nur im Nachhinein verständlich sein wird.“

(27) Craib, I.: „Modern Social Theory“, 2. Auflage, Harvester Wheatsheaf, S.183.

(28) Castells: „The Power of Identity“, Blackwell Publishers, S.359-362. Castells schreibt außerdem „Die Arbeiterbewegung scheint z.B. historisch überlebt zu sein…sie scheint nicht fähig von sich und aus sich heraus eine Übereinstimmung mit einem Projekt zu erzeugen, das in der Lage ist, soziale Kontrolle zu rekonstruieren und soziale Institutionen im Informationszeitalter wiederaufzubauen. Arbeitermilitante werden zweifellos Teil einer neuen transformatorischen sozialen Dynamik sein. Aber ich bin mir weniger sicher, dass die Gewerkschaften dies sein werden.

Politische Parteien haben auch ihr Potenzial als autonome Agenten der sozialen Veränderung erschöpft, sind befangen in der Logik der Informationspolitik und ihrem Hauptfundament, den Institutionen des Nationalstaates, und haben viel von ihrer Relevanz eingebüßt…“

(29) „Eine Marx’sche Staatstheorie lässt sich demnach erst schreiben, wenn alle gesetzten Schranken überwunden sind und Staat und Kapital tatsächlich zusammenfallen“ (S.248).

(30) In dieser Hinsicht beweist Joyce Kolko mehr Realitätssinn als die Globalisierer, indem sie schreibt: „Zum einen ziehen sich Staaten aus der direkten Beteiligung an der Ökonomie zurück, zugleich aber zeigen sie mehr Engagement. Sie halten sich in Bereitschaft, um die größten Konzerne aus drohender Finanzkrise zu retten. Die Umstrukturierungspläne des IWF, die Politik der massiven Einmischung in die Ökonomien der gering entwickelten Länder (LDCs) haben nur das Chaos und das Elend in diesen Ländern gefördert.“

(31) ‚The Economist‘, 14. September 2002.

(32) Auch der Euro dient als Regionalwährung eines entstehenden alleuropäischen Staates, und sein Erfolg ist ein weiterer Baustein für Europa auf dem Weg zu einem erweiterten Nationalstaat.

(33) Siehe den Abschnitt zu Peoples Global Action in Globalisierung, Antikapitalismus und Krieg, S.34 ff., Verlag global red, Berlin 2001.

(34) Dies kann man an der persönlichen und politischen Überschneidung und gegenseitigen Befruchtung zwischen Teilen der Bewegung sehen; viele Menschen in der Internationalen Solidaritätsbewegung für Palästina (ISM) sind aktiv in den größeren antikapitalistischen Mobilisierungen der letzten Jahre von Prag bis Genua.

(35) Sie schreiben: Die Menge hat sich durch die Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts hindurch entwickelt. „Jede der Revolutionen des 20. Jahrhunderts hat, ungeachtet aller Niederlagen, die Verhältnisse im Klassenkonflikt vorwärts getrieben und verändert, indem sie die Bedingungen für eine neue politische Subjektivität schuf“ (S.401). Nur durch Behandlung dieser Subjekthaftigkeit als außerhalb von Zeit und Raum angesiedelt können Negri und Hardt zu dieser absurden Schlussfolgerung gelangen. Das gegenwärtige Schicksal der Arbeiterbewegungen (Tod, Exil, Repression) ist für Negri und Hardt nicht in der Lage, diese Subjektivität umzukehren. Für Marxisten kann das Ausmaß an Klassenbewusstsein (Subjektivität) wesentlich an Wachstum und Mitgliedschaft von Organisationen des Kampfs und der Selbstbefreiung ermessen werden – wie auch an deren Fehlen, Bürokratisierung und Zerstörung. Nur für Idealisten kann das Voranschreiten politischer Subjektivität durch die Tatsache der Streitgefechte und das Anschwellen kooperativer Arbeit garantiert sein. Ihre Position erreicht den Gipfel an Absurdität, wenn sie argumentieren, dass die ‚Schwäche‘ des US-Proletariats, gemessen an schwachen Gewerkschaften und politischen Parteien, eine Fata Morgana sei. „Gegen die verbreitete Ansicht, wonach das Proletariat in den USA schwach ist, weil es im Vergleich zu Europa und anderswo weniger in Partei und Gewerkschaft organisiert ist, sollten wir es vielleicht gerade aus diesen Gründen als stark ansehen“ (S.279). Es ist die widerspenstige Natur der amerikanischen Arbeiter, besonders derjenigen, die „sich aktiv die Arbeit verweigerten“ (S.278), die die wirkliche Gefahr für den US-Kapitalismus darstellt!

(36) „Reisepässe und andere Dokumente werden unsere Bewegungen über Grenzen hinweg immer weniger regulieren können“ (S.404).

(37) Sie schließen darunter auch Form des nicht auf direkter Opposition beruhenden Kampfs ein, also eine Art Bemühen durch Verweigerung – Ablehnung von Macht und Gehorsam, nicht nur von Arbeit und Autorität. Sie nennen das „Exodus“.

(38) Wie die anderen auch ist sie mit dem Ausdruck Anerkennung eines ‚Rechts‘ gestellt. Aber wer garantiert dieses Recht und erkennt es an? Wie die ‚philosophische‘ Ablehnung der Realität des Nationalstaats nichts wert ist, wenn es zur Forderung nach Bürgerrecht kommt, so ergeht es auch dem früheren Beharren darauf, der Staat habe sich in die Zivilgesellschaft aufgelöst; es wird gleichfalls aufgegeben, um vom Staat inmitten aus der Zivilgesellschaft heraus etwas zu verlangen.

(39) „Sozialisten und Kommunisten haben immer wieder gefordert, das Proletariat müsse freien Zugang zu und Kontrolle über die für die Produktion verwendeten Maschinen und Materialien haben. Im Kontext immaterieller und biopolitischer Erzeugung erscheint diese traditionelle Losung jedoch in neuer Form. … In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung, freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte zu haben – denn dies sind einige der wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel. … Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome Eigenproduktion“ (S.413).

(40) Cisco Systems, Oracle und Konsorten im Silicon Valley haben auf den US-Kongress jahrelang Druck ausgeübt, die Einwanderungskontrollen für die USA zu lockern, um ihren Mangel an qualifizierter Arbeitskraft zu überwinden.

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