Der aufhaltsame Aufstieg des deutschen Imperialismus

Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 37, Juni 2007

Die Doppelpräsidentschaft der EU und der G8 stellt für den deutschen Imperialismus sowohl eine große Herausforderung wie auch eine große Chance bei der Verfolgung seiner globalen Ambitionen dar. Die Regierung betrachtet 2007 und die kommenden Jahre als Gelegenheit, ihre eigene weltpolitische Rolle zu stärken und die EU als starken imperialistischen Block unter deutsch-französischer Führung voranzutreiben.

Diese Entwicklung findet vor dem Hintergrund deutlicher Risse in der US-Hegemonie statt, die infolge des Widerstandes im Irak, der Niederlage Israels im Libanon und der Schaffung von auf anti-imperialistischen Massenbewegungen gestützten Regierungen in Lateinamerika entstanden sind.

Trotzdem sind die USA die eindeutig führende imperialistische Macht und werden das auch in den nächsten Jahren bleiben. Unter den gegenwärtigen Bedingungen erfüllt sie als „Weltpolizist“ immer auch eine Funktion zur Sicherung deutscher oder französischer Kapitalinteressen. Insofern prägt das Verhältnis BRD/EU zur USA eine Kombination von Element der Kooperation und einer sich verschärfenden Konkurrenz.

Die BRD verfolgt ihre Ziele in einer Situation, in der die Fähigkeit des US-Imperialismus die Formierung der Europäischen Union zu blockieren relativ eingeschränkt ist, in der Bush und Co. selbst auf gute Beziehungen zu den „Partnern“ und „Verbündeten“ des „alten Europa“ aus sind.

Im folgenden Artikel werden wir zuerst die zentralen Ziele der deutschen EU-Präsidentschaft darlegen.

Wir haben schon in früheren Analysen (1) dargelegt, dass sich die BRD, Frankreich und andere, schwächere kontinentaleuropäische Mächte in der EU großen Hindernissen gegenüber sehen, einen Block zu schaffen, der den USA nicht nur auf ökonomischer, sondern auch auf politischer und militärischer Ebene auf „gleicher Augenhöhe“ begegnen kann.

Natürlich hat die EU schon wichtige Schritte entwickelt, die über ein bloßes Bündnis einzelner Nationalstaaten hinausgehen: ein gemeinsamer Markt, eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Zentralbank sowie eine ganze Reihe weiterer supra-nationaler Institutionen, gemeinsame Grenzregimes, und embryonale (und tw. gar nicht so embryonale) EU-Institutionen, die einen gemeinsame Politik koordinieren und Funktionen eines bürgerlichen Staatsapparates ausüben (Polizei, Frontex, Gerichte, …).

Doch auch wenn fast zwei Drittel aller Gesetze, die in Deutschland rechtswirksam werden, mittlerweile EU-Recht sind, so ist die EU selbst noch weit davon entfernt, ein homogener imperialistischer Block zu sein. Sie ist vielmehr ein Block bürgerlicher Staaten, von denen einige lange etablierte kapitalistische und imperialistische Mächte sind, andere schwächere imperialistische Staaten und rund die Hälfe stellen von den imperialistischen Staaten beherrschte Halbkolonien dar (alle osteuropäischen Beitrittsländer und andere wie Irland).

Die EU ist sicherlich weit davon entfernt, ein föderaler Staat zu sein. Aber es ist das Ziel der deutschen und französischen Imperialisten (und ihrer engsten Verbündeten wie Belgien), die EU in einen homogenen Block unter ihrer Führung zu verwandeln. Das beinhaltet, dass bestehende nationale Bourgeoisien „freiwillig“ Machtbefugnisse ihrer Staaten an europäische Institutionen abgeben, die von den großen imperialistischen Mächten beherrscht werden.

In letzter Instanz ist die Fähigkeit der halbkolonialen Länder Osteuropas, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, äußerst begrenzt. Die entscheidenden Hindernisse gehen vielmehr vom US-amerikanischen und britischen Imperialismus aus.

Mittelfristig steht ein solcher Konflikt oder gar Bruch mit Großbritannien an – oder eine politische Wende der dortigen Kapitalistenklasse hin zu einer von Deutschland und Frankreich dominierten EU. In jedem Fall wird sich eine Konflikt nicht einfach graduell lösen lassen, sondern nur durch einen großen politischen Konflikt oder gar Bruch.

Kurzfristig steht das jedoch nicht ins Haus. Die zentrale, unmittelbare Frage für die deutschen und französischen Imperialisten (wie auch eng verbündete Regierungen wie Prodi in Italien) besteht vielmehr darin, wie die „Blockade“ der EU-Entwicklung nach der Ablehnung des Verfassungsentwurfs in Frankreich und den Niederlanden überwunden und wie die deutsch-französische Achse in der EU selbst stabiler und dynamischer werden kann. Daher steht notwendigerweise die Frage im Zentrum, wie der Verfassungsentwurf oder, genauer, dessen inhaltliche Substanz zu EU-Recht gemacht werden kann.

Kurzum, eine ganze Reihe miteinander verbundener Gegensätze zwischen den herrschenden Klassen, innerhalb herrschender Klassen und den wichtigsten imperialistischen Staaten in der EU müssen teilweise als Voraussetzung, teilweise im Zuge dieser Entwicklung gelöst werden.

Die Möglichkeit, diese Gegensätze im Sinne der deutschen und französischen Imperialisten und ihrer engsten Alliierten zu lösen, hängt auch davon ab, wie sehr die EU und die kapitalistischen Regierungen in der EU in der Lage sind, die Zentralisation und Monopolisierung in der EU und die weitere Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit der großen Kapitale in der EU im sich verschärfenden Kampf auf dem Weltmarkt voranzutreiben.

Eine zentrale Voraussetzung hierfür ist die Niederringung der Arbeiterklasse. Um gegen die USA zu bestehen, muß das europäische Kapital seiner Arbeiterklasse eine strategische Niederlage zufügen, um so die Ausbeutungsrate substantiell zu erhöhen. Es muß die enormen Erfolge, die Reagan, Clinton und Bush in den letzten Jahrzehnten in den USA hatten, nachholen. Damit soll die Bedeutung der bisherigen, oft erfolgreichen neoliberalen Angriffe der europäischen Bourgeoisie keineswegs bestritten werden. Aber sie sind bei weitem noch nicht genug, um das Kampfpotential der Kernsektoren der Arbeiterklasse in den großen imperialistischen Ländern Westeuropas zu brechen.

