Vergewaltigung und Missbrauch von Frauen in Indien und Pakistan: Für eine proletarische Frauenbewegung im Kampf gegen Unterdrückung!

Shazia Shahzad, Pakistan, Infomail 669, 15. Februar 2013

Die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Studentin im Bus nach Delhi im Dezember 2012 hat eine massive Bewegung in Indien aufflammen lassen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen schlossen sich zusammen, um gegen den alltäglichen Missbrauch von Frauen zu demonstrieren, gegen die weit verbreitete sexistische und patriarchalische Struktur und das Verhalten innerhalb der Gesellschaft und die Mitschuld von politischen Behörden, der Polizei, der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer.

Vergewaltigung und Frauenunterdrückung in Indien

Die junge Frau wurde auf dem Weg nach Hause vergewaltigt, nachdem sie und ihr Freund einen Film angeschaut hatten und in den Bus in der Munirka-Gegend von Delhi eingestiegen waren, um  nach Dwarka im Südwesten der Stadt zu fahren. Sechs Männer fingen an, die Frau anzumachen, dass sie abends allein mit einem Mann sei und beschlossen, ihr „eine Lektion“ zu erteilen. Sie wurde fast eine Stunde lang vergewaltigt und sie wie auch ihr Freund wurden mit Eisenstangen geschlagen und aus dem fahrenden Bus auf die Straße geworfen. Daran ist sie zwei Wochen später gestorben.

Indien ist das Land mit der höchsten Zahl von Vergewaltigungen in der Welt; sogar die offiziellen Statistiken besagen, dass alle 20 Minuten eine Frau in Indien vergewaltigt wird. In Delhi wurden 660 Fälle von Vergewaltigungen im Jahr 2012 bekannt, die Situation auf nationaler Ebene ist noch viel schlimmer. Es ist zudem allgemein bekannt, dass die tatsächliche Zahl der Vergewaltigungen noch viel höher liegt als die Zahl der offiziell berichteten Fälle. Höchstens einer von fünf Fällen wird bekannt, da die Frauen sich vor der Schande in ihrer Familie und der Nachbarschaft fürchten.

Auch Polizei und Justiz diskriminieren Frauen. Pakistan sieht sich den gleichen Problemen wie Indien gegenüber – ja sogar schlimmer, weil es in Pakistan zusätzlich noch regressive Gesetze gegen die Gleichstellung der Frau im Namen von Sharia und „pakistanischer Kultur“ gibt.

Aber das Schlimmste – sowohl in Indien wie in Pakistan – ist, dass vergewaltigten Frauen unterstellt wird, selbst Schuld zu sein, da sie sich provokant kleiden würden oder weil sie nachts nicht draußen sein sollten.

Dies stigmatisiert nicht nur die Frauen, sondern schafft auch einen starken reaktionären Druck für ihren Ausschluss aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Das Ergebnis ist eine massive, unglaubliche Beschränkung für die Frauen und ihre Mobilität, auch dabei, was sie zu ihrer eigenen „Sicherheit“ anziehen dürfen. Es ist „normal“, dass Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden, beweisen müssen, dass sie „nicht schuldig“ sind und keine „problematische“ Vergangenheit haben.

So hat im Fall von Mukhtar Mai und anderen Massenvergewaltigungen in Pakistan, der damalige Präsident, General Musharraf, der ein enger Verbündeter des amerikanischen Imperialismus war, die vergewaltigten Frauen beschuldigt, Geld verdienen zu wollen, wenn sie ihre Vergewaltigung an die Öffentlichkeit bringen.

Massenbewegung in Indien

Der neueste schockierende Vorfall mobilisierte die Menschen in Indien über die Bedingungen rund um Vergewaltigung u.a. Übergriffe auf Frauen. Abertausende wütende DemonstrantInnen gingen auf die Straße und forderten Gerechtigkeit für die Opfer und mehr Sicherheit und Schutz für Frauen. Vor allem viele Frauen demonstrierten gegen eine Kultur, die Vergewaltigung rechtfertigt und den Frauen die Schuld dafür gibt, „Männer zur Vergewaltigung zu provozieren“. Auf einem Plakat stand: „Bringt mir nicht bei, wie ich mich anziehen soll, bringt euren Söhnen bei, keine Vergewaltiger zu sein“.

Das Argument, dass diese Proteste nur deshalb zustande kamen, weil das Opfer aus der Mittelschicht kam, ist falsch. Tatsache ist, dass die junge Frau nicht aus der „Mittelschicht“ kam. Sie war die Tochter eines Flughafenarbeiters mit einem Monatslohn von 7.000 Rupien und sie arbeitete nachts, um ihre Ausbildung als Studentin der Psychotherapie zu finanzieren. Aber dies ist nicht der Punkt – normalerweise würde der Missbrauch einer Mittelschichtfrau nicht zu so einem öffentlichen Aufschrei führen.

Zweifellos hat die Tatsache, dass solch eine brutale Gruppenvergewaltigung in der Hauptstadt von Indien passiert ist, zur Auslösung der Proteste beigetragen, auch wenn die Situation auf dem Land ist noch weit schlimmer ist. Dort sind Frauen aus den unterdrückten niederen Kasten, religiösen Minderheiten, aus unterdrückten Nationalitäten und Frauen aus der Arbeiterklasse mit einer noch brutaleren Situation konfrontiert. Die Berichte von Vergewaltigungsfällen zeigen, dass der Staat und die kapitalistische Klasse die Situation benutzen, um die Kontrolle über die Menschen zu haben, die sich zur Wehr setzen gegen die Politik des Neoliberalismus, gegen Unterdrückung und Ausbeutung durch die Kapitalisten und Großgrundbesitzer oder jene, die gegen nationale Unterdrückung kämpfen, wie in Kaschmir.

