Arbeiter:innenmacht

Kundgebung von 1300 Siemens-Beschäftigten in Berlin: Kampf gegen alle Entlassungen nötig!

Martin Suchanek, Infomail 972, 18. November 2017

Es geht um alles für 6900 Beschäftige bei Siemens. Zum Auftakt des Protestes versammelten sich am 17. November über 1000 ArbeiterInnen und Angestellte vor der Berliner Siemens-Zentrale zu einer Kundgebung der IG Metall.

Von den Kürzungsplänen sind auch Berliner Werke, allen voran das Dynamowerk besonders betroffen. Hier soll die Produktion geschleift werden, 570 Arbeitsplätze sollen wegfallen.

Wie die Kundgebung deutlich zeigte, stehen die Siemens-Beschäftigten keineswegs allein da. In Berlin und bundesweit droht die Vernichtung tausender Industriearbeitsplätze, wie VertreterInnen von Ledvance (ehemals Osram) zu berichten wussten. Deren Berliner Werk soll geschlossen werden. 700 Menschen droht die Arbeitslosigkeit.

Bei der 90-minütigen Kundgebung griffen die VertreterInnen der IG Metall wie z. B. der erste Bevollmächtigte Klaus Abel, Betriebsräte und Vertrauensleute das Management und vor allem den Konzernvorstand um Joe Kaeser scharf an.

Diese würden das Unternehmen ruinieren, Berlin, die umliegende Region und ganz Deutschland industriell kaputtmachen und ihrer „sozialen Verantwortung“ nicht nachkommen. Die Beschäftigten sind über die Führung der ehemaligen „Siemens-Familie“, deren Bande untereinander längst zerschnitten sind, zu Recht empört.

Provokation

Zweifellos: Der drohende Kahlschlag ist eine Provokation. Die Beschäftigten sollen Managementfehler und Veränderungen des Marktes ausbaden. Gerüchte gab es natürlich schon lange, schließlich ist es nicht die erste „Umstrukturierung“, Verlagerung oder Schließung, die droht.

Erfahren haben die Beschäftigten vom geplanten Personalabbau jedoch erst über die Pressekonferenz des Konzernchefs Kaeser. In 2 Jahren sollen die Maßnahmen über die Bühne gegangen sein.

Auf derselben Pressekonferenz verkündete Kaeser auch einen Rekordgewinn von 6,5 Milliarden Euro für das letzte Geschäftsjahr. Die AktionärInnen und KapitaleignerInnen freut es. Der Run um noch mehr Profit und höhere Renditen geht weiter.

Im Turbinengeschäft, so die Siemens-Spitze, haben sich zur Zeit riesige Überkapazitäten aufgebaut. Angeblich könnten Siemens, General Electric und andere ein Vielfaches der Nachfrage bedienen.

Daher will sie, der es eben nicht um „Verantwortung“ und „Zukunftssicherung“, sondern ausschließlich um Profit geht, die Sparte loswerden – industriellen Kahlschlag inbegriffen. Ob das Knowhow der Beschäftigten, deren Zukunft dabei verloren geht, interessiert in der Marktwirtschaft, die auf Profitmaximierung ausgerichtet ist, interessiert die KapitaleignerInnen nicht.

Für die Beschäftigten ist das existenzbedrohend, für die Gesellschaft darüber hinaus auch eine gigantische Verschwendung. Selbst wenn die aktuellen Produkte umgestellt werden müssten, so könnten ArbeiterInnen und IngenieurInnen zweifellos sehr Nützliches z. B. zu einer ökologischen Umrüstung im Energiesektor beitragen.

Darum geht es aber im Kapitalismus schlichtweg nicht. Die Befriedigung von Bedürfnissen ist hier nur ein Mittel zum eigentlichen Zweck – der Jagd nach immer mehr Profit.

Hoffen auf Sozialpartnerschaft und soziale Marktwirtschaft?

Hier liegt der Pferdefuß der Kritik, die von Gewerkschaft, Betriebsräten wie auch den anwesenden PolitikerInnen von SPD, Union und Linkspartei unisono vertreten wurde. Die „Finanz“ hätte die Kontrolle über die Industrie übernommen, daher würde ohne langfristigen Sinn und Verstand gekürzt und rationalisiert. Die Vorschläge von Gewerkschaft und Beschäftigten, Konkurrenzfähigkeit und Arbeitsplätze gleichzeitig zu sichern, würden ignoriert. Der Siemensvorstand wurde pathetisch zu einer Rückkehr zur „Sozialpartnerschaft“ aufgefordert.

Kai Wegner von der CDU tat so, als würden die KoalitionärInnen von Union, Grünen und FDP zur Zeit nicht darum schachern, wie der Standort Deutschland, also die großen Monopole, noch wettbewerbsfähiger werden könnten, wie sie also noch besser aus Kapital mehr Gewinn schöpfen können. Jens Schulze von der SPD drohte Siemens gar, indem er eine Streichung von Subventionen und anderen Fördermaßnahmen in Aussicht stellte – als ob der Berliner Senat nicht wie andere Landesregierungen gerade versucht, den Standort für Investoren besonders attraktiv zu gestalten. Katina Schubert (Linkspartei) forderte schließlich eine Abkehr vom „Turbo-Kapitalismus“ und eine Rückkehr zur „sozialen Marktwirtschaft“.