In der Tat ist die neo-liberale Agenda von Lissabon, der Generalangriff auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse in Europa, aufs engste mit den rassistischen Angriffe und der Vertiefung rassistischer Spaltungen der Klasse sowie der Militarisierung mit dem EU-Projekt verwoben. Daher ist die weitere Entwicklung des Widerstandes der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten bzw. im die Fähigkeit der herrschenden Klasse, diesen zu zerschlagen, zu spalten oder in Teilen zu integrieren und befrieden, von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der EU.

Ziele der deutschen Präsidentschaft

Das Programm der deutschen EU-Präsidentschaft „Europa gelingt gemeinsam“ (2) greift diese Probleme der imperialistischen Blockbildung, wenn auch mit tausenden blumigen Phrasen von Frieden, Wohlstand und Fortschritt kaschiert, auf. Der Kern der Vorhaben zerfällt daher in zwei, eng miteinander verbundene Teile:

• Stabilisierung und Vereinheitlichung der EU selbst unter deutsch/französische Vorherrschaft

• Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und Stärke des europäischen Kapitals und seiner weiteren Zentralisierung.

Verfassung einführen, ohne sie Verfassung zu nennen

Die Ablehnung des Verfassungsentwurfes in Frankreich und den Niederlanden hat bekanntlich den Ambitionen der größten imperialistischen Mächte auf dem europäischen Kontinent einen Rückschlag versetzt und eine tiefe politische Krise der Union eröffnet.

Der Verfassungsentwurf war schließlich ausgehandelt worden, um die politische Schwäche der EU als einigermaßen einheitlicher imperialistischer Block wenn nicht zu überwinden, so doch dieser Überwindung deutlich näher zu kommen. Die Verfassung sollte den Rahmen abgeben, pan-europäische politische und staatliche Institutionen zu legitimieren, festzuschreiben und neue zu schaffen. Vor allem sollte damit der Rahmen einer gemeinsamen, vom deutschen und französischen Imperialismus wesentlich bestimmten Außen- und Verteidigungspolitik festgelegt werden.

Das beinhaltete die Schaffung eines europäischen Außenministers, die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, ihre Rüstungsausgaben gemäß den Erfordernissen imperialistischer Interventionspolitik zu erhöhen und – nach der Erfahrung des Irak-Krieges nicht minder wichtig -, die Verpflichtung aller Mitgliedsstaaten, gegen eine abgestimmte Politik der EU-Mehrheit nicht zu verstoßen.

Daher beinhaltet der Verfassungsentwurf auch die Einschränkung der Entscheidungsrechte einzelner Staaten in der EU, die Abschaffung des Vetorechts und auch eine stärkere Gewichtung der größeren und mächtigeren Staaten in den Gremien der EU selbst.

Dazu sieht der Verfassungsentwurf auch vor, dass mehr und mehr Exekutivgewalt in der EU konzentriert wird und ihre „Regierungs“institutionen mit mehr Kontinuität ausgestattet werden, um eine längerfristige Verfolgung einmal durchgesetzter strategische Zielsetzungen zu gewährleisten.

Und schließlich sollten eine Reihe schon bestehender Institutionen und Abkommen, die einen zentralen Einfluss auf die Ökonomie in der EU und den Mitgliedsstaaten haben (Zentralbank, Verträge von Maastricht) bis hin zu einer neo-liberalen Wirtschaftspolitik durch die Verfassung praktisch irreversibel gemacht werden.

Die deutsche Regierung ist sich wie alle anderen Verfechter eines starken, einheitlicheren europäischen Blocks sehr wohl bewusst, dass eine einfache „Neuauflage“ des Verfassungsvertrags und neuerliche Abstimmungen darüber mit größter Wahrscheinlichkeit zum Scheitern verurteilt sind. Das ist auch ein Grund, warum ein großer Teil der deutschen und französischen Bourgeoisie Sarkozy – jedenfalls hinsichtlich seiner Position zur EU-Verfassung – bei den Präsidentschaftswahlen unterstützte.

Während Royal und Bayrou versprochen hatten, die EU-Verfassung einer neuerlichen Volksabstimmung zu unterziehen, bevor es einen Fortschritt in diese Richtung geben sollte, kritisierte Sarkozy solche Pläne als abenteuerlich. Er schlug vielmehr vor, die inhaltlichen Bestimmungen des Verfassungsentwurfes anzunehmen – allerdings nicht in Form einer Verfassung, sondern als eine Reihe von „Verträgen“.

In diesem Sinne äußerte sich auch der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günter Glosser (SPD) nach der Wahl gegenüber der Berliner Zeitung:

„Es ist zwar eine autonome Entscheidung der französischen Regierung, doch es könnte sein, dass ein vereinfachter Vertrag nur vom Parlament in Paris verabschiedet wird (3)“.

Das ist auch der Weg, der der deutschen Präsidentschaft vorschwebt und den sie verfolgt. Als Schritt dahin wollen Merkel und Steinmeier bis Ende Juni eine Reihe von Regierungen konsultieren und einen Plan für die weitere der Entwicklung der EU vorlegen.

Ein wichtiger Teilerfolg in diese Richtung gelang der Bundesregierung am 25. März 2007, als die EU-Regierungschefs die „Erklärung anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge (4)“, auch als „Berliner Erklärung“ bekannt, annahmen. Darin heißt es:

„Mit der europäischen Einigung ist ein Traum früherer Generationen Wirklichkeit geworden. Unsere Geschichte mahnt uns, dieses Glück für künftige Generationen zu schützen. Dafür müssen wir die politische Gestalt Europas immer wieder zeitgemäß erneuern. Deshalb sind wir heute, 50 Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge, in dem Ziel geeint, die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen (5).“

Natürlich besteht für die deutsche Regierung und ihre Verbündeten die Gefahr, dass ihr Plan zwar im Juni angenommen wird, von den nächsten EU-Präsidentschaften jedoch nicht weiter verfolgt oder gar fallengelassen wird.

Darin spiegelt sich das allgemeinere Problem der EU wider, für eine bestimmte imperialistische Strategie eine längerfristige, übergreifende Umsetzung zu gewährleisten – ein Hindernis beim Aufbau eines imperialistischen Blocks, das die Verfassung überwinden sollte.

Es wäre jedoch vollkommen blauäugig zu meinen, dass die herrschenden Klassen seit dem französischen NON nichts unternommen hätten, dieses Problem nicht wenigstens zum Teil in den Griff zu kriegen. So z.B. die sog. „Dreier-Präsidentschaft“:

“Im September 2006 hat der Rat der Europäischen Union in seiner geänderten Geschäftsordnung festgelegt: ‚Alle 18 Monate erstellen die drei künftig amtierenden Vorsitze in enger Zusammenarbeit mit der Kommission und nach entsprechenden Konsultationen den Entwurf eines Programms für die Tätigkeit des Rates in diesem Zeitraum.‘ Deutschland und die beiden folgenden Präsidentschaften Portugal und Slowenien legten dem Rat für allgemeine Angelegenheiten daraufhin im Dezember 2006 ein gemeinsames Programm für die kommenden eineinhalb Jahre vor, das gemäß den Vorgaben aus der Geschäftsordnung erstellt wurde.