Die Proteste und Bewegungen werden durch die Kombination von mehreren scharfen Widersprüchen erzeugt. Gewiss entstanden sie in solchen Ausmaßen, weil der Staat nicht einmal in der Lage ist, die Frauen selbst in Städten zu schützen. Zugleich drücken sie auch die Wut aus gegen die Position der Frauen in der Gesellschaft. So wie in anderen Ländern wirken sich die Belastungen der ökonomischen Krise, wie steigende Preise, sinkende soziale Leistungen oder schlechte Wohnverhältnisse auf Frauen am stärksten aus.

Diese Proteste sind ein Hoffnungsschimmer nicht nur im Kampf gegen sexuelle Übergriffe und die schreckliche Situation der indischen Frauen; sie sind auch ein Hoffnungsschimmer, dass die pakistanische Arbeiterbewegung sich der Frage der Frauenunterdrückung stellt, dieses Problem als ein zentrales Thema aufnimmt und dagegen kämpft.

Weg in die Zukunft

Die Massenbewegung in Indien zeigt, dass Millionen von Frauen nicht bereit sind, die „Normalität“ ihrer täglichen Unterdrückung in der Gesellschaft zu akzeptieren. Diese Bewegung wurde zwar von einem besonders brutalen Ereignis ausgelöst, aber der Grund, weshalb die Frauen auf die Straßen gingen, ist das Ergebnis der Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung in einem halbkolonialen Kapitalismus wie Indien oder Pakistan.

In Indien wurden Millionen von Frauen in den Arbeitsmarkt geworfen, wurden Teil des Proletariats unter verheerenden Ausbeutungsbedingungen. Dies trifft nicht nur für die dynamische kapitalistische Entwicklung in Indien zu. Auch in Pakistan wurden Frauen während der fieberhaften Entwicklung vor der großen kapitalistischen Krise in die Produktion einbezogen.

Zur gleichen Zeit sind beide Länder und auch viele andere Länder in Asiens „sich entwickelndem Kapitalismus“ geprägt von vorkapitalistischen Erscheinungen wie den feudalen Formen der Ausbeutung und das Kastensystem. All zu oft haben Frauen noch nicht einmal die formale Gleichberechtigung erreicht.

Die Rolle der Polizei, die Benutzung der Vergewaltigung als Waffe gegen unterdrückte Nationalitäten (wie in Kaschmir) und niedrige Kasten, die Verwendung von Einschüchterung und Misshandlung von den Bossen in der Fertigung sind tägliche Beispiele, die aufzeigen, dass keine Gerechtigkeit für Frauen von der herrschenden Klasse und dem Staat erwartet werden kann. Auch wenn die sechs Vergewaltiger ernsthaft verurteilt werden, sollte niemand Illusionen haben über den patriarchalen Charakter der staatlichen Institutionen und ihre Mitschuld, wenn nicht sogar Beteiligung, an den schlimmsten Formen der Unterdrückung.

Frauenbewegung

Als RevolutionärInnen kämpfen wir gegen die Unterdrückung der Frauen in jeder Form. Dies bedeutet, dass wir für vollständige Gleichberechtigung kämpfen müssen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Schuldigen der Unterdrückung oder Vergewaltigung von Frauen und jungen Mädchen vor Gericht gebracht werden, aber nicht vor eine ungewählte Justiz der reichen Männer, sondern vor Gerichte, die von der Masse der Bevölkerung, der Armen, der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der unteren Kasten und national Unterdrückten gewählt sind. Mindestens die Hälfte dieser gewählten Gerichte sollte von Frauen besetzt sein.

Im Kampf gegen Unterdrückung und Missbrauch müssen wir permanent gegen alle Formen von Sexismus im öffentlichen Leben, auf der Arbeit und in der Familie kämpfen. Wir fordern öffentliche Mittel für Frauenzufluchtsorte und die Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts auf Scheidung. Eine Ausbildung in Selbstverteidigung sollte für alle Frauen möglich sein.

Sicherlich ist das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre demokratische Gleichberechtigung nicht genug. Um es Frauen zu ermöglichen, eine vollwertige Rolle in der Gesellschaft, bei der Arbeit, in der Politik und in der Arbeiterbewegung zu spielen, müssen wir für gleiche Bezahlung, für staatliche Bereitstellung von Kinderbetreuung, für menschenwürdige Behausung und ein Minimum an Einkommen für Arbeitslose, für geschiedene Frauen mit wenig oder gar keinem Einkommen oder für Rentner kämpfen, für ein Grundeinkommen, um den Lebensstandard zu erhalten, der von der Arbeiterbewegung festgesetzt wird und an Preissteigerungen angepasst wird.

Um ein solches Programm durchzusetzen, müssen Frauen an vorderster Front aller sozialen und politischen Bewegungen stehen. Dies bezieht auch den Kampf gegen den weit verbreiteten Chauvinismus und Sexismus innerhalb der Arbeiterbewegung und der Bewegungen der Unterdrückten selbst ein. Um in der Lage zu sein, dies zu tun, müssen die Frauen das Recht auf einen Caucus, d.h. auf eigene Treffen und Versammlungen haben.

Frauenunterdrückung in Indien und Pakistan – wie in allen Ländern – ist eng mit der kapitalistischen Ausbeutung selbst verknüpft, wo Frauen wie Waren oder Haussklavinnen behandelt werden. Es wird kein Ende der Frauenunterdrückung insgesamt geben, ohne den Kapitalismus zu stürzen – ohne soziale Revolution.

Um diese Kämpfe zu vereinen und die Frauen in den Vordergrund zu stellen, brauchen wir eine Massenbewegung der am meisten ausgebeuteten Frauen, eine Massenbewegung der Frauen der Arbeiterklasse.