Berliner S-Bahn: bald privat und desolat?

Hannes Hohn, Neue Internationale 177, März 2013

Manchmal scheint der Film der Geschichte rückwärts zu laufen. War es im frühen Kapitalismus noch so, dass sich ein einheitliches staatliches Eisenbahnsystem gegen die Kleinstaaterei in Deutschland entwickelte, so geht der Trend im Spätkapitalismus eher dahin, das einheitliche Bahnsystem in private Einzelteile zu zerlegen.

Gewisse ‚Experten‘ – die selbst eher im dicken Daimler unterwegs sind – glauben, dass die Struktur der S-Bahn unbedingt komplett geändert werden muss.Trotzdem das Chaos in Britannien nach der Privatisierung und Aufspaltung der Eisenbahn für genug negative Schlagzeilen gesorgt hat, soll nun die Berliner S-Bahn denselben Kurs nehmen. Es ist geradezu bizarr: obwohl die Berliner S-Bahn in den 80er und 90er Jahren noch pünktlich und zuverlässig war, glauben gewisse „Experten“ – die selbst eher im dicken Daimler unterwegs sind -, dass die Struktur der S-Bahn unbedingt komplett geändert werden muss.

Dabei haben gerade diese neoliberalen Finanz-Genies in den Führungsgremien der Bahn AG und ihres (noch) staatlichen Eigentümers, dafür gesorgt, dass S-Bahn-Fahren in Berlin zum Abenteuerurlaub wurde. Sie schafften das, indem sie die Mittel für den Fahrdienst, die Instandhaltung und die Anschaffung neuer Züge radikal kürzten, was die Gewinne in die Höhe trieb (man will ja mit einer profitablen Bahn an die Börse!) – und die Zeit, die die BerlinerInnen brauchten, um von A nach B zu kommen. Nachdem das Desaster erfolgreich organisiert war, ruft man nun nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ lauthals nach der Privatisierung und Aufspaltung der S-Bahn.

Da jede(r) EisenbahnerIn weiß, dass das kompletter Unfug ist, stellt sich die Frage, warum Bahn, Bund und Berliner Senat dieses unsinnige Projekt trotzdem durchziehen wollen? Die Antwort ist einfach. Mit der Privatisierung sollen geltende Arbeits- und Lohnstandards ausgehebelt werden, d.h. die ganze Sache geht auf Kosten der Beschäftigten, die bei Löhnen, Arbeitszeiten und -bedingungen Abstriche machen sollen. Eventuell werden dann auch Strecken, die nicht so viel „abwerfen“, eingestellt – die Leidtragenden sind dann also auch die NutzerInnen der Bahn, v.a. die Lohnabhängigen, die auf sie angewiesen sind. Und wer sind die Gewinner? Die Aktionäre und Börsengewinnler oder – wie Lenin sie nannte – die Kuponschneider.

Widerstand

Gegen diese Pläne hat sich schon früh Widerstand geregt, wie auch schon gegen die Privatisierung von Wohnraum oder Wasser.

Zuerst entstand die Initiative „S-Bahn-Tisch“. Sie richtete sich gegen die Privatisierung und initiierte dazu einen Volksentscheid. Spätestens nach den Erfahrungen von Stuttgart 21, wo es ebenfalls einen Volksentscheid gab, ist jedoch klar, dass ein Volksentscheid allein nicht ausreicht, um ein solch kapitales Projekt zu stoppen – schon allein deshalb, weil die Art und Weise, wie der Volksentscheid genau aussieht, von Staatsmacht und bürgerlichen Parlamenten immer leicht so manipuliert werden kann, dass genau das Votum erfolgt, das Bahn und Senat wollen.