Ziel dieser Zusammenarbeit ist es, die Kontinuität der Ratsarbeit zu stärken und den Initiativen, die im Rat behandelt werden, mehr Nachhaltigkeit zu verleihen. Zentrale Themen des Trioprogramms sind die Fortsetzung des Reform- und Verfassungsprozess der EU, die Umsetzung der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung sowie die weitere Vollendung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Nicht zuletzt gilt es auch, die Kooperation im Bereich des gemeinsamen außenpolitischen Handelns der Europäischen Union zu intensivieren.

Die Triopartner haben vereinbart, über die Erstellung des Trioprogramms hinaus auch während der kommenden 18 Monate verstärkt zu kooperieren, um die gemeinsam benannten Ziele und Vorhaben in ihrer Umsetzung zu begleiten. Dies gilt vor allem für die Themen, die von den Partnern als Prioritäten aller drei Vorsitze behandelt werden. Daneben haben Deutschland, Portugal und Slowenien die Chance ergriffen, die politische Zusammenarbeit auch durch gemeinsame kulturelle Projekte, gemeinsame Fortbildungsprogramme und Personalaustausch zu vertiefen (6).“

Das ermöglicht dem deutschen Imperialismus, die Agenda der EU für 18 Monate und nicht bloß für ein halbes Jahr zu bestimmen. Auch die Zusammensetzung der drei ist dafür äußerst günstig. Portugal hat eine lange Tradition enger Beziehungen zum deutschen Imperialismus und steht der deutsch-französischen Allianz nahe. Slowenien ist einer der, wenn nicht gar der Staat in der EU, der am engsten mit der BRD alliiert ist, dessen Regierung von deutschen Beratern massiv beeinflusst und dessen Ökonomie vom deutschen Kapital dominiert wird.

So wie der deutsche und französische Imperialismus auf die Ablehnung der EU-Verfassung mit Übergangsregelungen reagiert haben, um die Vereinheitlichung und Formierung des EU-Blocks voranzubringen, so haben sie es auch bezüglich der Außen- und Verteidigungspolitik gemacht.

Die Europäische Union spielt in der internationalen Politik eine merklich größere Rolle – und damit auch der deutsche Imperialismus. So ist die EU eine integraler Bestandteil des sog. „Nahost-Quartetts“, bei der Initiierung sog. „Friedensgespräche“ und bei imperialistischen und pro-zionistischen Befriedungsversuchen des Nahen und Mittleren Ostens. Schon mit der Schaffung des EU-Außenministers und der Einsetzung Solanas hat die EU den Grundstein gelegt für eine schrittweise Erhöhung ihres politischen Gewichts.

Ein klares Zeichen dafür war die Intervention der EU im Kongo im Jahr 2006, wo sie und die EU-gestellten Truppen das UN-Mandat zur „Sicherung“ des vorgeblich demokratischen Charakters der Wahlen übernahmen und so die Wiederwahl ihres engen Verbündeten Kabila und damit des Zugriffs auf die Rohstoffe des Landes und die geo-strategischen Interessen der EU auf dem afrikanischen Kontinent abzusichern.

Schließlich zeigt sich das darin, dass die EU die Mandate für die Besatzung Kosovos, Bosniens und Mazedoniens übernommen hat.

Die Sicherung dieser Protektorate und die „Stabilisierung“ des westlichen Balkans insgesamt sind v.a. für den deutschen Imperialismus, aber auch für das Ziel, die EU als imperialistischen Block zu formieren, von strategischer Bedeutung. Kein Wunder, dass die Lösung der Probleme des „westlichen Balkans“ die außenpolitische Priorität der deutschen Präsidentschaft für die nächsten 18 Monate ist:

„In der europäischen Nachbarschaft wird das Schwergewicht des Engagements des Vorsitzes – entsprechend der vom Europäischen Rat am 12. Dezember 2003 verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie – auf der Stabilisierung des Westlichen Balkans liegen, insbesondere durch Unterstützung der Kosovostatusverhandlungen oder der Absicherung einer dann bereits gefundenen Lösung. Hierfür wird die EU ihre bisher größte zivile ESVP-Mission mit den Schwerpunkten Justiz und Polizei durchführen. Die EU-Beitrittsperspektive und ihre weitere Konkretisierung durch den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess – bei strikter Einhaltung der Kriterien des Stufenplans der Kommission und unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU – bleibt für die Stabilisierung des Balkans unersetzlich. Dies gilt angesichts des zu erwartenden politischen Wandels in Kosovo und der vollzogenen Unabhängigkeit Montenegros in besonderem Maße für Serbien. Die Verhandlungen über die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU mit Serbien, Montenegro und mit Bosnien und Herzegowina könnten während der deutschen Präsidentschaft abgeschlossen werden.“ (6)

Der Grund für diese Schwerpunktsetzung ist klar. Der deutsche Imperialismus hofft, die aktuelle Weltlage nutzen zu können, um den Balkan in seinem Sinne zu ordnen und den Einfluss der USA und Russlands zurückzudrängen.

Dahinter steckt auch die – vom Standpunkt der deutschen Imperialisten folgerichtige – Auffassung, dass Osteuropa (die Erweiterung der EU) für das deutsche Kapital einen gewaltigen halb-kolonialen geographischen und ökonomischen Raum bietet. Mehr als 100 Millionen Menschen bilden nicht nur einen großen Markt für deutsche resp. vom deutschen Kapital gefertigte Waren. Sie sind ein riesigeres Reservoir billiger und vergleichsweise qualifizierter Arbeitskräfte und ein zentrales Ziel deutscher Direktinvestitionen in einzelnen industriellen Bereichen und zur Übernahme riesiger Dienstleister (Banken, Handel, Telekommunikation, Energie, Wasser etc.).

Stärkung des EU-Militarismus

Die EU und va. der deutsche Imperialismus haben in den letzten Jahren auch große Fortschritte an der militärischen Front gemacht. In der Europäischen Verteidigungsrichtlinie (European Defense Paper) hat die EU die Schaffung einer Reihe von multi-nationalen Eingreiftruppen beschlossen – eine 60.000 Mann starke rasche Eingreiftruppe sowie 12 bis 14 kleiner Einheiten, sogenannte „Battle groups“, mit jeweils rund 1500 Soldaten. Seit dem 1. Januar sind 13 dieser Kampfgruppen einsatzbereit.