Diese Hoffung ist zweifellos weit verbreitet – illusorisch bleibt sie jedoch allemal, wie auch die Erfahrung verdeutlicht. Die „Verantwortung“ für den Standort, die Menschen, die Zukunft und alles Mögliche wurde bei so ziemlich allen Protesten, Aktionen, ja selbst Arbeitsniederlegungen der letzten Jahre angemahnt. Geholfen hat es etwa so viel wie das Amen in der Kirche.

Die Beschwörung der „sozialpartnerschaftlichen“ Vergangenheit verklärt nicht nur die alles andere als soziale Geschichte des Siemens-Konzerns. Sie hilft erst recht niemandem, der Entlassungen und Schließungen verhindern will.

Natürlich wird niemand ablehnen, dass sich PolitikerInnen von SPD, Linkspartei oder auch der Union gegen die Pläne des Siemens-Vorstandes wenden. Verlassen sollte sich auf deren warmen Worte allerdings niemand. Das Hoffen auf Union und Merkel, auf Bundesregierung und Senat wird die Betriebe nicht retten. Erst recht nicht die illusorische Hoffnung auf produzierende UnternehmerInnen, die sich dem Finanzkapital entgegenstellen würden – als ob der Zweck der Produktion im Industriebetrieb nicht auch die Profitmaximierung wäre. Von den Parteien, die sich auf die organisierte ArbeiterInnenbewegung stützen, als Linkspartei und SPD, die trotz aller gebrochenen Versprechen und ständigen Paktierens mit dem Kapital immer noch das Vertrauen der Masse der organisierten KollegInnen genießen, müssen diese fordern, für den Kampf gegen Betriebsschließungen und Entlassungen zu mobilisieren. Auf ihre Führung verlassen, dürfen sie sich jedoch ebenso wenig wie auf die der Gewerkschaftsbürokratie.

Worauf bauen?

Es gibt aber auch einen Grund zur wirklichen Zuversicht. Die über 1000 Beschäftigten von Siemens und anderen Betrieben wissen, dass es ums Eingemachte geht. Die Stimmung, die Gesichter, der Applaus bei den Reden drückten alle eine Mischung aus Besorgnis, Wut und Kampfbereitschaft aus. Selten haben die TeilnehmerInnen einer solchen Kundgebung 90 Minuten so aufmerksam zugehört. Der Werksleiter kann sich im Betrieb momentan nur mit Begleitschutz durch Security-SöldnerInnen blicken lassen.

Viele werden sich wohl an den nächsten Aktionen in Berlin beteiligen, so am Montag, dem 20.11., um 12.00 Uhr vor dem Gasturbinenwerk in der Huttenstraße, so am Donnerstag, dem 23.11., um 12.00 Uhr vor dem Hotel Estrel in Berlin-Neukölln, wo eine bundesweite Betriebsrätekonferenz der IG Metall über den weiteren Widerstand beraten wird. Die IG Metall ruft dort zu einer Solidaritätskundgebung auf. Wie Medienberichte zeigen, rumort es nicht nur in Berlin, sondern auch an den anderen Siemens-Standorten,

Die Schlacht ist also noch keinesfalls entschieden. Noch kann der Personabbau, noch können Schließungen und Kahlschlag verhindert werden.

Dazu braucht es aber mehr als Appelle an „die Politik“. Es braucht zweifellos weitere Aktionen, Demonstrationen, Kundgebungen, die in den nächsten Wochen stattfinden werden.

Bei den Reden hat die IG Metall das Ziel der nächsten Wochen deutlich formuliert: Keine Schließungen, keine Verlagerungen, keine Kündigung, kein Arbeitsplatzabbau!

Um diese Ziele zu erreichen und die Konzern-Spitze in die Knie zu zwingen, braucht es aber jene Aktionsformen, die auf der Kundgebung nicht angesprochen wurden: Streiks und Besetzungen!

Diese Fragen müssen jetzt bei den Belegschaftsversammlungen, bei Aktionen, auf der Betriebsrätekonferenz aufgeworfen werden. Die IG Metall sollte zu einem konzernweiten, unbefristeten Streik aufrufen. Betriebe, die vor der Schließung oder Massenentlassungen stehen, sollten besetzt werden. Dazu sollten auf den Belegschaftsversammlungen Streik- und Aktionskomitees gewählt werden. Diese sollten bundesweit und international koordiniert werden. Ziel sollte die entschädigungslose Verstaatlichung des Gesamtkonzerns und sein Weiterbetrieb unter ArbeiterInnenkontrolle sein.

Die drohende Entlassungs- und Schließungswelle bei Siemens und in anderen Unternehmen hat jedoch auch eine weiter über die Gewerkschaft hinausgehende Bedeutung. Daher sollten auch die DGB-Gewerkschaften, Vertrauensleute, die Gewerkschaftslinke und alle linken Organisationen den Abwehrkampf unterstützen und Solidaritätskomitees mit den kämpfenden ArbeiterInnen in Zusammenarbeit mit IG-Metall, Betriebsräten und Vertrauensleuten aufbauen.

Die Tarifrunde der IG Metall muss genutzt werden, um sie mit dem Kampf gegen Entlassungen bei Siemens zu verknüpfen. Alle IG Metall-KollegInnen müssen nicht nur für die Tarifforderungen streiken, sondern Solidarität zeigen: durch Arbeitsniederlegungen und Unterstützungskomitees und –aktionen (gemeinsame Streikposten und Besetzungen) für die berechtigten Forderungen der SiemensianerInnen.

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