Die Berliner S-Bahn ist nur ein Beispiel von vielen, wie Staat und Kapital auf die Krise reagieren, um ihre Profite zu sichern oder gar zu erhöhen.“Davon abgesehen gab es aber auch deshalb zunehmend Kritik am „S-Bahn-Tisch“, weil diese Initiative immer offenkundiger zur Spielwiese von Parteien und Gewerkschaftsbürokratie wurde. Das drückte sich – was Wunder – vor allem darin aus, dass es überhaupt keine Orientierung auf reale Kampfaktionen wie Proteste oder gar einen Streik gab. Auch die Ausschreibung zur Privatisierung soll nur „begleitet“ werden. Das stank v.a. den Beschäftigten der S-Bahn, die nun schon jahrelang Hohn und Spott dafür ernten müssen, dass S-Bahn-Fahren immer mehr zur Lotterie wird, obwohl sie selbst gar nichts dafür können, sondern die „Sanierer“ in ihrer Chefetage.

Erfreulicherweise hat der Unmut über die bisherige Passivität ihrer Gewerkschaft und der Mehrheit des Betriebsrates aber dazu geführt, dass sich die Belegschaft und ein Kern von AktivitInnen eine alternative Struktur geschaffen haben: Ende 2011 gründete sich so die Initiative „100% S-Bahn“.

Nach den Aussagen ihrer AktivistInnen steht die große Mehrheit der S-BahnerInnen hinter dieser Initiative. Ihr zentrales Anliegen ist natürlich, die S-Bahn als Gesamtunternehmen zu erhalten und deren Zerlegung durch (Teil)privatisierungen zu verhindern. Natürlich sollen auch alle Verschlechterungen für die Beschäftigten wie für die NutzerInnen abgewehrt werden.

Um das zu erreichen, setzt man richtigerweise weniger auf ein Volksbegehren, als auf die Mobilisierung der Basis – auch durch Streik. Um dahin zu kommen, wird eine Betriebsversammlung der gesamten Belegschaft gefordert, um die Situation zu diskutieren und Gegenmaßnahmen festzulegen. Eine solche Gesamt-Versammlung ist gerade in einem Unternehmen mit permanenter Schicht- und Wochenendarbeit wichtig, um die Belegschaft zu einen und ein aussagekräftiges Votum zu bekommen. Bisher trifft diese Forderung jedoch auf die erbitterte Ablehnung von Betriebratsmehrheit und Gewerkschaftsapparat.

Die Berliner S-Bahn ist nur ein Beispiel von vielen, wie Staat und Kapital auf die Krise reagieren, um ihre Profite zu sichern oder gar zu erhöhen. Doch von Berlin könnte nach Stuttgart ein erneutes Signal dafür ausgehen, dass Widerstand gegen die kapitalistischen Krisenmanager in Wirtschaft und Politik notwendig und möglich ist. Daher sollte „100% S-Bahn“ unsere ganze Unterstützung und Solidarität erhalten, wenn sie den Abwehrkampf vorbereitet und führt.

Natürlich ist es korrekt und notwendig, die Gewerkschaften und die LINKE aufzufordern, aktiv jeden Widerstand gegen die Privatisierung zu unterstützen, und von der SPD zu verlangen, ihre Unterstützung des Projekts zu beenden. Verlassen sollte sich darauf jedoch niemand.

Da es bei der S-Bahn strukturell besonders schwer ist, die gesamte Belegschaft zu mobilisieren (she. oben), ist es umso wichtiger, dass auch andere Gewerkschaften Unterstützung leisten und eine breite Bewegung in der Bevölkerung, v.a. unter den Fahrgästen, entsteht.

Daher braucht es den Aufbau von Aktionskomitees an den Dienststellen, aber auch in den Bezirken, um alle aktiv einbeziehen zu können, die gegen die S-Bahn-Privatisierung angehen wollen. Und schließlich braucht es einen Aktionsfahrplan hin zu einem politischen Streik gegen die Privatisierung, der auch auf spektakuläre, öffentliche Massenaktionen wie Demonstrationen und Besetzung setzt, ähnlich der Bewegung gegen Stuttgart 21. Also: Alles einsteigen bitte!