In der BRD selbst soll der Umbau der Bundeswehr zu einer globalen Interventionsarmee rasch vorangetrieben werden. Das zeigt sich in der Anschaffung neuer Waffensysteme wie dem Eurofighter, von dem 180 Stück im Wert von 13 Milliarden beschafft werden sollen.

Von zentraler Bedeutung ist auch der Kauf von Transportflugzeugen Airbus A400M oder von gepanzerten, minensicheren Fahrzeugen bis zum wendigen leichten Panzer zur Bekämpfung von Guerilla-Einheiten oder zum Straßenkampf.

Schließlich geht es um moderne Kommunikationssysteme. Folgerichtig will die Bundeswehr in diesem Jahr auch das Satelliten-Aufklärungssystem SAR Lupe in Betrieb nehmen.

Diese Neuanschaffungen gehen auch mit einer inneren Reorganisation einher, um den militärischen Erfordernissen zunehmender Auslandseinsätze gerecht zu werden. Die Truppe soll demzufolge je nach Aufgabe in Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte unterteilt werden.

Die Eingreifkräfte sollen 35.000 Soldaten umfassen, die für Kampfeinsätze – im Weißbuch der Bundeswehr von 2006 „friedenserzwingende Maßnahmen“ genannt – zur Verfügung stehen.

Die Stabilisierungskräfte sollen 70.000 Soldaten umfassen und für Operationen „niedriger und mittlerer Intensität und von längerer Dauer“ bei „friedensstabilisierenden Maßnahmen“ dienen, z.B. als als Besatzer in Nordafghanistan oder im Libanon.

D.h. im Zuge der Umstrukturierung der Bundeswehr sollen die für Interventionen verwendbaren Truppen mehr als 100.000 Soldaten umfassen. Im Moment befindet sich rund ein Zehntel davon in Auslandseinsätzen.

Auch die verbleibenden rund 150.000 Unterstützungskräfte werden als Hilfskräfte – für Logistik, Sanitätsdienst, Ausbildung – gemäß den angestrebten neuen Erfordernissen ausgerichtet.

Allein anhand dieser Zahlen zeigt sich, wie tiefgreifend der Umbau der Bundeswehr ist und dass wir erst am Beginn dieser Entwicklung stehen.

Zweifellos wird ein solcher „Umbau“ noch einige Jahre dauern und sein Gelingen hängt nicht zuletzt vom Widerstand gegen die Militarisierung in der BRD und in der EU ab. In jedem Fall aber muss davon ausgegangen werden, dass die Imperialisten ihre Pläne beschleunigen und auch gegen erbitterte Kämpfe durchzusetzen suchen.

Operationsfähigkeit bedeutet aber nicht nur Truppen. Sie bedeutet auch die Formierung eines europäischen Rüstungskapitals, das diese selbstständig versorgen kann, den Aufbau europäischer Monopole unter Federführung der BRD und Frankreichs. EADS, zu dem auch Airbus gehört, ist hier das Musterbeispiel, an dem sich zeigt, dass „europäisch“ immer die Dominanz bestimmter Kapitalgruppen und bestimmter imperialistischer Staaten bedeutet.

Was die Rüstungsindustrie betrifft, so sind die EU-Staaten bei der Umsetzung der Lissabonner Agenda schon weit vorangekommen. Laut der Forschungsinstitut SIPRI haben die EU-Staaten 2005 erstmals die USA und Russland als größte Rüstungsexporteure überholt und diese Stellung 2006 noch einmal ausgebaut.

Hier macht sich die Rüstungsagentur der Europäischen Union offenkundig bezahlt, deren Aufgabe es ist, nicht nur die großen europäischen Rüstungsvorhaben zu planen, sondern auch den Export von Waffen zu fördern.

Trotz dieses offenen Militarismus und Merkels offenem Proklamieren der Notwendigkeit einer „europäischen Armee“ gilt die Große Koalition und auch Sarkozy oft als eine sehr pro-amerikanische Administration.

Doch besonders in Hinblick auf Deutschland dürfen wir uns nicht täuschen lassen. Es hat ein gewisser Bruch mit Schröders und somit auch Chiracs Politik stattgefunden, die beide Länder zu Beginn des Irakkrieges verfolgten.

Schröders Regierung lehnte offen die direkte Teilnahme am Krieg ab, obschon sie genau wie die französische politische Führung nichts tat, um die US- und UK-Kriegsmaschine zu verhindern, sondern wichtige Nachschubbasen problemlos zur Verfügung stellte.

Sie verkündete eine ‚strategische Partnerschaft‘ mit Russland, eines der Hauptziele deutscher und so weit möglich auch der EU-Politik. Zugleich versuchte Außenminister Fischer die Formierung der EU durch Redewendungen über Kerneuropa und ‚Europa der 2 Geschwindigkeiten‘ zu beflügeln, was aber eher Misstrauen gegenüber den deutschen Interessen weckte.

Verglichen damit ist die Merkel-Regierung eher ‚nicht-visionär‘ und pragmatisch. Die USA werden wieder als ‚engste Verbündete‘ und ‚Freunde‘ tituliert – ganz ähnlich wie auch Sarkozy als US-nahe gilt.

Aber diese Politik geht Hand in Hand mit der geschäftsmäßigen Verfolgung der wirklichen Ziele. Der große Einfluss und die Kontrolle der osteuropäischen Ökonomien durch deutsches Kapital und zunehmend auch auf deren Politik durch den deutschen Imperialismus unterfüttert eine gestärkte Stellung ohne die Notwendigkeit einer besonderen Betonung dieser Haltung.

Merkel kommt bemerkenswerter Weise gelegentlich auf mittel- und langfristige Ziele des deutschen Imperialismus und der EU zu sprechen, ohne damit bei den USA oder anderen imperialistischen Konkurrenten anzuecken. Ende März sprach sie offen die Notwendigkeit ‚eine europäische Armee zu schaffen‘ in der rechtspopulistischen Bild-Zeitung an.

Die deutsche imperialistische Politik wird seit Anfang der 90er Jahre in wesentlichen Zügen fortgesetzt, personifiziert durch Außenminister Steinmeier. Er war als Staatssekretär im Kanzleramt und als außenpolitischer Berater bereits eng mit dem Schröder-Kabinett verbunden.

Schröder selbst wurde nach seiner politischen Tätigkeit Aufsichtsratchef des russischen Gazprom-Energiekonzerns, der wiederum beste Verbindungen zu deutschen international agierenden Firmen wie BASF und EON sowie deutschen Banken pflegt, die als Hauptkreditbeschaffer für den russischen Öl- und Gasriesen fungieren.

Merkel ist davon zwar etwas abgerückt und verfolgt nicht offen die Politik der ‚strategischen Partnerschaft,‘ um auch die Befürchtungen von Polen und anderer osteuropäischer Nachbarn abzuschwächen, dennoch bleiben gute Beziehungen zu Russland ein Hauptanliegen des deutschen Imperialismus.

Die Konkurrenz zwischen den USA und den europäischen Schlüsselmächten Frankreich und Deutschland hat nicht abgenommen. Der US-Vorstoß, NATO-Raketen in Tschechien und anderen osteuropäischen Staaten zu stationieren, richtet sich offenkundig gegen Russland, soll aber auch das Verhältnis EU-Russland stören und die Formierung einer künftigen Achse Frankreich-Deutschland-Russland erschweren.

Es ergibt sich auch aus den Interessen des USA, dass sie einen Fuß in der EU-Tür haben wollen. Selbst wenn die deutsche und französische Regierung sowie deren engste Verbündete in der Europäischen Union die europäische Verfassungsfrage in den Griff bekommen, zieht eine innereuropäische Auseinandersetzung mit dem britischen Imperialismus herauf. Gegenwärtig wandelt dieser auf dem schmalen Grat zwischen US- und EU-Interessen und profitiert von beiden Seiten. Aber seine Stellung hängt ab von weiteren Entwicklungen in der EU und ist auf Dauer unhaltbar.

Das französische Non gestattete es dem britischen Premier Blair, sich erfolgreich um die Frage der Verfassung und der Gemeinschaftswährung herumzudrücken. Aber je mehr die Europäische Union solche Schwierigkeiten überwindet und je mehr Bundesgenossen der britische Imperialismus in der EU verliert, desto klarer werden die britischen Kapitalisten vor die Wahl zwischen EU und USA gestellt.

Veränderte Taktik beim Verkauf der Verfassung

Die Ablehnung des Verfassungsentwurfs in Frankreich und den Niederlanden und die weit verbreitete Unzufriedenheit haben auch einen Politikwechsel der deutschen Regierung und bei einer Reihe von anderen Ländern bewirkt.

Kohl und Schröder haben verschiedene Abkommen z.B. Maastricht, den Euro und die Verfassung ohne viel öffentliche Debatte durchzusetzen versucht. Nach dem Non mussten die deutsche Regierung und andere imperialistische Strategen in Europa erkennen, dass ein europäischer Imperialismus unter ihrer Führung nicht nur Unterstützung von einer Elite braucht, sondern auch aus weiten Teilen der Mittelschichten, des Kleinbürgertums und sogar der Arbeiterklasse, d. h. der breiteren Massen der Gesellschaft.

Diese Auffassung kommt in der Rede des Außenministers Steinmeier vor der Europa-Konferenz der sozialistischen Fraktion des Europa-Parlaments am 6.11.2006 zum Ausdruck:

„In China, Indien, Russland, auch in Zentralasien und Lateinamerika, machen sich rund drei Milliarden Menschen auf den Weg, einen ähnlichen Wohlstand zu erwerben, wie wir ihn uns erarbeitet haben und wie ihn die gesamte westliche Welt im Durchschnitt genießt. Natürlich auch in der islamischen Welt (…) Der Kampf um immer knapper werdende Rohstoffe und Ressourcen birgt erhebliches Konfliktpotenzial (…) Die globale Konkurrenz (…) bedroht europäische Sozialstandards (…) Was sind unsere Antworten darauf, meine Damen und Herren? Zunächst einmal glaube ich, wir müssen vor allem an unserer inneren Stärke arbeiten. Und das hat gleichzeitig auch eine außenpolitische Dimension. Denn ich bin fest davon überzeugt, Europa kann und wird nur dann eine Friedensmacht sein und bleiben, wenn wir auch die entsprechende politische und wirtschaftliche und in Grenzen auch militärische Stärke auf die Waagschale bringen (8).“

Hieran sehen wir eine Reihe von Elementen für eine große Öffentlichkeitskampagne zu Gunsten der Europäischen Union, wie sie die deutsche Regierung seit einigen Monaten fährt. Auf dem EU-Gipfel in Berlin wurden mehrere hunderttausend Informationsschriften an die Bevölkerung verteilt, worin die EU als Raum des Friedens, der Zusammenarbeit und einer im Schnitt hohen sozialen Sicherheit (‚unsere sozialen Standards‘) in einer zunehmend rauheren Welt gepriesen wird.

Diese Errungenschaften, so der Text, sind in Gefahr, nicht etwa durch deutsche, französische oder andere europäische Kapitalisten, sondern durch die Armen und Verarmten außerhalb Europas und durch die Vereinigten Staaten von Amerika, die keine ‚sozialen Standards‘ haben und keinen Frieden bewahren würden.

Deswegen müssten europäische Grenzen dicht gemacht und die Einwanderung ‚reguliert‘ werden, d. h. Verschärfung rassistischer Gesetze, deswegen müssen ‚wir‘ am ‚Krieg gegen den Terror‘ teilnehmen, aber in ‚vernünftiger‘ ‚europäischer‘, nicht amerikanischer Manier. Zur Friedenserhaltung und der Rolle einer ‚Friedensmacht‘ muss sich Europa, fährt Steinmeier fort, bewaffnen.

Für diese Ziele müssen die deutsche Regierung und die europäischen Imperialisten weiter die Arbeiterklasse und die Armen in Europa einen Preis zahlen lassen, nämlich eine schier endlose Reihe von Reformen. Aber Merkel, Sarkozy und andere versprechen: es lohnt sich, denn sie sichern europäische ‚Sozialstandards‘ und halten die produktiven Arbeitsplätze in Europa. Sie werden dann ‚wettbewerbsfähiger‘ und zwar durch Steigerung der Produktivität, Flexibilisierung der Arbeitsorganisation und Verstärkung der Arbeitshetze.

Weitere Attacken auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen

Die Wahrheit ist ganz anders: Für die Arbeiterklasse in Europa gibt es kein Licht am Ende des Tunnels der neoliberalen Reformen. Zur Stärkung der EU Rolle als Wirtschaftsmacht hat der europäische Ministerrat im März 2000 die sogenannte Lissabonner Agenda als Drehbuch für eine Reihe von neoliberalen Attacken durch die europäische Kommission und in den Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft angenommen. Dazu zählen die sogenannte Bolkestein-Bestimmung zur Deregulierung von Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich, die Häfenladeverordnung und die Agenda 2010 in Deutschland. Das erklärte Ziel der Lissabonner Agenda war der Aufstieg der Europäischen Union zum größten, dynamischsten und stärksten Wirtschaftsgebiet bis 2010.

Doch die Gemeinschaft ist weit von ihrem Ziel entfernt. Kein Wunder, dass die deutsche Präsidentschaft mehr neoliberale Attacken fordert: weitere Marktliberalisierung in Wachstumsindustrien, weitere Privatisierung von staatlichen Bereichen (Post, Bildungswesen, Gesundheitsfürsorge, Renten, Wasser und Kommunikationseinrichtungen), falls nicht schon geschehen, Beseitigung von Hindernissen zur Zentralisierung von Kapitaltransfer.

Weitere Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder wie es im bürgerlichen Neuhochdeutsch heißt ‚Anstieg der Arbeitnehmermobilität‘ ist die Kehrseite der Medaille dieser Entwicklungen, die sich hinter einer Nebelwand von ‚sozialen Komponenten‘ der EU verbergen.

Real bedeutet dies eine Fortsetzung der vor Jahren begonnenen Attacken auf bestehende Errungenschaften und Schutzvorrichtungen der Arbeiterklasse, Attacken auf Gesetzesschutz gegen jederzeitige Entlassungen oder zur Verlängerung des Arbeitstages, wie Sarkozys Plan zur Mehrarbeit an Stelle der 35 Stunden-Woche in Frankreich oder die Heraufsetzung des Rentenalters durch die deutsche Regierung Anfang des Jahres.

Alle diese Maßnahmen zielen auf die Steigerung der Ausbeutungsrate im Einzugsbereich der EU durch Steigerung des Mehrwerts, vornehmlich der absoluten Rate. Zugleich unterstützt die Europäische Union die Senkung von Transferkosten und versucht damit der gesteigerten organischen Zusammensetzung des Kapitals zu begegnen, sowie Schritte zur Verkürzung der Umschlagzeiten für das Kapital usw. zu unternehmen.

Auch wenn die deutschen Kapitale den Weltmarkt als „Exportweltmeister“ heimsuchen, offensiv in den „Wachstumsregionen“ der Weltwirtschaft investieren – insgesamt hat die Europäische Union trotz unbestreitbaren Willens der herrschenden Klasse aller Staaten die neo-liberale Agenda noch nicht voll durchziehen können.

Die Arbeiterklassen bzw. zentrale Schichten der Klasse in Frankreich, Italien, Deutschland verfügen noch immer über Errungenschaften und Zugeständnisse der Nachkriegsperiode, die erst geschliffen werden müssen. Vor allem aber verfügen sie nach wie vor über Kampfpotentiale, die die Herrschaft der europäischen Imperialisten erschüttern können.

Aufgrund der globalen Konkurrenz müssen die Kapitalistenklassen ihren Angriff beschleunigen. Dabei wird v.a. der Klassenkampf in Frankreich in den nächsten Monaten und Jahren – die Angriffe auf die 35 Stunden-Woche, die Angriffe auf die Jugend und die rassistischen Attacken auf die Jugend – zu einem Schlüssel für den Klassenkampf in Europa werden.

Monopolisierung in Europa

Steinmeier, Merkel und andere EU-Strategen beabsichtigen zugleich eine Einbindung der Arbeiteraristokratie und -bürokratie in ihr im wesentlichen sozialchauvinistisches Projekt – nicht zuletzt, um die rassistische Spaltung der Klasse im Angesicht dieser bevorstehenden strategischen Attacken, denen gegenüber Hartz IV und Agenda 2010 erst den Anfang darstellen, zu vertiefen und so ihre Widerstandskraft zu lähmen.

Anders als der Thatcherismus in Britannien, der nicht nur zu einer gewaltigen Zerstörung von Arbeiterrechten und einer strategischen Niederlage der Arbeiterbewegung führte, sondern auch zu einer Vernichtung von britischen Industrien, wollen die deutschen und französischen Imperialisten die Ausbeutungsraten anheben, und Arbeiterrechte beseitigen, aber die Filetstücke der europäischen Industrie halten. Diese sind ihnen für die Weltmachtpläne strategisch wichtig und sollen ihnen im eigenen Land oder Block eine stärkere Wirtschaftsgrundlage bescheren, wenn eine schwere Krise die Weltwirtschaft erschüttert oder die gegenwärtige Zusammenarbeit der imperialistischen Blöcke zusammenbricht.

Gesteigerte Konkurrenzfähigkeit geht Hand in Hand mit einer bewussten Politik zur erleichterten Schaffung von europäischen Monopolen sowie zur Verteidigung und dem Ausbau bereits erreichter Positionen auf dem Weltmarkt.

Ende 2005 hatten 177 der 500 weltgrößten Unternehmen ihren Sitz in Ländern der EU, demgegenüber 189 in der NAFTA-Region, 70 in Japan.

Aber diese beeindruckende Zahl von europäischen international operierenden Konzernen muss im Lichte der Zerbrechlichkeit des EU-Blocks gesehen werden. Neben einigen wichtigen Ausnahmen wie EADS sprechen wir von großem übernationalen Kapital, das in einem bestimmten europäischen Staat seinen Schwerpunkt hat, nicht einfach von ‚europäischem Kapital.‘

Auch die Bildung von mehr europäischem Kapital bedeutet im wesentlichen, dass Großfirmen in den imperialistischen Hauptländern bestehen. Der Prozess ihrer Etablierung als Marktführer auf europäischer und Weltebene in ihren jeweiligen Branchen geschieht nicht einfach durch Übernahmen auf dem Markt, sondern durch Förderung und Steuerung durch die EU und gegenseitige Vereinbarung der bedeutendsten imperialistischen Staaten.

Die Konfliktlinien in der EU schälen sich klar heraus, wenn wir uns Übernahmen wie die spanische Edessa (Energie und Wasser) oder die Schwierigkeiten deutsche und französische Interessen beim Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS in Einklang zu bringen, vor Augen führen.

Zusätzlich wird die ‚Öffnung‘ der Märkte so vonstatten gehen müssen, dass das US-Kapital und Fonds nicht die Bildung europäischer Monopole verhindern dürfen und dass zweitens ein großer Anteil von Übernahmen der privatisierten Staatsunternehmen in Osteuropa Teil der westeuropäischen Konzerne werden.

Die deutsche Regierung spricht diese Schwierigkeit ziemlich offen an, indem sie in ihrem EU-Plan weitere Arbeitsgruppen einrichtet und EU-Politik dazu benutzt, um europäische zentrale Industrien zu fördern und zu subventionieren, die als ‚Zukunftstechnologien‘ erachtet werden wie Automobil und Schienenbeförderung, Luft- und Raumfahrt.

Besonderes Gewicht wird auch auf die ‚Sicherung von Rohstoffen für Europa‘ und natürlichen Vorräten in einem ‚Energiedialog‘ mit Russland und den USA gelegt.

Dies wird auch als Hauptpunkt auf der Tagesordnung für den G 8-Gipfel in Heiligendamm stehen. Es geht um Sicherung der Energieressourcen, ‚Nachhaltigkeit‘ als Beitrag zum Klimawandel, die weitere Öffnung von Märkten in der Dritten Welt als angebliche ‚Hilfe für die Armen‘ durch Investitionsanreize.

Eine zentrale Schwachstelle der Kapitalformierung in der EU stellt die Entwicklung an den Finanzmärkten dar. Gemessen mit den USA und Japan (aber auch Britannien) spielen die deutschen und französischen Börsen eine untergeordnete Rolle, die – siehe die gescheiterten Versuche der Frankfurter Börse, die Londoner zu übernehmen – nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch politische Hindernisse stoßen.

Zweifellos wird auch auf diesem Gebiet die EU bzw. die deutsche und französische Regierung durch Privatisierungen kommunaler Sparkassen etc. die Zentralisation des Kapitals vorantreiben wollen, ja müssen. Allerdings in einer erbitterten Konkurrenz mit den US-amerikanischen Fondgesellschaften.

Die EU und das ‚soziale Europa‘

Zwecks Förderung der Formation eines imperialistischen Blocks muss das Projekt der Europäischen Union durch die Regierungen vorangetrieben werden. Dies machen sie auch vermehrt, z. B. durch positive Reaktionen auf Kritik an der EU, dem verknöcherten und bürokratischen Charakter der Brüsseler Verwaltung, und tun so als ob ein größerer und stärkerer Staatsapparat in Berlin oder Paris sich mehr um die Belange der Menschen kümmern würde.

In der populären Propaganda der europäischen Regierungen und der EU wird der imperialistische Block als Hort des Friedens auf einem immer barbarischeren Planeten dargestellt. Es wird behauptet, die EU und ihre Vorgänger würden seit über 50 Jahren den Frieden, die soziale Sicherheit und das Wohlergehen seiner Bewohner schützen. Beim europäischen Gipfel 2007 in Berlin wurden hunderttausende von kleinen Heften ‚Europa gelingt gemeinsam‘ auf der Straße verteilt. Es endet mit den Worten:

„Mit den ‚Römischen Verträgen‘ entstand 1957 ein neues Europa. Die Geburtsstunde der Europäischen Union. Sie ist auch für uns Deutsche ein großer Gewinn:

– Nie zuvor gab es in der europäischen Geschichte eine so lange Friedensperiode. Seit 50 Jahren lösen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Konflikte mit friedlichen Mitteln. Frieden – das ist der größte Gewinn

– Ohne EU wären wir nicht Exportweltmeister. Wir exportieren im Jahr Waren im Wert von 500 Mrd. Euro in andere EU-Staaten aus. Das sichert Millionen von Arbeitsplätzen.

– Ohne EU wäre vieles teurer. Durch den Wettbewerb in der EU ist z. B. Telefonieren billiger als je zuvor.

– Ohne EU wäre Lernen, Studieren und Arbeiten im Ausland viel komplizierter. Das Europa ohne Grenzen bietet gerade für junge Menschen großartige Chancen (9)“.

Der kalte Krieg gegen die Sowjetunion und andere degenerierte Arbeiterstaaten, die Unterstützung für den Vietnamkrieg, die aggressive Aufrüstung gegen den Warschauer Pakt – alles ‚friedenstärkende Missionen‘? Und die Kriege gegen Jugoslawien und Afghanistan, gerade mal 8 bzw. 6 Jahre her – keine europäischen Kriege?

Ganz offenkundig waren die europäischen Staaten nicht so ‚friedvoll‘, als die britischen und spanischen Staatsapparate dem baskischen und irischen Volk die Selbstbestimmung verweigerten.

Deutsches Kapital, der europäische ‚Exportmeister‘, errang diesen Titel durch gewaltige Ausbeutung einer immer schmaleren Arbeitskräftebasis und die Anneignung von riesenhaften Extraprofiten aus Osteuropa und der sogenannten Dritten Welt.

Wenn Preise gesenkt wurden, dann durch Verbilligung der Kosten für die menschliche Arbeitskraft, d. h. durch Kürzung unserer Löhne und Verschlechterung unserer Arbeitsbedingungen, während die großen Privatunternehmen riesige Monopolprofite in Energie-, Wasser- und anderen Industrien absahnen.

Der größte Witz ist die ‚Bewegungsfreiheit‘, die an den Grenzen zur Festung Europa endet. Dies bedeutet Abschiebung und Tod für Einwanderer aus Afrika und Asien. Es bedeutet Überausbeutung für ‚illegale‘ Einwanderer oder Arbeiter aus Osteuropa, denen der volle Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wird.

Die Lügen der Imperialisten springen ins Auge und sind leicht zu widerlegen. Ihre Stärke liegt jedoch nicht nur in der Macht eines Staats- und Medienapparats, der sie feiert und die Geschichte im Interesse der herrschenden Klassen fälscht.

Sie sind ‚glaubwürdig‘ geworden, seit die ‚aufgeklärte‘ bürgerliche Öffentlichkeit dahinter steht, flankiert von ehemaligen Linken wie Fischer, Cohn-Bendit und vor allem der reformistisch geführten Arbeiterbewegung, in erster Linie in Deutschland.

Die sozialdemokratischen Parteien haben oft genug gerade in jüngster Vergangenheit das Drehbuch für die EU-Propaganda geschrieben. Aber auch die Gewerkschaftsspitzen in der EU und vor allem des Deutschen Gewerkschaftsbundes argumentieren auf derselben Linie. Im September 2006 stellte der DGB-Bundesvorstand eine Reihe von Forderungen an den deutschen EU-Vorsitz unter dem Titel ‚Anforderungen des DGB an die deutsche EU-Präsidentschaft‘ vor. (10) Sie gipfeln darin, die deutsche Regierung aufzufordern, „Europa in der Globalisierung zu stärken“ und „die Verabschiedung des EU-Verfassungsvertrags voranzubringen“. Der einzige Vorbehalt äußert sich in der Hoffnung, die Verfassung möge verbessert werden und „das europäische Sozialmodell solle gestärkt werden“. Aber davon abgesehen ist der DGB nicht beunruhigt über die Europäische Union. Im Gegenteil: „In ihren Grenzen sichert die EU Frieden, Demokratie und Bürgerrechte wie nie zuvor in der europäischen Geschichte.“ Wer solche Feinde hat, braucht keine Freunde mehr.

Die Rechtfertigung der EU auf sozialchauvinistische Weise, dass die herrschende Klasse von den Gewerkschaften unterstützt wird, erleichtert es der Sozialdemokratie in Deutschland, die EU als Erfolgsmodell zu verkaufen und schließlich auch Unterstützung von den Europäischen Linksparteien zu bekommen.

Die Aufrechterhaltung eines industriellen Kerns in Europa, die Schaffung von großen Monopolen in EU-Ländern legt auch die Grundlage für eine kleinere, hochproduktive, ausbeutbare und schlechter gestellte Arbeiteraristokratie.

All dies wird verbunden mit einem offenen ansteckenden Rassismus, der von Faschisten oder rechtsrandigen bürgerlichen Politikern wie Sarkozy und auch in ‚versteckter‘ Form durch die ‚normale‘ bürgerliche Politik gefördert wird.

Dies trifft auch die Erwartungen der herrschenden Klasse, dass ihre Attacken auf Widerstand stoßen. Für sie ist die Schlüsselfrage nicht, ob dies kommen wird, sondern ob sie die Kämpfe isolieren können, sei es in Teilen der Industriearbeiterschaft oder der Armut wie in den Banlieues von Paris.

Die herrschende Klasse erwartet diesen Widerstand, ihren Integrationsplänen und einer Erneuerung oder gar Ausweitung des ‚Korporatismus‘ auf ‚neuer‘ Grundlage – d. h. eine Minderung des politischen Einflusses der Gewerkschaftsbürokratie und Ausdehnung von Betriebsratsformen – zum Trotz.

Deshalb ist das Geschwätz der Führer des Europäischen Sozialforum, von Attac und anderen, von einem ‚sozialen Europa‘ nicht nur nutzlos und utopisch, sondern spielt auch der imperialistischen Bourgeoisie in die Hände. Auf diesem ideologischen Nährboden gedeihen volksfrontartige Blöcke, die von den liberalen und sozialdemokratischen Teilen der Bourgeoisie bis zu den klassisch reformistischen Parteien der 2. Internationale und den Europäischen Linksparteien reichen. Die Prodi-Regierung und die italienische Situation sind eine klare Warnung vor einem Modell, dass die herrschende Klasse auch in anderen Ländern nutzen kann, um den Widerstand abzuwürgen und Unterstützung für einen imperialistischen Verfassungsvertrag auf einem ‚europäischen Sozialmodell‘ zu erlangen.

Unsere Aufgaben

All dies zeigt, dass zu den Hauptaufgaben für Revolutionäre, Kommunisten und Internationalisten die Enthüllung des reaktionären, arbeiterfeindlichen und sozialchauvinistischen Klassencharakters der Politik der Sozialdemokratie, der Gewerkschaftsbürokratie, der Europäischen Linksparteien und ihrer kleinbürgerlichen Ideologen wie von Attac zählt. Das bedeutet, jede Form von klassenversöhnlerischer Politik und jeden Versuch zur Darstellung der Europäischen Union als das kleinere Übel gegenüber dem US-Imperialismus zu entlarven.

Der Kampf gegen einen sich formierenden europäischen Imperialismus unter deutscher und französischer Vorherrschaft bedeutet aber nicht, ‚unabhängige‘ kapitalistische Staaten der EU gegenüber zu stellen. Eine solche Politik würde nur zur Unterordnung unter bürgerliche Fraktionen beitragen, die eine rein nationale Linie verfolgen. Dies wäre eine reaktionäre, rückwärts gewandte Antwort auf die voranschreitende Entwicklung von europäischer Industrie und Handel, auf die Entfaltung der Produktivkräfte.

Entscheidend ist, dass die Vereinigung Europas unter der Herrschaft des deutschen, französischen und anderer kleinerer Imperialismen eine reaktionäre Angelegenheit ist, denn sie kann nur eine Vereinigung bedeuten, die die gemeinsame Ausbeutung der ‚eigenen‘ Arbeiterklasse verschärft, die Völker der halbkolonialen Länder in der EU und die Völker der ‚Dritten Welt‘ unterwirft. Diese Einheit wird eine von Dieben sein, die sich gegen die Ausgebeuteten und Unterdrückten sowie andere Diebesbanden wie die der USA in ihrem Einzugsgebiet verbünden und sich zu guter Letzt auf eine Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten vorbereiten.

All diese Attacken auf die Arbeiterklasse in Europa, auf demokratische und soziale Rechte und Vorgefechte mit dem Widerstand gegen die anwachsende Unterdrückung in Europa sind auf dies eine Ziel ausgerichtet. Deshalb sind die Aufgaben der Revolutionäre und der Europäischen Union dreigestaltig:

• Aufbau von Koordinationen und Aktionsbündnissen beim Kampf gegen die Attacken auf die Arbeiterklasse in Europa, gegen imperialistische Interventionen, Kriege und Besetzungen, sowie gegen rassistische Attacken auf Flüchtlinge und Einwanderer in die EU

• Vorstellung einer klaren Alternative zu den Programmen der Reformisten und Bürokraten, ein Programm von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen die Attacken von Regierungen und Kapitalisten verknüpft mit dem Eintreten für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa als Teil des Kampfes für die Weltrevolution.

• Aufbau von politischen Werkzeugen auf der Grundlage eines solchen Programms – Kampf für eine neue Arbeiterpartei in Deutschland und anderen europäischen Ländern und für eine neue Fünfte Internationale – eine neue Weltpartei der sozialistischen Revolution.

 

Fußnoten:

(1) Siehe Martin Schanek: Deutsche Imperialismus heute, in Revolutionärer Marxismus 33 (2003), Martin Suchanek/Michael Pröbsting: EU in der Krise. Soziales oder sozialistisches Europa sowie Michael Pröbsting: ‚Amerikanisierung‘ oder Niedergang. Widersprüche und Herausforderungen für das imperialistische Projekt der europäischen Einigung; beides in: Revolutionärer Marxismus, Nr. 35 (2005)

(2) „Europa gelingt gemeinsam“ auf der Homepage des deutschen Außenministeriums (www.auswaertiges-amt.de)

(3) Berliner Zeitung, 14. Mai, S. 5

(4) „Erklärung anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung der Römischen Verträge“; siehe homepage der Bundesregierung www.eu2007.de

(5) http://www.eu2007.de/de/News/download_docs/Maerz/0324-RAA/German.pdf

(6) Homepage der deutschen Präsidentschaft: http://www.eu2007.de/de/The_Council_Presidency/trio/index.html

(7) Arbeitsprogramm der deutschen Präsidentschaft, S. 22

(8) Steinmeier, Zitiert nach Junge Welt, 1. Februar 2007

(9) Europa gelingt – gemeinsam, Programmheft der Deutschen Bundesregierung für das Europafest im März 2007, S. 28

(10)Siehe:  http://www.einblick.dgb.de/hintergrund/2006/20/text02/

BESCHLUSS_EU_Ratspraesidentschaft_pdf